Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

22. Sonntag nach Trinitatis, 28.10.2018

Von der Sehnsucht nach gelingendem Leben
Predigt zu Römer 7:14-25a, verfasst von Ralf Reuter

Ich habe Sehnsucht nach einem Leben, das gelingt, so ähnlich wird jemand denken, vermute ich, der sonntags zur Kirche kommt. Sehnsucht nach einem Leben, das ehrlich und hilfreich geführt wird. Aber noch mehr: nach einem Leben, das dann auch irgendwie heile wird, in dem sich die Teile des Erlebten zu einem Ganzen zusammensetzen. Wo die Annahme von Gott zu spüren ist, und wo sich dieses Annehmen in ein Angenommensein wandelt, von dem wir leben können und unser Leben gestalten. Mit dem, wie wir sind und mit dem, was wir werden können.

Das Wollen habe ich wohl, schreibt Paulus nach Rom, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Dies ist erst einmal eine menschliche Gegebenheit. Gute Worte wollte ich finden, doch ich habe wieder gleich losgeschimpft. Oder:Mich mit Haut und Haaren dem Berufsleben verschreiben will ich nicht, doch habe ich mich wieder rumkriegen lassen, die Überstunden zu machen.Die Erfahrung, dass da zwei Kräfte in uns wirken, und wir oft diejenige wählen, die wir eigentlich nicht wollen, ist eine zutiefst menschliche.

Das geht dann noch weiter in den Bereich der persönlichen Schuld hinein. Ich wollte mit meinem Verhalten nicht die Familie zerstören, aber ich habe es getan. Nun leben wir getrennt.Eine sehr ehrliche Aussage. Ich halte sie auch vorstellbar bei einem Ingenieur, der sagt, ich wollte das nicht mit denAbgasmanipulationen, aber es ist uns passiert. So wie wir vielleicht alle sagen könnten: Wir lieben unsere Umwelt und die Natur, und schädigen sie doch mit unserem Verhalten.

Paulus versucht das zu erfassen mit dem inwendigen Menschen, der Freude an Gottes Gesetz hat, und der gleichzeitig ein anderes Gesetz in seinen Gliedern spürt, das dem widerspricht und ihn gefangen hält, im Gesetz der Sünde. Gesetz ist für ihn die Tora, die ersten Bücher des Alten Testamentes. Sie ordnen und regeln heilsam das Leben, und können sich zugleich gegen Gott wenden, einen zur Sünde treiben. Nach Paulus führen religiöse Vorgaben zum Guten wie zum Schlechten. Sie führen eben auch zur Sünde, zur Ferne von Gott, wenn dem Gesetz mehr vertraut wird als Gott.

Zur Verfehlung des Lebens gehört auch, jede Kommunikation als Bühne der Selbst-Inszenierung zu nutzen, was immer hohl und lebensfern wirkt. Bei allen guten Erfolgen gehört zum Menschsein die Wahrnehmung des inneren Zwiespaltes dazu. Erst wer davon authentisch reden kann, wirkt lebensnah. Die dunkle Seite der Seele und auch der Menschheit bleibt in allem wirksam, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, in der Kirche, in uns selber. Sie nur bei den anderen zu verorten offenbart nur den blinden Fleck in der eigenen Wahrnehmung. Dieser Text des Paulus ist wahnsinnig aktuell, er berichtet von Licht und Schatten der Lebenswirklichkeit.

Die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben, wenn wir dies als tiefen Wunsch von Kirchenbesuchern weiter verstehen wollen, müsste dann beides umfassen. Müsste den Glauben wie den Zweifel umfassen, die Gottnähe wie das Fernsein Gottes. Und müsste darin eine Bewegung in Gang setzen, die immer wieder vom Unglauben zum Glauben, und vom Glauben zur Liebe führt. Mich abholen, wo die Liebe nicht gelingt, und wo ich dies im Glauben annehme. Um dann im wiedergewonnenen Glauben neu zur Liebe zu finden. Gut und Böse eingebunden zu verstehen in den großen Zusammenhang der Schöpfung, wo die alte Zeit noch da ist und schon von der neuen Zeit umfasst und verwandelt wird.

Also doch noch guteWorte finden, mich nicht zu allemauf der Arbeit zwingen lassen, auch in einer getrenntlebenden Familie zusammenhalten, mithelfen, den Dieselskandal aufzuklären, aktiv dabei sein in einem verbesserten Umwelthandeln. Und gleichzeitig um die eigenen Grenzen zu wissen, um die Vorläufigkeit allen scheinbar so richtigen Verhaltens. Realistisch und kritisch sich selber gegenüber zu bleiben und in allem nie aufgeben, das Schlechte, so es denn zu erkennen ist, zu meiden und das Gute, wo wir es erahnen, erhoffen, auch zu suchen.

Nach Paulus geht das nur mit Jesus Christus in uns, mit seiner Geschichte des Heilwerdens in unserer Lebensgeschichte. Dank sei Gott durch Jesus Christus,unsern Herrn, schreibt er zum Schluss dieses so bewegenden Abschnitts. Und wir können versuchen hinzuzufügen, wie dies bei ihm gedacht ist. Dieser Jesus Christus, so verstehe ich es, muss immer wieder in unser Herz einziehen, muss die Erfüllung dieser Sehnsucht nach gelingendem Leben werden. Da reicht es nicht, nur äußerliche Gebote und Gesetze zu haben, und seien sie noch so hilfreich durchdacht.

Es braucht dabei unverzichtbar dieses Nahesein von Jesus Christus, der uns in den Zwiespälten des Ichs annehmen kann und uns wieder in den Bereich von Gott bringt. Der dabei niemals die Sünde, aber die Sünder rechtfertigt und wieder auf den Weg bringt, sie verwandelt. Der mich nicht nur im Fehlverhalten, sondern auch in Not, Krankheit und Tod an sich bindet und mich mit hindurchnimmt durch das Kreuz zur Auferstehung. Da zieht mir schon jetzt der Heiland ins Herz ein.

Ein Leben mit der Sehnsucht nach Gottes Nähe, es kann einen immer wieder herausholen aus der Orientierung am eigenen Ich und seiner Bestätigung in der Welt, auch einfangen von dem religiösen Wahn, genau zu wissen, was Gott vorschreibt. Das ist eine ganz neue Qualität von Freiheit. Ein solches Leben wird uns realistischer, lebensnaher machen und zugleich frommer, gottnaher. Wird Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft verbinden, wird eine Kirche bauen, die Menschen und ihre Lebensschicksale in ihre Mauern holt und ihnen ihre Geschichten neu erzählen lehrt.

Damit sie trotz vielem Scheitern auch vom Gelingen berichten, wo sich aus vielen Fetzen und Teilen plötzlich doch ein großes Ganzes erkennen lässt. Wo zu sehen ist, wie selbst aus der Sünde, der Gottferne, ein Sehnen nach Gottes Nähe und Zuwendung entsteht. Wo ich mit all meinen Mühen und Wünschen und Unzulänglichkeiten und Fehlschlägen zur großen Familie Gottes gehöre. Wo wir auch an diesem Sonntag in der Kirche mit Paulus sagen können: Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

 

Predigtnachlied: Da wohnt ein Sehnen tief in uns (There is a longing), Lebensweisen, Beiheft 5 zum Ev. Gesangbuch, Ausgabe Niedersachsen-Bremen, 19

 

------------

Ralf Reuter, Pastor für Unternehmensleitungen und Führungskräfte in der Wirtschaft, Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, und zugleich Pastor an der Friedenskirche Göttingen



Pastor Ralf Reuter
Hannover, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

(zurück zum Seitenanfang)