Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

23. Sonntag nach Trinitatis, 04.11.2018

Der Gewalt widerstehen
Predigt zu Römer 13:1-7, verfasst von Antje Roggenkamp

1 Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.

2 Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. 3 Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten. 4 Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut.

5 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. 6 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.

7 So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

 

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt!

Liebe Gemeinde!

Der Sommer 2018 war ein Jahrhundertsommer. Er ging mit Sonnenschein einher, wie ihn Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nicht erlebt hat. Sommerferien am heimischen Baggersee, wann wäre dies jemals in dieser Sonnenbeständigkeit in unseren Breitengraden möglich gewesen? Verlängerte Sommerferien, denn bis weit in den Oktober hinein war es tagsüber so warm, dass Menschen mit kurzen Hosen oder sommerlichem Outfit die Fußgängerzonen unserer Städte bevölkerten. Für viele sind die Monate zwischen Mai und Oktober ein absoluter Traum gewesen.

Der Sommer 2018 hat unsere Landschaft nachhaltig verändert. Er hängt den Garten-, Feld-, und Wiesen-, aber auch den Waldbesitzern nach. Früchte und Pflanzen vertrocknen, die Ernte ist eingebrochen, die Preise für den Festmeter Holz befinden sich dort im freien Fall, wo die Trockenheit den Bäumen jede Widerstandskraft entzieht. Borkenkäfer tun ein Übriges, nicht nur im Harz und in Bayern müssen wohl bald ganze Wälder gefällt werden. Für viele sind die letzten Monate ein einziger Albtraum  gewesen.

Der Klimawandel ist in vollem Gang. Und es kommt hinzu, dass die amtierende deutsche Umweltministerin schon zu Beginn dieses heißen Sommers einer internationalen Öffentlichkeit eingestehen musste, „dass wir unsere selbst gesteckten Ziele für 2020 verfehlen.“ Auch wenn sie hin zu fügte, dass dieses Eingeständnis für sie persönlich „bitter“ sei, so ändert dies nichts an der aktuellen Energiebilanz: Zwar beziehe Deutschland mehr als ein Drittel seines Stroms aus erneuerbaren Energien, gerade bei der (Braun-) Kohle aber scheine man die Entwicklung verschlafen zu haben. Der CO2-Ausstoß bewege sich auf dem Niveau von 1990; einer Zeit also, in der man vergleichsweise unbekümmert mit der Erderwärmung umging. Traum oder Alptraum, Veränderungen oder bitterer Rückfall? Ist den Spannungen dieses Sommers überhaupt beizukommen?

Röm 13, 1-7 wird seit dem Zweiten Weltkrieg nur noch selten im Gottesdienst zu Gehör gebracht. Dies liegt zum einen schlicht daran, dass der 23. Sonntag nach Trinitatis nur in jenen Jahren gefeiert wird, in denen Ostern vor dem 3. April zu liegen kommt. Zum anderen scheinen die Väter  und Mütter der aktuellen Perikopenordnung, mit dieser Festlegung auf eine Entwicklung reagiert zu haben, die sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert vollzog: Unbedingter Gehorsam zeichnete das Handeln der meisten staatstragenden Protestanten aus – selbst dann, wenn die Obrigkeit willkürlich herrschte.

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Sieht man nun aber genauer hin, so stützt die Aufforderung zur Anerkennung von Obrigkeit weniger die Anpassung an eine den Menschen vorgeordnete staatliche Gewalt. Die (imperativische) Aussage des Paulus verlangt vielmehr auch von der Obrigkeit, sich nach Gottes Willen zu richten. Damit ist aber nicht die Obrigkeit ermächtigt, aus eigenen Stücken zu entscheiden, was gut und was böse ist. Gott allein gibt vielmehr Maßstäbe vor, nach denen menschliches Handeln beurteilt wird. Die Argumentation ist theokratisch und dürfte aus jüdischer Tradition übernommen sein. Was gut und was böse ist, wissen wir nach Paulus nur, wenn wir auf Gottes Willen hören. Oder noch einmal anders formuliert: Die staatlichen Autoritäten sind hier als Diener Gottes angesprochen. Sie sind aber nicht selbst für die Unterscheidung von Gut und Böse zuständig. Diese Einsicht wird ihnen vielmehr erst von Gott zuteil. Die staatliche Obrigkeit ist also nur insofern Gottes Dienerin als sie – wie alle anderen Menschen – den Unterschied von Gut und Böse erkennt. Furcht vor Strafe sowie das eigene Gewissen sollen dies bei den übrigen Menschen sicherstellen.

Wer aber ist diese Obrigkeit? In einem demokratischen System lassen sich politische Organe nicht ohne weiteres als Diener Gottes identifizieren. Wirken bei staatlicher Gewaltenteilung doch verschiedene Instanzen zusammen, die gemeinhin sorgfältig unterschieden werden. Die Mehrzahl auch der christlichen Zeitgenossen dürfte zudem den Staat als verfassungsmäßig neutral betrachten. Können wir also theokratisches und demokratisches Denken in eine Beziehung bringen?

Das Problem unseres Predigttextes lässt sich aber noch ein wenig schärfer ventilieren.  Gehen wir diesem Gedanken nach, dann wird unser Blick auf Entwicklungen des Frühherbstes 2018 gelenkt. Mehrere Hundertschaften von Polizeibeamten gingen vor wenigen Wochen gegen junge Erwachsene vor. Einzelne Waldbesetzer traten gegen Waldbesitzer an, die den Staat zu Hilfe riefen. Junge Erwachsene, denen es um den Erhalt von Wald und Bäumen geht. Junge Erwachsene, die sich in Baumhäusern einquartierten, um die Rodung des Hambacher Forsts zu verhindern. Junge Erwachsene, die sich unter einfachsten und lebensgefährlichen Bedingungen zum Bleiben entschlossen. Zwar hatte das Durchgreifen der Staatsgewalt –erst Recht nach Änderung der Brandschutzbestimmungen – durchaus das Recht auf ihrer Seite. Aber kann man ein Opponieren schon deswegen unterdrücken? Und taten jene Polizeikräfte, die die Waldbesitzer vor den Waldbesetzern zu schützen suchten, wirklich das Gute? Der Text provoziert, er stellt unsere Werte in Frage und fordert unsere Vorstellungen heraus.

Aber den Waldbesetzern geht es um mehr: In ihrem Protest gegen den (Braun-) Kohleabbau versuchen sie ganz konkret, umweltpolitische Zeichen zu setzen. Sie opponieren gegen einen Umgang mit natürlichen Ressourcen, der schon jetzt das Leben auf dieser Erde verändert hat. Und durch eine theokratische Brille betrachtet: Scheitert die Politik daran, der Erderwärmung mit hinreichenden Maßnahmen zu begegnen, so geht es den Protestierenden um nichts Geringeres als die Bewahrung der gesamten Erde, wenn sie dem (Braun-) Kohleabbau lieber heute als morgen ein Ende bereiten möchten.

Es spricht Einiges dafür, dass hier mehr auf dem Spiel steht als der Ungehorsam gegen Menschen gemachte Gesetze. Zumal ernsthaft zu fragen ist, ob die von staatlicher Ordnungsmacht Bedrängten sich nicht mit gutem Gewissen engagieren.

Sieht man den Vorgang so, dann ringen verschiedene Weltverständnisse miteinander. Während die Waldbesetzer in äußerster Gefährdung den zivilen Ungehorsam proben, können die Energieriesen immer wieder ein Nachgeben staatlicher Organe erreichen. Man wird aber - auch den die Waldbesitzer schützenden Staat - ernsthaft fragen müssen, ob es dabei wirklich noch um Arbeitsplätze geht oder nicht vielmehr ganz andere (Macht-)Fragen – wie etwa der Erhalt der Konzerne oder ein Streben nach deren Gewinnmaximierung – im Zentrum stehen. Unser Text provoziert: Wir stehen vor einem Dilemma. Denn: Was ist richtig und was ist falsch?

So gibt nun jedem, was ihr schuldig seid… Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.Wenn der Staat etwas zulässt, was es uns verunmöglicht, Gott zu ehren, dann wird man überlegen müssen, ob nicht gegen die staatliche Gewalt opponiert werden muss. Hat diese Aussage noch etwas mit der ursprünglichen (Staats-)Gewalt zu tun? Hat  Paulus hier nicht vielmehr den Skopos seines Textes so verschoben, dass es ihm jetzt um ein Unterlaufen jener Aussage geht? In der Vergangenheit wurde dieser Gedanke als Notstandsrecht durchaus in Anspruch genommen. Und so ließe sich auch von unserem Predigttext her ein unbedingtes Eintreten für Gottes sichtbare Schöpfung ausdrücklich begründen. Aber rechtfertigt der Text in unserem Fall wirklich jede Gegenwehr?

Der paulinische Text zeigt uns nicht nur die konkreten Aporien jener Unterscheidung zwischen Gut und Böse auf. Er verdeutlicht  auch, dass wir diese uns nicht immer durchsichtige Grenze nicht aus eigenen Kräften überwinden können. Der in der Gegenwart zu Differenzierungen aufrufende Text ist ein Text, der provoziert, weil er Werte in Frage stellt und unser Weltverständnis hinterfragt. Es ist aber auch ein Text, der uns einschärft, dass Gott allein die ihm gebührende Furcht und Ehre in Erfüllung seines Willens zukommt.

Wenn dies alles aber in Erfüllung seines Willens geschieht, dann könnte ein Handeln im Dienst seiner Ehre ganz konkret in der Ermahnung staatlicher Instanzen bestehen. Wir können die Regierung daran erinnern, sich in klimapolitischen Entscheidungen nicht länger von außen steuern zu lassen. Und auch der Politik wird man die Bedeutung des Lebens jedes und jeder Einzelnen ins Stammbuch schreiben dürfen. Wir alle haben Sorge für künftige Generationen nicht erst ab diesem Sommer zu tragen.

Und was das für uns bedeutet? Es ist nicht so, dass wir nicht selbst erkennen könnten, was gut und was böse genannt zu werden verdient. Der Umgang mit unserem Predigttext hilft zu verstehen, wie wichtig Zwischentöne und Schattierungen sind. Betrachten wir aber Gottes Schöpfung durch jene theokratische Brille, so wird uns trotz allem auch ein ehrfurchtsvolles Staunen ergreifen. Und lassen wir uns darüber hinaus in Gottes Umgang mit seiner Schöpfung sein eigenes Staunen und Leiden zeigen, so eröffnet sich gerade uns die Möglichkeit, als Gottes Geschöpfe seiner Schöpfung durch öffentliches Bewussthalten ihres gegenwärtigen Leidens eine wirkliche Chance geben. Bis es soweit ist, bis Gottes Leiden am Geschöpf und mit der Schöpfung an ein Ende kommt, wird für uns alle gelten, was auch Paulus der Gemeinschaft in Rom bis auf weiteres anempfiehlt: Die christliche Perspektive bringt die Anerkennung des Schöpfers durch Anerkenntnis seiner Schöpfung ins Spiel. Oder in einer unserer Zeit vielleicht gemäßeren Variante: „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde Böses mit Gutem.“

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus, Amen

 

Lieder

EG 361, 1-3 Befiehl Du Deiner Wege

EG 262, 1-4 Sonne der Gerechtigkeit

EG 423, 1-4. 7. 10 Herr, höre Herr, erhöre…

 

 



Prof. Dr. Antje Roggenkamp
Münster, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: antje.roggenkamp@uni-muenster.de

(zurück zum Seitenanfang)