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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

23. Sonntag nach Trinitatis, 04.11.2018

Predigt zu Römer 13:1-7, verfasst von Christian Günther

Schriftlesung: 2. Mose 20,1-17 (gegenüber Agende geändert)
 
Lied vor der Predigt: 395,1-3
 
Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.
Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen.
Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten.
Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut.
Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.
Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.
So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist!
 
Liebe Gemeinde!

Um diese Bibelstelle wird seit Jahrhunderten heiß gestritten, weil sie ziemlich klar zu bestimmen scheint, wie sich ein Christ - oder "die Kirche" gegenüber der Staatsgewalt zu verhalten hat:
Dass man nämlich nicht nur wie ein mündiger Bürger gute Gesetze befolgen, aber schlechte, ungerechte Gesetze bekämpfen soll ... sondern man möge sich komplett unterordnen, ein Untertan sein. Denn jede staatliche Obrigkeit ist von Gott eingesetzt.

Diese Einstellung hat unter anderem dazu geführt,

 

Denn - auch wenn man dagegen ist: Man muss sich ja der Obrigkeit unterordnen.

Seltsam, oder? Irgendwie beschleicht einen das Gefühl: Da stimmt was nicht.

Der Apostel Paulus, welcher hier den Nutzen der Staatsgewalt preist und Unterordnung empfiehlt, war von eben dieser Staatsgewalt sehr häufig ins Gefängnis geworfen worden, hatte abenteuerliche Fluchten erlebt und wohl auch Folter, mit bleibenden Schäden am eigenen Leib.
Und das alles, obwohl er gar keine Verbrechen - wie Raub, Körperverletzung oder Mord - begangen hatte.
Er war doch eigentlich ein Musterbeispiel für jemanden, der unter einer willkürlichen und korrupten Justiz zu leiden hatte!
Wie konnte er nach all diesen Erfahrungen solch einen Text schreiben?

Ein Grund dafür ist banal: Es gab zur Zeit des Paulus kein Postgeheimnis.
Ein polizeibekannter Unruhestifter wie Paulus musste damit rechnen, dass seine Briefe abgefangen und mitgelesen wurden. Unser Bibeltext war also wohl eine Art Beruhigungspille für die römische Stasi. Dafür spricht auch der Umstand, dass unsere Textpassage eine Geheimbotschaft enthält.

Ist sie Ihnen aufgefallen?

Vermutlich nicht. Und wenn doch - seien Sie sicher: Den heidnischen, römischen Behörden ging der Hinweis durch die Lappen. Aber die Adressaten des Briefes, die Christen in Rom, verstanden ihn wohl.

Am Ende unserer Textpassage, nachdem Paulus darauf hingewiesen hat, dass die Römer zu Recht Steuern zahlen, schreibt er: "So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid:
Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt;
Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.
Dem Kaiser von Rom stehen Steuer und Zoll zu.
Aber im Gegensatz zu den römischen Behörden wussten die Christen von Rom, dass Furcht und Ehre nur Gott zustehen. Hatte doch Jesus selbst gesagt: "Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle." (Mt. 10,28)
Und schon im 5. Buch Mose ist ein Satz zu lesen, der aus der jüdischen und der christlichen Tradition nicht wegzudenken ist:
Soli deo gloria - Gebt unserm Gott allein die Ehre!

Was wollte Paulus mit dieser Andeutung ausdrücken? Ich würde es mal so formulieren:

Es ist nicht unser Job, an den politischen Zuständen etwas zu ändern, selbst wenn mich korrupte Beamte dauernd ins Gefängnis werfen und misshandeln. Und im Prinzip ist es ja auch gut und gottgewollt, dass jemand dafür sorgt, dass die Leute auf der richtigen Straßenseite fahren, dass die Ampeln funktionieren und dass jemand kommt, wenn Diebe mein Haus ausräumen und ich um Hilfe rufe ... selbst wenn es sich dabei um ungläubige und unsympathische Cops handelt und die ganze Regierung trumpelmäßig drauf ist.
Das alles gehört zur einer vergehenden Welt, in der wir noch eine Weile zubringen, aber aus der wir uns schon längst - mit der Taufe - verabschiedet haben, denn wir wollen ins Reich Gottes - und das hat bereits angefangen: Wenn wir miteinander leben und uns in gegenseitiger Wertschätzung unterstützen. Wenn wir in unseren Versammlungen gemeinsam essen und trinken, dann gibt es keine Arme und Reiche mehr, keine Herren und keine Sklaven, ja nicht einmal mehr Männer und Frauen - denn alle sind wir geliebte Kinder Gottes in der Freude des Heiligen Geistes. Wenn uns diese Liebe und Freude erfasst, dann erleben wir einen kleinen Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, wenn wir einst befreit sein werden von den Fesseln dieser Welt des Elends und des Todes.

Für Paulus war die Gemeinschaft Jesu Christi eine Parallelgesellschaft, sozusagen das Reich der Zukunft. Die Welt des Kaisers von Rom dagegen - davon war Paulus überzeugt - würde bald zugrunde gehen. Man musste sich an ihre Regeln halten, möglichst unauffällig und konform bleiben, aber eigentlich war sie für ihn vollkommen uninteressant. Und sie war es auch überhaupt nicht wert, dass man noch versuchte, an diesem sinkenden Schiff irgendwas zu ändern oder zu verbessern. Also: Kein Steuerstreik, kein Sklavenaufstand, keine Demonstrationen.
Allerdings fielen die ersten Christen doch auf: Sie räumten die Toten von den Straßen der oströmischen Städte, um sie christlich zu bestatten: Denn es gab auch damals viele, die auf der Straße lebten - und verhungerten oder an widerlichen Krankheiten starben. Und keiner fühlte sich zuständig, sie zu entsorgen.
Außerdem verweigerten die Christen den Dienst in der Armee, bei der Polizei und bei der Feuerwehr, die gleichzeitig eine Art Bürgermiliz war. All diese Dienste der römischen Gesellschaft konnten dazu führen, dass man jemanden töten musste - und und da machten die Christen nicht mit: "Du sollst nicht töten, sondern deine Feinde lieben."
Und schließlich verweigerten sie auch jegliche Opfer an heidnische Götter und vor allem an den römischen Kaiser: "Soli deo Gloria!" Das wurde als Hochverrat gewertet. So kam es, dass die Christen immer wieder blutig verfolgt wurden.

Heute haben wir da ein ganz anderes Verständnis von "Christsein in der Welt". Denken Sie nur an die Amerikaner: Abraham Lincoln: Sklavenbefreiung! Natürlich darf es in einer christlichen Gesellschaft keine Sklaven geben. Oder Martin Luther King: Überwindung der Rassentrennung in den USA! Bürgerrechte für alle! Umgekehrt haben (in den USA) viel weniger Christen Probleme mit dem Einsatz von Gewalt und Waffen als bei uns. Im superchristlichen Bundesstaat Utah, der Heimat der Mormonen, gibt es Orte, in denen es sogar Pflicht ist, eine Schusswaffe zu besitzen.

Wir sind zwar nicht so waffenverrückt wie die Amerikaner, aber auch bei uns gibt es christlich motivierte, politische Bestrebungen: Damals, vor der Wende: Die Bürgerbewegung der DDR sammelte sich in den Kirchen. Mutige Pastorinnen und Pastoren spielten eine große Rolle. Oder um ein Beispiel zu nennen, das erst ein paar Wochen alt ist: Der Pfarrer von Hochspeyer in der Pfalz wurde von staatlichen Stellen wegen des Gewährens von Kirchenasyl für einen Flüchtling angezeigt. Die Landeskirche bezahlt ihm einen erstklassigen Anwalt, weil der Pfarrer eindeutig christliche Ziele verfolgt.
Auch in der Umweltpolitik, in Sachen nachhaltiges Wirtschaften und in anderen Bereichen profilieren sich evangelische Engagierte.

Es scheint, als seien wir heute viel weniger skeptisch gegenüber dieser (aus der Sicht des Paulus) untergehenden Welt, so dass wir meinen, es würde sich noch lohnen, daran etwas zu verbessern. Auch dieser Standpunkt lässt sich biblisch begründen. Vor zwei Wochen war folgendes Prophetenwort Teil des Predigttextes: "Suchet der Stadt Bestes!" (Jer 29,7) - Auch wenn diese Welt vielleicht schlecht ist und untergehen wird: Kümmert euch um sie! Martin Luther wird folgender Spruch zugeschrieben: "Selbst wenn die Welt morgen unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen darin pflanzen." - Demnach ist es nie zu spät, um gesellschaftlich und politisch aktiv zu werden.

Zwischen diesen beiden Positionen - der des Paulus, nach der es zwecklos ist, etwas an der Welt zu verbessern, und der von Martin Luther - muss sich jeder von uns irgendwo einordnen.
Ganz falsch ist es jedenfalls, alle Anordnungen des Staates sklavisch zu befolgen. Das hat weder Paulus getan - sonst wäre er nicht immer wieder im Gefängnis gelandet -, noch die ersten Christen.
Aber wir sollten den Wert und Nutzen der Ordnungsmacht schätzen und sollten uns sehr genau überlegen, ob und wann es sich wirklich lohnt, zum gewaltsamen Widerstand überzugehen.

Wir Christen leben ja nicht in einem ethischen Vakuum. Auch für uns gibt es - religiöse - Maßstäbe und Regeln. Zehn davon haben Sie in der Schriftlesung gehört. Oder denken Sie an die Goldene Regel: "Behandele andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst." (Mt 7,12) -
In diesem Sinne möge Gott uns helfen, weise zu entscheiden, wie wir seinen Namen heiligen und ihm die Ehre geben.

Amen



Lied nach der Predigt: 391,1-4



Pfarrer Christian Günther
Zweibrücken, Rheinland-Pfalz, Deutschland
E-Mail: chrg@posteo.de

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