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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

23. Sonntag nach Trinitatis, 04.11.2018

Furcht oder Liebe
Predigt zu Römer 13:1-7, verfasst von Rainer Kopisch

Liebe Gemeinde,

 

unser heutiger Predigttext steht im Brief des Paulus an die Römer Kapitel 13 Vers 1 bis 7.

Die Verse sind  überschrieben: Das Verhältnis zur staatlichen Gewalt.

Damit gibt die Redaktion der Luther-Bibel 2017 eine Wegmarke an,

die zu einem Verständnis von Obrigkeit als von Gott gegeben führt.

Dieses Verständnis war für die ersten Christengemeinden und auch für die Gemeinde in Rom selbstverständlich.
Paulus erinnert die Gemeinde in Rom an diese Selbstverständlichkeit

und er bestärkt sie in diesem Verständnis durch seine Worte.

 

Ich lese jetzt den Predigttext. Es wird ihnen auffallen, wie archaisch diese Sätze des Paulus in unserer gesellschaftlichen, politischen Gegenwart klingen, wie aus einer anderen fernen, vergangenen Welt überliefert.

01 Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.

02 Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottesanordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen.

03 Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke.

Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten.

04 Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut.

Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst.

Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut.

05 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen,

nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.

06 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.

07 So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid; Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

Zweifellos ist dies ein politischer Text.
Ulrich Wilckens war gut beraten, als er 1970 das Neue Testament übersetzte. Seine Beraterwaren Werner Jetter, Ernst Lange und Rudolph Pesch.

Ernst Lange hat vor 50 Jahren die Predigtstudien ins Leben gerufen und viele Jahre herausgegeben. So ist es nicht verwunderlich, dass der Kommentar zu unserem Predigttext so ausgefallen ist, dass er in eine Predigt übernommen werden kann.

Überhaupt ist dieses Buch von Ulrich Wilckens für Predigtinteressierte eine empfehlenswerte Anschaffung, weil es viele exegetische Informationen vermittelt, die man sonst lange suchen müsste.

Ich zitiere den Anfang des Kommentars zu unserem Predigttext:

„Die urchristlichen Gemeinden haben wie die jüdischen der damaligen Zeit den römischen Staat und seine Organe als von Gott eingesetzt anerkannt. Nach ihrer Auffassung ist es vor allem die Rechtspflege, die dem Staat als seine wesentliche Aufgabe gegeben ist und von der aus sich seine Vollmacht gegenüber allen Bewohnern seines Hoheitsbereiches ableitet. Die Behörden sind wesentlich dazu da, zum Tun des Guten zu provozieren und das Böse zu ahnden. “

 

Auch die Christen waren damals gut beraten gewesen, sich den Ordnungen und Gesetzen des römische Staates zu fügen.

Solange Gott für sie unangefochten an der obersten Stelle blieb, konnten die Christen im römischen Reich ihren Glauben leben.

Wir wissen aus der Geschichte, dass dieser Frieden der Christen mit der römischen Obrigkeit an sein Ende kam, als der römische Kaiser die göttliche Verehrung für seine Person beanspruchte.
Damit waren diesem pragmatischen Lebensmodell der Christen im römischen Reich die gesellschaftlichen und politischen Grundlagen entzogen.

Was Paulus hier der Gemeinde in Rom schrieb, wurde zu einem Dokument der Geschichte der christlichen Gemeinde in Rom.


Allein das kraftvolle Bild eines gut funktionierenden sozialen Systems mit einer transzendenten obersten Macht ist beeindruckend. Der Grund dafür ist, dass eine archaische Vorstellung eines solchen gut funktionierenden Systems tief verborgen in unserer menschlichen Seele steckt.

Darum halten wir Menschen immer wieder für möglich, dass unter gegebenen Umständen ein solches System Wirklichkeit werden kann.

 

Martin Luther hat im Hinblick auf Römer 13, 1 und zwei versucht, die Obrigkeiten seiner Zeit auf ihre Verantwortung vor Gott für ihre Untertanen anzusprechen.

 

Martin Luther schrieb am Neujahrstag 1523 „Von der weltlichen Obrigkeit und Wieweit man ihr Gehorsam schuldig sei“

Er widmetet diese Schrift seinem Landesherrn mit folgenden Worten:

„Dem Durchlauchten hochgeborenen Fürsten und Herren, Herrn Johannes, Herzog zu Sachsen, Landgrafen in Thüringen und Markgrafen zu Meissen, meinem gnädigen Herrn.“

In der Vorrede schreibt Luther:

„Ich habe früher ein Büchlein an den deutschen Adel geschrieben und dargelegt, was sein christliches Amt und Werk ist. Aber wie weit sie sich danach gerichtet haben, ist zur Genüge vor Augen.

Darum muss ich meinen Fleiß in andere Richtung wenden und nunmehr auch schreiben, was sie lassen und nicht tun sollen. Ich hoffe, sie werden sich ebenso sehr danach richten, wie sie sich nach jener Schrift gerichtet haben, damit sie ja Fürsten bleiben und nimmer Christen werden.“

Seine Ironie ist nicht zu übersehen.

In seinen dann folgenden Ausführungen nennt er im ersten Abschnitt als erste Bibelstelle die ersten beiden Verse unseres Predigttextes als Begründung der von Gott gegebenen Autorität der Obrigkeit.

 

Das Bild der von Gott eingesetzten Obrigkeit hat im bürgerlichen Protestantismus späterer Jahre zur bedenklicher Anerkennung antidemokratischer Obrigkeiten geführt.

 

Die Verbindung von Krone und Altar in dieser Tradition findet mit dem Ende des ersten Weltkrieges ein unrühmliches Ende.

 

Auch später ist Römer 13, 1.2 trotz seines engen Zeitbezuges immer wieder von Machtverführten missbraucht worden. Pfarrer und Kirchenführer im dritten Reich haben sich im Wahn, Röm 13,1.2 könne auch auf den Führer zutreffen, als deutsche Christen engagiert. Sie haben nicht gemerkt, dass sie in ein Wahnsystem hineingezogen wurden.

Wie kann das geschehen?

Die archaische Vorstellung eines geordneten Systems mit einer obersten Instanz in einem transzendenten Bereich steckt, wie schon gesagt, tief verborgen in unserer menschlichen Seele.

 

Bert Hellinger, einer der Pioniere der Analyse und Aufstellung von soziologischen Systemen, ist Theologe, Lehrer und Psychotherapeut. Auf Grund seiner Erfahrungen und Erkenntnisse haben wir Einsichten in die Funktion von unbewussten Regelsystemen, in denen Liebe, Anerkennung und Würdigung eine befreiende Rolle spielen, aber ihr Fehlen zu Ausgrenzung, Verletzung und in deren Folge zu erheblichen Störungen und Leiden einzelner Mitglieder im System führen.
Paulus muss dass auch gespürt haben. Darauf deutet der unserm Predigtext folgenden Vers acht hin:

„Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den anderen liebt, der hat das Gesetz erfüllt.“

Das ist das innere Gesetz ohne Buchstaben, das in unserem Inneren mit Gewissen verbunden ist.
Im Vers fünf ist Gewissen mit einem anderen Gesetz verbunden, über dessen Einhaltung die Obrigkeit wacht.

Wenn Sie jetzt erstaunt fragen, gibt es denn verschiedene Gewissen, so muss die Antwort Ja lauten.

Die neuere Literatur zu Systemaufstellungen besagt das.

Jakob Robert Schneider, eine der weltweit erfahrensten Aufsteller, beschreibt in der dritten Auflage seines 2014 erschienenen Buches „Das Familienstellen“ drei Arten von Gewissen: Gruppengewissen, persönliches Gewissen, universales Gewissen mit je drei Ebenen: Zugehörigkeit, Ausgleich und Ordnung.
Das innere Gesetz der Liebe nimmt Paulus dann in Vers 10 auf:

„Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“

 

Die Demonstration vor 14 Tagen, am 21. Oktober, in Dresden, bei der viele Bürger und Gruppen mit dem Ministerpräsidenten gegen die rechte Gewalt protestierten, macht ein Problem der gelebten Demokratie deutlich. Auf einem Spruchband stand: Mit Herz und Hirn gegen Hass und Hetze.

 

Freiheit, Gleichheit und Solidarität, Errungenschaften des christlichen Abendlandes, erleben einen Sinnverlust, weil sie zunehmend von einem Großteil der Bürger schmerzlich vermisst und nicht mehr erlebt werden.

Einher geht auch ein Verlust von Vertrauen in die Politik und in die etablierten Parteien.

 

Der demokratische Staat steht auch deshalb in der Krise,  weil sich zunehmend mehr Bürgerinnen und Bürger aus ihrer Verantwortung für ein gutes Miteinander stehlen.

Hier haben wir als Christinnen und Christen eine Aufgabe und eine (politische) Verantwortung.

Bedenken Sie, dass Sie als Christinnen und Christen gute Möglichkeiten haben, positiven Einfluss auf die Gestaltung des mitmenschlichen Umgangs im demokratischen Staat zu nehmen.

Es ist die Liebe Gottes, die wir durch Jesus Christus als Gotteskraft in uns tragen und die uns den nötigen Rückhalt gibt, den Nöten und Ängsten der Mitmenschen standzuhalten und ihnen beizustehen.

Ich denke an das, was Paulus im folgenden Vers 10 schreibt:

„Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“

Wenn wir diese Aussage erweitern, heißt es: Die Liebe tut dem Menschen Gutes.

Luther erweiterte die zehn Gebote in seinen Erklärungen im Kleinen Katechismus, indem er sagte, was unsere Liebe zu Gott für Konsequenzen hat. „Wir sollen Gott fürchten und lieben, auf das wir ...“ Erinnern Sie sich an Martin Luthers Erklärungen der zehn Gebote? Wenn nicht, sehen Sie mal wieder hinein in den Kleinen Katechismus.

 

Bei der Tagung zum 50-jährigen Bestehens der Predigthilfen hielt der bekannte Philosoph Wilhelm Schmidt den Festvortrag „Leben verstehen – ein Philosoph als Seelsorger“ über die Notwendigkeit und Möglichkeit eines gut geführten Gespräches.

Er schilderte, wie ein aufmerksames und einfühlsames  Zuhören zum einem guten Gespräch beiträgt.

 

Was hindert Sie mit Menschen, die Ihnen begegnen, ins Gespräch zu kommen?

In Ihrer Nachbarschaft gibt es Menschen, die auf liebevolle Aufmerksamkeit warten.

Wenn Christinnen und Christen nicht zu Botschaftern der Liebe Gottes werden, wer dann?

 

Amen

 

Zur Erstellung der Exegese des Textes habe ich das Theologische Wörterbuch zum NeuenTestament von Kittel in der ersten Auflage und die Interlinearübersetzung von Ernst Dietzfelbinger in der dritten Auflage benutzt. Aus der Übersetzung des Neuen Testamentes von Ulrich Wilckens habe ich zitiert.

 

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Rainer Kopisch, Pfarrer in Ruhe der Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig, Seelsorger mit logotherapeutischer Kompetenz,

letztes selbstständiges Pfarramt: Martin Luther in Braunschweig,

in der Vergangenheit: langjähriger Vorsitzender der Vertretung der Pfarrer und Pfarrerinnen in der Landeskirche, Mitglied in der Pfarrervertretung der Konföderation der Landeskirchen in Niedersachsen, Mitglied in der Pfarrvertretung der VELKD, Mitglied in der Fuldaer Runde in der EKD.



Pfarrer in Ruhe Rainer Kopisch
Braunschweig, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de

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