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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

24. Sonntag nach Trinitatis, 11.11.2018

Predigt zu 2. Korinther 5:1-10(dänische Perikopejnordnung), verfasst von Thomas Reinholdt Rasmussen

  1. Kor. 5,1-10 und Johannes 5,17-29 (dänische Perikopejnordnung)

 

Heute am 11. November ist es hundert Jahre her, dass der Erste Weltkrieg endete. Der Waffenstillstand wurde in einem Zugabteil in Compiègne in Frankreich am 11. November 1918 unterschrieben. Der Krieg war zu Ende und hatte ein völlig verändertes Europa hinterlassen. Eine ganze Generation junger Männer hatte ihr Leben verloren oder war an Leib und Seele in den Schützengräben schwer beschädigt. Im buchstäblichen Sinne war die Erde Europas durch unzählige Granateneinschläge aufgewühlt, und mental war die europäische Kultur zerstört. Nichts war mehr, wie es einmal war. Man konnte sich nicht mehr auf das verlassen, was einmal war.

Als der Krieg im August 1914 begann, war das eine andere Generation, die in den Krieg zog. Sowohl in England als auch in Deutschland war die Kriegsbegeisterung groß, und viele glaubten an einen schnellen kleinen Krieg, der die schwüle Luft reinigen konnte. Es sollte aber anders kommen, und der englische Außenminister Sir Edward Grey (1862-1933) hatte jedenfalls richtig gesehen, als er sah, wie die Lampen am 3. August 1914 angezündet wurden, und sagte, dass jetzt die Lampen über ganz Europa ausgehen und wir sie in unseres Zeit nicht mehr erleben, dass sie wieder angehen.

Der erste Weltkrieg veränderte eine Kultur, die grundlegend an sich selbst glaubte. Die Zeit war der Höhepunkt des Kulturprotestantismus, wo Kultur und Christentum eine höhere Einheit darstellten. Viele der bekannten Kulturpersönlichkeiten gaben eine Erklärung zur Unterstützung des Krieges heraus. Einer der prominentesten Unterzeichner war der Berliner Professor und Theologe Adolf von Harnack (1851-1930), einer der führenden Vertreter des Kulturprotestantismus und der liberalen Theologie, bei der nicht die Dogmen entscheidend waren, sondern die Ethik und die Wissenschaft.-

Das entsetzte einen jungen reformierten Pfarrer in der Schweiz, Karl Barth (1886-1968). Barth hatte sich im Kreis um Harnack engagiert. Er sah in der Erklärung der Intellektuellen eine allzu enge Verknüpfung von Gott und Kultur, wo man Gott in den Dienst der Kultur stellt. Der christliche Gott konnte, so die Auffassung Barths, nicht als eine eindeutige Größe verstanden werden. Gott war der ganz Andere und konnte nicht als kulturelles Argument dienen.

Zwischen Gott und Mensch existiert ein absoluter Unterschied, sagt Barth, der nur durch Gott selbst überwunden werden kann, und die Theologie kann nicht dazu verwendet werden, das Bestehende zu legitimieren, sondern nur dazu, Neues zu verkünden. Man kann nicht kulturell, politisch oder sonst wie für Gott argumentieren, Gott kommt nur „senkrecht von oben“, wie er sagte. Deshalb erklärt Barth auch verblüffender Weise, dass das Christentum nicht nur eine Religion ist, was übrigens interessanter Weise der dänische Theologe und Pastor Otto Møller (1831-1915) schon 1907 gesagt hatte. Eine Religion ist die Bewegung, wo sich der Mensch durch religiöse Gesetze, Regeln und dergleichen hin zu Gott bewegt. Aber im Christentum verhält es sich umgekehrt: Hier bewegt sich allein Gott zum Menschen, und wenn der Mensch sich daran versucht, sich zu Gott zu bewegen, zerstört er die Welt, so wie der Krieg dies gezeigt hat. In diesem Sinne ist das Christentum nicht eine unter anderen Religionen, es unterscheidet sich von den anderen Religionen, dem Islam, dem Buddhismus, dem Atheismus usw., die alle in dem einen oder anderen Sinne den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

Und aus dieser Perspektive und auf dem Hintergrund der Schrecken des ersten Weltkrieges und der sich daraus ergebenden Veränderungen können wir vielleicht besser die Worte des Paulus an die Gemeinde in Korinth über unser Haus hier auf Erden als einem Zelt verstehen. Es ist wie ein Zelt mit all den Schwächen, die die bedeutet. Es kann umgeweht werden. Es kann auseinandergerissen werden, es kann zerrissen werden.

Diese Erfahrung eines schwachen Zeltes, das vielleicht nur durch menschliche Überlieferung und Kultur zusammengehalten wird, ist wohl die Erfahrung der Generation, die das Ende des ersten Weltkrieges erlebte. Das Zelt, das man für ein solides Gebäude hielt, lag zerrissen im Schlamm der Granatlöcher.

Sie standen, wie es Paulus formuliert, nackt und entkleidet, und sicher seufzend vor Sehnsucht nach einer Wohnung, welche Bestand hat. Diese Wohnung, sagt Paulus, ist nur bei Gott. Das Zelt, in dem wir wohnen, ist nicht das Zelt Gottes, und so wird es dann neu von Barth formuliert, dass Gott der ganz Andere ist.

Glücklicherweise! Und das ist gut so, denn Gott ist nicht der ganz Andere im dem Sinne, dass man nicht zusammen reden und leben kann, aber die Initiative liegt bei Gott. Und der Sohn kann, wie Jesus es im heutigen Evangelium sagt, nicht von sich aus tun, sondern nur das, was der Vater tut.

Und der Vater wird die Toten auferwecken, die erlebt haben, wie das beschützende Zelt zerstört und zertrampelt wurde. Der Vater wird die Toten auferwecken und wieder lebendig machen. Das ist der ganze Trost, wenn alles auseinanderfällt und zerstört wird: Dass die Toten die Stimme Gottes hören werden, und die, die sie hören werden, sollen leben.

Denn was sollen wir sonst haben? Was sollen wir sonst glauben? Was anderes als dass Gott das letzte Wort hat, und das ist ein Wort, das in trostreicher Liebe gesprochen wird. Denn wir alle kommen vor das Gericht, außer denen, die das Gute getan haben – aber wer hat dies denn, wenn wir uns ehrlich fragen? Wir alle kommen wohl vor das Gericht wie die Generationen vor uns? Wer kann guten Gewissens glauben, dass man nicht vor das Gericht kommt?

So werden wir alle gerufen, ohne andere die Schuld geben zu können, sondern nur um Gottes Wort zu hören. Denn der Vater richtet niemanden, das Gericht hat er vielmehr dem Sohn anvertraut. Das Wort, das uns aus unseren Gräbern ruft und das zu uns in Liebe spricht, ist die Stimme von Gottes Sohn, der als Gekreuzigter auf dem Schlachtfeld spricht, dass sowohl in den aufgewühlten Feldern des ersten Weltkrieges besteht als auch in unseren im übertragenen Sinne zerstörten Feldern. Mitten in der Schlacht hängt der eingeborene Sohn Gottes, und seine Stimme kündet von Liebe und Vergebung. Das ist sein Gericht. Das ist das Evangelium, das alles in sich birgt, auch unser Leben und unseren Weg. Gottes eingeborener Sohn – Jesus Christus – unser Leben, unser Trost und unser ewiger Friede. Amen.



Propst Thomas Reinholdt Rasmussen
Hjørring, Dänemark
E-Mail: trr(at)km.dk

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