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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 02.12.2018

Was wir der Welt schuldig sind
Predigt zu Römer 13:8-12, verfasst von Uland Spahlinger

8 Bleibt niemandem etwas schuldig, ausser dass ihr einander liebt. Denn wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt.

9 Das Gebot nämlich: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren, und was es sonst noch an Geboten gibt, wird in dem einen Wort zusammenge­fasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

10 Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu. Des Gesetzes Erfüllung also ist die Liebe.

11 Und dies tut im Wissen, dass die Stunde ge­schlagen hat: Es ist Zeit, aus dem Schlaf aufzuwa­chen. Denn jetzt ist unsere Rettung näher als zu der Zeit, da wir zum Glauben kamen.

12 Die Nacht ist vorgerückt, bald wird es Tag. Lasst uns also ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen des Lichts!

(Zürcher Bibel 2007)

 

I. Wir stehen wieder am Anfang, liebe Gemeinde. Das neue Kirchenjahr beginnt – Zeit, innezuhal­ten und zu sortieren, was denn wichtig ist. Adventszeit – innere Vorbereitung auf den kommenden Herrn – den wiederkommenden Herrn. Es ist kein Zufall, dass am ersten Advent nicht eine kuschelige Geschichte von junger schwangerer Frau oder Geburtsankündigung gelesen wird, sondern der Einzug Jesu in Jerusalem: der Beginn der Passion. Oder mit anderen Worten: die paradoxe Königspro­klamation des Zimmermannssohnes aus Nazareth, hin­ter der der allumfassende Anspruch steht: hier kommt der Messias.

 

Könige oder die Anführer himmlischer Heerscharen erwartete man damals in anderer Gestalt.

Aber auch die Klatschzeitungen im Friseursalon heute oder die VIP-Magazine vor 18 Uhr würden diesem König wenig Raum geben, ganz zu schweigen von den Konferenzräumen, in denen die wirklich Mächtigen ihre Entscheidungen treffen.

 

„Dein König kommt in niedern Hüllen“, dichtete 1834 Friedrich Rückert ein Adventslied. Jesu Macht, sein „herrscherliches“ Handeln orientiert sich an anderen Maßstäben. Jesus ruft zur Umkehr, zur Buße, zur Hinwendung zu Gott. Nicht aus Angst, sondern aus Vertrauen – aber dann konsequent und immer wieder neu. So ist sie auch geformt, die Adventszeit: als eine Zeit der Stille, der Vorbereitung, der Einkehr vor dem großen, hellen Fest mitten in der dunkelsten Zeit des Jahres.

 

Das geht inzwischen an vielen Leuten völlig vorbei. Die so genannten Weihnachtsmärkte sind so hell erleuchtet, dass es dir fast in den Augen brennt. Ich habe mir der Tage erzählen lassen, dass es Leute gibt, die stellen JETZT den Weih­nachtsbaum auf und werfen ihn dann spätestens am 26.12. wieder weg. Das Wissen um die Bedeutung der Zeiten ist perdu. Maß und Ziel sind aus den Augen geraten. Es gibt viel, das ins Lot gerückt werden müsste, nicht nur der Advents- und Weihnachtskalender; es gibt vieles, das wir überprüfen müssten: Gewohnheiten, Bequemlich­keiten, unseren Konsum oder den Blick auf das Er­gehen anderer Menschen.....

II. Wir stehen am Anfang eines neuen Kirchenjahres – und zugleich am Beginn einer neuen Kirchenvor­standsperiode. Sie, die Gemeinde, haben acht Kirchenvorstände gewählt. Durch zwei Berufungen wurde das Gremium vervollständigt. Heute werdet ihr, der neue Kirchenvorstand, in euer Leitungsamt eingeführt.

 

Wir haben als Ge­meinde hier in Dinkelsbühl viel anvertraut be­kommen: Gebäude, Finanzmittel, Kitas und Diakonie, eine Vielzahl von Menschen mit ihren Fähigkeiten, Bedürfnissen, ih­rem Einsatzwillen. Wir haben die gute Botschaft, das Evangelium, die Grundlage unseres Glaubens – nicht als Machtinstrument gegen andere, sondern als Orientierung zum Leben mitden anderen. Wir haben Mittel, die wir einsetzen können, damit von der guten Botschaft etwas sichtbar und erfahrbar wird im Leben. Wir haben die Einsichten und die Dokumente der Vorfahren – wir können uns also kundig machen darüber, wie Glaube und Leben sich entwickelt haben im Gang durch die Zeiten. Und wir haben den Schatz an Begabungen, an Wissen, an unterschiedlichen Herkünften und Frömmigkeiten. All das ist uns anvertraut – und als Kirchenvorstand sind wir gehalten, es zu wecken und einzusetzen und zu fördern.

 

III. Eines aber haben wir nicht: Wir haben keine Macht. Wir haben keine Zwangsmittel. Manchmal vergessen wir das. Mit allem, was wir tun, bewegen wir uns im Rahmen von Staat und Ge­sellschaft. Für uns gelten die gleichen Regeln wie für die anderen.

 

Als Kirchengemeinde sind wir Teil des öffentlichen Lebens unserer Stadt. An uns werden Erwartungen gerichtet – im kulturellen Bereich wie im sozialen, in der Erziehung von Kindern wie in der Betreuung alter Menschen; im Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden, aber genauso in der Deutung der Zeit und der Entwicklungen. Wir haben Maßstäbe für das gute Leben (schon vor dem Tod) und wir haben das warnende prophetische Wort, wenn Menschen bedroht, das Leben gefährdet oder die Schöpfung geplündert werden. Wir vertreten hohe moralische Normen und versagen immer wieder daran.

 

Und wir werden kritisch beobachtet von einer nicht immer freundlichen Öffentlichkeit:

 

Fragen. Fragen, die an uns als Kirche gestellt werden. Fragen, die sich jeder Christ, jede Chris­tin stellen soll. Fragen, die unsere Antwort erwarten. Ernsthafte Fragen, die auch und gerade das Leitungshandeln eines Kirchenvorstandes prägen können – nein, ich finde: müssen. Hier nun doch einmal: müssen.

IV. „Bleibt niemandem etwas schuldig, ausser dass ihr einander liebt. Denn wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt,“schreibt der Apostel Paulus der Gemeinde in Rom – ein Gedanke, dem er immer wieder Raum gibt. In der multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft der Metropole Rom sollte dies das Alleinstellungsmerkmal sein, dasErkennungszeichen: die Christen sollten daran erkannt werden, dass sie liebevoll miteinander umgehen. Und das hieß nicht kuschelig in sich gekehrt, sondern so erkennbar, dass der andere immer spürte: bei denen bin ich gut aufgehoben; die sind ehrlich; die begeg­nen mir auf Augenhöhe; die leben glaubhaft; die werden mich nicht über den Tisch ziehen. Die haben eine Hoffnung, und ihre Hoffnung hat einen Grund. Und des­halb sind sie angstfrei und liebevoll in ihrem Um­gang mit anderen.

 

So könnte das sein mit den Erkennungszeichen von Christen. Nicht der Fisch auf dem Auto, nicht das Kreuz in der Amts­stube, vielleicht nicht einmal das Bibelwort auf der Zunge: nein, sagt Paulus, lasst euch an der Liebe erkennen.

 

Paulus ging sehr weit in seinen Vorstellungen dar­über, was Christen anderen nicht schuldig bleiben sollten. Vor unserem Abschnitt entwirft er eine kurze Theorie von der Unterordnung unter die staatliche Obrigkeit. Als Christen seid ihr nicht herausgenommen aus den Alltagsbezügen. Und seine Schlussfolgerung lautet: ordnet euch der Obrigkeit unter, egal wie die sich verhält. Bleibt auch da nichts schuldig.

Paulus schrieb unter der Erwartung, dass das alles nicht mehr lange Bestand haben würde. Er rechnete mit dem Anbruch von Gottes Reich noch zu seinen Lebzeiten: „Und dies tut im Wissen, dass die Stun­de geschlagen hat: Es ist Zeit, aus dem Schlaf aufzuwachen. Denn jetzt ist unsere Rettung näher als zu der Zeit, da wir zum Glauben kamen.“

 

V. Seither sind Jahrhunderte vergangen. Menschen haben höchst unterschiedliche Erfahrungen gesammelt mit Obrigkeit. Christliche Herrscher haben ihre Armeen gegen christliche Herrscher losgejagt. Von liebevollem Umgang war oft keine Rede. Es wurde gemordet, geplündert, vergewaltigt. Erbfeindschaften wurden behauptet und hochgehalten, so zwischen dem Deutschen Kaiserreich und Frankreich. Wilhelm II., mithin oberster Bischof der Protestanten, setzte durch seine Befehle den 1. Weltkrieg in Gang – auf den Koppelschlössern seiner Soldaten stand: „Gott mit uns“. Das stand übrigens auch noch am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft darauf – später hieß das dann etwa: „Blut und Ehre“. Und brachte Tod, Zerstörung, Vertreibung und Elend – millionenfach.

 

Es ist Zeit, aus dem Schlaf aufzuwachen. Es ist immer Zeit, wachsam zu sein. Christentum und Macht – das geht eben nicht zusammen.

Und ohne dem Völkerapostel zu nahe treten zu wol­len: Der Obrigkeit untertan zu sein – das ist wohl nicht immer der Weisheit letzter Schluss; vor allem dann nicht, wenn diese Obrigkeit selbst gottgleiche Ver­ehrung für sich beansprucht. Jesus hat ganz gut zu unterscheiden gewusst: Steuern zahlen ja, anbeten nein. Im ersten Petrusbrief lesen wir, so knapp wie einprägsam: „Fürchtet Gott, ehrt den Kö­nig“(1. Petr 2,17). Respekt vor denen, die herr­schen – aber immer im Rahmen der nicht erlösten Welt und immer unter der Maßgabe, dass sie ihr Amt zum Wohl der Menschen ausüben....

 

Auch das sollen wir im Blick behalten, so meine tiefe Überzeugung, es ist ein Ausdruck von Nächstenliebe. Auch das gilt es im Blick zu behalten in der Nach­folge des Zimmermannssohnes, der als König einrei­tet, unseres Herrn und Bruders Jesus, den wir auch den Christus nennen, den Gesalbten, den Messias.

 

VI. Christenmenschen leben eigentlich immer im Advent – oder sollten es doch tun. Christlicher Glaube lebt auf die Erwartung von Gottes Reich hin. Und kann sich von daher eine unbestechliche, unabhängige Sicht auf diese Welt leisten.

 

Ich muss an die berühmten Fragen des Philosophen Immanuel Kant denken: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?

 

Das sind gute Fragen auch für Christen. Und wenn wir die Antworten suchen, dann können wir fündig werden in den Zeugnissen der Gottesbegegnungen, die in der Bibel gesammelt sind: Erzählungen, Gebote, Dichtungen. Ethik und Hoffnung. Mahnung zur Um­kehr. Der Blick in die Weite, quasi über den eigenen Kirchturm hinaus. Den allerdings müssen wir selbst werfen: wachsam und liebevoll für die Menschen und alles Leben um uns herum.

 

VII. Daran orientiert sich auch der Leitungsauftrag für den Kirchenvorstand: am  Evangelium von Jesus Christus, wie es in der heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis der evangelisch-lutheri­schen Kirche bezeugt ist (so der Wortlaut der Ver­pflichtung), im Rahmen der Lebensäußerungen unserer Kirche in Gottesdienst, Gemeinschaft, Diakonie und Lehre (die Orientierung am Wort Gottes).

 

Die Nacht ist vorgerückt, bald wird es Tag. Lasst uns also ablegen die Werke der Finsternis und an­ziehen die Waffen des Lichts!, sagt Paulus. Das klingt zunächst eben doch irgendwie nach Machtausübung.

Aber halt: Paulus sagt genau, wie er das meint. 9 Das Gebot nämlich: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren, und was es sonst noch an Geboten gibt, wird in dem einen Wort zusammenge­fasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.Markenzeichen für das Le­ben der christlichen Gemeinde. Markenzeichen für die Arbeit im Kirchenvorstand. Markenzeichen für Menschen, die adventlich leben. Amen.

 

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Uland Spahlinger, geb. 1958, aufgewachsen bei Münster, Westf.; seit Dienstbeginn Pfarrer der bayerischen Landeskirche. Verheiratet, drei erwachsene Kinder, drei Enkel. Seit Mai 2014 Dekan in Dinkelsbühl, Westmittelfranken.

 

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Am 21. Oktober 2018 fanden in der Bayerischen Landeskirche die allgemeinen Kirchenvorstandswahlen statt. Am 1. Advent (2. Dezember 2018) wird in vielen Gemeinden, so auch in Dinkelsbühl, der neue Kirchenvorstand feierlich in sein Amt eingeführt. Die vorgelegte Predigt nimmt diesen besonderen Anlass zum Beginn des neuen Kirchenjahres auf.

 



Dekan Uland Spahlinger
Dinkelsbühl, Bayern, Deutschland
E-Mail: uland.spahlinger@elkb.de

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