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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 16.12.2018

Predigt zu Matthäus 11:2-10 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Thomas Reinholdt Rasmussen

Dier Adventszeit ist die Zeit der Erwartung. Eine Zeit der Vorfreude und der wachsenden Freude auf Weihnachten. Fragt nur die Kinder, die sich freuen und Wunschzettel schreiben, die sich manchmal zu wahren Wunschlisten entwickeln. Die wissen, was sie sich wünschen. Die sich freuen. Wir Erwachsenen können etwas säuerlich sagen, dass wir nicht wissen, was wir uns wünschen sollen, aber die Kinder haben Erwartungen, und diese Freude sollen wir ihnen nicht nehmen. Die wünschen sich etwas. Die erwarten etwas. Die freuen sich.

So ist die Adventszeit die Zeit der Erwartung.

Und wenn wir einen Blick auf die Lesungen der Adventszeit werfen, so sind die voll von Erwartungen. Der erste Sonntag im Advent beginnt mit Jesu Einzug in Jerusalem. Da wird vom Kommen des Herrn und der Erwartung erzählt, die damit verbunden ist.

Am zweiten Sonntag im Advent hören wir vom Untergang der Erde und den Kräften des Himmels, die sich bewegen werden. Der hohe Herr ist auf dem Wege, und womit soll das enden?

Am dritten Sonntag im Advent wird diese Frage offen von Johannes gestellt: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Der Herr kommt, und Johannes muss fragen. Die Antwort Jesu ist das reine Evangelium.

Am vierten Sonntag im Advent spitzt sich alles zu. Nun muss Johannes auf den zeigen, der kommt, und bekennen, dass er nicht würdig ist, seine Schuhriemen zu lösen. Er ist es, der nach Johannes kommt, und die Worte des Johannes lassen uns an den großen Herrn und hohen Richter denken.

Denn darauf laufen alle Texte der Adventszeit hinaus: Der hohe Richter kommt. Das klingt stark.

So verweist die Adventszeit eigentlich auf eine Erwartung des hohen Herrn, der nun die Szene betritt, alles füllt und alle richtet. Die Erwartung ist groß, und wir erwarten nur, dass sich der Vorhang zu Weihnachten öffnet und der hohe Herr sich zeigt.

In dieser Weise bewirkt die Adventszeit, dass wir fast den Atem anhalten. Aber all dies löst sich wunderbar auf in einem Feld bei Bethlehem, wo die Engel für die Hirten singen und uns von Christus, dem Herrn, künden, der ein Kind ist, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.

Der hohe Herr ist ein kleines Kind. Wo sich die Adventszeit am allermeisten verdichtet und sich in die Weihnacht verwandelt, da offenbart sich der Richter, der die Kräfte des Himmels bewegt und dessen Schuhriemen zu lösen Johannes nicht würdig ist, als ein kleines Kind, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.

So wird alles auf den Kopf gestellt, und alles überrascht. Denn hier glaubte man, dass man den hohen Herrn und mächtigen Richter erwartet, und da sieht man ein weinendes Kleinkind im Schoß seiner Mutter.

Und anders wird es nicht. Es ist nicht so, dass das das Kind nur vorübergehend der hohe Richter ist. Es ist nicht so, dass das vorbeigeht und dass das Kind groß wird und die Dinge wieder ins Lot kommen. Er ist es, auf den wir warten, und niemand anderes. Er, der in der Krippe liegt. Er der alle Werte umwertet.

Denn unsere Erwartungen rechnen mit einem König oder einem Herrn und Richter. Das sind unsere Erwartungen. Aber vielleicht sollten wir ernst nehmen, dass da ein kleines Kind liegt. Das der Herr als kleines verletzliches Kind kommt. Vielleicht sollten wir das Kind in der Krippe für uns verkünden lassen, und vielleicht sollten wir auf diese Verkündigung hören. Dass es nicht um die Macht geht, die darin liegt, dass man die Dinge mit Gewalt verändern kann. Dass es nicht um die Herrlichkeit geht, vor der wir aus Furcht niederknien. Dass es vielmehr um all das geht, was ein neugeborenes Kind ist: Verletzlichkeit, Ausgeliefertsein und Liebe. Das ist es, womit der hohe Herr kommt.

Die Adventszeit ist voll von Erwartungen, und einige sind mehr anders als andere. Die Adventszeit lehrt uns, darauf zu sehen, was wir erwarten, und Weihnachten lehrt uns, dass die Ziele, mit denen wir die Welt messen, nicht immer die richtigen sind. Sie können gesprengt werden und die Erwartungen können überboten werden.

Und mitten in all dem hören wir Jesu Worte: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“ Denn wenn man den hohen Herrn und den gnadenlosen Richter erwartet hatte, dann könnte man sich sehr wohl über das Kind in der Krippe ärgern. Und wenn den Armen das Evangelium verkündigt wird, dann könnte man sich sehr wohl darüber ärgern, denn wer kann das ertragen, dass die anderen alles für nichts bekommen? Wer kann das ertragen, dass da ein Kind kommt statt einem hohen Herrn mit der Macht, andere auf das hohe Ross zu setzen? Denn nun kommt ein Kind, das uns nicht aufs hohe Ross setzt sondern nebeneinander. Das uns nebeneinander setzt in derselben Gestalt wie das Kind in der Krippe: verwundbar, ausgeliefert und in Liebe. Selig ist, wer sich nicht an ihm ärgert.

Wir warten. Nur darum geht es. Wir warten. Aber eigentlich ist er ja schon gekommen. Er ist in Bethlehem geboren. Und er ist aus der Krippe in die Welt gegangen. Worauf warten wir dann? Ja wir warten darauf, dass er auch zu uns kommt. Dass Jesus Christus nicht nur in die Welt gekommen ist, sondern dass er auch zu uns kommt, so wie er zu Johannes ins Gefängnis ging. Dass er auch in unser Gefängnis kommt und sein Wort spricht von Freude, Friede, Freiheit und Erlösung. Denn er ist der, der da kommt. Er, der auch unter uns wohnt, der die Erwartung zu einer Freude macht, die größer ist als alles andere. Der, der die vielleicht traurige Erwartung, die nicht immer das bekommen hat, was man wollte, zu einer Freude machte. Denn Trauer hat sich in Freude verwandelt. Das ist unser Glaube und das ist unsere Hoffnung. Darauf zeigt der Advent, und das erfüllt Weihnachten. Lasst es auch bei uns Weihnachten werden, wenn die Zeit kommt. Amen.

 



Propst Thomas Reinholdt Rasmussen
Hjørring, Dänemark
E-Mail: trr(at)km.dk

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