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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Zweiter Weihnachtstag, 26.12.2018

Predigt zu Matthäus 23:34-39 und Apg 6,8-14; 7,54-60 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Mt 23,34-39 und Apg 6,8-14; 7,54-60 (dänische Perikopenordnung)

 

Wir haben es wohl alle in uns: den Widerstand gegen Veränderung – jedenfalls gegen große plötzliche Veränderungen. Wir werden sauer über Strukturveränderungen am Arbeitsplatz und beschweren uns über die neue Ausgabe vom I-phon oder Smart-phon, bis wir uns daran gewöhnt haben. Das kommt mit dem Alter – der Widerstand gegen Veränderung, aber Kinder sind auch nicht frei davon. Kinder lieben vielmehr Rituale, Traditionen, wiedererkennbare Widerholdung oder Grenzen, die eingehalten werden. Wir meinen wohl alle, Weihnachten soll traditionell sein – mit allem, was dazugehört – und wir glauben, dass wir wissen, wovon wir reden, wenn wir das sagen. „Traditionell“ bedeutet: Genau so, „wie wir es in unserer Familie tun“. Und wehe dem armen Menschen, der es wagt, mit einer neuen Auslegung zu kommen, einer Erneuerung, oder gar einer totalen Abschaffung.

Es wundert nicht, dass gute rechtgläubige Juden in der Botschaft Jesu von Nazareth Anarchie und unzulässigen Aufruhr sahen.

Es ist auch nicht sicher, dass unsere Kirche Jesus gefallen würde, unsere Auslegung seiner Botschaft oder die Rahmen, die wir seiner Botschaft gegeben haben. Wenn nun Jesus Anno Ende 2018 in die Kirche käme? Wer weiß, ob die Kirche geräumt würde, der Taufstein umgeworfen, die Kanzel, der Kniefall mit Geländer vor dem Altar abgerissen würde. Man denke nur daran …

Religionskrieg, Religionskonflikt, Unterdrückung, Diskrimination und kleine Streitigkeiten, Polemiken in Überschriften in der Zeitung – eine Spalte nach der anderen mit neuen Auslegungen – „wie mich das sehe“.

Am zweiten Weihnachtstag kann man Lust haben, mit Büchern um sich zu werfen, die alte Perikopenreihe zum Sankt Stefans-Tag wegwerfen und woanders etwas finden. Denn wir sind noch längst nicht fertig mit dem weihnachtlichen Frieden, und wir haben uns gerade so über die Menschen gefreut, die die Lieder mitgesungen haben und die vielleicht während der Weihnachtspredigt geträumt und ein kleines Nickerchen gemacht haben.

Aber irgendwo tief im Finsteren auf dem Felde in Bethlehem ist das Rätzel um den Weltfrieden offenbart. Draußen in der Finsternis, weit weg vom Etablierten und „Richtigen“, kam der Friede in die Welt, und sie wollten ihn nicht. Die Frage ist, ob wir ihn heute wollen – so lange danach? Der Friede, der in die Welt kam, verlangt Veränderung, in uns von uns. Nicht eine Veränderung, die uns das Kircheninventar ausräumen lässt, Taufe und Abendmahl abschaffen lässt oder alles mit kritischen Augen revidiert, auszuräumen und aufzuräumen.

Die Veränderung, die in uns verlangt wird, liegt in der Sehnsucht nach Frieden. Schon in dem Wunsch nach Frieden unter den Menschen, innerlichem Frieden und froher Gemeinschaft liegt der Keim für Veränderung. Es beginnt mit dem Zuhören, aufmerksam. Hören wir auf die Worte, die von den Engeln in der Weihnacht kamen, und die Worte, die im Stall fielen, wird etwas in uns still? Wir sind so empfindsam zu Weihnachten.

Bald ist das Friedenskind selbst auf der Flucht, ein Flüchtlingskind in Ägypten, es gibt noch Tyrannen. Aber auch da liegt der Keim zu Veränderung verborgen. Gott ist nicht unberührt, verschanzt sich nicht in seiner Auslegung, seiner Meinung über den Gang der Welt – die Verwundbarkeit und das Ausgeliefertsein gehören nun auch zu Gott.

Das Herz beginnt zu beben, wir ein Gletscher, der kalbt, löst sich der Panzer auf.

Wir bekommen es selbst zu spüren im Weihnachtsfest: Jede Berührung, jeder Blick und jedes Lächeln erhalten Bedeutung. Alles wird so deutlich – im Guten wie im Bösen. Es tut auch weh, als Stich im Herzen, Erinnerungen, Wehmut, Entbehrung und Sehnsucht. Die Träume wurden deutlich. Die Erinnerungen werden klar. Die Abstände werden deutlicher, und kleine Spalten können zu Abgründen werden. Ein einziger sternenklarer Blick und die Ahnung eines Lächelns werden zu einer langen starken Brücke über die tiefsten Konflikte und Unversöhnlichkeiten, eine Brücke zum vollkommenen Land des Herzens.

Menschen sind empfindliche Seelen. Das wird zu Weihnachten deutlich, dem Fest, das wir das Fest der Herzen nennen, das Fest der Freude, das Fest der Gemeinschaft – eine Feier der Einsamkeit.

Die Veränderung ist gewiss, wenn wir es wagen, und zu der Empfindlichkeit zu bekennen, wenn wir vor unserem Ausgeliefertsein stehen und das der anderen spüren. Seht – nun versammeln sich die Hirten, die Weisen Männer und wir alle in unserer Verschiedenheit um ein Kind in der Krippe. Wir versammeln uns dort in einer Hoffnung darauf, dass alles von nun an anders sein könnte.

Nun ist keine Sortierung möglich, wir können keinen aus dieser Gemeinschaft ausschließen, die uns von innen verändert und verlangt, dass wir auf die anderen hören. Wir müssen und sollen auf ihre Erzählung hören, was dieses Kind ist. Auf ihre Erzählung aufmerksam sein von dem, was sie sahen und hörten, als sie mitten auf dem Feld standen, auf dem Wege hierher in den Vorbereitungen, während sie Geschenke einpackten – Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Bald müssen wir selbst erzählen, was dieses Kind bedeutet, es in die Welt und in das Herz hinaussingen, in unser Herz und das der anderen. Wir müssen und sollen alle diese verschiedenen Traditionen, Erlebnisse und Erfahrungen in einen bunten Teppich der Fürsorge zusammenschmelzen lassen. Eine Fürsorge, die nicht davon abhängt, ob wir einig sind, ob wir das nun schön finden oder gemütlich. Ordentliche Fürsorge ist voller Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Seht und hört mit Ehrfurcht auf das Unersetzbare in ihrem Erleben von diesem Jetzt, diesem Weihnachten. Hört auf die Erzählung der anderen von dem Unbegreiflichen, das darin liegt, dass Gott selbst sich in das Ausgeliefertsein begab und noch immer in all dem Ausgeliefertsein, der Verletzlichkeit ist, die zum Menschen gehören. In dieser Sekunde begab sich Gott unter die Forderung der Veränderung. Gott kann nie mehr der ferne erhabene, unnahbare oder unveränderliche Herrscher sein. Gott hat mit dieser einen Bewegung sich für alle Zeit an uns gebunden, seine geliebten Menschenkinder. Und deshalb muss er einen Weg finden durch die Konflikte und Unversöhnlichkeiten in aller Welt. Gott geht nun selbst mit uns. Das ist wie ein Strom von Schmelzwasser zum Meer, Kies und Erde, Stein und Felsen werden mitgerissen und gehen im Strom der Verwandlung unter. Der Taufstein, der Abendmahlstisch, die Kanzel, die Kirchenbank sind Teile, Bruchstücke dieses Stroms. Keiner von uns soll glauben, dass dies das ganze Bild ist, was wir sehen. Keiner darf behaupten, ein Monopol zu haben. Aber keiner von uns darf auch darüber schweigen, wenn wir selbst berührt sind, was wir selber sahen, hörten und erlebten an der Krippe, auf den Feldern Bethlehems unter den Sternen, auf dem Wege, während die Liebe selbst uns gebietet, das Teuerste, Beste zu geben, was wir hatten und haben. Das Herz bebt und kann seine Schanzen nicht halten, kann nicht auf einer Unerschütterlichkeit bestehen. Und all dies wegen eines Kindes. Die Möglichkeit der Veränderung. Amen.



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
Ringsted, Dänemark
E-Mail: amnm(a)km.dk

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