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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 23.12.2018

Sehschule des Glaubens
Predigt zu Lukas 1:26 – 38, 39 – 56, verfasst von Michael Plathow

Liebe Gemeinde,

ein Glücksgefühl erfüllte mich, als meine Frau mir sagte: „Ich bin schwanger. Wir werden Eltern, eine Familie“. Freude und Hoffnung. Nicht wenige kennen entsprechende Erfahrungen.

Heute, kurz vor dem Weihnachtsfest lässt der Evangelist Lukas uns  mit zwei Frauen guter Hoffnung und Vorfreude einstimmen in ein Dank- und Hoffnungslied an Gott.

 

1. Begegnung.

Eine Begegnung. Eigentlich findet das ganze Leben sich in Begegnungen wieder – hier aber eine besondere, einzigartige.

Da die betagte Priesterfrau Elisabeth, bis vor kurzem ohne Hoffnung – wie noch jetzt ihr skeptischer Ehemann – nun jedoch ist sie schwanger. Da das junge Mädchen Maria ohne Ehemann, auch sie ist schwanger. Mit einem Segensgruß und einer Seligpreisung empfängt Elisabeth Maria: „Selig bist du“. Eine freudige Begegnung. Auch die Kinder unter ihren Herzen scheinen Anteil zu haben: der Vorläufer Johannes – der Name bedeutet „Der Herr ist gnädig“; er ist der Vorläufer dessen, der den Namen haben wird „Jesus“, „Gott rettet“. Immer wieder haben bildende Künstler dieser Begegnung Ausdruck ästhetischer Schönheit und tiefer Frömmigkeit verliehen.

Maria ist zu ihrer Verwandten berggewandert aus dem weltvergessenen Flecken Nazareth. Etwas Herausragendes ist die junge Frau nicht; weder Vermögen noch Ansehen sind ihr eigen. Aufmerksamkeit wird ihr kaum geschenkt. Und ihre wenig reputative Ahninnenreihe Thamar, Rahab, Ruth, Bathseba hebt sie gerade nicht aus dem Muster normaler Familien.

Guter Hoffnung sind beide Frauen, als sie sich begegnen: eine beglückende Beziehung durch die Zukunft eröffnende Hoffnung des freudigen Ereignisses.

Maria geht schwanger mit Gott. In hochgestimmter Seligkeit jauchzt sie: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut!“.

 

2. Gottes Ansehen.

Gott ist es, der diese junge Frau ins Auge gefasst, angesehen und damit erwählt hat: ein Augenblick Gottes voller Liebe. Gottes Augen sind gerichtet nach unten auf die Niedrigkeit dieser jungen Frau, Gottes Ansehen auf sie, die nicht angesehen ist, vielmehr übersehen, die kaum Anerkennung findet und sich nicht anerkannt fühlt, um, ja, um gerade ihr gegen den Augenschein Anerkennung zu schenken, Ansehen zu schaffen. Gottes Augen- und Anblick ist schöpferisch.

Von Gott angeschaut werden, bedeutet etwas Ungewöhnliches, Unwahrscheinliches: Unterbrechuung, Veränderung, Neuschöpfung. Gott setzt seine Hoffnung in Maria und Maria wird guter Hoffnung, um Gottes Hoffnung mitleuchten zu lassen als seine sich selbst mitteilende Liebe zu den Menschen. „Übergnädig“, wie Martin Luther prägnant sagt, hat Gott Maria angesehen (Cl II, 149, 9). Durch seinen „ganz erbbesitzenden Geist“ teilt Gott sich selbst mit als der, der gnädig und barmherzig ist (Cl II, 141, 21, 25). Gottes Kommen zu uns in der Krippe und sein gnädiges Erbarmen in der „am Kreuz geborenen Liebe des Gekreuzigten“ liebt gerade die Schwachen, die Behinderten, die Sünder, „um sie zu Gerechten, Guten, Weisen und Starken zu machen“, wie Luther (in der „Heidelberger Disputation“ von 1518,Th. 28) verkündigt: die Rechtfertigung des Sünders, nicht der Sünde, und des Schwachen, nicht der Schwachheit. So werden auch die, die nicht angesehen und anerkannt werden, Angesehene und Anerkannte, weil sie immer schon von Gott angesehen und anerkannt sind. Es gibt keinen Niemand, keine Nichtse, keine Loser, keine Namenlose. Angesehen von Gott, beim Namen gerufen, sind sie Angesehene, Benannte und Bekannte. „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor 1, 9).

Es geht hier um die Sehschule Gottes, um die Sehschule des Glaubens.

„Aber“ - so Luther in seiner Auslegung des „Magnifikat“ - „Aber die Welt und die Menschen … sehen nur über sich, wollen ja hoch fahren … . Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich zur Ehre, Gewalt, Reichtum, zur Kunst, gutem Leben und allem, was groß und hoch ist, sich bemüht. Und wo solche Leute sind, denen hängt jedermann an; da läuft man hin, da dient man gern, da will jedermann sein, und des Hohen teilhaftig werden ...“.

Nun das kennen wir aus Sport, Musik, Nachbarschaft und Politik. Auch lebt unsere Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft mit ihrem Ranking irgendwie davon. Und vielleicht kennen wir es auch bei uns selbst. „Wiederum in die Tiefe will niemand sehen, wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist; da wendet jedermann die Augen ab“ (Cl II, 136, 29 – 39).

 

3. Neuschöpfung durch den Glauben.

Gott sieht Maria an. Und von Gott angesehen werden, bedeutet im Leben etwas Ungewöhnliches, Nicht-selbstverständliches. Von Gott angesehen, antwortet diese junge Frau: „Mir geschehe wie du gesagt hast“. Indem Gott sie ansieht, erwählt er sie und nimmt sie und ihre kleine Geschichte in seine große Heilsgeschichte. „Selig, die du geglaubt hast“, preist Elisabeth Maria. Beispiel des Glaubens ist sie. Es ist der Glaube aus der menschenfreundlichen Liebe Gottes zur neugeschaffenen Hoffnung, die alles verändernde Neugeburt.

 

So anders ist die Sehschule des Glaubens als etwa Goethes Ansicht vom erhebenden, sich selbst widerspiegelnden Sehen:

„Wär‘ nicht das Auge sonnenhaft,

die Sonne könnt´ es nie erblicken;

läg´ nicht in uns Gotts eigne Kraft,

wie könnt´ uns Göttliches entzücken“ (Zahme Xenien).

Hier ein Erinnern dessen, was im Menschen ohnehin da ist, eine Wiederholung und Gewohnheit „alle Jahre wieder“ dessen, was ich aus mir heraus schon weiß, habe und bin. Weihnachten aber will  nicht nur ein schönes Erinnern sein und eine jahreszeitlich wiederholte Gewohnheit.

Die Botschaft von Weihnachten will Neues zu Gehör bringen, die Augen aufgehen lassen, Sinn eröffnen für Gottes menschenfreundliche Liebe: angesehen neu sehen, angeschaut die anderen anschauen, erkannt von Gott, alles um sich herum neu wahrnehmen, ein Danken im Sich-verdanken, als immer schon Geliebte lieben. So das nicht-selbstverständliche Geschenk der glücklichen Leidenschaft des Glaubens durch Gottes Ansehen: das unwahrscheinliche Wunder der Liebe Gottes, eine Neugeburt.  In diesem Sinn singt Angelus Silesius: Wär´ Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in Dir ...“, das Weihnachtswunder im Bauch der Maria würd´ Dir nicht widerfahren.

 

4. Magnifikat.

Maria stimmt den Lobpreis des „Magnifikat“ an, das Gott groß machende Lied des Glaubens. Sie singt von der gegenwärtigen, sich noch vollendenden Zukunft im widerfahrenen Glück “guter Hoffnung“. Sie dankt mit Herz und  Mund, sie jauchzt vor Freude, sie lobt gegen menschliche Versuche, Gott klein zu machen, Gottes Größe und Barmherzigkeit.

Gottesfreude im rückblickenden Dank wird als „erfüllte Freude“ zugleich mit Vorfreude besungen. Es ist die Freude über das verheißene Licht, das in der Finsternis scheint, das Unwahrscheinliches, Wunderbares im Ansehen Gottes wahrnehmen, ungerechte Verhältnisse verändern und Schwachen Anerkennung zuteil werden lässt. In der Sehschule des Glaubens, mitgesegten mit Abraham und Maria, den Beispielen des Glaubens, findet die Barmherzigkeit Gottes Abdruck im Leben von uns Menschen: Recht und Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Gnade als Bedingung für Frieden und Freiheit. Indem die Sehschule des Glaubens den Blick nicht „nach oben“ auf Ansehen und Profit, auf die Reichen und Mächtigen richtet, sondern  „nach unten“ auf die Schwachen und Armen, ändern sich die Verhältnisse – durch das erneuerte Herz für die „Niedrigen“.

„Ich will ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben“, verheißt der Prophet (Hes 36, 26). In der Sehschule des Glaubens ändern sich die gängigen und gewohnten Wertigkeiten.

Auch durch uns Menschen erhöht Gott die Schwachen und Notleidenden und hilft ihnen. Brot des Lebens wird da  Brot zum Leben und Brot für die Welt.

 

5. Freude der Glaubenden.

Davon singt Maria im „Magnifikat“. Sie singt wie einst Miriam (Ex 15), Debora (Ri 5, 24) und Hanna (1. Sam 2, 1 – 10). Gottes Größe und Erbarmen preist sie, an die Verheißungen seines früheren Heilshandelns erinnert sie, seine zukünftigen Rettungen prophezeit sie. Sie jauchzt, sie jubelt. Denn ihr Herz, die Verheißung Gottes bewegend, ist erfüllt und voll; so geht der Mund über: „Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott“ (Jes 61, 10a).

Freude ist erlebbarer Anfang der Hoffnung in unserem Leben mit Gott. Und wir Menschen und diese Welt sind „in der Freude Gottes gegründet“ (J. Calvin). Wir sind Menschen seines Wohlgefallens. Gott hat die Freude an uns Menschen nicht verloren. Gottes Menschenfreundlichkeit wird an Weihnachten real, Gott wird Mensch. So viel sind wir wert in seinen Augen; bleibend wertvoll sind wir durch den Mehrwert seiner Gnade. „Eh‘ ich durch Deine Hand gemacht, da hast Du schon bei Dir bedacht, wie Du mein wolltest werden“ (EG 37, 3).

Mit Maria singen darum auch wir: sie schwanger mit Christus, wir mit Christus durch den Gauben verbunden; denn ich lebe nicht aus mir selbst, „sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2, 20a) und ich mit Christus. „Neue Geschöpfe“ sind wir durch Gottes Ansehen in der Vorfreude und Freude von Weihnachten: „Magnifikat! Meine Seel erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes“. Freuet Euch.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der geleite uns zur rechten Weihnachtsfreude. Amen.

 

 



Prof. Dr. Michael Plathow
Heidelberg, Baden-Württemberg, Deutschland
E-Mail: michael@plathow.de

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