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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christvesper, 24.12.2018

Die Kerze und das Flutlicht
Predigt zu Jesaja 9:1-6, verfasst von Ulrich Kappes

Wie können wir einen Zugang zu diesen Worten finden? Alles fließt und alles klingt. Ein Strom überschwänglicher Worte kommt auf uns zu.

Ich denke an die Eingangsmusik von Bachs Weihnachtsoratorium „Jauchzet, frohlocket“. Der Chor setzt mit allem ein, was das Orchester zu bieten hat, mit Pauken und Trompeten, Trommeln und Flöten. Wer kann das unbeeindruckt hören?

 

Doch Vorsicht! Wie es beim Hören der Musik der großen Klassiker ist, so kann es auch einen Gefühlsüberschwang bei Worten geben. So sehr man sich vielleicht nicht entziehen kann, ebenso sehr ist es zu fragen, was diese Worte, neben dem spontanen Gefühl uns am Heiligen Abend zu sagen haben.

 

Ich wiederhole noch einmal den Anfang:

„Das Volk, das im Finstern wandelt …“  Ein ganzes Volk ist gefangen. Da sind Menschen, „die da sitzen im Schatten des Todes“. „Stiefel dröhnen“ im Hintergrund. Sie stehen alle unter einer Fuchtel, dem „Stecken des Treibers“. Sie meinen, ein „Joch“ um den Hals zu tragen, aus dem sie nicht heraus können.

 

Menschen eines Volkes sind in der Finsternis. Sie sind abgesondert vom Licht. Ist, auf uns übertragen, das Alleinsein, die Einsamkeit, die Isolation unsere „Finsternis“? In zwei von fünf Haushalten leben Alleinstehnde.I1IEs gibt in Deutschland gegenwärt 3,4 Millionen pflegedürftige Menschen.I2IWie viele sind einsam, sind isoliert in Ihrem Leiden?

 

Hermann Hesse meint in seinem Gedicht „Im Nebel“, I3Idass Vereinsamung ein unausweichliches Schicksal sei.

„Voll von Freunden war mir die Welt,

als noch mein Leben licht war;

jetzt aber, da der Schleier fällt,

ist keiner mehr sichtbar.

Seltsam im Nebel zu wandern!

Leben ist Einsamkeit.

Kein Mensch kennt den andern,

Jeder ist allein.“

 

Ist der Nebel … oder eben ‚das Sitzen im Schatten’ der Einsamkeit unausweichlich? Müssen sich viele damit abfinden, in der „Finsternis“ der Isolation zu leben?

Fragen wir weiter, ob dieses der einzig denkbare Zugang zu dem Bild oder Gleichnis der „Finsternis“ ist, so gehen die Gedanken weiter. Bin ich, sind wir vielleicht gar nicht die, die im Schatten der Finsternis leben müssen, sondern unsererseits Menschen, die andere in die Finsternis treiben? Gehöre ich zu denen, die andere wegdrängen, herab stufen und letztlich isolieren?

Es gibt Worte, die bei unterschiedlichen Interessengruppen den Ton angeben. Im Streit der Meinungen werden bürgerliche, konservative Menschen gleich mal als „rechts“ bezeichnet. Die dazu in Opposition stehende Gruppe in unserer Gesellschaft gebraucht Worte wie „Lügenpresse“, „Gutmenschentum“, „Einwanderung in die Sozialsysteme“ usf.

Mit der Sprache beginnt es. Später kommen die „dröhnenden Stiefel“ und der Stecken des Treibers, der keine Abweichungen duldet. Wie stark ist der Einfluss solcher Schlagworte auf uns?

 

In der Mitte des Jesaja-GedichtesI4Igibt es einen Umschwung, eine radikale Veränderung der Stimmung. Es heißt: ‚Die Menschen im Schatten sehen ein Licht. Es ist kein Feuer, das sie selbst entzündeten, keine Fackel, die da einige von ihnen vor sich tragen.

„Das Volk“, so dichtet Jesaja, „siehtein großes Licht. Über denen, die da wohnen im finsteren Land scheintes hell“.

Was ist geschehen, was ist passiert? Es wird nicht näher erklärt.

So wahr es ist, dass dieses Licht nicht der Erde entsprungen ist, so wahr ist es nun auch, dass

ein innerer Kampf beginnt. Das Gedicht selbst schildert diesen inneren Kampf nicht. Er folgt aber aus der inneren Logik des Textes. Da leuchtet das Licht, und hier herrscht die Finsternis. Daraus folgt die Frage, die Menschen umtreibt: „Will ich hier unten bleiben, wo ich mich über die Jahrzehnte eingerichtet habe oder will ich auf das Licht zugehen, ohne zu wissen, was das bringt? Gehe ich über die Brücke hin zum Licht oder bindet mich die Skepsis, dass ein Weg hin zum Licht ganz und gar nichts bringt, denn irgendwann ist auch dort alles beim Alten?

 

In Kairo gibt es ein Orchester, das weltweit einzigartig ist.I5INach Jahren der Ausbildung spielen in ihm blinde Frauen. Sie haben die Musik und die Töne, die Pausen und die Abstimmung untereinander auswendig gelernt. Wenn sie die Stücke der großen Klassiker spielen, gibt es keinen Dirigenten. Sie können ihn ja nicht sehen.

 

Jedes Jahr werden ca. 90 blinde Frauen in diese Schule für blinde Konzertmusikerinnen aufgenommen. Ihr Tag beginnt um 5 Uhr und endet spätabends. Jede muss die englische Sprache erlernen. Wer auf Auslandstournee ist, muss die englische Sprache beherrschen. „Licht und Hoffnung“ heißt ihr Orchester.

Wie ist das mit dem Licht und der Hoffnung, die jede einzelne von ihnen gegen die Finsternis der Blindheit gestellt hat?

Mit ein wenig Phantasie kann man es sich ziemlich anschaulich vorstellen.

Einem blinden Mädchen wurde die Frage gestellt, ob sie in Kairo auf eine Musikschule gehen will. Nach Tagen des inneren Kampfes hat sie verstanden, dass sie aus ihrem Dorf weggehen muss und dass jeder Tag in Kairo ein Tag ist, gegen die Resignation aufzustehen. Wie sie auf der Violine üben muss, muss sie täglich ihr ureigenes Lied der Hoffnung anstimmen,

Licht und Hoffnung gegen die Blindheit zu setzen. Das ist ein Kampf, kein Spiel.

 

Wir haben das Licht, liebe Gemeinde, welches Gott uns in Jesus Christus schenkt, nicht geschaffen. Wir stehen aber an jedem Tag vor der Frage, ob wir auf das Licht Gottes zugehen wollen. Wir kennen selbst an uns am besten, was uns als „Finsternis“ regiert. Bleibe ich zu Haus, „im Dorf“ meiner Bindungen oder gehe ich Tag für Tag neu auf Christus zu? Gehe ich weg von dem, was mich gefangen nimmt? Niemand anderes als ich selbst muss aufstehen und gehen.

 

Und schließlich heißt es:

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht und über denen, die da sitzen im Schatten des Todes scheint es hell, dennuns ist ein Knabe geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Luther übersetzt und interpretiert zugleich: denn uns ist ein Kindgeboren, ein Sohn ist uns gegeben. Der „Knabe“ im Urtext steht für die Geschlechterfolge, und das war ihm zu blass. Er wählt „Kind“ - Wofür steht „das Kind“? Was bedeutet es, wenn uns gesagt wird, dass das Licht in der Finsternis „das Kind“ ist?

Ich versuche eine Antwort, wohl wissend, dass es auch andere Antworten als die meinige gibt.

 

„Ein Kind ist uns gegeben.“ Was lebt mir das Kind, so klein und wehrlos es auch ist, vor?

 

Ich meine, dass es das unerschütterliche Vertrauen in seine Eltern ist, das mich ein Kind, das mich jedes Kind, lehrt. Weil es ein Kind ist, das Vertrauen vorlebt, wird deutlich, dass dieses Vertrauen zerbrechlich ist, vage und klein. Was ist es im Verhältnis zu den vielen Belehrungen, Kommentaren und Anleitungen zum rechten Verhalten, die uns erreichen? Es ist wie eine Kerze im Flutlicht. Es ist unscheinbar und muss gesehen und gesucht werden. Aber ist dieses „Format“ von Vertrauen nicht genau das, was auf mich zutrifft, mein zerbrechliches und vages Vertrauen zu Gott?

Das Kind von Bethlehem wird einmal zum Boten Gottes an die Menschheit. Er setzte in seiner Predigt und in seinem Leben fort, was die Botschaft des Krippenkindes ist. Das macht dann den Unterschied dazu, dass das Kind in der Krippe außergewöhnlich ist.

 

Kann es dieses Gottesvertrauen in einer Zeit wie der unsrigen, einer Zeit mit so viel Unsicherheit, so viel Terrorismus und so viel Spaltungen geben?

Das ist und bleibt der Anspruch des Heiligen Abends. Die sich an Bethlehem anschließende Jesusgeschichte zeigt uns, dass Gott alles zum Besten wendet. Das ist keine Philosophie, die die Bibel gegen das Sinnlose und Absurde stellt. Es verdankt sich vielmehr der Einsicht, dass Gott es nur gut mit uns meinen kann, auch wenn die Gegenwart eine andere Sprache spricht. Warum ist er so gut? Weil er uns ein Kind – seinen Sohn – gab.

 

Anmerkungen

I1I Nach n-tv, dpa vom 13.02.2018.

I2I Statistisches Bundesamt, zit. nach ZDF heute am 18.12.2018.

I3I Vollständige Fassung in: Uwe Berger/Günther Deicke (Hrsg.): Deutsches Gedichtbuch, Berlin 1963, S. 523.

I4I Willem A.M. Beuken spricht vom „Danklied“, in Willem A.M. Beuken: Jesaja 1­12. Übersetzt und ausgelegt. Freiburg. Basel. Wien 2003 (HTKAT), S.245.

I5I Nach Daniel Hechter /ARD Studio Kairo: Ägypten: Das Blindenorchester. Ausgestrahlt in Weltspiegel, ARD, 02.12.2018.

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Liedvorschlag: EG 24, 1­6, Vom Himmel hoch, da komm ich her

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Fürbittgebet für die Christvesper

 

Nach den Worten: „Gemeinsam rufen wir zu Dir“ wollen wir gemeinsam beten: „ Wir bitten dich, erhöre uns!“

 

Herr, unser Gott, wir danken Dir für alles, was am Heiligen Abend vor unsere Augen gestellt wird, - für die Engel, die uns hineinnehmen in den Lobgesang, für die Hirten, die umkehren von ihren Feldern, für Maria, die Deine Wahrheit in ihrem Herzen bewegt.

Wir danken Dir für die Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja. Hilf uns, dass wir die Schatten im Leben nicht nur aushalten und ertragen, sondern das Licht sehen. Mache uns stark, dass wir in allem Auf und ab des Lebens Dir vertrauen. Lass uns immer von neuem aufstehen und deinem Licht entgegen gehen.

Gemeinsam rufen wir zu Dir: „ Wir bitten dich, erhöre uns!“

 

Herr, unser Gott, der Du das Licht in der Finsternis bist, wir bringen vor Dich alle Menschen, die Tag für Tag im Schatten der Traurigkeit und Verzweiflung leben.

Wir bitten dich – wie wissen wir nicht – um eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern.

Wir denken an die Opfer des Terrors in Afghanistan.

Wir bitten um ein Ende des Blutvergießens im Jemen.

Berufe Du Politiker, die verfeindete Menschen zueinander bringen und versöhnen.

Gemeinsam rufen wir zu Dir: „ Wir bitten dich, erhöre uns!“

 

Wir beten für unser Land und die Menschen, die mit uns hier leben. Es gibt viel Unzufriedenheit. Sie schlägt oft in Ausländerfeindlichkeit um. Die Flüchtlinge warten und warten ihrerseits auf eine Bearbeitung ihres Antrages und sind darum gereizt. Wirke in unseren Herzen. Hilf uns, dass wir maßvolle und menschliche Worte finden und Friedensstifter werden.

Gemeinsam rufen wir zu Dir: „ Wir bitten dich, erhöre uns!“

 

Herr, unser Gott,

Herr, unser Gott, in der Stille beten w zu Dir…

 

Bringe Licht in unser Leben. Schenke uns Stärke  und Kraft durch Deinen Sohn Jesus Christus.

Gemeinsam rufen wir zu Dir: „ Wir bitten dich, erhöre uns!“

 

 

Nimm dich unser gnädig an, rette und erhalte uns. Dir allein gebührt die Ehre und die Anbetung von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Vater unser …



Pfr. em. Dr. Ulrich Kappes
Luckenwalde, Brandenburg, Deutschland
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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