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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erster Sonntag nach Weihnachten, 30.12.2018

Predigt zu Lukas 2:25-40 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Kræn Christensen

Es war ein Zufall, dass ich neulich einen guten und tüchtigen Kollegen traf. Von denen gibt es viele, und das ist schön, vor allem wenn sie wie das Wattenmeer eine gefüllte Speisekammer sind, in die man seinen Schnabel stecken kann und es genießen und gut davon leben kann.

 

Mein Kollege erzählte begeistert von einem kleinen Buch mit Reden, das von Søren Kierkegaard an seinem Geburtstag am 5. Mai 1843 erschienen war.

 

Und die erste Rede hatte die Überschrift: „Die Erwartung des Glaubens“ mit dem Untertitel „Am Neujahrstag“.

Sie beginnt mit einem Gebet, das nicht sehr viel mit dem Mai zu tun hatte und so beginnt: „Wieder ist ein Jahr vergangen, himmlischer Vater! Wir danken Dir dafür, dass es zur Zeit der Gnade gelegt ward, und erschrecken nicht darüber, dass es auch zur Zeit der Rechenschaft gelegt werden soll; denn wir verströsten uns auf Deine Barmherzigkeit. Das neue Jahr steht vor uns mit seinen Forderungen; und gehen wir auch gebeugt und bekümmert hinein …, so gehen wir doch auch nicht ganz mit leeren Händen hinein“[1].

Merkwürdig, dass der Neujahrstag für Søren Kierkegaard auf den 5. Mai fällt und nicht, wie wir normalerweise denken, auf den 1. Januar.

Aber das hat natürlich einen Grund, und das ist immer der Fall, wenn man die Gedanken Kierkegaards liest. Die Sache ist ganz einfach die, dass Kierkegaard völlig davon überzeugt war, dass er vor seinem 30. Geburtstag sterben würde. Eine Zwangsvorstellung, die er seit seiner Kindheit von seinem Vater mit sich herumtrug, der der Auffassung war, dass er von Gott verstoßen war. Aber nun wurde er also doch 30 Jahre alt.

Und es erfordert nicht besonders viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass er darüber fast erfreut war, dass dies möglich war. Das muss so gewesen sein, als werde ihm sein Leben noch einmal geschenkt.

Es war diese Erwartung des Glaubens, die ihm das Neue Jahr brachte – für ihn. Die alte Zeit war vorbei, die Verdammung hatte sich gelöst. Etwas Neues wartete – er konnte sein altes Ich ablegen und wenn nicht er selbst so doch er selbst in einer neuen Weise werden. Das das ist gar nicht so schlecht, wenn man daran denkt, welchem inneren Druck er ausgesetzt gewesen war.

Die Parallele zu Simeon ist deutlich. Ich meine, er lebte als ein guter und frommer Mensch. Er war alt. Aber zugleich erfahren wir, dass er Erwartungen hegte, weil er vom Heilige Geist erfahren hatte, dass er nicht sterben würde, ehe er den Sohn Gottes gesehen hatte.

Deshalb lebte Simeon wie Kierkegaard in der Erwartung des Glaubens. Und man denke: So wie er es erwartete, geschah es! Der alte Mann sieht das Licht, ehe er stirbt! Er sieht die Herrlichkeit Gottes, und er kann im Frieden seine Augen schließen. Nun ist es vollendet und erfüllt. Er kann seiner letzten Zeit im Frieden und Trost entgegengehen.

Vielleicht erging es der alten Prophetin Anna genauso. Als Prophetin muss man wohl auf etwas oder jemanden warten. Und man merkt, wie sich ihre Erwartung erfüllt, als sie von großer Freude darüber erfüllt ist, dass sie das Kind sieht, und das allen erzählt, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

Für Søren, Simeon und Anna gilt, dass ihre Erwartung – die Erwartung des Glaubens – ihrem Leben ein anderes Vorzeichen gibt, als Jesus zu ihnen getragen wird. Ein Leben unter der Gnade!

Er wird herbeigetragen, und sie empfangen ihn, und sie erhalten Trost und Hoffnung im Leben und im Sterben. Was für eine Ruhe, und welch ein Friede, die dieses Kind gab und gibt.

Wenn Eltern und Familien mit ihren Neugeborenen in die Kirche kommen, geschieht das auch mit Erwartung, und wenn Leute getauft werden bei einer „Drop in Taufe“ (eine neue Form der spontanen Taufe in Dänemark), dann geschieht das auch mit Erwartung. Der Unterschied in der Erwartung zwischen damals und heute ist, dass die Freude und der Friede und die Barmherzigkeit hier schon seit der damaligen Zeit waren. Und deshalb haben wir die Taufe! Ganz gleich wie alt das Kind ist, das zur Taufe getragen wird, so geschieht das mit der Erwartung – der Erwartung des Heils. Man hat die Erwartung … und sie erfüllt sich in der Taufe.

So wie Maria und Josef das Kind in das Heiligtum trugen, weil sie das Beste für ihr Kind wünschten, tragen wir das Kind zur Taufe, weil wir das Beste für unsere Kinder wünschen, dass sie im Lichte Gottes leben werden und dass sie ihr Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe leben mögen.

Die Freude ist, dass das Kind, das Simeon und Anna empfingen, das Leben selbst war. Es war das Zeichen auf das Simeon gewartet hatte – und mit dem Trost und der Hoffnung, die er empfing, konnte er sterben. Er war das Heil, das Kind, von dem Anna predigte.

Das ist die Freude, dass das Kind, das Simeon in seine Arme nahm, der Beginn eines neuen Lebens wurde. Für ihn und für uns.

Ein neues Jahr, wie Kierkegaard das Jahr nennt, in dem sich die Erwartung des Glaubens erfüllt. Ein Leben, wo wir die Möglichkeit haben, das Leben als ein Geschenk von ihm zu leben. Das schenkt Lebensmut! Für Simeon, als er mit dem Kind in seinen Armen stand, und für uns, wenn wir getauft werden.

 

„Herr nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben dein Heil gesehen, das Heil, das du bereitest hast vor allen Völkern, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel“.

Danach wendet er sich an die sich wundernde Maria und sagt: „Siehe, dieser ist bestimmt, dass viele in Israel fallen und viele aufstehen, und ist bestimmt zu einem Zeichen, dem widersprochen wird – und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit aus vielen Herzen die Gedanken offenbar werden“.

Einerseits ist das Kind ein Zeichen, auf das Simeon gewartet hat, und andererseits ist das Kind bestimmt zum Widerspruch. Ja, es sieht geradezu so aus, als würden die Gedanken vieler Herzen durch den Widerspruch offenbar. Den Gedanken seines Herzens kennenlernen heißt den Widerspruch kennenlernen. So wie den Glauben bekennen auch heißt, seinen Widerspruch bekennen. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“.

Sich hinsetzen und versuchen, den Glauben innen in sich selbst zu finden, das ist nicht möglich. Das wäre dasselbe wie sich an die Stelle Gottes zu setzen. Aber eben hier begegnet man dem Widerspruch. Der Glaube richtet sich nach außen auf Christus – es ist mit anderen Worten der Widerspruch, der auf das Kind bzw. den Herrn verweist. Christus als der Anfang und der Vollender des Glaubens.

Die Freude ist, dass Christus in einer Nacht in Bethlehem zur Welt kam und 40 Tage danach in das Heiligtum getragen wurde. Das war Gottes Gabe, und das ist Gottes Gabe an uns.

Mit diesem Text am Sonntag nach Weihnachten wird uns gesagt, dass etwas Neues in unsere alte und verschlissene Welt gekommen ist. Die beiden alten Menschen, Simeon und Anna, durften das Kind sehen. Wir sind auf den Glauben angewiesen - den Glauben daran, dass Josef und Maria zu uns kommen mit ihrem und Gottes Sohn, damit wir uns nicht in uns selbst verschließen.

Søren Kierkegaard erhielt ein neues Leben an seinem 30. Geburtstag, so bekommen wir jeden Tag ein neues Leben. Wir brauchen nur an unsere Taufe zu denken. Amen.

 

[1] Nach der Übersetzung von Theodor Haecker: Sören Kierkegaard: Religiöse Reden. München 1922, S. 33ff.



Propst Kræn Christensen
Esbjerg, Dänemark
E-Mail: pkch(at)km.dk

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