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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahrstag, 01.01.2019

Predigt zu Lukas 2:21(dänische Perikopenordnung), verfasst von Peter Fischer Møller

Predigt im Dom von Roskilde – Fernsehübertragung

 

Wir haben die Glocken vom Rathaus in Kopenhagen gehört. Der Mädchenchor hat die Nationalhymne gesungen. Das Feuerwerk ist in vollem Gange. Ein frohes Neues Jahr. Und willkommen zum Gottesdienst im Dom von Roskilde.

 

Der Dom von Roskilde ist solide verankert in der Zeit. Vor mehr als 1000 Jahren ließ Harald Blauzahn hier in Roskilde eine Kirche bauen. Und es wird erzählt, dass er hier begraben liegt, wo eine Stadt aus einem kleinen Flecken zu einem Zentrum im Reich der Wikinger wurde. Und die Kirche von Harald wurde ersetzt durch einen Dom und danach vor 800 Jahren durch diese prächtige Kathedrale, in der Margrethe I und seit der Reformation alle dänischen Könige und Königinnen ihre letzte Ruhe fanden. König Christian IV gab vor 400 Jahren der Kirche ihre beiden sputzen Türme, die schon ganz von selbst unsere Aufmerksamkeit hinauf zum Himmel und in die Ewigkeit richten.

Ein frohes Neues Jahr. Wir wünschen einander, dass 2019 ein gutes neues Jahr werden wird. Wir hier auf den Kirchenbänken und draußen an den Fernsehern befinden uns mitten in der Zeit in den ersten Minuten von 2019. Aus dem Jahr 2018 kommen wir jeder mit unseren Freuden und Problemen, Hoffnungen und Sorgen. Und mit den gemeinsamen Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam als Volk und international stellen müssen. Diese Verantwortung haben wir für die Erde und ihr Klima, für Menschen auf der Flucht vor Krieg und Not und für Menschen hier bei uns, die mit Krankheit, Armut, Einsamkeit und Mutlosigkeit zu kämpfen haben.

Wir sind hier im Dom zum Gottesdienst versammelt, um für das Leben zu danken und um Gott um Hilfe zu bitten, damit 2019 wirklich ein gutes Jahr werden kann. Wir sind hier in der Kirche, wo Zeit und Ewigkeit sich begegnen und wo das Evangelium sein Licht über uns leuchten lässt, um uns Mut und Hoffnung zu schenken, gemeinsam das neue Jahr zu beginnen.

 

Vor einer Viertelstunde schlug die Uhr des Kopenhagener Rathauses zwölf Schlage und läutete damit das neue Jahr 2019 ein. Die Glocken hier im Dom von Roskilde läuteten und schlugen die neun „Gebetsschläge“, um uns zum Gottesdienst am Beginn des neuen Jahres zu rufen.

Der Klang der Glocken klingt noch nach in unseren inneren Ohren. Der Klang der Glocken lässt uns einhalten und darüber nachdenken, für wen die Glocken läuten.

Der englische Dichter und Pastor John Donne aus dem 17. Jahrhundert gibt darauf eine Antwort.

„Kein Mensch ist eine Insel; eine Welt für sich. Jeder Mensch ist ein Stück vom Festland, Teil des Ganzen. Ob ein Lehmklumpen vom Meer weggespült wird oder ein Vorgebirge, oder das Haus deines Freundes oder dein eigenes. Europa wird dadurch kleiner; der Tod eines jeden Menschen reißt etwas von dir fort, denn du bist eins mit der ganzen Menschheit. Und deshalb darfst du nicht fragen: Für wen läuten die Glocken? Sie läuten für dich“.

Ja, die Glocken läuten für dich und für mich – für jeden einzelnen von uns, aber wir hören sie auch gemeinsam. Sie rufen uns zusammen. Diese Nacht haben sie uns zusammengerufen von je unserem Ort, und sie machen uns so darauf aufmerksame, dass wir zusammengehören und jeder für sich Teil von etwas sind, was größer ist als wir selbst.

Hier zu Beginn des Jahres 2019 möchte ich die Worte von John Donne als eine Herausforderung an die sehr individualistische Auffassung vom Menschen verstehen, die meines Erachtens neuerlich unsere Vorstellung vom Menschsein in unserem Teil der Welt dominiert. Wir konzentrieren uns sehr auf unsere individuelle Selbständigkeit, Freiheit, Unverletzlichkeit, unser Recht und unsere Autonomie. Und darüber kann man viel Gutes sagen, wir haben alle eine Würde als im Bilde Gottes geschaffene Wesen, und diese Würde gilt es zu bewahren.

Aber die Glocken bei John Donne erinnern uns auch daran, dass nicht nur ich als Individuum im Bilde Gottes geschaffen bin, das ist der Mitmensch auch. Er verweist uns darauf, dass unser Leben mit anderen Menschen und deren Leben und auch mit der Natur verflochten ist. Und deshalb sind wir gegenseitig voneinander abhängig. Das erfahren wir vielleicht am besten, wenn ein kleines Kind zur Welt kommt und in unsere Hänge gelegt wird. Da ist es, als ob sich die ganze Welt ein wenig verändert, denn jeder Mensch trägt mit etwas Neuem bei. Und wir erfahren es, wenn einer unserer Lieben unseren Händen entgleitet, wie sie bzw. er die Welt verlassen muss. Wenn sie von uns gehen und sterben, so ist das wie wenn ein Teil der Welt verschwindet.

Wir sind als Individuen für eine Beziehung zu Gott und zu einander geschaffen, und die Kirchenglocken vermitteln einen Rahmen für unser Leben, um uns an diese Zusammengehörigkeit mit Gott, den Mitmenschen und der Natur zu erinnern. Die Kirchenglocken läuten am Tag unserer Taufe und wieder bei unserer Beerdigung, und dazwischen läuten sie jeden Morgen und Abend im ganzen Land, um uns daran zu erinnern, dass niemand von uns für sich selbst lebt und niemand für sich selbst stirbt.

Als Teil des göttlichen Schöpfungswerkes sind wir die Menschen Gottes; erkannt und geliebt von ihm und mit der Aufgabe betraut, seine Liebe weiterzugeben. Wie wir selbst von der Aufmerksamkeit anderer leben und davon, dass wir deren Liebe empfangen, haben wir in Wort und Tat die Verantwortung dafür, anderen zu zeigen, dass wir nicht gegen sie sind, sondern deren Mitmenschen.

Der Klang der Glocken ist ein christlicher Klang. Man erzählt, als das Christentum im 9. Jahrhundert nach Dänemark kam, wunderten sich die Wikinger laut darüber, dass die ausländischen Mönche mit einer Glocke läuteten, wenn sie zum Gottesdienst riefen. Sie haben sich sicher auch in Roskilde gewundert, wo König Harald Blauzahn um das Jahr 975 die Initiative dazu ergriff, hier eine Kirche zu bauen, wo heute der Dom steht.

Die Wikinger haben wohl nicht verstanden, was der Sinn dieses Gebimmels war. Denn ein Ding war es, dass da Leute von Westen und Süden mit einer anderen Religion kamen. Das musste man akzeptieren, um gut Freund mit dem deutschen Kaiser zu bleiben. Aber warum konnten sie nicht einfach nur ihre Religion für sich behalten? Warum sollten alle Leute von ihren Gottesdiensten erfahren?

Ja, das sollten sie, weil die Geschichte davon, dass Gott in die Welt kam als ein Menschenkind, geboren in Bethlehem, in einer Krippe liegend, zu jedem einzelnen Menschen auf der Welt gelangen sollte, so dass auch sie im Glauben an die grenzenlose und Grenzen sprengende Liebe leben konnten. Diese Botschaft konnten sie nicht für sich behalten, sie mussten sie weit und breit mit den Menschen teilen, denn sie bedeutet etwas für alle Menschen, für alles Leben auf Erden.

Hier in der Silvesternacht empfangen wir die gute Botschaft, das Evangelium in seiner allermeist konzentrierten Form. Es ist nach der dänischen Perikopen-Ordnung der kürzeste Bibeltext des Kirchenjahres und eine einfache Erzählung von Josef und Maria, die ihren kleinen Sohn beschneiden ließen und ihm den Namen Jesus gaben.

Diese kleine konzentrierte Geschichte sagt uns etwas entscheidend Wichtiges darüber, was es heißt, ein Mensch in der Welt zu sein, dass wir keine Inseln sind, sondern Teil eines Festlandes. Darüber, dass wir Individuen sind mit unserer individuellen Würde und unseren Rechten, zugleich aber eingebunden in eine Gemeinschaft, die uns formt und prägt und die wir selbst zusammen mit anderen formen und prägen.

Ich richte meine Aufmerksamkeit auf drei Dinge in der Geschichte.

Erstens hören wir, dass die Eltern Maria und Josef ihren nur eine Woche alten Jungen beschneiden lassen. Das ist mitten auf unserem Altar hier im Dom bildlich dargestellt. In den Medien finden wir zurzeit andere Bilder. Es gab und gibt gerade eine heftige Diskussion, und ein Vorschlag von Bürgern an das Parlament stellt die Frage, ob es weiterhin erlaubt sein soll, dass Eltern ihre männlichen Säuglinge beschneiden lassen. Das will ich nicht hier von der Kanzel aus näher kommentieren. Ich stelle nur fest, dass die Beschneidung in Jahrtausenden ein integrierender Bestandteil des jüdischen Glaubens gewesen ist und entsprechend für die meisten Muslime eine religiöse Praxis ist, so wie wir als Christen unsere religiösen Sitten haben – z.B. dass wir Säuglinge taufen. Ich will wie gesagt auf die Diskussion über die Beschneidung nicht näher eingehen, sondern nur sagen, dass es in diesen Jahren hier bei uns und in der ganzen Welt wichtig ist, die Religionsfreiheit der Menschen zu schützen.

Die Beschneidung Jesu geschah, weil er Jude war und diese Sitte eingehalten wurde. Er war von Anfang an ein konkreter, einzigartiger und unersetzbarer Mensch – ein Individuum, wie jedes Kind das ist. Aber er war mehr als das. Gottes Sohn war wie wir ein Mensch, der einer bestimmten Kultur angehörte und der in einer bestimmten religiösen Tradition aufwuchs, als Teil eines Volkes. Das gehört zum Menschsein. Kein Mensch ist eine Insel. Wir gehören von Anfang an mit anderen zusammen und sind völlig von der Fürsorge unserer Angehörigen abhängig. Wir werden durch sie geprägt, gleichen ihnen und nehmen ihre Sprache an. Wir nehmen ihre Grunderzählungen und Werte durch die Erziehung mit uns. Wir werden durch Nachbarn und Freunde geprägt, wir werden durch die Kultur und die Religion geprägt, mit denen wir aufwachsen.

Wir können uns dann später im Leben von der Kultur und der Religion abwenden. Wir können andere Sprachen lernen und unsere Werte verändern, aber wir tun dies stets in Bezug auf die Relationen, in die wir hineingeboren wind und durch die geprägt sind.

Das Zweite, was ich hervorheben will, ist der Name, den das Kind in der Krippe erhielt, Jesus. Dies ist die griechische Übersetzung des hebräischen Namens Josua, der wiederum bedeutet: „Gott hilft“. Josua war der, der zum jüdischen Volk gesandt wurde und auf den Befehl des Moses den Jordan überquerte und das Volk in das verheißene Land führte. Er war der, der sich an die Spitze des Kampfes stellte und der sieben Mal um die verschlossene Stadt Jericho ging, ehe man mit den Trompeten blies und die Mauern fielen.

Jesus wurde nach diesem Mann benannt. Mit diesem Namen gab man dem kleinen Jungen in der Krippe nicht nur einen Teil der Geschichte seines Volkes mit auf den Weg, so wie wir das mit unseren Kindern tun, wenn wir ihnen einen Namen geben. Jesus erhielt vielmehr auch diesen Namen, weil er sich an die Spitze von Gottes Kampf für die Erlösung der Welt stellen sollte.

Als Erwachsener kämpfte Jesus dafür, dass die Mauern zwischen den Völkern, zwischen Männern und Frauen, Kindern und Erwachsenen, Kranken und Gesunden, Gerechten und Sündern, Juden und Heiden, Leuten vom Norden und Süden, Osten und Westen fielen. Seine frohe Botschaft an die Welt war, dass wir alle trotz all dem, was uns kulturell, sprachlich und geschichtlich trennt, doch als Menschen Gottes zusammengehören.

Das Dritte und Letzte in der biblischen Erzählung zum Neujahrstag, das ich hervorheben will, ist dies, dass der Name, den Jesus erhielt, nicht nur die Gedanken der Eltern zum Ausdruck bringt. Er hat auch eine tiefere Wurzel – oder wie wir gehört haben, „man gab ihm den Namen Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war“. Damit soll zum Ausdruck kommen, dass Jesus das Wort und die Botschaft Gottes an uns ist. Das Heil, das er mit sich bringt, reicht über die Kultur und Tradition seiner Eltern, über das jüdische Volk, über Zeiten und Orte hinaus. Es verbindet Erde und Himmel miteinander und reicht damit bis in das ganze Schöpfungswerk Gottes, zu Menschen und allem, was lebt.

Hier 2019 Jahre nachdem der Junge seinen Namen erhielt, können wir uns mit gutem Grund über vieles Sorgen machen – auch und besonders über das Klima der Erde und die Mannigfaltigkeit des Lebens auf der Erde. Sehrt vieles können und sollen wir Menschen besser machen, wenn es eine bewohnbare Erde geben soll auch für die nächsten Generationen, die nun schon so langsam gegen das protestieren, was wir ihnen hinterlassen. In der Nacht zum Neuen Jahr wird uns gesagt, dass wir mit dieser Aufgabe nicht allein sind, die Welt zu bewahren. Gott erlöst, Gott befreit uns dazu, diese Verantwortung wahrzunehmen, die wir jeder an seinem Ort für die Gemeinschaft haben, zu der wir gehören, für die Menschen Gittes und für die Welt Gottes.

Diese Botschaft lassen die Glocken jeden Morgen und jeden Abend über das Land klingen, bei der Taufe und der Beerdigung, bei Konfirmation und Hochzeit und zu jedem Gottesdienst, so wie jetzt gerade.

Mit dem Nachklang dieser Botschaft im Ohr wünschen wir einander ein gutes Neues Jahr. Amen.



Bischof Peter Fischer Møller
Roskilde, Dänemark
E-Mail: pfm(at)km.dk

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