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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erster Sonntag nach Weihnachten, 30.12.2018

Bethlehem. Berlin und anderswo
Predigt zu Matthäus 2:13-18, verfasst von Jochen Riepe

I

Das ist mutig: Ins leuchtende Weihnachtszimmer mit schlechten Nachrichten eintreten... Matthäus tut dies: ‚Steh auf, nimm das Kindlein und seineMutter, …denn Herodes hat vor, es umzubringen‘. Jesus Immanuel– so heißt das Kind: ‘Gott mit uns‘. Ein Name, der uns heute dunkle, gleichsam unterirdische Wege abverlangt. Darum: ‚Wachet und betet‘ (Mt 26,41) - in Bethlehem, Berlin und anderswo.

II

‚Der Breitscheidplatz wird zur Festung ausgebaut‘, so schrieben die Zeitungen über die Vorbereitungen zum Weihnachtsmarkt an diesem so belasteten Berliner Ort. Metallgitter, Sandsäcke, Poller. Wir wissen: Vor zwei Jahren kurz vor Weihnachten kamen hier bei einem islamistischen Terroranschlag zwölf Menschen um. Seitdem sind viele der so beliebten Märkte gleichsam gepanzert worden. In Straßburg haben die Sicherheitssysteme versagt. ‚Wir müssen lernen, mit dem Terror zu leben‘, hört man wieder einmal aus den Medien.

Weihnachtsfrieden. Weihnachtsterror. An den Stufen der Gedächtniskirche sind die Namen der Ermordeten eingraviert, und mitten durch sie hindurch verläuft ein Riß, in den eine goldhaltige Bronzelegierung  gegossen wurde.

III

Am Eingang seines Evangeliums und am Ausgang der Geburtsgeschichte berichtet Matthäus von zwei Ereignissen, die wohlbekannt  sind, und die doch immer neu verstören und dunkle Schatten werfen auf unsere Sehnsucht nach Ruhe in diesen Tagen: Das Kind ist – wie alle Kinder- verletzbar und gefährdet, und Josef, sein Zieh- oder Adoptivvater, bekommt im Traum die Weisung , es vor dem Zugriff des Königs Herodes zu retten und darin die ihm zugetragene Vaterschaft zu bewähren.

Steh auf…‘, so sagt der Bote Gottes dem schlafenden Manne, und der hört, nimmt Frau und Kind und macht sich wie in Trance, eben ‚traumhaft-leicht‘ auf den beschwerlichen Weg in jenes Land, das für jeden Israeliten einen besonderen Klang hatte. Sollte der Ort der Knechtschaft nun ein Ort der Rettung für das Kind werden? ‚Da stand er auf…‘, so heißt es, mitten in der ‚Nacht‘, und als Leser kann man die Inspiration, dieses gewisse ‚Auf-der-Stelle-Handeln‘, des Vaters Jesu vielleicht so orten: Sein Traum war im Gebet – diesem Zusammensein von ‚adlergleichem Sachverstand und gefügigem Schlafwandel‘ (B. Strauß) - lange vorbereitet.

IV

Als sei es aber mit dem Schattenwurf noch nicht genug, ja, als käme es dem Evangelisten geradezu darauf an, seinen Leser zutiefst zu verunsichern und die Gefährdung des Kindes noch drastischer vor Augen zu stellen, so folgt nun der ‚Flucht nach Ägypten‘ der Bericht vom ‚Kindermord des Herodes‘. Eben noch wollen wir aufatmen, und nun dies: Terror und Mord in Bethlehem.

Seit frühen Tagen fragen wir, warum das zur schönen Weihnachtsgeschichte dazugehört, wie es geschehen konnte, daß das Kommen des Gottessohnes gleichsam eine Orgie der Gewalt gebar. Und dazu: ‚Josef‘, so warfen die Mitarbeiter im Kindergottesdienst ein, ‚hätte er nicht die Eltern der anderen Kinder warnen können, und was für eine Bürde für Jesus, daß seinetwegen andere sterben mußten?!‘ Auch der Evangelist scheint sprachlos und hilft sich damit, seine Bibel zu zitieren. ‘In Rama hat man ein Geschrei gehört …Rahelbeweint(e) ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen‘.

Warum erzählt Matthäus, was Lukas ausließ oder gar nicht kannte? Die Welt ‚scheidet‘(25,32) sich in jene, die den Messias Israels annehmen und ehren, und jene, die ihn – besorgt um ihren Status und ihre Macht - ablehnen und ‚umzubringen‘ trachten. Gericht. Krise. Auch wenn Historiker den Bericht über die Bethlemer Ereignisse relativieren, so war dieser Herodes doch bekannt für seine ‚Grausamkeit gegenüber Kindern‘**, auch gegenüber den eigenen, und diese kollektive Erinnerung hat im Evangelium viele Jahre später ihren literarischen Niederschlag gefunden.

V

Bethlehem. Berlin. Straßburg… ‚und wollte sich nicht trösten lassen‘. Ich sagte es: Auf den Stufen vor der Gedächtniskirche sind die Namen der von Anis Amri Ermordeten eingraviert und mitten durch sie hindurch verläuft – ein Riß. Eine Wunde. Besucher kommen vorbei, um der Toten zu gedenken, ein Licht anzuzünden...zu beten.

Es hätte jeden von uns treffen können an jedem öffentlichen Ort. Ein Politiker beteuerte, diese Menschen ‚seien stellvertretend für uns alle getroffen‘(H. Maas) – ich hoffe, er wußte, was er sagte. Stahlkörbe, Poller, Betonplatten können beruhigen, aber es ist noch wichtiger, Bürger eines wachsamen Staates zu sein, der seine Aufgaben erfüllt, und dem unser Leben und unsere Würde ‚unantastbar‘ sind. ‘Der Terror‘, lese ich, ‚kennt keine Grenzen, er sucht sich Ziele mit Symbolgehalt, den Weihnachtsfrieden zu zerstören und dabei möglichst viele Menschen zu töten, ist das Ziel‘***.

‚Weihnachtsfrieden‘. Wie mag es den Angehörigen derer, ‚mit denen es aus war‘, in diesen Tagen gehen? Haben sie Trost, Anerkennung ihres Leids und auch materielle Hilfe bekommen? Ein Jahr lang mußten unsere Mitbürger warten, bis sie endlich ins Bundeskanzleramt geladen wurden. Ja, es ist schwer, Trauernden zu begegnen… es ist schwer, mit Tatsachen, Gefühlen, Versäumnissen und Fehlern konfrontiert zu werden, die sehr unangenehm sind.

VI

Immanuel‘, so lautet nach Matthäus der Beiname Jesu. ‘Gott mit uns‘. In einem ersten Traum hatte der Engel ja Josef beauftragt, Gottes Kind so zu nennen. War es diese gleichsam namentliche Überschrift, dieser ‚Basissatz‘ des Bundes zwischen Gott und Mensch, der den Evangelisten ermutigte, von Weihnachten und auch vom Schatten dieses Ereignisses zu erzählen? Und den auch so stehen zu lassen! Die Geburt des Kindes, Gottes Werk der Versöhnung undseine Bedrohung durch die Herrschenden, Frieden auf Erden undder realistische Blick auf die Gewalt an den unschuldigen Kindern? ‚Wachen und beten‘? Gnade und Gericht: Aus tiefem Vertrauen auf den ‚guten‘ Gott (19,17) kann und muß man vom Bösen – und ‚den Bösen‘-  sprechen.  

Verdrängen, schönfärben, mit der ‚Kehrmaschine über den Blutfleck gehen‘(A. Hermenau), etwas trotzig nicht wahr haben wollen, alles dies blockiert uns ja dann, wenn wir im Grundlegenden unsicher sind. Wer vertrauensvoll im Bunde Gottes steht, kann diese Hemmung überwinden. Er kann wie Matthäus der Erzählung von der Menschwerdung Gottes alles Märchenhafte nehmen, und sie – ahnungsstark und, ja, sorgenvoll-  der Passion, den Krisen und dem Terror dieser Erde aussetzen. Er stellt sie soz. mitten in den Riß auf den Breitscheidplatz hinein und macht hier an unserem Ort Gottes Verheißung, einst den Vätern Israels gegeben, verbindlich.

Natürlich: Ähnlich seinem ‚Helden‘ Josef gleicht auch der Evangelist einem traumhaft Inspirierten. ‚Gefügiger Schlafwandel‘: Der Überlieferung nach hat ein Engel seine (grobe) Hand geführt, weil er sich selbst nur wundern konnte, was er da schrieb: ‘Gott mit uns‘- in Bethlehem, in Rama, in Berlin…

VII

Gott mit uns‘-  das ist darum keine anmaßende Parole zur Weltrettung oder -unterwerfung. Es ist der Name des Staunens darüber, daß Gott nicht allein sein will; daß er sich der Bedrohung durch das von ihm Geschaffene aussetzt und eben so seinen Frieden stiftet. Gott ‚will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt‘(eg 16.5). Darf ich mit Matthäus sagen: Mit keinem ‚ist es aus‘, ohne daß der Vater Jesu Christi es wüßte (10,29). ‚Gebt den Opfern ein Antlitz‘, stand es entsprechend im Kondolenzbuch der Gedächtniskirche. ‘Macht sie wieder zu Bürgern, deren Würde unantastbar ist!‘

So vergewissert kann Matthäus seine dunkle Weihnachtsgeschichte erzählen. So kann er Rahels, der Stammmutter Israels, erschütterndes Weinen benennen und dann doch die Rettung des Kindes erzählen – in der Hoffnung, daß in dessen Namen die namenlosen Opfer der Gewalttat von Bethlehem auf ewig ‚geschrieben‘(Lk 10,20) sind.  

Wundersam anschaulich wird dies für den in Israel Reisenden daran, daß er neben der Geburtskirche in Bethlehem die ‚Grotte der unschuldigen Kinder‘ findet. Durch unterirdische Gänge sind beide Orte   verbunden. In einer Ausbuchtung steht der Josephsaltar. Eben hier habe der Vater Jesu die Weisung des Engels empfangen: ‘Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter…‘ Eben hier sollen die unschuldigen Kinder beerdigt worden sein.

VIII

Bethlehem, Berlin, nun auch Straßburg und anderswo… Es gilt wohl beides: Wir sollten uns auf den Terror, auf den Haß auf den Weihnachtsfrieden und seine Symbole, einstellen. Und zugleich müssen die Bürgerschaft und ihre Organe alles (sicherheits-) politisch Notwendige tun, daß er ‚Nie wieder!‘ zuschlagen und morden kann.

In den Riß auf den Stufen vor der Gedächtniskirche hat man eine Bronzelegierung gegossen. Eine Wunde kann, wenn nicht heilen, so doch vernarben und somit Erinnerung und Wegweisung zugleich sein. Versöhnungsarbeit: ‚Adlergleicher Sachverstand und gefügiger Schlafwandel‘. Die Architekten des Mahnmals sagen: Je mehr diese Spur betreten, gefegt, berührt wird, je mehr Bürger also kommen, umso heller leuchtet oder glänzt sie.

Wachet und betet‘. Eine gesegnete Weihnachtszeit und ein behütetes Neues Jahr.

*B. Strauß, Der junge Mann ,1984 (zit. n. U.Greiner, ‚Der Fortführer‘: Hörst du den Schlaf rauschen?  In: www.Zeit.de/2018/14) **R. Metzner, Die Prominenten im NT: Ein prosopographischer Kommentar, 2008, S. 153 ***M. Hanfeld, Wo liegt Straßburg nochmal? FAZ 12.12.2018

Liedvorschläge : eg  16, eg 4

 



Pfr. i. R. Jochen Riepe
Dortmund, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

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