Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Altjahresabend, 31.12.2018

Zu Asche, zu Staub
Predigt zu Jesaja 51:4-6, verfasst von Barbara Manterfeld-Wormit

Zu Asche, zu Staub

dem Licht geraubt

doch noch nicht jetzt…

Ozean der Zeit

ewiges Gesetz

zu Asche zu Staub

zu Asche

doch noch nicht jetzt.[1]

 

Es war die Erfolgsserie des Jahres 2018: BabylonBerlin.

Sie erhielt den Bambi, den Deutschen Fernsehpreis, und das gleich  in mehreren Kategorien – unter anderem für die beste Filmmusik. „Zu Asche, zu Staub“ - das ist der Titelsong der Serie und spätestens durch ihn wurde auch ich in ihren Bann gezogen. Sie spielt im Berlin der ausgehenden 20er Jahre. In meiner Stadt – vor 100 Jahren: „melancholisch, hypnotisch, einzigartig“ titelte der Stern über das Lied, zu dem im Film das Publikum im Nachtclub Moka Efti in Ekstase gerät. Die Szene wird zum Sinnbild für den Tanz auf dem Vulkan: Die Klänge der 20er klingen plötzlich wie Klänge aus den Clubs der heutigen Zeit. Die Menschen tanzen, als wenn sie alles um sich herum vergessen wollten: die Angst, die Armut, die Brutalität einer ganzen Gesellschaft, die Schrecken und tiefen Traumata eines zurückliegenden Krieges, die Angst vor dem heraufziehenden neuen. In diesem Lied, das die Frau im Marlene Dietrich-Look mit Frack und Zylinder da oben auf der Bühne singt, schwingt alles mit: das erschreckende Bewusstsein der Vergänglichkeit von Raum und Zeit und Sterblichkeit – hier löst es sich auf im Rausch: für einen Moment.

Die passende Serie für dieses Jahr und unsere Zeit. Wir haben uns intensiv erinnert an das Ende des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren, an den 80. Tag der Reichspogromnacht. Uns sitzt die Sorge um den Frieden in der Welt im Nacken. Auch die Sorge um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, die auseinanderzudriften droht. Wir spüren die wachsende Kluft zwischen arm und reich. Wir vernehmen den Ton, der rauer wird und unversöhnlicher. Wir haben Bilder und Orte vor Augen, wo sich Wut, Hass und Enttäuschung Bahn hemmungslos Bahn brechen – ob in Cottbus, Chemnitz oder in Paris. Wir sehen den Tanz auf dem Vulkan der Mächtigen – und empfinden den schmalen Grat, auf dem wir alle uns plötzlich zu bewegen scheinen – stets in Gefahr ins Bodenlose zu stürzen. Wir spüren die aufgeheizte Stimmung in Europa, in Amerika und Russland – und die Hitze aus dem endlos trockenen Sommer. „Zu Asche zu Staub“ – das ist zu einem Lebensgefühl geworden in diesem Jahr. Die Angst hat viele Gesichter bekommen: Klimawandel, Naturkatastrophen, Armut und Fluchtbewegungen, Rechtspopulismus – lange sicher Geglaubtes wandelt sich, gerät infrage. Vielleicht könnte viel schneller wahr werden, was wir längst ahnen: zu Asche zu Staub…

Silvester ist Tanz auf dem Vulkan: Wir machen Party, lassen es knallen mit Böllern und Korken,  während der Ozean der Zeit unaufhaltsam weiterrauscht. Machen uns für einen Moment fest – zählen die Sekunden, wehmütig, ekstatisch – und im „Prosit Neujahr“ klingt immer der Trotz mit: Wir sind noch da! Wir leben noch, wir hoffen weiter, lieben weiter – „zu Asche zu Staub – doch noch nicht jetzt!“

 Im Ozean der Zeit wollen wir uns jetzt fest machen – so wie sich vor tausenden von Jahren Menschen fest gemacht haben im Glauben an den einen Gott. Wo kein Stein auf dem anderen blieb. Wo Völker gegeneinander Krieg führten, wo Menschen am Boden lagen ohne Plan und ohne Hoffnung für die Zukunft. Da singt der Prophet Jesaja ein Lied. Bringt Ordnung in das Chaos, rückt zurecht die Hochmut der Mächtigen. Er singt ein Lied von der Erde: von Menschen und Tieren, von Werden und Vergehen, von Chaos und Schöpfung – von dem, was bleibt. Er singt dieses Lied für Israel – für sein Volk. Die große Überschrift über all seinen Worten lautet: Tröstet, tröstet mein Volk!     

Aus diesem Volk wird der Retter geboren, dessen Geburt wir wieder feiern. Immer noch feiern. Licht für alle Völker. Trost für alle Völker. Zeit, sich fest zu machen in diesem Licht, auch wenn es das dunkle nicht verschweigt, nicht auslöscht.

   

 Merkt auf mich, ihr Völker,

und ihr Menschen, hört mir zu!

Denn Weisung wird von mir ausgehen,

und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen.

Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor,

und meine Arme werden die Völker richten.

Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm.

Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde!

Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen

Und die Erde wie ein Kleid zerfallen,

und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben.

Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen. (Jes 51, 4-6)

 

Freunde machen sich Propheten selten in ihrer Zeit. Und ein fröhlicher Silvestertext zum Jahresschluss sieht anders aus als dieser Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja. Doch selten hat er vielleicht so gepasst wie in diesem Jahr, wo so viele Völker suchen und ringen nach Orientierung und Weisung und dabei verzweifeln an denen, die sie führen. Es sind Bilder dieses Jahres: von hitzigen Debatten im Bundestag – wo menschenempört den Saal verlassen und alle Floskeln der Höflichkeit hinter sich lassen, ob im Bundestag, im britischen Parlament oder im Weißen Haus. Eindrückliche, zuweilen verzweifelte Bilder vom Ringen um den richtigen Weg.

Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm… - wie klingen diese Sätze nur wenige Tage nach dem verheerenden Tsunami in Indonesien.

Der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen… - wie fühlt sich das an, wo wir in diesem Jahr so deutlich gespürt haben, was wir ja eigentlich längst schon wissen: dass es  Auswirkungen auf unser Klima hat, wie wir leben und konsumieren. Braune Blätter an den Bäumen mitten im Sommer. Waldbrände nicht bloß in Griechenland und Portugal, sondern ganz unmittelbar vor unserer Haustür in den Wäldern Brandenburgs. Der Boden staubtrocken, die Erde verbrannt – zu Asche zu Staub.

Hebt Eure Augen auf– setzt der Prophet gegen diese erschreckend realistischen Bilder. Er hebt sie nicht auf, er kleistert sie nicht zu, er beschönigt nichts. Er sagt, wie es ist: Himmel und Erde werden vergehen – das ist ja auch so ein Glaubenssatz, den wir gelernt haben. Verinnerlicht haben wir ihn nicht – zu traurig, zu schade, zu beängstigend: Zu Asche, zu Staub. So ist unser Leben. So wird auch der Lauf der Schöpfung sein. Doch noch nicht jetzt.Hebt eure Augen auf und verschließt sie nicht. Seht hin, seht auf – empfiehlt der Prophet. Wie kann das gehen?

Zwei Bilder aus dem zu Ende gehenden Jahr stellen sich bei mir ein: Von Menschen, die wahr gemacht haben, was Jesaja damals empfahl:

  1. Schaut unten auf die Erde! Der Astronaut Alexander Gerst hat das getan. Von der Internationalen Raumstation aus – 400 Kilometer über der Erdoberfläche. Von da aus hat er Ende November – kurz vor seiner Rückkehr auf die Erde - eine Botschaft an seine ungeborenen Enkel gesendet. Sie lautete: Wir sind so viel kleiner und unbedeutender als wir glauben. Und unsere Erdatmosphäre ist umso vieles verletzlicher als vermutet. Daraus folgt Demut – und Verantwortung. Wer später sagen wird, er hätte es nicht gewusst, der lügt. Das ist unsere Aufgabe, unser Vorsatz für die Zukunft: den Planeten bewahren, so gut es geht, soweit es in unserer Macht steht. Dabei hilft der Blick nach unten auf die Erde, denn „ein Tag, an dem man über seinen Horizont geschaut hat, ist ein guter Tag!“ Soweit Alexander Gerst, der inzwischen wieder gut hier unten bei uns gelandet ist.
  2. Hebt eure Augen auf gen Himmel! Das haben wir alle in diesem Jahr getan: am 27. Juli bei der längsten Mondfinsternis des 21. Jahrhunderts. Für mich das erste Mal das bewusste Erleben: einmal und nie wieder! Rund um den Globus haben Menschen nach oben geschaut, den Himmel, den Mond, Planet Mars bewundert, bestaunt. Stumm, ehrfürchtig – mit einem Gefühl der eigenen Begrenztheit, mit einem Gefühl der Ewigkeit. Mit einem Bewusstsein der Schöpfung. Für mich das Gegenbild zu aller Feindschaft und Abgrenzung, Überheblichkeit und Achtlosigkeit, die dieses Jahr auch geprägt hat. Ein Ereignis, das uns die Grenzen gezeigt hat – und gleichzeitig die Überwindung alles Trennenden. Im Blick nach oben waren wir alle vereint als Menschen dieser Erde.

 

Zwei Bilder nur aus einem Jahr, das aus so vielen Bildern bestand. Jeder und  jede von uns kann eigene hinzufügen. Wir blicken heute miteinander auf dieses Jahr – und auf das, was kommt. Wir tun es mit diesem doppelten Blick – von oben nach unten und von unten nach oben: Wir sind nicht alleine auf der Welt. Wir besitzen sie nicht. Wir sind nicht ewig. Wir sind nicht allmächtig. Aber solange wir sind, wollen wir Licht sein füreinander. Wollen wir nach Gerechtigkeit streben. Wollen wir Liebe üben. Wollen wir heil machen. Solange wir leben, wollen wir dieses Leben lieben und auf den vertrauen, der es in Händen hält. Sein Lied wollen wir singen.

 

Zu Asche, zu Staub

Dem Licht geraubt

Doch noch nicht jetzt

Wunder warten

Doch noch nicht jetzt

Wunder warten bis zuletzt. 

 

Amen.

 

____________          

Liedvorschläge:

„Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.“ Liederbuch Singt JubilateNo. 110. Wichern Verlag 2012.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen“ EG 65

 

Vorschläge für die Fürbitte:

Ein Lied wollen wir Dir singen, himmlischer Vater:

 

wo wir Menschen gedankenlos sind und achtlos verbrauchen, wegwerfen, zerstören

 

wo unsere Welt auseinanderfällt in arm und reich, jung und alt, erfolgreich und gescheitert

auserwählt und abgehängt

 

wo wir trauern um Menschen die gehen – zu Asche zu Staub

um Chancen, die verstreichen, ungenutzt,

um Zeit, die vergeht, unwiederbringlich

   

Wunder warten bis zuletzt: So legen wir all unsere Wünsche und Hoffnungen in das Gebet, das Jesus uns zu beten gelehrt hat: Vater unser…

 

____________

Verf. ist Senderbeauftragte für den rbb und leitet die Rundfunk-und Fernseharbeit der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz. Zuvor war Sprecherin der ARD-Sendung „Wort-zum-Sonntag“ und Gemeindepfarrerin in Berlin.

 

 

[1]Severija Janusauskaité „Zu Asche zu Staub“ (2017) http://www.metrolyrics.com/zu-asche-zu-staub-psycho-nikoros-lyrics-severija.html



Pfn. Barbara Manterfeld-Wormit
Berlin, Deutschland
E-Mail: b.manterfeld-wormit@ekbo.de

(zurück zum Seitenanfang)