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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahrstag, 01.01.2019

Sei leichten Herzens!
Predigt zu Josua 1:1-9, verfasst von Eberhard Busch

Im Vorgeschmack auf den Neujahrstag las uns ein Gast eine Geschichte vor. Ein Zimmermann, so hieß es da, habe auf der Straße seinen Freund getroffen. Der fragte ihn: „Warum siehst du so traurig aus?“ „Ach“, bekam er zu hören, „mir ist Ärgstes widerfahren. Bis morgen früh muss ich tausendhundertelf  Pfund Sägemehl aus Hartholz herstellen und dem König liefern. Sonst bringt er mich um.“ Der Freund aber legte ihm den Arm tröstlich um seine Schultern: „Sei leichten Herzens! Der Allmächtige wird für den morgigen Tag sorgen, während wir ihm jetzt Anbetung zollen.“ Sie gingen in das Haus des Zimmermanns, wo sie Frau und Kinder fanden, in Tränen aufgelöst. Den Tränen wurde Einhalt geboten durch Essen und Trinken, Singen und Tanzen und sonstige Art von Gottvertrauen. Als seine Frau neu zu weinen begann, sprach ihr Mann gütig zu ihr: „Denke an Gott!“, und der Gottesdienst ging weiter. So feierten sie bis zum Morgengrauen. Da wurden alle stumm vor Angst. Denn nun klopften die Soldaten des Königs an die Tür. „Jetzt werde ich sterben“, sprach der Zimmermann und tat auf. Doch die Soldaten riefen: „Zimmermann, der König ist tot. Mach ihm einen Sarg!“

Diese Geschichte wurde uns zum Neujahr vorgetragen. Sie stammt aus der einst so grauenhaft verfolgten armenischen Christenheit. „Von der Lieblichkeit des Gottvertrauens“ ist die Geschichte wunderlich überschrieben. Sie war uns ein schönes Geschenk. Und der sie uns vortrug, fügte hinzu, er habe sich für das neue Jahr vorgenommen, in bedrängenden Situationen sich allemal das Stichwort zuzuflüstern: „Sägemehl!“ Um sich jeweils daran zu erinnern: an „die Lieblichkeit des Gottvertrauens“.

Ich erzähle das hier weiter, weil mich dünkt: diese Geschichte sei eine feine Unterstreichung des Gottesworts, das uns der verlesene Bibeltext ans Herz legt; und sie sei eine Ermutigung für uns, dieses Gotteswort entgegenzunehmen und zu befolgen: „Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und freudig seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tust.“

Was uns an diesem Bibelwort gleich auffällt, ist dies, dass es hier einfach befohlenwird, „dass du getrost und freudig seist“. Kann man denn das einem Menschen tatsächlich gebieten? Was hilft uns das, wenn wir es im Moment gar nicht können: „getrost und freudig“ sein auf einem Weg, den wir uns keineswegs gewünscht haben? „Getrost und freudig“ angesichts von drohenden Gefahren? Kann man da das von jemandem verlangen: „Sei leichten Herzens“!? Sage dergleichen einem, der allen Mut verloren hat! Sag‘ ihm, „ich gebiete dir jetzt, dass du getrost und freudig seist“! Das ist es ja, dass dieser Mensch im Moment damit nichts anfangen kann. Und selbst wenn er es probierte, so käme allenfalls nur so etwas heraus wie das, was man „Galgenhumor“ nennt.

Keine gute Botschaft für die, die heute so viele Gründe sehen, sich zu entsetzen und sich grauen zu lassen? „Brüder, ist es nicht kälter geworden?“, hat einst der Philosoph Friedrich Nietzsche in seine Zeit hinaus gefragt. Und ist es heute nicht nochkälter geworden? Frostiger in den Beziehungen der Völker, die Unsummen für Waffen ausgeben? Und frostiger auch nur in der Beziehung zu denen von nebenan, die einem auf die Nerven gehen? Und kälter im Blick auf die Zukunftsaussichten, die sich uns und unseren Kindern bieten? Erleben wir nicht heute, was Jesus prophezeit hat: „Und es wird sich empören ein Volk wider das andere und es werden da und dort Hungersnöte kommen. ... Und es werden sich falsche Propheten erheben und werden Viele verführen. Und während die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten“ (Mt 24,7.11f)

Aber nun hört, gerade uns, genau unsist jetzt gesagt, als von Gott gesagt: „Sei leichten Herzens!“ Vielmehr: „Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und freudig seist!“ Darin, dass uns das geboten wird, steckt ein feines Geheimnis. Denn wenn uns das von Gott geboten wird, dann heißt das: Wirklich getrost, das ist keiner dank einem mühsamen So-Tun, als sei „alles gut". Solche Menschen pflegen allemal aus den Schuhen zu kippen, wenn ihnen die Augen dafür aufgehen, wie es ernstlich um sie und um uns steht. „Sei leichten Herzens“, das meint ja nicht; Nimm alles auf die leichte Schulter. Trost heißt doch nicht, dass man Schweres weniger schwer nehmen soll. Es gibt so Vieles, was man schwer nehmen muss. Aber Trost ist, dass man nicht ohne Gottes Beistand seine Last zu tragen hat. Und so ist getrost und freudig keiner, es sei denn, es ist ihm von Gott zugetragen. Aber wird es ihm von Gott zugetragen, dann kann es ein jeder und eine jede, und wenn sie sonst noch so mutlos und bekümmert wären.

Denn Gott verhilft uns zu dem, was er von uns erwartet. Der Kirchenvater Augustin hat darum sogebetet: „Biete uns, Herr, was du gebietest, und dann gebiete, was du willst.“ Und was er uns da bietet, das ist zu aller erst sein Versprechen – dasselbe, das er seinerzeit Josua zugesprochen hat: „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen“ (V5). „Dein Gott ist mit dir in allem, was du tun wirst“ (V9), dem zum Trotz, was du alles verkehrt angestellt haben magst. Können wir im Moment nichts damit anfangen, so fängt seine Zusage etwas mit uns an: Gott ist mit dir. Er ist mit dir auch in allem, was dir widerfährt und was du erleidest. „Gott ist mit uns / am Abend und am Morgen / und ganz gewiss / an jedem neuen Tag“ (Dietrich Bonhoeffer). Das ist der Inbegriff der ganzen frohen Botschaft – auf Hebräisch: Immanuel, zu deutsch: Gott mit uns! Was er uns damit zusagt, dazu steht er, jeden Tag aufs Neue. Gott mit uns! – daran hält er sich, und daran können wir uns halten.

Das sollen wir allerdings auch tun: uns daran halten. Sein Zuspruch ist nicht ohne seinen Anspruch an uns. Und was er damit uns gebietet, ist kein bequemes Nichtstun, kein faules Zuschauerleben, bei dem man seine Hände müßig in den Schoß legt. Was er uns gebietet, ist dies, dass wir in all unserem Tun immer wieder zuerst mit Gottes Geistesgegenwart zu rechnen haben. Was wir jeweils zuerstzu tun haben, – man kann es nicht treffender sagen als mit den Worten jenes Zimmermanns zu seiner verängstigten Frau: „Denke an Gott!“ Er sagt ja nicht: Vielleicht wird sich noch ein Türlein auftun; und dann hast du halt Glück gehabt, im Unterschied zu Andren. Die Türe istja schon offen, weil Gott mit uns ist, mit allen. Wie er es an der Weihnacht erwiesen hat. Aber jetzt halte dich daran! Denkedaran! Denke an Gott! Und „denke nicht in deiner Drangsalshitze, / dass du von Gott verlassen seist“. Denke so: „und wenn alles bricht, Gott verlässt uns nicht“. Mit dieser Zusage mögen wir an unsere Aufgaben gehen und an all das, was uns im neuen Jahr begegnen wird. Mit dieser Zusage: Gott steht uns bei! Und das tut uns gut.

Das war in der Geschichte von dem Zimmermann vorderhand nicht abzusehen, wie wir mit  dergleichen auch in unserem Leben nicht ohne weiteres damit rechnen können. Zunächst sieht es ja danach aus – eben: „Brüder, Schwestern, ist es nicht kälter geworden?“ Vorderhand sieht es danach aus, als laufe alles einer Finsternis entgegen. Aber schon da mittendrin sind wir nicht auf uns selbst gestellt. „Denke an Gott!“ Denn er denkt bereits jetzt an uns. Er wird für uns sorgen und tut es schon heute und tut es, indem er mit uns ist. Und was auch passieren mag, das niemals, dass uns irgendetwas von ihm scheiden wird. „Dein Gott ist mit dir in allem, was du tun wirst“. Und das verleiht uns Mut und Kraft auch in Widrigkeiten, die sich uns entgegenstellen werden, Mut und Kraft, das Widrige zu ertragen, Mut und Kraft, wenn irgend möglich, dem Unfug zu widerstehen.

Im 18. Jahrhundert lebte in Württemberg ein kluger Rechtsgelehrter, Johann Jakob Moser war sein Name. Er widersetzte sich entschieden den immer maßloseren Geldforderungen von Herzog Karl Eugen, mit denen dieser das Volk aussaugte. Als Moser deshalb vor den Herrscher zitiert wurde, habe er, wie er berichtet, beim Eintreten vor sich hin das Lied gesummt: „Unverzagt und ohne Grauen soll ein Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen. Wollt ihn auch der Tod aufreiben, soll der Mut dennoch gutund fein stille bleiben.“Er ist dann für fünf Jahre ohne jeden Prozess auf der Feste Hohentwiel eingekerkert worden – unter entwürdigenden Umständen, aber sein Mut ist dennoch gut und ungebrochen geblieben.

Wollen wir nicht in dem uns neu geschenkten Jahr lernen, uns durch alle Widerfahrnisse und Widrigkeiten nicht beirren zu lassen, "unverzagt und ohne Grauen" unseren Weg zu gehen? – nicht weil wir uns blind über alles Schlimme hinwegsetzen, sondern weil wir "von der Lieblichkeit des Gottvertrauens" wissen: „Gott sitzt im Regimente“, selbst wenn es blitzt und donnert. Er ist auf alle Fälle mit uns und ist gut mit uns und mit all seinen Geschöpfen, trotz allem, was dem entgegensteht. Wie zu Josua, so spricht er heute zu uns: „Ich will dich nicht verlassen und von dir weichen.“ Und also, gehen wir kopfhoch in die kommenden Tage und Nächte!

 



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland (Göttingen), Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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