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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Epiphanias, 06.01.2019

Predigt zu Matthäus 2:1.12 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Christiane Gammeltoft-Hansen

Die Erzählung von dem Kind, dem Stern und den Weise ist kein Märchen, und doch ist es eine Erzählung, in die man sich nur mit Phantasie hineinbegeben kann. Die Tage, von denen die Erzählung handelt, sind keine Tage in einer mythischen Vergangenheit, die nur für Träume zugänglich ist. Und doch kommen Träumer als erste zu dem von den Sternen angezeigten Ort, denn die Träumer sehen doppelt – sie sehen sowohl das Äußere als auch das, was sich dahinter verbirgt.

Wenn man ernst und ehrlich in der Welt sein will, muss man sich zu den Tatsachen der Welt verhalten. Wir können nicht eine andere Welt erdichten, wenn wir mit der Welt, die wir haben, unzufrieden sind. Wir müssen die Augen öffnen, sie nicht verschließen und so tun, als wäre nichts gewesen, wenn uns das nicht gefällt, was wir sehen. Und warum auch sollten wir das tun? Zwar könnte es besser sein, aber die Welt der Tatsachen ist unser Zuhause. Ein Zuhause im guten und bösen Sinn, das uns an die zusammengebrachte Familie erinnert, mit der viele von uns Weihnachten gefeiert haben, und das uns stets daran erinnert, dass wir mehr sind als wir selbst.

Wir sind die, die an unseren Orten zu Hause sind, im Vertrauten leben, die aber wissen, dass die Welt groß ist. Wir wissen, dass sowohl nah als auch fern Menschen sind, mit denen wir die Zeit verbringen, die aber nicht so denken wie wir. Wir sehen dasselbe, verstehen es aber verschieden. Wir hören dasselbe, beziehen es aber jeder auf seinen Kontext. Das lässt einen zögern, sich selbstsicher hinzustellen. Nicht zuletzt, wenn man aus dem 20. Jahrhundert kommt. Da haben wir nämlich gelernt, wie schlimm das enden kann, wenn wir von der Verschiedenheit nichts wissen wollen, nicht mit ihr leben wollen, sondern lieber eine Gleichschaltung wollen.

Es ist die Zeit der Nuancen. Ja, das war so gesehen immer so, es aber in diesen Jahren wird es besonders deutlich. Und es kann zwar anstrengend und eine Herausforderung sein, dass wir nicht gleich sind, aber lieber die Verschiedenheit als die Zeiten, in denen man im Gleichschritt marschierte. Deshalb also ein Ja zur heutigen Welt, wo die Verschiedenheit uns daran festhält: Wenn es darauf ankommt, dann sind wir alle Suchende.

Aber was mit den Träumen? Brauchen wir die in der Welt der Tatsachen? Nehmen wir die Träume genauso ernst und messen ihnen denselben Wert bei wie die Tatsachen, die uns so sehr in Anspruch nehmen?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ehe der Kriegslärm alles übertönte, wandte man sich an die Dichter, wenn man etwas über den Zustand der Welt wissen wollte. Man fragte sie, die einen doppelten Blick hatten, weil sie sowohl das Äußere als auch das Innere sahen. Denn man hatte das Gefühl, dass sie klarer und tiefer blickten. Wen fragen wir heute, wenn wir gerne klüger werden wollen? Und was mit der Phantasie, hat sie irgendeine Autorität oder Gültigkeit für uns hier in der modernen Zeit?

Wir sind darin geübt, in unserem Leben konstatierend anwesend zu sein. Als Konstatierende sehen wir, aber zugleich sehen wir auch nur von alle dem die Außenseite. Der Konstatierende sieht einen Stern, eine Finsternis, ein paar Augen, aber er sieht hinter die Augen. Der Konstatierende existiert im Jetzt, und das ist gut, denn ohne das jetzt wären wir nicht hier. Zugleich aber ist das Heute auch ein kleiner Raum, in dem man sich bewegt. Vor allem, wenn das Jetzt bedrohlich ist, und das kann das Jetzt ja sehr wohl hin und wieder sein.

Es ist nachgerade selten geworden, dass wir die Welt positiv sehen. Es ist, als sei es nahezu eine Provokation, wenn wir positiv von ihr reden. So als wären wir unwahrhaftig oder auch nur ein wenig unbegabt, wenn wir das Gute hervorheben. Da ist der Pessimist mehr klarsichtig, finden wir, denn der Pessimist sieht der aktuellen Gefahr ins Auge und hält uns mit seiner Kritik fest an ihr. Wer die aktuelle Gefahr nicht wahrnimmt, hat unser Leben verschleiert. Ohne Pessimisten wären wir deshalb wohl ernsthaft auf Kollisionskurs mit der Wirklichkeit und auf dem Weg in die Boote, die der Pessimist vermeintlich schon betreten hat. Aber eines kann der Pessimist nicht: Der Pessimist kann keine Veränderung schaffen. Dazu braucht man Träume.

Wenn wir die Welt nicht positiv sehen, ist das deshalb, weil wir von einem Pessimismus ergriffen sind, der sich nur zu Tatsachen verhält? Wenn wir nicht von der Zukunft reden, jedenfalls nur in einer sehr begrenzten Perspektive, ist das dann deshalb, weil wir die Zukunft allein als eine Verlängerung einer Gegenwart sehen, die wir nicht mögen?

Das Evangelium von dem Kind, dem Stern und den Weisen aus dem Morgenland ist eine Geschichte für uns, die wir in einer widersprüchlichen Zeit leben. Damals hatte man Angst, und mit gutem Grund, ganz so wie wir auch heute in unserem Leben. Sie fürchteten sowohl das, was sie nicht verstanden, das Fremde, als auch das, was sie allzu gut verstanden, die brutale Macht, die nur sich selbst will und deshalb allem anderen nach dem Leben trachtet. Die Geschichte von dem Kind, dem Stern und den Weisen aus dem Morgenland handelt nicht von einer erdichteten Welt, auch wenn die Erzählung voller Poesie ist. Sie handelt von unserem Leben. Und mitten in unserer widersprüchlichen Welt mit Geburten und Verfolgungen verweist uns das Evangelium nun auf die Freude. Es weist darauf hin, dass das Gute existiert. Und man kommt sehr wohl weiter mit er Erforschung des Gutes, wenn man die Träume zu Hilfe nimmt. Das Gute ist dennoch durchaus real, und damit auch Teil der Tatsachen, zu denen wir uns verhalten sollen.

Es ist durchaus verständlich, dass wir Angst haben können. Vor allem in dieser Zeit. Aber wir sollen uns davor hüten, unseren künftigen Weg durch die Angst bestimmen zu lassen. Die Angst ist ohne Vertrauen, und die Angst kann deshalb die schrecklichsten Folgen haben. An diesem Sonntag begegnen wir Herodes als einem Beispiel dafür.

Das Evangelium von Weihnachten – das auch die Grundlage des heutigen Tages der heiligen drei Könige ist – besteht darauf, dass wir in der Welt mit Vertrauen existieren können und sollen. Die Angst hat noch nie jemanden zu einem größeren Menschen gemacht, das aber hat die Freude. Die Angst lähmt, die Freude aber gibt den Mut zur Tat. Die Freude ist ein Glaubensbekenntnis zum Leben in all seiner Großartigkeit.

Die Konstatierenden, die sich ausschließlich an die Tatsachen halten, werden vielleicht die Erzählung ablehnen, weil sie nur eine Erzählung hören und nicht mehr als das. Die Träumer aber können in ihr eine neue Identität und Autorität finden. Denn hier erfahren wir: Wir sind Menschen in einer Welt, in der es das Gute gibt.

Es erfordert eine doppelte Sicht, die ganze Wirklichkeit zu erfassen, sowohl das Äußere zu sehen als auch das, was sich dahinter verbirgt. Vielleicht kommt das Gute eben deshalb als ein kleines Kind in die Welt. Denn wenn es etwas gibt, was uns unsere Kinder lehren, dann ist es eben ein doppelter Blick. Wir wissen, dass da etwas Besonderes geschieht, wenn ein kleines Kind geboren wird, wenn es unsere Finger mit einem festen Griff ergreift und uns ein erstes Lächeln schenkt. Jedes neugeborene Kind ist wie der Stern, der den Weisen den Weg zeigt; ein nie dagewesenes Spektrum, das aus ganz eigenem Recht existiert. Und gerade wir wissen, dass wir den Kindern nicht die Freude nehmen können. Denn wie sollen sie die Welt entdecken und spielend und mutig in ihr sein können, wenn wir sie zu Schwarzsehern erziehen - oder noch schlimmer, wenn wir sie zu einer Angst erziehen wie die, die Herodes herbeimanipulieren will.

Die Träume leben mitten in den Tatsachen. Das ist es, was die Weisen aus dem Morgenland in Bethlehem sehen. Und das lässt sie auf der Rückreise einen anderen Weg einschlagen. Die Reise ohne Angst. Sie bringen dem Neugeborenen Geschenke, aber sie erhalten selbst das größte Geschenk: Die Ankunft des Guten mitten in unserem Leben.

Wenn wir mit dem äußeren und dem inneren Blick sehen, sehen wir Zeichen für das Gute an jedem Tag. Wir sehen zwei Augen, dahinter aber eine Seele. Wir sehen einen Stern, dahinter aber ein göttliches Gewölbe, das sich über unsere Zukunft spannt. Wir sehen eine Finsternis, aber mitten in ihr eine Krippe, ein innerer Lichtkreis, um den wir und in Freude und Dankbarkeit versammeln können. Amen.



Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen
Frederiksberg, Dänemark
E-Mail: cgh(at)km.dk

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