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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Epiphanias, 06.01.2019

Leitsterne
Predigt zu Matthäus 2:1-12, verfasst von Benedict Schubert

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

als Kind habe ich gelernt, mit Hilfe des Sternbilds vom grossen Wagen, vom grossen Bären den Polarstern zu finden. Damit kann ich in einer sternklaren Nacht immerhin sagen, wo Norden liegt. Leider ist das aber auch das einzige, was ich vom Sternenhimmel zu meiner Orientierung weiss. Dass ich daneben noch ein, zwei andere Sternbilder erkennen und benennen kann, und dass ich das grosse Glück hatte, einige Zeit in Weltgegenden zu leben, wo am Himmel das «Kreuz des Südens» sichtbar ist, das auf der Einladung zum Gottesdienst zu sehen ist, bereichert mich zwar, doch nützlich ist mein rein ästhetisches Wissen nicht. Jede und jeder von Euch erinnert sich hoffentlich an eine Nacht unter einem unglaublich schönen Sternenhimmel; ich denke oft an so eine Nacht mitten in Mosambik zurück. Was ich damals sah, machte mich glücklich und brachte mich zum Staunen – doch mehr nicht. Meine äusserst beschränkten Kenntnisse der Gestirne würden mir nicht helfen, mich auf dem Meer oder in der Wüste zurechtzufinden.

Dabei haben seit alten Zeiten Menschen immer wieder dankbar den Umstand zu nutzen gewusst, dass wir in einem Kosmos leben, in einer geordneten Welt, unter einem Himmel, der sich zwar im Lauf einer Nacht, im Lauf eines Jahres, im Lauf eines Lebens verändert. Diese Veränderungen geschehen aber in einem nachvollziehbaren Rhythmus. Wenn ich begriffen habe, welche Sterne in welchem Tempo über mir kreisen, dann kann ich einzelne als Leitsterne nutzen, die mir den Weg weisen, und ich gelange an mein Ziel.

In der Antike war für jeden Reisenden eine minimale Grundkenntnis des Sternenhimmels überlebensnotwendig. Es gab vor 2000 Jahren indessen auch schon Fachleute in Sachen Himmelskunde. Von solchen berichtet Matthäus am Anfang seines Evangeliums in seiner Weihnachtsgeschichte. Luther nennt sie die «Weisen aus dem Morgenland» und lässt mit dieser Bezeichnung unmittelbar eine Fülle von farbigen, märchenhaften Bildern in uns aufsteigen. Andere Übersetzungen schreiben nüchterner von «Sterndeutern». Die Weisen, die Sterndeuter pflegten eine Wissenschaft, der wir aufgeklärt modernen Menschen eher mit Skepsis gegenüberstehen. Matthäus bezeichnet sie auf Griechisch mit dem Wort, von dem wir den «Magier» ableiten. Er sieht sie als Gelehrte in verschiedenen, teilweise auch verborgenen, esoterischen Gebieten, durchaus auch mit Zauberei. Er stellt sie uns also als ambivalente Gestalten vor. Denn die hebräische Bibel beurteilt jegliche Form von Zauberei äusserst negativ; gleichzeitig konnte sich das Judentum zur Zeitenwende – und auch das kommt mir sehr modern vor – der Magie, der Anziehungskraft der östlichen Vorstellungswelten nicht ganz entziehen.

Wer waren also die klugen Männer aus dem Orient? Gewiss waren sie noch keine Astronomen im heutigen Sinn. Wenn wir sie allerdings als Astrologen bezeichnen, schieben wir sie in die Nähe der einschlägigen Seiten in Gesellschaftsmagazinen oder Gratiszeitungen. Mir gefällt deshalb ausgesprochen gut der Vorschlag, sie als «Astralpropheten» zu bezeichnen.[1]Solche Astralpropheten gab es damals im Mittelmeerraum und im Vorderen Orient; sie konnten aus dem, was sich wie am Firmament bewegte, Deutungen für das ablesen, was um sie herum auf der Erde geschah. Der Sternenhimmel diente ihnen also dazu, die auch damals äusserst verwirrenden, widersprüchlichen, chaotischen Ereignisse der Gegenwart so zu interpretieren, dass doch so etwas wie eine Ordnung und ein Ziel der Geschichte zu erkennen war.

Die Weisen aus dem Morgenland entdeckten einen auffälligen Stern. Nur wer aus der legendarischen Geschichte des Matthäus eine präzise Beschreibung historischer Ereignisse machen will, wird darüber streiten wollen, welcher Stern von den Weisen entdeckt wurde.[2]Für den Evangelisten ist es ein Wunderstern, der gleich zu Beginn seines Berichts schon aufleuchten lässt: Der Messias kommt nicht bloss für das Volk Israel, er kommt für die ganze Welt.

Die Weisen aus dem Morgenland deuten den überraschend erschienenen Stern aufgrund ihrer Traditionen und ihres Fachwissens als Zeichen dafür, dass bei den Juden, im für sie fernen Westen, ein König zur Welt gekommen sei. Natürlich suchen sie das Königskind im Palast, wo Königskinder in der Regel zu erwarten wären. Das gibt Matthäus Gelegenheit, den König Herodes einzuführen, der im weiteren Verlauf einer der grossen Gegenspieler sein wird für Jesus und für die, die auf ihn hören und mit ihm gehen. Matthäus macht von Anfang an klar, dass wir es bei Herodes mit einem ausgesprochen finstern und unappetitlichen Gesellen zu tun haben.

Herodes und ganz Jerusalemscheinen nicht auf den Messias gewartet zu haben; sie erschreckenüber die Nachricht der königlichen Geburt. Sie sehen nicht, dass ein Versprechen eingelöst wird, eine Sehnsucht gestillt, sondern sie befürchten, dass das Kind – wie sich im weiteren Verlauf herausstellen wird: zu Recht – ihre Herrschaftsordnung stören, ihr Machtsystem subversiv unterwandern wird.

Weil das Kind offensichtlich nicht in Jerusalem zur Welt gekommen ist, zieht Herodes alle Hohenpriester und Schriftgelehrtenbei. Neben Herodes lässt der Evangelist also weitere Akteure auftreten, die sich Jesus und Seiner Bewegung entgegenstellen werden. Sie suchen nun in ihrer Tradition nach Möglichkeiten, das Geheimnis zu lüften, von dem die fremden Besucher berichten, ihr Rätsel zu lösen. Fündig werden sie in der Heiligen Schrift, ein Wort aus dem Buch Micha (5,1) liefert den entscheidenden Hinweis: Der endzeitliche König soll in Betlehem geboren werden.

Erstaunlicherweise schickt Herodes die Königskindsucher aus dem Osten alleine nach Betlehem und stellt nicht – wie das bis heute in autoritären Regimes ja üblich ist – durch einen eifrigen Fremdenführer sicher, dass er garantiert an alle Informationen kommt, die ihn interessieren.

Die Kombination von Bibelwort und kosmischem Signal lässt die Weisen schliesslich ans Ziel gelangen. Hocherfreut, zutiefst beglückt sehen sie das Kindlein, beten es an und beschenken es mit Gold, Weihrauch und Myrrhe.

***

Matthäus erzählt uns am Anfang seines Evangeliums eine wunderbare Geschichte. Sie ist voll von Details, die alle unsere Phantasie beflügeln. Wäre Matthäus ein moderner Schriftsteller hätten wir ihn im Verdacht, er hätte beim Schreiben schon zu sehr an die mögliche Verfilmung seines Stoffs gedacht, so visuell ist alles, was darin vorkommt: Die Weisen im Morgenland, ihre Reise unter dem Stern, der verwirrende Besuch im Palast in Jerusalem, die Begegnung mit dem Himmelskind, die Szene mit Mutter, Kind, Fremden und ihren Gaben.

Schon sehr bald war es für die weitere Überlieferung unserer Geschichte klar, dass es drei Männer waren: Die drei Gaben, kombiniert mit der symbolischen Bedeutung der Dreizahl, lassen nicht zu, dass wir uns bloss zwei Sterndeuter vorstellen, oder gar eine Gruppe von elf oder dreiundzwanzig.[3]

In einem der Königspsalmen (Psalm 72,10f) wird jubelnd angekündigt: Die Könige von Tarsis und auf den Inseln sollen Geschenke bringen, die Könige aus Saba und Seba sollen Gaben senden. Alle Könige sollen vor ihm niederfallen und alle Völker ihm dienen.Und bei Jesaja (60,1-3) lesen wir vom zukünftigen Lichtglanz über Jerusalem, und es heisst dort: Die Völker werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zu deinem Glanz, der über dir aufgeht.

Diese beiden Bibelstellen führten schon bald dazu, dass die Weisen aus dem Morgenland zu königlichen Figuren, schliesslich zu veritablen Königen wurden. Dass sie vom Hochmittelalter an immer prächtiger dargestellt wurden, hat jedoch auch eine problematische Seite. Fürsten und Könige gaben die entsprechenden Bilder in Auftrag. Indem sie Ihresgleichen vor dem Kind niederkniend malen liessen, stellten sie sich selbst als solche dar, die vor dem Kind knieten – und damit direkten Zugang hatten zum himmlischen König, also durch diesen auch legitimiert waren.

Die drei König erhielten Namen, Kaspar, Melchior und Balthasar. Weil man, ebenfalls seit dem Mittelalter, davon ausging, dass sie die Nachkommen der Söhne Noachs, also die Erdteile vertraten, wurde und wird immer noch einer von ihnen als Afrikaner mit schwarzer Hautfarbe dargestellt, da und dort trägt ein anderer deutlich asiatische Züge.

In ihren Gaben schliesslich, in Gold, Weihrauch und Myrrhe wurden Hinweise auf Jesus Christus und sein Wirken gesehen – und so weiter: Die Geschichte verleiht unserer Vorstellungskraft Flügel. Jedes Detail ist von hoher symbolischer Bedeutung. Es besteht also auch für uns Predigende keine Gefahr, dass wir sie einmal zu Ende gepredigt hätten.

***

Eingesetzt habe ich mit Beobachtungen zu den Sternen und zur Astralprophetie; damit gab ich gleich zu Beginn zu verstehen, dass ich heute besonders den Stern, den Leitstern bedenken wollte. Und dieser «Stern von Betlehem» lässt mich nun noch drei Fragen stellen:

Die erste Frage schliesst an meinen eigenen Analphabetismus in Sachen Sterne und Sternenhimmel an. Ich habe beim Nachdenken realisiert, dass ich ganz vieles nicht mehr weiss, was früher jede, jeder wusste. Und das ist meine erste Frage: Wieviel Grundwissen über Gott und die Welt ist uns abhanden gekommen – und jetzt sind wir nicht mehr in der Lage zu sehen, wenn etwas Besonderes sich ankündigt, etwas Heilvolles sich anbahnt, etwas Befreiendes in die Wege geleitet wird? Wir werden täglich überflutet mit vollkommen unnötigen Informationen. Ich habe in meinem Kopf viel ganz und gar unnützes, ja womöglich schädliches Wissen gespeichert. Doch wer sieht und weiss noch, was am Himmel sich tut, was im Himmel sich tut, was auf Erden ist und sein soll? Wer kennt noch das Grundmuster, das Gott geschaffen hat, damit wir nicht im Chaos, im Tohuwabohu versinken? Und wer nimmt noch wahr, wenn der Ewige plötzlich ein Licht aufleuchten lässt, das uns den Mut und die Energie gibt, aus dem Gewohnten aufzubrechen, um dort anzukommen, wo wir hocherfreut, tief beglückt niedersinken, anbeten und unsere Gaben grosszügig verschenken können?

Meine zweite Frage hängt mit den «Magiern» zusammen, den Weisen aus dem Morgenland. Matthäus bezeugt provozierend, ihre fremde Kenntnis, ihr befremdendes Können habe sie wissen lassen, dass der von Gott Gesandte da ist. Sie wussten es, bevor die Hohepriester und Schriftgelehrten auch nur etwas davon ahnten. Und so ist dies meine zweite Frage: Zu uns kommen viele Fremde mit viel fremdem Wissen und teilweise sehr befremdendem Können. Möglicherweise werden wir sie erst in ein paar Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten als königliche Besucher wahrnehmen. Doch sind wir bereit, sind wir in der Lage von ihnen zu lernen? Hören wir ihnen genügend sorgfältig zu, sodass wir gegebenenfalls auch aufhorchen, wenn sie uns überraschend mitteilen, dass Heil nahegekommen ist, der Heiland da ist? Trauen wir Gottes Weisheit zu, dass sie selbst, die göttliche Klarheit und Erleuchtung uns über diese fremden Besucherinnen und Gäste erreicht – auch wenn wir darüber erschrecken sollten, weil unser System subversiv unterwandert werden könnte?

Meine dritte Frage schliesslich taucht auf, wo die Bibel zitiert wird. Die Schriftgelehrten und Pharisäer forschen in der Schrift und finden so den Schlüssel, der das Geheimnis aufschliesst. Aus der Schrift wissen sie, wie sie das Heil am richtigen Ort finden und nicht dort, wo sie es vermutet haben. Damals war es ein grosses Privileg, Zugang zur Schrift zu haben. Heute kann jede, kann jeder sich eine Bibel leisten, Du findest sie auch kostenlos online, inklusive Suchfunktion. Doch wer liest noch in der Schrift, wer kennt sie noch? Wem kommen noch überraschende Bibelstellen in den Sinn, und wer kann von ihnen Verbindungen herstellen zu den Fragen, die sich uns heute aufdrängen? Wer kennt die Geschichten noch, die uns helfen, uns dem Leben und seinen Zumutungen zu stellen? Wer kann diese Texte, einzelne Verse, Gleichnisse, Erzählungen noch hilfreich und erlösend abrufen, wenn die Trauer sie überfällt oder der Zorn, wenn sie ungerecht behandelt werden oder sich in ein Dilemma hineinmanövriert haben?

Ihr seht: Ich lese nicht nur eine schöne Geschichte; sie wirft mir diese drei Fragen auf. Glücklicherweise ändern sie nichts daran, was wir feiern dürfen – um es mit Jochen Klepper zu betonen: Noch manche Nacht wird fallen/ auf Menschenleid und -schuld./ Doch wandert nun mit allen/ der Stern der Gotteshuld./ Beglänzt von seinem Lichte,/ hält euch kein Dunkel mehr;/ von Gottes Angesichte/ kam euch die Rettung her(RG 372,4 / EGB 16,4).

 

[1]Aufschlussreich ist dazu die Einleitung von Bruce Malina zu seinem Buch «On the Genre and Message of Revelation. Star Visions and Sky Journeys» (Peabody MA 1995, 1-24).

[2]U. Luz nennt in seinem Matthäuskommentar drei Möglichkeiten: eine für diese Zeit allerdings nicht zu belegende Supernova, ein von chinesischen Astronomen für das Jahr 5/4 v.Chr. bezeugter Komet oder eine von babylonischen Astronomen vorausgesagte Jupiter-Saturn-Konstellation, die 7/6 v.Chr. gar dreimal zu beobachten war (EKK I/1, 115).

[3]Luz betont allerdings, dass die Zahl der Magier lange unbestimmt blieb, und dass in der syrischen Kirche mit 12 Magiern gerechnet wurde, die mit grossem Gefolge nach Jerusalem gezogen seien (EKK I/1,123).

 

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Pfr. Dr. Benedict Schubert, geb. 1957, reformierter Pfarrer an der Peterskirche in Basel nach mehreren Jahren im Dienst der evangelisch-reformierten Kirche in Angola und bei mission 21 – evangelisches missionswerk basel, sowie Lehrauftrag im Fach aussereuropäisches Christentum an der Universität Basel; mit seiner Frau zusammen leitet er das «Theologische Alumneum», ein Wohnheim für Studierende aller Fakultäten.



Pfr. Dr. Benedict Schubert
Basel, Schweiz
E-Mail: benedict.schubert@erk-bs.ch

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