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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Epiphanias, 06.01.2019

Wenn Weise reisen
Predigt zu Matthäus 2:1-12, verfasst von Paul Wellauer

Predigttext Matthäus 2,1-12 Die Huldigung der Sterndeuter [Die Zürcher Bibel (Ausgabe 2007)]

1 Als Jesus in Betlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes zur Welt gekommen war, da kamen Sterndeuter aus dem Morgenland nach Jerusalem 2 und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihm zu huldigen. 3 Als der König Herodes davon hörte, geriet er in Aufregung und ganz Jerusalem mit ihm. 4 Und er liess alle Hohen Priester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle. 5 Sie antworteten ihm: In Betlehem in Judäa, denn so steht es durch den Propheten geschrieben: 6 Und du, Betlehem, Land Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Judas; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der mein Volk Israel weiden wird. [Micha 5,1] 7 Darauf rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und wollte von ihnen genau erfahren, wann der Stern erschienen sei. 8 Und er schickte sie nach Betlehem mit den Worten: Geht und forscht nach dem Kind! Sobald ihr es gefunden habt, meldet es mir, damit auch ich hingehen und ihm huldigen kann. 9 Auf das Wort des Königs hin machten sie sich auf den Weg, und siehe da: Der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her, bis er über dem Ort stehen blieb, wo das Kind war. 10 Als sie den Stern sahen, überkam sie grosse Freude. 11 Und sie gingen ins Haus hinein und sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter; sie fielen vor ihm nieder und huldigten ihm, öffneten ihre Schatztruhen und brachten ihm Geschenke dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe. 12 Weil aber ein Traum sie angewiesen hatte, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.

 

Predigt «Wenn Weise reisen»

Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern durch die Liebe und Gnade Gottes

«Wenn Weise reisen»,habe ich meine heutige Predigt überschrieben: Weise aus dem Morgenland machen sich auf die weite Reise zu einem königlichen Kind im Volk der Juden.

Und mit dem heutigen Sonntag beginnt unsere kirchliche Reise ins Neue Jahr 2019. Werden wir wohl Ende des Jahres darauf zurückschauen und uns selbst auf die Schulter klopfen mit dem Fazit: «Wenn Weise reisen»? Im Sinne von: Wir haben den Weg durch dieses Jahr gut und weise beschritten, Ziele erreicht, Schwierigkeiten überwunden und sind daran gereift. Oder von unserem Bibeltext her gefragt: Welche Hinweise für eine weise, erfüllte und erfolgreiche Reise in die Zukunft können wir dem Bericht der Weisen aus dem Morgenland auf ihrem Weg zur Krippe von Jesus entnehmen?

 

Der heutige Sonntag wird im Kirchenjahr mit «Epiphanias» bezeichnet, was aus dem Griechischen übersetzt «Erscheinung» oder «Aufscheinen» heisst. Gemeint ist damit, dass Gott den Menschen in der Gestalt von Jesus erscheint. Obwohl dieser als Baby wohl nicht anders ausgesehen hat als Hunderte und Tausende von Kindern, die irgendwo in einfachen Behausungen geboren wurden, erkannten die Hirten auf dem Feld (Lukas 2) und die Weisen aus dem Morgenland ein göttliches, königliches und herausragendes Kind. Sie verneigen sich vor ihm, beten es an und loben Gott für diese besondere Geburt. ‘Wenn Weise reisen’, können sie demnach mit göttlichen Begegnungen und Erfahrungen rechnen. Ich wünsche uns im Neuen Jahr, dass Gott uns begegnet und wir weise genug sind, dies auch zu erkennen und zu erfassen.

 

Doch schön der Reihe nach: Wo der Evangelist Lukas von den Hirten auf dem Feld berichtet, die durch die Engel von der göttlichen Geburt erfahren und nach dem ersten Schreck zur Krippe hineilen, sind es hier Weise aus einem weit entfernten Land, die von sich aus zum Schluss kommen, dass im Volk der Juden eine königliche Geburt gefeiert werden kann. Ihre ‘weise Reise’ ist demnach keiner spontanen Engelsbotschaft zu verdanken, sondern ihrem gründlichen Studium der Gestirne am Himmel verbunden mit über Generationen überliefertem Wissen. Wer ‘weise reisen’ will, ist demnach gut beraten, Ziel, Sinn und Bedeutung einer Reise gut zu bedenken und die Erfahrungen aus der Geschichte und von anderen Menschen gut mit zu bedenken. ‘Wenn Weise reisen’, tun sie das nach gründlicher Forschungstätigkeit und reiflichem Nachdenken.


Was genau die Weisen am Himmel gesehen haben, das sie dazu bewegt hat, die weite und beschwerliche Reise zu wagen, ist unter Astronomen und Historikern allerdings umstritten. Der Artikel in Wikipedia zum Stern von Bethlehem *) ist äusserst spannend zu lesen und schlägt verschiedene mehr oder weniger einleuchtende Lösungen vor. Mein persönlicher und vorläufiger Schluss nach der Lektüre: Es gab in der Zeit um Jesu Geburt verschiedene Phänomene am Himmel zu beobachten, die aussergewöhnlich und sehr selten sind. Verbunden mit den historisch verbürgten Bedeutungen, die man einzelnen Sternen und Planeten zuerkannte, spricht auch aus geschichtlicher Sicht einiges dafür, dass sich Sternenkundige auf den Weg gegen Westen machten, um dort ein aussergewöhnliches Ereignis mit eigenen Augen zu sehen. Allerdings sind diese besonderen Himmelsereignisse alle einige Jahre vor unserer Zeitrechnung geschehen, so dass die Geburt von Jesus wohl rund 7 Jahre früher als nach unserer Zeitrechnung stattgefunden haben muss.

 

‘Wenn Weise reisen’, ist dies mit offenen Fragen verbunden: Sie wussten vor ihrer Abreise wenig darüber, was sie erwarten wird. Ihre Vorbereitungen waren bestimmt gewissenhaft und nach allen Regeln der damaligen Kunst der Astronomie und Geschichtsforschung erfolgt, aber sie hatten vor allem viele Fragen, Ahnungen und Hoffnungen, als sie starteten.

Wie sieht es aus, wenn wir reisen? Und wie gestalten wir unsere Reise im Glauben? Mich ermutigen die Weisen aus dem Morgenland, nicht alles bis ins Detail zu planen, sondern ein grosses Paket Neugierde und offene Fragen mit auf den Weg zu nehmen.

So landen die Weisen zunächst am genauso einleuchtenden wie falschen Ort: Sie suchen in Jerusalem, am Hof des «Königs von Roms Gnaden», bei Herodes, nach einem neugeborenen Königskind. Und sie sprechen dort auch aus, was das tiefere Ziel ihrer Reise ist: Sie möchten ihm huldigen, im Ehre erweisen. Es ist demnach nicht allein Neugierde, die sie antreibt, sondern ebenso Ehrfurcht und Respekt. Dieser neue König ist ja nicht der König ihres eigenen Volkes, dem sie natürlicherweise Respekt und Anerkennung schulden würden, sondern der mögliche Herrscher eines fremden Volkes.

 

‘Weise reisen’ könnte demnach auch für uns heissen: Ich begegne der mir fremden Kultur oder Religion mit Ehrfurcht und Wertschätzung. Ich nehme meine Kultur und Tradition nicht einfach zum Massstab aller Dinge, sondern lasse mich darauf ein, dass ich auch in einem anderen Volk und in einer mir wenig bekannten Religion Eindrückliches und Lehrreiches erfahren kann.

Allerdings lösen die Fragen der Weisen aus dem Morgenland im jüdischen «Establishment» einiges an Verwirrung und Schrecken aus: Die Gelehrten suchen in ihren traditionellen Schriften nach Antworten und König Herodes lässt politisches Kalkül einfliessen, weil er um seine Macht fürchtet.

 

‘Wenn Weise reisen’, hat dies auch eine Wirkung auf die Menschen, denen man begegnet:Die Einen regt dies ihrerseits zum Nachdenken und Forschen an, bei den anderen provoziert dies Abwehrreaktionen.

Ganz praktisch und aktuell: Wie gehen wir in unseren Kirchgemeinden damit um, wenn fremde Menschen und neue Lehren «zu Besuch kommen»? – Reagieren wir dann wie die Schriftgelehrten und suchen nach hilfreichen Lösungen oder regiert die Angst um Machtverlust?

 

Die Weisen reisen allerdings weiter: Sie sind noch nicht am Ziel. Den Rat der Gelehrten nehmen sie mit auf ihren Weg. Den Wunsch von Herodes hören sie auch, werden ihn später aber nicht befolgen.

‘Wenn Weise reisen’, geben sie sich mit dem vordergründigen Ziel nicht zufrieden,wenn Zweifel und Unklarheiten auftauchen: Der Wunsch nach Wahrheit und Klarheit treibt sie weiter.

Und ja: Der Stern steht noch immer am Himmel, auch er motiviert sie, eine Etappe weiter zu ziehen.

Den Stern erneut zu sehen, erfüllt sie mit grosser Freude. – Sie erhalten eine unmittelbare Bestätigung, dass ihr erneutes Aufbrechen sprichwörtlich «unter einem guten Stern steht» und das Ziel noch vor ihnen liegt.

Und schliesslich sind sie am Ziel ihrer Reise angekommen: Sie finden das Haus und darin Maria und das Kind. (Auch eine offene Frage: Weshalb wird hier Josef nicht erwähnt?)

Und sie tun das, was sie schon im Morgenland geplant und vorbereitet hatten: Sie zeigen ihre Ehrfurcht und Achtung mit bedeutungsvollen Gesten und Geschenken.

In unseren Breitengraden und unserer kirchlichen Tradition wird ja nicht mehr gekniet, um Gott Ehrfurcht und auch Unterordnung zu zeigen. Diese Weisen aus dem Morgenland verneigen sich tief, ja fallen nieder vor dieser einfachen Frau und ihrem neugeborenen Kind.

Was könnte dies heissen für meine ‘weise Reise’ im Glauben: Wie zeige ich Gott meine Wertschätzung, meine Ehrfurcht, meine Unterordnung?

‘Wenn Weise reisen’, ist es gut, wenn sie wissen, wann Demut und Bescheidenheit, Unterordnung und Ehrerbietung angemessen sind.

 

Die Geschenke, welche die Weisen überbringen, sind ebenso aussergewöhnlich wie bedeutungsvoll: Gold ist da noch das Naheliegendste. Wird ein neuer König geboren, ist dies wohl das angemessene Geschenk.

Weihrauch wird im priesterlichen Handeln oft verwendet: Damals für Rauchopfer und bis heute findet es in unserer katholischen Schwesterkirche bei besonderen gottesdienstlichen Handlungen Verwendung.

Die Weisen drücken damit aus: Dieses neugeborene Kind wird nicht allein eine königliche Funktion haben, sondern auch als Priester Bedeutung erlangen.

Und Myrrhe war damals in der Medizin ein weit verbreitetes Heilmittel. Damit gestehen sie dem Neugeborenen auch zu, dass er eine heilsame Wirkung für sein Volk haben wird, ja, ihr Heiland sein wird.

 

‘Wenn Weise reisen’, weist ihr Reden und Handeln manchmal prophetisch und programmatisch über sie hinaus. – Was aus den Weisen aus dem Morgenland wurde, ist nicht überliefert. Doch was aus dem Kind in den Armen Marias wurde, wird uns in den Evangelien detailgetreu berichtet. Er wird später in Jerusalem königlich empfangen, wird allerdings nicht herrschen wie irdische Könige. Er wird ein priesterliches Opfer bringen: Kein Räucheropfer oder Tieropfer, sondern sich selbst zum Sühnopfer. Und genau so wird er zum Arzt unserer Seelen, in dem er die Reise über unsere irdische Zeit hinaus in die Auferstehung weiterführt.

 

‘Wenn Weise reisen’ hat der Augenblick Bedeutung für die Ewigkeit.

 

Vor genau 500 Jahren hat ein anderer weiser Mensch sich auf Reisen gemacht – von Wildhaus im ländlichen Toggenburg zunächst nach Basel und Bern zur Lateinschule, dann weiter bis nach Wien und wieder nach Basel für sein Theologiestudium. Als Ulrich Zwingli zog er los, als Huldrych Zwingli trat er sein erste Priesterstelle in Glarus an, begleitete Reisläufer (Söldner) in ihren Kriegen nach Italien, auch in die bittere Niederlage von Marignano. Auf den 1.1.1519 wurde er als Leutpriester ans Grossmünster in Zürich berufen.  Entgegen den Gepflogenheiten der katholischen Kirche predigte er nicht über den vorgeschriebenen Bibeltext, sondern begann im Neuen Testament von Anfang an mit der Auslegung des Matthäusevangeliums. Damit begann in der Schweiz die ‘weise Reise’ der Reformation, die mit dem legendenhaften Thesenanschlag Luthers in Wittenberg schon rund 1 ¼ Jahre früher begonnen hatte.

‘Wenn Weise reisen’, sind sie nicht vor Gefahren gefeit:Die Weisen aus dem Morgenland mussten Herodes‘ Rachepläne fürchten, und Zwingli erkrankte in seinem ersten Jahr in Zürich an der Pest. Für die Konservativen in der katholischen Kirche war dies ein Zeichen des Himmels, für die Reformfreudigen umso mehr seine Genesung. [Rund ein Viertel der damaligen Stadtzürcher Bevölkerung (7'000 Menschen) wurden durch den schwarzen Tod dahingerafft.] Zwinglis Glaube wurde durch seine Erkrankung vertieft und gestärkt, sein Wille zur Erneuerung angestachelt.

‘Wenn Weise reisen’, beginnt diese Reise immer mit einem ersten, unscheinbaren Schritt. Bei Zwingli war einer dieser ersten Schritte die fortlaufende Bibelauslegung in deutscher Sprache, als nächste Schritte folgten die Übersetzung der Bibel in die deutsche Kanzleisprache, die Abschaffung der Heiligenverehrung und der katholischen Messe.

Auch er wollte letztlich vordringen zu diesem einfachen Kind in der Krippe, was unter vielen Trümmern der Kirchengeschichte verborgen lag und in den Palästen der Kirche so wenig zu finden war wie 1'500 Jahre früher im Palast des Herodes.

‘Wenn Weise reisen’, tun sie auch heute noch gut daran, tiefer zu graben und hartnäckig nachzufragen, wo Jesus zu finden ist. Könige können irren, die Kirche kann sich in Traditionen verrennen. Die Weisen am Hof des Herodes fanden Antworten in den Heiligen Schriften, aber den Weg müssen ‘weise Reisende’ selbst in Angriff nehmen.

 

Ich wünsche uns allen, dass unsere Reise durchs Jahr 2019 eine ‘weise Reise’ werden darf, auf der wir dem Jesuskind in der Krippe begegnen und Gottes Wort und Weisung als Licht für unseren Weg (Psalm 119,105) erfahren.

 

Amen

 

Liedvorschläge[Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, 1998]

O Heiland, reiss die Himmel auf ERG 361

All Morgen ist ganz frisch und neu         ERG 557

Meine Hoffnung und meine Freude        ERG 704

 

Kleines Senfkorn Hoffnung, T Alois Albrecht, M Ludger Edelkötter, © KiMu Kinder Musik Verlag Pullheim/

RW 74[Rückenwind, Lieder für den Gottesdienst, Hrsg. Evang Landeskirche des Kantons Thurgau, TVZ 2017]

 

 

*)            https://de.wikipedia.org/wiki/Stern_von_Betlehem

 

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Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in den Sozialwerken Pfr. E. Sieber, Zürich



Pfr. Paul Wellauer
Bischofszell, Thurgau, Schweiz
E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch

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