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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erster Sonntag nach Epiphanias, 13.01.2019

Predigt zu Lukas 2:41-52(dänische Perikopenordnung), verfasst von Jens Torkild Bak

In den vergangen Wochen, die mit dem Besuch drei Weisen in Bethlehem am Sonntag der Heiligen drei Könige ihren Höhepunkt hatten, haben wir von mehreren Leuten gehört, die sich zum Jesuskind äußerten und mit seiner Geburt Prophezeiungen verbanden. Ja schon vor seiner Geburt hören wir, wer er ist. Er ist der Sohn Gottes, Christus, der Heiland der Welt.

Heute nun äußert er sich zum ersten Mal selbst – jedenfalls in der Erzählung, der wir hier beim Evangelisten Lukas begegnen. Er ist nun zwölf Jahre alt und weist seine Mutter Maria zurecht, als sie ihre ängstlichen Gefühle und ihre gekränkte Mutterliebe über ihn ergehen lässt:  Wie konntest du uns das antun? Wir, dein Vater und ich, haben lange nach dir gesucht und waren in Angst.

Ihr hattet es gar nicht nötig, nach mir zu suchen, sagt er zu ihr. Ihr habt doch gewusst, dass ich bei meinem Vater sein soll … Oder sie haben vielleicht eben dies vergessen, Maria und Josef. Das, was wir anderen längst wussten. Dass Gott sein Vater ist und dass er deshalb im Hause Gottes zuhause ist. Oder sie haben versucht, es zu vergessen. Es ist nur allzu verständlich, dass sie eine ganz normale Familie sein wollen wie alle anderen Familien, mit einem ganz gewöhnlichen Sohn, der einmal Zimmermann werden soll wie sein Vater und der aus Nazareth stammt.

 

Die Erzählung von dem Besuch des zwölfjährigen Jesus im Tempel in Jerusalem, dem Haus Gottes, ist die einzige ihrer Art im Neuen Testament.

Es waren möglicherweise mehr solche Erzählungen über seine Jugend im Umlauf, oder besser, es hat sie gegeben in der mündlichen Überlieferung. Sie sind aber hier nicht aufgenommen. Mit dieser einen Ausnahme haben wir im Neuen Testament sonst nur einerseits die Geschichten von seiner Geburt (bei Matthäus und Johannes) und andererseits die Berichte über sein öffentliches Auftreten und Wirken aus der Zeit, als er etwa 30 Jahre alt war.

Man kann deshalb sehr wohl sagen, dass diese Erzählung eine große Lücke zu schließen versucht in der Geschichte von Jesus, wenn es darum geht, die Neugier nach einem Wissen über die dazwischen liegende Periode zu befriedigen.

Im Lichte seiner späteren Bedeutung ist es nur natürlich, wenn man zurückgefragt hat nach seiner Jugend, um Erklärungen zu finden für den ganz ungewöhnlichen Lebenslauf, der ihm zuteilwurde, und um möglicherweise frühe Zeichen für seine außerordentliche Begabung aufzuspüren.

Die Biographien großer Männer haben ja zu allen Zeiten Erzählungen enthalten, wie sie schon in ihrer Kindheit und Jugend besondere Fähigkeiten aufwiesen.

Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus, der im ersten Jahrhundert nach Christus lebte, schreibt so über Moses, dass sein Verstand seinem Alter weit voraus war und dass seine Kindheit deshalb die noch größeren Taten ankündigte, die er als erwachsener Mann vollbringen sollte – und er nennt dabei diese Dinge: Schon als Kind war er groß gewachsen und ein schönes Geschöpf, die Leute sahen sich nach ihm um auf der Straße. Und auf Grund seines Wesens war er der Liebling aller.

Das erinnert uns dann auch ein wenig an das, was der gute Josephus bestimmt nicht ohne Selbstbewusstsein von seinen eigenen Jahren als Teenager erzählt: Als ich noch ein halberwachsener Junge von vierzehn Jahren war, wurde ich von allen für meine Liebe zu Büchern gelobt. Die Hohen Priester und die führenden Männer der Stadt kamen dauernd, um von mir genaueres über die gesetzlichen Bestimmungen zu erfahren. In der Tat – und wer hatte denn ein solches Kind!

 

Nun denn. Nachdem wir so diese besondere Erzählung in das Genre von Geschichten über die Jugend berühmter Männer eingeordnet haben, ist es an der Zeit zu fragen, was uns die Geschichte eigentlich von Jesus erzählt, in welcher Weise ihn dieser stark verlängerte Besuch im Tempel kennzeichnet.

Und das ist ganz einfach, denn ich sehe zwei Dinge, die wir von Jesus erfahren, nämlich dass er ein frommes Kind ist und ein selbständiges Kind.

 

Frömmigkeit und Selbständigkeit sind keine unbekannten Tugenden, aber sie sind nicht immer in derselben Person vereint.

Frömmigkeit ist nämlich nicht immer mit Selbstständigkeit verbunden, und Selbstständigkeit führt nicht immer zu Frömmigkeit. Vor allem, wenn es um die beginnenden Prozesse der Selbständigkeit und Emanzipation geht, so scheinen diese – jedenfalls in den Augen der Eltern – oft unbegreiflich große Umwege zu gehen, wenn  das Ziel ein Leben in Frömmigkeit oder nur in gesunder Vernunft ist. Das Eigentümliche an dem Bild, das diese Erzählung von Jesus zeichnet, ist also die besondere Verbindung von Frömmigkeit und Selbstständigkeit.

Als ein frommes und gehorsames Kind übernimmt er die religiöse Tradition, in der ihn die Eltern erzogen haben. Aber er tut das mit einer Selbständigkeit und persönlichen Souveränität, die sie erschreckt und erschüttert. Ja angeblich sind sie davon völlig überrascht - auch wenn das, was er seiner Mutter sagt, sie nicht überraschen sollte. Aber jetzt sitzt er jedenfalls dort im Tempel im Gespräch mit den Gelehrten, und er ist mit seinen Fragen und Antworten ganz auf ihrer Höhe. Das können die Eltern nicht verstehen, und das sollen sie wohl auch nicht verstehen können. Das ist nicht normal, kann man sagen. Später treibt er es dann mit der selbstständigen Auslegung der religiösen Tradition zum Äußersten, um nicht zu sagen noch weiter als das.

Die innere Übereinstimmung ist nicht zu übersehen, die zwischen der Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel und der Denkstruktur in den Zehn Geboten besteht, vor allem in der Reihenfolge der Gebote.

Die ersten drei Gebote betreffen das Verhältnis eines Menschen zu Gott. Die drei ersten Gebote betonen den Gehorsam, den der Mensch vor allem Gott schuldig ist. Dann kommen die sieben ethischen Gebote, die das Verhältnis des Menschen zu seinem Mitmenschen betreffen. Das erste der sieben ethischen Gebote, das vierte Gebot von den zehn heißt: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.

Ganz gleich wie wichtig dieses Gebot: Du sollst deine Vater und deine Mutter ehren, ist, es ist klar dem Gebot des Gehorsams gegenüber Gott untergeordnet – was man natürlich nicht sagen soll, wenn Kinder dabei sind, aber nun ist die Katze aus dem Sack!

Das mehr allgemeine Verständnis, das diese Erzählung – und dies in einer im Grunde sehr schönen Weise – vermittelt, ist dies, dass die Selbstständigkeit des Menschen in seinem Gottesverhältnis wurzelt. So stellt man sich das nicht immer vor, aber so ist es im Christentum.

Man wird nicht selbstständig, indem man die Tradition und das Bestehende verwirft. Das kann vielleicht eine kurze Erleichterung und Befreiung bringen, danach aber beherrscht uns die Entwurzelung – und macht alles noch schlimmer.

Es gibt aber eine geistige Kraft im Gottesverhältnis, die Kraft, die der zwölfjährige Jesus hier seinen Eltern verkündet und mutig auf ihre persönlichen Erwartungen bezieht, eine Kraft, die uns Wurzeln gibt und Wachstum, Identität und Freiheit. Oder mit anderen Worten eine Kraft, die diese eigentümliche Verbindung von Frömmigkeit und Selbständigkeit schafft (das eine kann nicht ohne das andere existieren) und die die wohltuende und erbauliche Doppelheit im Leben eines Christenmenschen ist. Einen schönen Sonntag! Amen.



Dompropst Jens Torkild Bak
Ribe, Dänemark
E-Mail: jtb(at)km.dk

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