Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Epiphanias, 20.01.2019

Predigt zu Römer 12:9-16, verfasst von Rainer Kopisch

Liebe Gemeinde,

ein Kreis ist eine Menge von Punkten, die von einem Punkt gleichweit entfernt sind. Dieser Sachverhalt setzt Phantasien und Gefühle frei, sobald von Kreisen die Rede ist. Wir Menschen scheinen wie von Natur aus zu wissen, wie wichtig Kreise sind.

In der Tat ist das menschliche Leben von Kreisen vielfältiger Art geprägt.
Das Leben geschieht in Kreisen.
Gottes Gedanken über das Leben auf der Erde nach der Sintflut sind im Alten Testament wiedergegeben und zeigen die unser Leben prägenden Kreisläufe:
„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören, Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“
Wir kennen andere weitere Kreisläufe, medizinische wie den Blutkreislauf, wirtschaftliche wie den Kreislauf des Geldes, mitmenschliche wie den Kreislauf des Gebens und Nehmens.
Wir Menschen bewegen uns in Kreisen vom Kreis der Familie an in immer größeren.

Wo Menschen sich miteinander bewegen, bedarf es Regeln für alle, die Menschen helfen, Kompromisse eingehen zu können.

Wie ist das in Kreisen, die von christlichen Werten bestimmt sein sollten?

Der Apostel Paulus hat die Gemeinde als Leib Christi verstanden und hat darauf hingewiesen, dass zu einem Leibe viele Teile gehören, die verschieden aber in ihrer Vielfalt zur Funktion der Kreisläufe eines lebendigen Körpers gleich wichtig sind. Die Konsequenz dieses Bildes des Lebens der Christen miteinander finden wir auch in unserem heutigen Predigttext:


9. Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an

  1. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich.

Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor.

  1. Seid nicht träge in dem, was ihr tun soll. Seit brennend im Geist. Dient dem Herrn/Achtet auf den schicksalshaft entscheidenden Zeitpunkt.
  2. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
  3. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft
  4. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht.
  5. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.
  6. Seit eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach den hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Geringen. Haltet euch nicht selbst für klug.
    Als Paulus der Gemeinde in Korinth sein Bild der Gemeinde als Leib Christi darstellte, hat er eine Verbesserung des Umgehens der Gemeindeglieder miteinander vor Augen gehabt.

Wie können wir als Christinnen und Christen so miteinander so umgehen, dass es uns und anderen erlebbar deutlich wird, wir gehören zu Christus?
Jesus war die leibgewordene Liebe Gottes. Als Gemeinde Jesu Christi sind wir als sein Leib.
Es ist unsere Aufgabe, Gottes Liebe erlebbar für andere lebendig werden zu lassen.

Der Kirchvater Hieronymus war in seiner Zeit ein vielgefragter Ratgeber zu Fragen, wie Christen und Christinnen ihr persönliches Leben führen sollten.
Eins war ihm wichtig zu betonen: Wir Menschen sind einander Vorbild.
Das heißt, wir können mit unserer eigenen Art zu leben auch Zeugnis für Gottes Liebe sein.

Natürlich müssen wir uns persönlich fragen, wie weit wir damit im eigenen Leben gekommen sind.


Hilfreich dabei ist weniger die Frage, ob und welche Gebote wir befolgt haben, sondern welche eigenen Erfahrungen wir mit den vielfältigen Möglichkeiten haben, bewusst als Christ zu leben.

Die Möglichkeiten, die Paulus in unserem Predigttext aufzeigt, werden uns deutlicher, wenn wir uns seinem griechischen Text nähern.


Mit Hilfe der Wort-für-Wort-Übersetzung von Ernst Dietzfelbinger möchte ich das tun.
In Reihenfolge der Verse lese ich den Predigttext langsam:  

  1. Die Liebe ungeheuchelt, das Böse verabscheuend, dem Guten anhängend,
    10. innig mit dem Herzen liebende brüderliche (besser gesagt „geschwisterliche“) Liebe untereinander,
    zuvorkommende einander übertreffende Ehrerbietung,
  2. im Eifer nicht zögernd,
    im Geiste brennend,

dem Herrn dienend ( im gegenwärtigen Augenblick nach seinem Willen fragend )

  1. freuend in der Hoffnung,
    standhaltend in Bedrängnis,
    am Gebet festhaltend,
  2. anteilnehmend an den Bedürfnissen der Geschwister im Glauben,
    Gastfreundschaft übend,
  3. Segnet, die euch verfolgen, segnet und flucht nicht.
    15. freuen mit den Freuenden und
    weinen mit den Weinenden
    16. dasselbe gegeneinander denkend,

nicht die hohen Dinge denkend, sondern zu den niedrigen Dingen sich herabziehen lassend.

Haltet euch nicht selbst für klug.

 

Sie werden gespürt haben, wie unterschiedlich die Worte Sie angesprochen haben.
Sie haben Einfälle gehabt, Erinnerungen sind Ihnen ins Bewusstsein gekommen.

Paulus wollte die Leser und Hörer in der Gemeinde in Rom auf Ihre persönlichen Gaben aufmerksam machen und Ihnen die Möglichkeit geben, daraus ihre Aufgaben zu erkennen.

Unser Predigttext ist keine Liste allein von Geboten für das Leben einer Christin oder eines Christen.
Es ist eine Liste von Möglichkeiten, deren Übernahme den persönlichen Entscheidungen von Menschen überlassen ist.

Natürlich wäre eine Gesprächsrunde mit der Eingangsfrage gut: Was hat mich besonders angesprochen?

Es ist natürlich möglich, die Predigt mit dem Text als Wort-für-Wort-Übersetzung herunterzuladen und die einzelnen Worte des Paulus in Ruhe zu betrachten.

Manche davon werden den Weg bis in Ihr Herz finden.
Sie haben dabei die Möglichkeit, die Worte ungestört in Ihrem Herz probesitzen zu lassen.

 

Ein anderes Thema beim Umgang mit dem Text des Paulus sind die Warnungen vor dem Bösen.
In unserem Predigttext sagt Paulus „ das Böse verabscheuend, dem Guten anhängend“
Das Schwierige dabei ist, dass wir es mit der Fähigkeit zum Bösen in uns selbst zu tun haben,
das sich manchmal gern anbietet. Wir kennen zum Beispiel Aggression.
Die Fähigkeit zur Aggression ist eigentlich eine nützliche Fähigkeit, um im guten Sinn auf einander zugehen zu können. Dabei können wir miteinander das zu klären, was uns beide betrifft. Sie hilft manchmal auch, unnötige Angst voreinander zu vermeiden und andere besser zu verstehen.
Aggression im bösen Sinne, wie wir sie in den verschieden Nachrichten hören, lesen und im Fernsehen sehen können, sollte für uns tabu sein. Wir haben als Christinnen und Christen Vorbildfunktionen.

Die andere Klippe hält Paulus für so wichtig, das er die Gebotsform wählt:
„Segnet, die euch Verfolgen , segnet und flucht nicht.“
Segnen in der Kraft Gottes hat eine starke Wirkung und bleibt nicht ohne Wirkung.
Fluchen ist eine Irreführung des eigenen gesunden Menschenverstandes, eine massive Verdrängung der eigenen Angst und ein Verleugnen der göttlichen Kraft, die im Segen liegt.
Gegen die Angst hat Luther sein Lied von der festen Burg geschrieben.
Es tut gut, es zu singen, auch wenn der Text natürlich Bilder aus der Zeit Luthers verwendet.



Eine andere Lebensweisheit passt zum Thema Klippe im Umgang miteinander:

„Gut gemeint, ist nicht immer gut getan.“

Oft geht Gutgemeintes daneben.

Sagt zum Beispiel eine Schwiegermutter nachher: „Ich habe es doch nur gut gemeint.“

Doch ihre Schwiegertochter leidet trotzdem.
 
Es ist nicht nur für christliche Schwiegermütter zu beachten, was im letzten Vers steht:
Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach den hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Geringen. Haltet euch nicht selbst für klug.

 

Amen

 

____________

Zur Erstellung der Exegese des Textes habe ich das Theologische Wörterbuch zum NeuenTestament von Kittel in der ersten Auflage und die Interlinearübersetzung von Ernst Dietzfelbinger in der dritten Auflage benutzt. Die empfehlenswerten Predigthilfe von Wilhelm Stählin mit dem Hinweis auf die Textvariante Kairos zu Kyrios habe ich gelesen.

 

____________

Rainer Kopisch, Pfarrer in Ruhe der Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig, Seelsorger mit logotherapeutischer Kompetenz,

letztes selbstständiges Pfarramt: Martin Luther in Braunschweig,

in der Vergangenheit: langjähriger Vorsitzender der Vertretung der Pfarrer und Pfarrerinnen in der Landeskirche, Mitglied in der Pfarrervertretung der Konföderation der Landeskirchen in Niedersachsen, Mitglied in der Pfarrvertretung der VELKD, Mitglied in der Fuldaer Runde.

Mit meiner Predigt zum Gottesdienst anlässlich meiner Entpflichtung aus dem aktiven Dienst, die im Predigtportal der Göttinger Unipredigten erschien, wurde ich Internet-Prediger.



Pfr.i.R. Rainer Kopisch
Braunschweig, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de

(zurück zum Seitenanfang)