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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Epiphanias, 27.01.2019

Auf unbekanntem Terrain
Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 3:1-8a.10-14, verfasst von Luise Stribrny de Estrada

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

 

Hören wir den Predigttext für den heutigen Sonntag. Er steht im Zweiten Buch Mose im dritten Kapitel:

 

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!

 

Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt…So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

 

Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge.

 

Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.

 

Mose und der brennende Dornbusch – mich fasziniert diese Geschichte seit Kindertagen. Aber ich möchte nicht bei dem Strauch stehen bleiben, der in Flammen steht ohne zu verbrennen, sondern tiefer in die Geschichte hinabsteigen. Ich lade Sie ein mitzukommen.

 

Mose trifft zufällig auf Gott. Er lässt sich in ein Gespräch mit Gott verwickeln. Er stellt ihm Fragen, die ihn schon lange umtreiben, Grundfragen des Lebens. Hier, an diesem besonderen Ort, kann er sie stellen. Und er ist bereit, Gottes Antworten zu hören. Er öffnet sich für etwas Neues, denn Gottes Antworten lassen ihn nicht dort stehen bleiben, wo er bisher stand. Sie setzen ihn in Bewegung.

 

Wie war das mit Mose, wie kommt er zu diesem brennenden Dornbusch? Mose musste wegen eines Mordes aus Ägypten fliehen und wich auf die Halbinsel Sinai ins Land der Midianiter aus. Hier wird er Hirte, heiratet und weidet die Schafe seines Schwiegervaters. Tage- und wochenlang wandert er mit ihnen durch die Wüste. Er hat Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen und sie neu zu ordnen, Zeit auch, über Gott zu sinnen. - Viele Menschen der Bibel verbringen eine Zeit ihres Lebens in der Wüste, oft um sich darüber klar zu werden, wie es mit ihnen und ihrem Leben weitergehen soll. So auch Jesus, der nach seiner Taufe vierzig Tage in die Wüste geht, um zu klären, was er mit der Kraft, die er in sich spürt, anfangen will und gegen die Versuchungen des Widersachers anzukämpfen.

 

Wie ist es, in der Wüste zu sein? Meine Freundin machte sich zu Fuß auf eine Pilgerreise durch die Wüste Sinai und setzte sich dieser fremden, gewaltigen Welt aus. Sie beschreibt eine Nacht mitten in der Wüste so:

“Ich blickte in den Himmel mit der unendlichen Zahl von Sternen und dem zunehmenden Mond. Unter dem Licht herrschte tiefe Stille. Kein Laut war zu hören, nur manchmal ein feines, rieselndes Geräusch, wenn der Wind über die Steine strich und etwas Sand oder welkes Laub vor sich her trieb. Durch die Sterne hindurch konnte ich in die Unendlichkeit des Alls und zu Gott aufschauen...”

 

So ähnlich mag es Mose in vielen Wüsten-Nächten gegangen sein. Eines Tages treibt er „die Schafe überdie Wüste hinaus”, in unbekanntes Terrain. Mose geht weiter, als er bisher jemals gekommen ist, vielleicht zu weit. Er verlässt das bekannte, vertraute Land und wagt sich vor ins Unerforschte. Ob absichtlich oder zufällig, bleibt dahin gestellt. Aber nur dieses Überschreiten einer Grenze lässt ihn vordringen bis zum Berg und den Busch entdecken, der brennt, ohne sich zu verzehren. Er findet einen besonderen Ort.

 

“Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füssen, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land”, ruft Gott ihm zu. Und Mose gehorcht, beeindruckt von der Heiligkeit dieses Stücks Erde und aus Scheu, sie zu entweihen. Barfüßig steht er vor Gott und hat sich ohne die schützenden Schuhe verletzlich gemacht. - Aber er legt sie auch ab, weil er angekommen ist und keine Schuhe mehr braucht. Hier wird er bleiben und verweilen, die Schuhe sind jetzt überflüssig geworden und nur noch Ballast, den er hinter sich lassen kann.

 

An diesem Ort kann er Fragen stellen, die ihn schon lange beschäftigen, Fragen nach Grund und Wurzeln des eigenen Lebens. Hier kommt er dem Geheimnisvollen nahe, das er zunächst nicht versteht. Er öffnet sich für die neue Erfahrung und macht sich verwundbar.

 

Wie ist das bei uns, gibt es auch für uns solche Orte jenseits des Alltags, die neue Horizonte eröffnen? Die uns zu den wirklichen Fragen gelangen lassen, wo wir Zeit haben, uns ihnen auszusetzen? Orte, wo die Anforderungen des Alltags uns nicht erreichen und wir zeitlos und zwecklos leben können? Ich habe das erlebt, als ich für eine Woche Gast in einem Kloster war. Ich hatte Zeit zum Spazierengehen, zum Nachdenken und Lesen. Zeit, um nach innen zu horchen und aufmerksam für Gott zu sein. Lebensfragen stiegen auf: Wer bin ich, und wer will ich sein? Welchen Sinn hat das, was ich erlebe? Gibt es Gott? Wer ist er? Ich konnte mich diesen Fragen stellen, ohne Angst davor zu haben, mich verwundbar zu machen. Ich war aufgehoben im täglichen Gebet der Schwestern, das mich stützte, und ich war nicht allein. Die Schuhe, die mich geschützt hatten, hatte ich abgelegt. Ich konnte mich den Fragen aussetzen.

 

Besondere Orte sind auch unsere Kirchen und Gottesdienste. Schon wenn wir die große Tür durchschreiten, die grösser ist als nötig, kehren wir dem normalen Leben den Rücken und betreten einen Raum jenseits des Alltäglichen. Dieser Raum hat einen anderen Klang. Wer in der Kirche angekommen ist, befindet sich jenseits der Zeit und braucht keinen Zweck zu verfolgen. Es reicht, da zu sein und sich mittragen zu lassen vom Strom des Gottesdienstes, seinen Gedanken nachzuhängen und in die Gebete und Lieder der anderen laut oder leise mit einzustimmen. Wir spüren, dass wir nicht allein sind und andere mit uns auf dem Weg gehen. Es mag einen Raum geben für Trauer und für Trost, es mag sich etwas klären in dieser Zeit des Gottesdienstes, wir können uns neu auf die Mitte ausrichten. Vielleicht, hoffentlich können wir gestärkt in unseren Alltag zurückkehren, bereit für neue Aufgaben.

 

Mose findet seinen besonderen Ort dort draußen hinter der Wüste. In dem brennenden Busch hört er die Stimme Gottes. Dieser stellt sich Mose als ein vertrauter Fremder vor, er sagt ihm: “Du selbst hast mich zwar noch nicht kennengelernt, aber deine Väter. Ich bin ihr Gott, von dem du schon gehört hast.” Es gibt Erfahrungen mit Gott, die Mose jetzt sicherlich einfallen, wie die Verheißung eines neuen Landes für Abraham. Wie gut, dass nicht alles mit ihm neu anfangen muss, dass er nicht alles erst zu erfinden braucht! Er kann an das anknüpfen, was andere vor ihm mit Gott erlebt haben.

 

Im Dialog, der sich zwischen Gott und Mose entspinnt, merkt man, dass Mose schnell mit Gott vertraut wird. Er lässt sich nicht einfach zum Pharao, vor dem er ja geflüchtet war, zurückschicken, sondern fragt nach. Gott antwortet ihm und geht auf seine Fragen ein, so dass sein Mut wächst. Der Gott, der ihm zuerst fremd war, wird vertrauter.

 

Den Höhepunkt erreicht dieses Gespräch, als Gott Mose seinen Namen offenbart: “Ich werde da sein, als der ich da sein werde”. Er heißt nicht “Der Höchste” oder “Der Herr”, auch nicht “Der Allmächtige”, sondern er nennt sich nach dem, was er tut. Er ist da für Mose, für sein unterdrücktes Volk - und auch für uns. Der Name Gottes, JHWH, leitet sich von dem hebräischen Wort für “geschehen, da sein” ab und ist dynamisch gemeint. Mit diesem Gott kommt etwas in Bewegung, es geschieht etwas Neues. Und Gott existiert nicht für sich, abgetrennt von den Menschen und der Welt, sondern im Dialog mit uns: “Ich bin für dich, für euch da”, sagt er mit seinem Namen, “ich lasse mich auf euch ein. Ich habe das Elend meines Volkes, sein Schreien gehört und kenne seine Schmerzen.” So hört er auch heute das, was uns zustößt und lässt es sich zu Herzen gehen.

 

Das besondere bei dem Namen “Ich werde da sein, als der ich da sein werde”, ist, dass das Hebräische keine fest abgegrenzten Zeiten kennt, nicht scharf zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterscheidet. Was Gott über sich selbst sagt, ist nicht abgeschlossen, sondern auf die Zukunft hin offen. So ist das Ausblicken auf das, was noch geschehen soll, auch in dem Gespräch mit Mose entscheidend.

 

Die Begegnung mit Gott ändert alles. Mose richtet sich neu aus. Er verlässt sein altes Leben, das Dasein als Schafhirte und Familienvater in einem anderen Land und kehrt zurück. Zurück in seine Heimat, aus der er geflohen war, wo ihm der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war. Jetzt geht er genau dorthin. Warum? Weil der Gott, dem er begegnet ist, ihm einen Auftrag gegeben hat: Er soll sein Volk aus Ägypten führen. Und Mose ist sich auf einmal sicher: Ja, das ist meine Bestimmung. Das will ich tun. Dafür lohnt es sich zu leben.

 

Wie ist das mit uns? Hat Gott für mich eine Aufgabe? Ich glaube, ja. Ich glaube, dass Gott mich braucht, jeden von uns an seinem Ort. Er hat uns vielleicht nötig, um als Christ oder Christin zu leben, so dass andere nachfragen. Er braucht uns, um anderen zur Seite zu stehen und ihnen zu helfen. Gott ist auf uns angewiesen, um uns für den Frieden einzusetzen.

 

Welches unser Auftrag ist, finden wir heraus, wenn wir auf Gottes Wort hören und mit ihm sprechen.

 

Dabei helfe uns Gott, der Immerdar und Immerdort.

 

Amen.

 

 

Liedvorschläge:

Vertraut den neuen Wegen       EG 395

Und suchst du meine Sünde      EG 237

Gott hat das erste Wort            EG 199

Wie schön leuchtet d. M.           EG 70, besonders Str. 4

Du Morgenstern                       EG 74

Go down, Moses

 

 

Fürbittengebet

Großer Gott,

wir bitten dich für die Menschen, die auf der Suche sind:

auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens,

auf der Suche nach dem, was ihnen Halt gibt.

Hilf ihnen, die Unsicherheit auszuhalten

und schenke ihnen Geduld auf ihrem Weg.

Lass sie Oasen finden, an denen sie ausruhen können.

Schicke ihnen Menschen, die sie begleiten.

Geh du an ihrer Seite

und lass sie das finden, was ihrer Seele gut tut.

Amen.

 

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Luise Stribrny de Estrada (Jahrgang 1965) ist Pastorin der Nordkirche. Von 2001-2009 war sie als EKD-Pfarrerin in der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Mexiko. Seit 2009 ist sie Pastorin in Lübeck in der St. Philippus-Kirche.



Pastorin Luise Stribrny de Estrada
Lübeck, Schleswig-Holstein, Deutschland
E-Mail: pastorin.stribrny@gmx.de

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