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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Epiphanias, 27.01.2019

Ich war, bin, werde sein
Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 3:1–8a(8b.9)10(11–12)13–14(15), verfasst von Sven Keppler

I. „Ich finde, wir dürfen auf keinen Fall nur in die Vergangenheit sehen! Viel spannender wären doch unsere Zukunftsträume!“ „Das finde ich nicht in Ordnung. Als Christen leben wir doch aus unserer Geschichte. Aus dem, was Jesus gesagt und getan hat. Aus unserer Tradition!“

Vor 300 Jahren wurden unserer Kommune die Stadtrechte verliehen. Wie auch vielen anderen Orten im preußischen Ostwestfalen. Zu diesem Anlass wird es ein großes ökumenisches Gemeindefest geben. Als die Planungen beginnen, treffen jedoch zwei Haltungen aufeinander. Die einen wollen Geschichte und Tradition erkunden. Sie sind an unserer Herkunft interessiert. Die anderen wollen in die Zukunft blicken.

„300 Jahre in unserer Stadt“ oder „300 Zukunftsträume“ – zwei Konzepte stehen gegeneinander. Und darin spiegelt sich eine Alternative, die auch sonst immer wieder aufbricht.

Genieße ich es im Gottesdienst, mich in einer altvertrauten Liturgie zu Hause zu fühlen? Schätze ich es, mich der Geborgenheit der Tradition überlassen zu können? Oder spüre ich in der Veränderung meine Lebendigkeit? Bin neugierig darauf, andere Formen zu entdecken und auszuprobieren? Möchte ich lieber barocke oder lieber moderne Lieder singen?

Bin ich ganz persönlich eher ein Bewahrer, ein Sammler? Einer, der lieb gewordene Schätze pflegt und an die nächste Generation weitergibt? Oder einer, der aufräumt, um Platz für Neues zu schaffen? Macht mir die automatisierte, digitale Welt Angst? Oder genieße ich die Fülle der technischen Möglichkeiten?

 

II. Liebe Gemeinde, in unserem Predigttext scheint Gott sich ganz eindeutig zu entscheiden. Für die Zukunft! Gott ist unsere Zukunft. Er trägt die Zukunft sogar in seinem Namen. Gott und die Zukunft sind eins.

Mose ist Gott gerade zum ersten Mal begegnet. Am brennenden Dornbusch. Und am Ende fragt Mose Gott nach seinem Namen. Als Antwort lesen wir in der Lutherbibel: Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: „Ich werde sein“, der hat mich zu euch gesandt.

Gott selbst stellt sich vor. Er verrät Mose seinen Namen. Und dieser Name ist voller Zukunft: Ich werde sein! Aber, Ihr Lieben, wenn es doch so eindeutig wäre…

Auch in seinem Namen ist Gott geheimnisvoll. Wenn wir glauben, ihn ein bisschen zu fassen zu kriegen, stehen wir im Nu vor einem noch größeren Geheimnis. Gottes Selbstvorstellung ist uns auf Hebräisch überliefert. Und im Hebräischen funktionieren die Zeiten ganz anders als bei uns. Das Wort „ich werde sein“ kann genauso gut mit „ich bin“ übersetzt werden. Und sogar mit „ich war“!

Und so gibt es die unterschiedlichsten Übersetzungen von Gottes Namen: „Ich werde sein, der ich sein werde“. „Ich bin, der ich bin.“ „Ich bin der Seiende.“ Oder sogar: „Ich bin das Wesen, welches ewig ist.“ Für das Gemeindefest scheint also nichts gewonnen zu sein. Die Freunde der Zukunft können sich auf die Lutherübersetzung berufen. Während die Bewahrer der Tradition übersetzen dürfen: „Ich bin, der ich war.“

 

III. Es ist ein geheimnisvoller Name, mit dem Gott sich vorstellt. Wie könnte es auch anders sein! Ich muss an ein Koan denken. Das ist ein Satz im Buddhismus, der ganz absichtlich voller Rätsel ist. Indem man sich an ihm abmüht, gerät man tief ins Nachdenken. Man beschäftigt sich mit sich selbst. Mit der Beziehung, in der ich zu meiner Umwelt stehe. Mit den Tiefen des Daseins.

So ein Koan ist keine Denksportaufgabe. Kein besonders kniffliges Rätsel, das einen pfiffigen Lösungsweg verlangt. Keine Geschichte um die Ecke, die nur die Schlausten knacken können. Sondern oft gibt es gar keine Antwort. Indem ich mich an dieser Herausforderung abarbeite, kann ich wachsen.

Berühmt ist das Koan „Mu“. „Mu“ heißt „Nichts“ oder „Da ist nichts“. Dieses Koan geht so: Zu Priester Joshu kam ein Mönch und fragte ihn: „Hat ein Hund Buddhanatur oder nicht?“Joshu antwortete: „Mu.“ Also „Nichts“ oder „Da ist nichts“ – Da dürfen Sie gerne drüber nachdenken. Aber bitte erst zuhause…

Ist Gottes Name wie ein Koan? Ein Satz, an dem wir wachsen dürfen? Ein Geheimnis, das uns in die Tiefen des Daseins führt? Und an dem wir letztlich erkennen dürfen, wie wenig wir wissen können über Gott und die Welt?

Und würde das für unser Gemeindefestbedeuten? Lassen wir es lieber und treiben Meditation? Und entdecken am Ende vielleicht, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft letztlich doch ein und dasselbe sind?

 

IV. Ja, ihr Lieben, letztlich wird Gottes Name ein Geheimnis für uns bleiben. Aber in unserem Predigttext gibt es wichtige Hinweise darauf, wie wir diesen Namen verstehen dürfen. Der Name ist nämlich nicht nur ein Satz, über den wir endlos philosophieren oder meditieren können. Sondern dieser Name gehört in eine Geschichte. Es ist die Geschichte, wie Mose Gott zum ersten Mal begegnet. Hören wir auf diese Geschichte: [lesen: Ex 3,1-15]

Mose war in Ägypten geboren worden. Er war ein Kind der israelischen Flüchtlinge. Arbeitsmigranten, die im Nildelta lebten. Dann hatte Mose erneut fliehen müssen, auf den Sinai. Er hatte eine Braut gefunden und arbeitete als Pastor. Als Hirte der Schafe seines Schwiegervaters.

Beim Schafehüten kommt er an den geheimnisvollen Gottesberg. Und dort sieht er diesen geheimnisvollen Dornbusch. In ihm brennt ein Feuer, ohne ihn zu verzehren. Mose erkennt, dass er an diesem Ort in der Gegenwart Gottes ist. Auf heiligem Land.

Als erstes nennt Gott Mose beim Namen. „Mose!“ Sagt er. Mit dem Namen beginnt alles. Er sagt: Ich kenne dich. Ich weiß, wer du bist. Wie du heißt. Gott ist kein Nichts. Kein Mu. Er kennt uns. Und wir dürfen ihn kennen lernen.

Und deshalb sagt Gott zu Mose: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ Mit anderen Worten: Ich bin der Gott, von dem du schon gehört hast. Der Gott, von dem dir erzählt worden ist. Der Gott, der deinen Vorfahren geholfen hat. Und der ihnen zugesagt hat, für immer für sie da zu sein.

Die beiden begegnen sich in der Gegenwart. Und der Blick geht zuerst in die Vergangenheit. So entsteht Vertrautheit. Vergewisserung. Mose steht nicht vor etwas Unkonkretem. Sondern vor dem Gott, von dem von Kindheit an erzählt wird. So wie wir unseren Kindern von Gott erzählen. Ich bin der Gott deines Vaters und deiner Vorfahren. Der Gott, der sich damals mit ihnen verbündet hat.

Dann geht der Blick wieder in die Gegenwart. Gott sagt Mose, dass er das Leid der Israeliten sieht. Ihre Not als Flüchtlinge. Ihre Bedrängnis als Fremde in einem ungastlich gewordenen Land.

Und dann kommen all die wunderbaren Verheißungen für die Zukunft: Ich will Euch retten, sagt Gott. Ich will euch herausführen aus der Knechtschaft. Ich will Euch ein Land schenken, in dem Milch und Honig fließt.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehören also aufs Engste zusammen. Der Gott, der uns von alters her vertraut ist, der will uns eine gute Zukunft eröffnen. Derjenige, der schon früher Menschen befreit hat, der wird das auch wieder tun. Unser Lebensinteresse zielt auf die Zukunft. Aber verlassen können wir uns auf Gott, weil er derselbe ist, der er war. Bei Abraham. Bei Mose. Und bei Jesus.

Die ganze Fülle der Zeit ist also in Gott. Und deshalb auch in seinem Namen. Er heißt: „Ich bin, der ich war. Und werde sein, der ich war. So bin ich, der ich bin und werde es immer sein. Denn ich bin die Fülle der Zeit in Ewigkeit“!

 

V. Alle Zeittypen haben also ihr Recht. Wer sich eher an der Tradition orientiert. Wer ganz in der Gegenwart lebt. Wer sich nach der Zukunft ausstreckt. Es kann auch sein, dass diese Haltungen jeweils ihre Zeit haben in einem Leben. Es gibt Zeiten, in denen ich mich vor allem vergewissern muss. Es gibt Zeiten, in denen es dran ist, ganz in der Gegenwart zu leben. Und es gibt Zeiten der Sehnsucht nach einer besseren Zukunft.

Mit den Zeittypen ist es wie mit den Gaben. So wie es Tröstende gibt in der Gemeinde. Und Helfende. Und Lehrende. So gibt es zum Glück diejenigen, die nach dem Vergangenen fragen und es bewahren. Diejenigen, die die Sehnsucht nach Veränderung wach halten. Und diejenigen, die mit beiden Füßen in der Gegenwart stehen.

Zusammen bilden wir die Gemeinde. Zusammen können wir Feste feiern. Zusammen erfahren wir die Fülle des Lebens, das Gott uns schenkt. Amen.

 



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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