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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Epiphanias, 27.01.2019

…die Stimme aus dem Feuer
Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 3:1-10 (11-14), verfasst von Jochen Riepe

I

Wer dem Feuer zu nahe kommt, den verbrennt es. Wir können es nutzen und partiell zähmen, aber beherrschen können wir es nicht. Ein ‚gebranntes Kind‘ kennt die Risiken und ist vorsichtig, umsichtig …‘Ziehe deine Schuhe von den Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land‘, sagt die Stimme aus dem Feuer.

II

Wer suchte nicht solch einen Gott! ‚Ich habe das Elend meines Volkesgesehen‘. Dreimal wird dieses ‚Sehen Gottes‘ vom Erzähler des 2. Buch Mose verstärkt: ‚Ich habeihr Geschrei gehört… ich habe ihre Leiden erkannt… ich bin herniedergefahren, sie zu erretten‘. Wer wollte nicht solch einem Gott dienen, seinen ‚Namen‘ erfahren und mit ihm losziehen – zugewandt und fürsorglich um des Menschen und um der Kreatur Willen. Nicht einmal der Sennabusch in der Wüste darf vergehen! Nicht nur meine Generation, aber meine vielleicht besonders, ist ihm gefolgt: dem ‚Gott der Hoffnung‘*, dem Gott des Exodus, der ‚die Macht der Zukunft‘ ist, und der den Menschen zur ‚tätigen Weltverwandlung‘ ruft.

In diesen Wochen nach dem durch den Ausbruch des Krakatau verursachten* Tsunami in Indonesien stellt sich der Einspruch allerdings von selbst ein. Schon 2004 – just zu Weihnachten – war Südostasien vom Beben der Erde und von der Gewalt des Wassers heimgesucht worden und nun wieder… Wie kann Gott das zulassen? fragt der Grübler. ‚Als er die Welt schuf, übte er noch‘, spottet der Spötter und drückt auf diese Weise ein Gefühl aus, das uns immer wieder überfällt: Die Welt ist unverläßlich und ‚steht‘ keineswegs‚fest‘ (Ps 104,5), und unser Einfluß auf ihre komplexen, unberechenbaren Abläufe ist eher bescheiden.

III

Vor dem 2. Buch Mose kommt in unserer Bibel das Buch Genesis, und das beginnt mit dem Schöpfungsbericht und der mehrfachen Wiederholung des Satzes: ‚Und Gott sah, daß es gut war‘. Der Schöpfer der Welt … Wer ist er? Ein schwacher Greis? Ein böser Demiurg? Ein Schönredner im Himmel?

Ziehe deine Schuhe aus, denn du stehst auf heiligem Boden…‘ Als Prediger kann man in diesen Fragen beide Bücher gar nicht genug zusammenhalten, auf die Texte hören und stumm und stammelnd sich von ihnen lehren lassen. Der ‚liebende Gott‘ des Mose, der sich seinem Volk zuwendet, der sieht, hört, erkenntund niederfährt– er ‚erscheint‘ ja in einer besonderen Gestalt, in der feurigen Flamme aus dem Dornbusch. ‚Im Herzen des Feuers‘, ‘in der Lohe des Feuers‘** erhebt Gott seine Stimme, spricht Gott sich sozusagen aus.

Wir wissen: Der Erzähler benutzt hier ein Bild, das in der Bibel häufiger vorkommt: ‚Unser Gott ist einverzehrend Feuer‘, lesen wir im Hebräerbrief (12,29), der wiederum aus den Psalmen Israels zitiert (Ps 18,8). Aus Jesu Mund kennen wir das Wort: ‚Auf Erden ein Feuer anzuzünden, bin ich gekommen‘. Wir mögen den ‚lieben Gott‘, den gezähmten und wärmenden, Geborgenheit schenkenden, aber die Bibel hält auch dies fest: Gott kann den Menschen gefährlich werden.

IV

Wer ihm zu nahe kommt, den verbrennt es – ohne Ansehen der Person. Wir können es vorsichtig nutzen, aber beherrschen können wir es nicht – jenes Element, das im Glanz der Weihnachtskerzen waltet; das als nun wiederkehrendes Licht, als ‚Freudenschein‘(eg 70,4), Leben ermöglicht, aber auch versengt und ausdörrt; das im Innersten der Erde glüht, uns ‚Erdwärme‘ gibt (mit der wir heizen) und doch, wenn es ausbricht, seine tödlichen Lavamassen über Mensch und Natur ausschüttet: ‚Das Grauen des Krakatau‘.

Tritt nicht herzu!‘, sagt die Stimme aus dem Feuer. Der Bereich des heiligen Gottes verträgt keine menschliche Neugier und Zudringlichkeit. Besser noch: Gottes Verbot ist ein Schutz für den Menschen und ein Aufruf, Distanzen einzuhalten. ‚Heiliges Land‘. Gott unterscheidet des Menschen Welt von seiner Welt. Er setzt eine Grenze, die jeder, der mit ihm in Kontakt treten will, respektieren muß. Mose verhüllt entsprechend sein Gesicht, ‚denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen‘. Wer in die Sonnenglut sieht, wird nichts mehr sehen.

Damals in den Wochen nach der ersten Tsunami-Katastrophe in Südostasien brachen die uralten Fragen, die den Menschen immer begleitende Weltangst, ganz öffentlich aus: ‚Er hat ein Paradies zerstört‘, sagte ein Überlebender. Heute sind die Medien zurückhaltender, alles schnell vergessen, aber das, was damals gesagt und womit die Menschen gewissermaßen getröstet wurden, gilt ja immer noch: Trotz aller technischen und ökonomischen Anstrengungen – wir erfahren unsere Grenzen. Wir sind ‚gebrannte Kinder‘, deren Weltvertrauen wieder einmal gemindert wurde. Unser Verlangen nach Sicherheit und Orientierung kann nur sehr unvollkommen erfüllt werden.

V

Was Christen, oder genauer vielleicht: was Bibelleser in diesem – allen Menschen gemeinsamen –Erleben, in diesem Verlust von Schöpfungsvertrauen, besonders macht, ist wohl: Wir hören mit Mose aus dem Feuer eine Stimme, die ruft: ‘Mose. Mose‘. Die (noch) namenlose, ‚wundersame‘ Macht stellt sich sozusagen vor. Der freie Gott setzt Grenzen, die kein Mensch überschreiten darf, aber in ihm selbst ist ein ‚Über-sich-hinaus-Gehen‘, ein Mitleiden mit seinen Geschöpfen, das er nicht mehr zurücknehmen will und wird. ‚Ich habe das Elend meines Volkes gesehen… ich habe sein Schreien gehört… ich habe erkannt…ichbinherniedergefahren‘.

Erst jetzt sind wir vorbereitet, um das Merkwürdigste des biblischen Bildes zu bedenken. Mose sah, ‚daß der Busch im Feuer brannte und dochnicht verzehrt wurde‘. Wer ist ER? Wer ist Gott? Und was hat dieser ‚niedrigste aller Bäume‘, wie es in einer jüdischen Auslegung heißt, mit ihm zu tun? Es klingt spekulativ, und doch könnte man sagen: Dieser Busch erzählt vom Geheimnis des liebenden Gottes, des Gottes, der gleichsam zu sich selbst ‚unterwegs‘ ist. Gott erscheint in der Macht des Feuers als der in Freiheit sich Zurücknehmende und bannt dessen zerstörende Wirkung. Er läßt sich auf eine Geschichte mit den Menschen ein: ‚Ich werde sein, der ich sein werde‘, wird er bald Mose auf die Frage, wie denn sein Name sei, antworten. Er ‚bleibt derselbe und erschließt zugleich neue Erfahrungen mit ihm.‘****

Gottes ‚Feuer‘ ist sozusagen gebunden in der Macht seiner sehenden, leidenschaftlichen Liebe, und diese Liebe ist konkret und kann es nicht anders sein: Nicht einmal der Sennabusch in der Wüste darf vergehen, wenn Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, sich der Kreatur nähert. Es gibt Götter und Mächte, es gibt auch Menschen, die buchstäblich das Andere verzehren, wenn sie kommen und erscheinen. ‚Nichts außer mir!‘ Der Gott, der Herr im Feuer, wird eine bestimmte, liebende, sich selbst bindende Stimme: ‚Ich bin der Gott deines VatersIch werde mit euch sein‘.

VII

Und die Lavamassen des Krakatau? Und die Flutwellen? Alles das, was verbrannt, geflutet, vernichtet wurde? Spricht auch darin dieser Gott – gleichsam in einer Larve oder Maske? Diese Frage läßt uns ja keine Ruhe und darf sie uns nicht lassen: Siehe! Höre! Erkenne! Fahre nieder!Die Fragen, Rufe und Bitten, die Risse im menschlichen Weltvertrauen, gehören von Anfang an dazu und können nicht verstummen. Aber - ,siehe, ich bin zugering, was soll ich antworten?‘ (Hiob 40,4).

In Demut vor Gott und den Menschen, ihren Tränen und Schmerzen, dürfen wir das Wort des Schöpfers: ‘Siehe, es war sehr gut‘ (Gen 1,31) sich aussprechen lassen und uns in jene Geschichte hineinnehmen lassen, die mit den Vätern Israels begann, mit Mose und dem Volk ihre Fortführung fand und in Jesus Christus zum Ziel kam: In ihr ist ja unser banges Hoffen begründet, daß Gottes Heilswille jeden Menschen und jedes Geschöpf ‚wieder-holen‘ und ihm seinen Frieden (zurück)geben wird. Unsere Väter und Mütter stammelten: An Seinem Tag wird das ‚ängstliche Harren der Kreatur‘ (Röm 8, 19), mit sich selbst übereinzukommen, und ihr Sehnen, aus der Stummheit und Blindwütigkeit ihrer Prozesse befreit zu werden und mit Gott zu kooperieren, eingelöst.

Uns sind Grenzen gesetzt, aber jedes Kind weiß, daß (erst) Grenzen Räume eröffnen, Räume der Gestaltung und der, ja, ‚tätigen Weltverwandlung‘   in einem Meer des Unberechenbaren. Der menschliche Auftrag, die Erde zu ‚bebauen und zubewahren‘ (Gen 2,15), in Gestalt von Wissenschaft und Technik, die Aufgabe, Prozesse im Erdinneren und auf dem Grunde der Meere besser, genauer zu erforschen, die Frühwarnsysteme weiter auszubauen und die Küsten zu schützen, alles dies ist der menschliche Beitrag zu dem göttlichen Versöhnungs- und Erlösungswerk, das seiner Vollendung harrt.

VIII

Gebrannte Kinder sind vorsichtig, umsichtig…   sie kennen die Risiken. Vor vierzehn Jahren gab es eine Reihe von geistlichen Stellungnahmen zur Flutkatastrophe. Besonders beeindruckt hat mich die eines buddhistischen Priesters aus Tokio: ‚Der Mensch muß wissen, daß er sein körperliches Leben verlieren wird. Wir sollten in Gemeinschaft leben, unsere Bedürfnisse herunterschrauben und in der Genügsamkeit Erfüllung finden‘ (T. Kasahara).

Ziehe deine Schuhe von den Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land‘.

 

*W. Pannenberg, Der Gott der Hoffnung, in: S. Unseld (Hg.), Ernst Bloch zu Ehren (1965), S. 209ff    **SZ vom 24.12.18 (A. Perras‚ Das Grauen des Krakatau ist zurück‘)     ***R. Gradwohl, Bibelauslegung aus jüdischen Quellen,Bd.1,2.Aufl. 1995,S.102     ****J. Ringleben, Der lebendige Gott, 2018, S. 104



Pfr. i.R. Jochen Riepe
Dortmund, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

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