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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 03.03.2019

Glücksmarie und Pechmarie - inversée
Predigt zu Lukas 10:38-42, verfasst von Udo Schmitt

Ich weiß nicht ob sie schon mal irgendwo zu Gast waren, relativ kurzfristig angemeldet vielleicht. Und die Gastgeberin hilft ihnen aus dem Mantel, bietet ihnen erst einen Platz an und dann Kaffee, sie verschwindet gleich wieder, um ihn zu machen, setzt sich dazwischen noch einmal kurz hin, bis der Kaffee durchgelaufen ist, fährt rasch und ganz nebenbei nochmal mit der Hand über die Tischplatte, obwohl der Tisch eigentlich sauber aussieht, springt sodann wieder auf und holt Milch und Zucker, rennt rein, rennt raus, Tassen, Teller, Löffel, Untersetzer, setzt sich, springt wieder auf und holt noch etwas Gebäck, setzt sich, springt wieder auf - setzt sich, springt wieder auf und so geht das die ganze Zeit und in einem fort. Es ist wie bei einem Sketch von Loriot, man kann sich gut vorstellen wie Evelyn Hamann in dieser Rolle zwischen Küche und Kaffeetafel hektisch hin und her hechelt mit den Armen rudernd wie ein aufgescheuchtes Huhn, ohne Rast und ohne Ruh, - sie kommt gar nicht dazu, auch nur zwei vernünftige Sätze mit dem Gast zu wechseln, und am Ende - sie ist schon der Erschöpfung nah - als der Gast sie mahnt, sich nun doch endlich einmal hinzusetzen, da bricht es aus ihr hervor: "Was müssen Sie mich auch besuchen kommen!"

Das ist die komische Seite an Marta - der Frau, die wir kennen, weil sie Jesus in ihrem Haus aufgenommen hat. Was für eine Ehre! Stellen sie sich mal vor, Jesus kündigte sich bei Ihnen an. Wie ein alter Freund am Telefon: Hör mal, ich bin gerade unterwegs und bei euch in der Gegend, kann ich mal kurz bei dir reinschauen? Na, klar! Sofort! Was für eine Ehre und was für eine Gelegenheit! Was könnte man ihn nicht alles fragen? Was hätte man nicht alles sagen und von ihm hören können? - Und dann das: Was tut Marta? Sie beschwert sich, Jesus könne doch auch einmal, bitteschön, für sie Partei ergreifen und ihrer Schwester sagen, sie solle ihr gefälligst helfen. Au Backe, hat sie denn Jesus nichts anderes zu sagen als das? Das ist wirklich komisch - wenn auch nicht lustig. Denn, wie so oft im Leben, hat alles Komische auch etwas Tragisches.

Man kann die gleiche Geschichte auch ganz anders erzählen. Martas Beschwerde bei Jesus ist ein Hilfeschrei. Hilfe, ich tue doch so viel. Ich putze, spüle, koche, wasche - ich helfe den Kindern beim Anziehen und bei den Hausaufgaben, ich helfe beim Kirchenbasar, nähe, bastele, sticke für den guten Zweck, ich helfe Nachbarn oder Verwandten; wenn sie alt und gebrechlich sind, kaufe ich für sie ein und mache ihnen das Bett, weil es ja sonst keiner tät. Ich helfe, wo ich kann… und keiner sieht es und keiner sagt: Danke. - Na, ja. Macht ja nichts, - mein Lohn ist, dass ich dienen darf. Ein Frauenschicksal, wie so oft. Das fleißige Heinzelfrauchen, das im Stillen wirkt, das im Dunkeln aufsteht und im Dunkeln zu Bett geht und dazwischen keine Stunde Ruhe hat, nicht  eine  Stunde nur für sich. Aber du Jesus - du bist doch anders als die anderen Männer, du musst mich doch verstehen. Du siehst doch, wie sehr ich leide, nun sag gefälligst meiner Schwester, dieser Pechmarie, diesem faulen und nutzlosen Ding, dass sie aufstehen und mir helfen soll. Es muss ja nicht gleich Pech vom Himmel auf sie regnen, wie im Märchen, es würde mir schon genügen, dass du sie einmal ordentlich zurechtweist, ja, das wäre mir eine grimmige Genugtuung.

Doch für Rachegelüste und grimmige Genugtuung ist Jesus nicht zu haben. "Marta, Marta" sagt er - und er sagt es leise. Und darin steckt schon beides: ein Ja und ein Nein. Ja, ich sehe dein Leiden, deine Sorgen, wie du dich abarbeitest und aufreibst. Und doch, tut mir leid, nein, ich werde deine Schwester nicht zurechtweisen. Du dienst anderen und das ist recht so. - Aber auch Sie hat recht. Es gibt eine Zeit zu dienen und zu helfen, aber es gibt auch eine Zeit, sich hinzusetzen und zuzuhören. Und diese Zeit ist jetzt. Sie hat das gute Teil erwählt, sie hat recht, jetzt ist der Heiland in eurem Haus, und jetzt ist die Gelegenheit da, die nicht wiederkommt, und was sie jetzt zu hören bekommt, das ist wichtig, das ist kostbar und es ist unvergänglich - die Erfahrung, die sie jetzt macht, wird ihr keiner nehmen können.

Die Tragödie der Marta ist die typische Tragödie einer älteren Schwester. Schon früh lernt sie, dass sie zurückstehen muss mit ihren Wünschen, die andren sind noch klein und brauchen jetzt die ganze Aufmerksamkeit der Mutter. Und schon früh wird sie dazu angehalten, auf die Geschwister mit aufzupassen und ihnen zu helfen: beim Anziehen, bei den Hausaufgaben. Es ist irgendwie zum Heulen: Sie selber darf schon nicht mehr Kind sein - und ist doch noch nicht erwachsen. Im Märchen von der Glücksmarie und der Pechmarie wird gerade dies gelobt: die fleißige, strebsame Tochter erlangt als Belohnung das Gold von Frau Holle, die Schwester hingegen, die faule Nichtstuerin, erhält nur Hohn und Spott.

Doch das ist nur ein Märchen und Jesus lehrt es ganz anders. Wie ein Kind sollst du sein. Wie ein Kind einfach nur zuhören und vertrauen, gerade das tut not. Christus spricht: "Wahrlich ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen." (Mk 10,15)

Marta ist kein Kind mehr und auch keine Glücksmarie, es ist wirklich zum Heulen. Da bietet sich die Gelegenheit, das Glück kommt in ihr Haus, es sitzt an ihrem Tisch, und sie lässt diese kurze, kostbare Zeit verstreichen, das Glück ist da, doch sie greift nicht zu. Stattdessen macht sie sich Sorgen und Mühen, wie so oft. Da kommt Jesus in dein Haus und alles ist... - eigentlich wie immer. Du hast Arbeit, du hast Sorgen, du machst dich nützlich und findest keine Ruhe. Was ändert es, dass Jesus gekommen ist, wozu ist er überhaupt in dein Haus gekommen?

Christus spricht: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe für viele" (Mk 10,45). In dem Moment wo Jesus ein Haus betritt passiert ein seltsamer Wechsel: Ich bin die Hausherrin - aber er ist der Herr. Ich bin die Gastgeberin - aber er lädt mich ein, sein Gast zu sein, er lädt mich ein, Platz zu nehmen und zur Ruhe zu kommen, er lädt mich ein an seinen Tisch, er ist der Herr, der mir dienen will. All meine Sorgen, alles was mich ängstigt und bedrückt, darf ich für einen Moment loslassen und gut sein lassen. "Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er Sorgt für euch!" (1.Petr. 5,7)

Werde ich meinen Arbeitsplatz behalten?          

            - Alle eure Sorge werft auf ihn!

Wird die Gesundheit meines Mannes, meiner Frau halten?

            - Alle eure Sorge werft auf ihn!

Was machen meine Kinder, wie geht es ihnen?

Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen...

            - Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch!

Der Herr lädt dich ein, an seinem Tisch zu sein und zur Ruhe zu kommen. Er lädt dich ein, so wie du jetzt gerade bist, egal ob du allzeit bereit und in allem dienstbar bist oder ob du dich verbraucht fühlst und zu nichts mehr nütze. Du musst nicht nützlich sein, musst dich nicht immerfort nützlich machen, um von diesem Herrn geliebt zu werden. Du musst es einfach nur geschehen lassen, dass er, der Herr, dir dient. Danach magst du zurückgehen in deinen Alltag und zu deinen Sorgen. Sie werden dich gestärkt finden und mit neuer Kraft. Denn du bist bei Gott zur Ruhe gekommen - und die Ruhe trägst du mit dir, und keiner kann sie dir nehmen. In der Ruhe liegt die Kraft - nun auch weiterhin anderen zu dienen.

Denn auch das will der Herr. Maria und Marta sind Schwestern. Sie gehören zusammen. Und keiner von beiden gebührt der Vorrang. Weder Marta, die hier sinnbildlich für Diakonie, Dienst und die Nächstenliebe steht - noch Maria, die hier für Andacht, Gottesdienst und Gottes Liebe an uns steht. Beides gehört zusammen.

Und dies zeigt sich auch am Aufbau des Evangeliums. Lukas stellt die Frage voran: Wie kann ich das ewige Leben erlangen? Und die Antwort ist: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst (Lukas 10,25-28). Gottesliebe undNächstenliebe - also beides - Vertikale und Horizontale. Wo nur eins von beiden betont wird, ist das Beziehungssystem gestört - und der Mensch, der darin lebt, leidet.

Wie nur die Vertikale betont wird, das zeigt Lukas gleich im Anschluss in der Erzählung vom barmherzigen Samariter (Lukas 10,29-37). Fromme Männer eilen da zum Gottesdienst, ein Priester und ein Levit, und übersehen dabei einen Menschen der Hilfe braucht. Typisch Mann, so könnte man sagen, für Sonntagsreden und Feierstunden sind sie zu haben, aber mit niederen Diensten machen sie sich nicht gern die Finger schmutzig. Und die Geschichte lehrt, es reicht nicht sonntags fromm zu sein und festliche Lieder zu singen, wir sollen auch den Nächsten lieben, Barmherzigkeit üben, und den Menschen an unserer Seite helfen.

Aber - und das lehrt die Geschichte von Maria und Marta -, die bei Lukas gleich im Anschluss an den barmherzigen Samariter folgt (Lukas 10,38-42), wo nur die Horizontale betont wird, wo ich vor lauter Helferei hilflos werde und keine Ruhe finde, da leide ich wie Marta leidet. Beides gehört zusammen - so wie Maria und Marta, die Schwestern sind. Ich soll den anderen dienen und ihnen Gutes tun. Aber, ich soll mir auch dienen lassen und es gut sein lassen. Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebten sollst du ruhen.

Heute ist dieser siebte Tag. Der Herr lädt dich ein, an seinem Tisch zu sein und zur Ruhe zu kommen. Er lädt dich ein, so wie du jetzt gerade bist, egal ob du allzeit bereit und in allem dienstbar bist oder ob du dich verbraucht fühlst und zu nichts nütze. Du musst nicht nützlich sein, musst dich nicht immerfort nützlich machen, um von diesem Herrn geliebt zu werden. Du musst es einfach nur geschehen lassen, dass er, der Herr, dir dient. Es mag dir schwerfallen, den Dienst anzunehmen, und doch es ist ganz leicht, du brauchst nur Ja zu sagen und: Amen, Dein Wille geschehe, Herr. Und bald schon wirst auch du Frieden finden. Einen Frieden, den dir keiner nehmen kann.

 

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Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

 



Pfarrer Udo Schmitt
Wülfrath (Düssel), Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: udo.schmitt@ekir.de

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