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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 07.04.2019

Predigt zu Lukas 1:26-38(dänische Perikopenordnung, in DK ist der Sonntag Mariae Verkündigung), verfasst von Kræn Christensen

Dann kam die Nachricht, und sie kam unerwartet für Maria. Sie ist die Frau, die auserwählt ist, die Mutter Jesu zu sein. Er sollte in die Welt kommen wie jeder andere kleine Mensch. Das war für Maria eine gewaltige Neuigkeit, eine Nachricht, die ihr ganzes Leben verändern sollte. Was würde ihr Verlobter nicht sagen, wenn er nach der Arbeit des Tages in der Werkstatt nach Hause kommt und erfährt, dass seine Auserwählte – seine Verlobte – ein Kind von einem anderen erwartet? Im heutigen Dänemark wäre das sicher für die meisten Frauen zu viel! Und auch nicht viele Männer würden den Gedanken ertragen, dass die kommende Ehefrau mit einem anderen schwanger ist – mit Gott? Ehrlich gesagt, hier würden wohl lauter Angebote an psychologischer Hilfe, Krisenberatung und Seelsorge fällig sein.

Es geht aber im Evangelium nicht um unsere Vorstellungen und Stimmungen. So wenig wie es darum geht, Maria zu einem Menschen zu machen, der absolut über unsere Welt erhaben ist. Aber um eines kommen wir nicht herum, und das ist die Feststellung, dass Maria die Trägerin des Wortes Gottes an uns ist. Wenn also das Evangelium verkündigt wird, tritt all das in den Hintergrund, was wir erdenken und fühlen können. Wir können alles über das Verhältnis des Menschen zu Gott lernen, indem wir Maria zuhören.

In der Peterskirche in Rom befindet sich die berühmte und phantastische Skulptur Michelangelos, die man Pietà nennt. Dort sieht man Maria mit dem toten Jesus in den Armen.

Das ist ein Meisterwerk des nur 24-jührigen Michelangelo. Die Skulptur ist aus einem einzigen großen Marmorblock gemacht. Der Künstler selbst hat gesagt, dass er mit dieser Pietà das schönste Werk in Marmor in Rom schaffen wollte und dass dies niemals von einem anderen Meisterübertroffen werden sollte – und man ist geneigt, ihm Recht zu geben.

Aber was sehen wir hier? Was will uns Michelangelo mit seiner Skulptur sagen – die übrigens eine Situation zeigt, die nirgendwo in den Evangelien beschrieben ist?

Ja, wir sehen eine Maria, die nicht älter zu sein scheint als ihr toter Sohn, der in dem Schoß liegt, aus dem er kam.

Maria sitzt mit einem – möchte man fast sagen – versteinerten Gesicht.

Ihr Gesicht drückt tiefe Trauer aus – sie schlägt die linke Hand aus in Hoffnungslosigkeit. Ihre ganze Haltung ist in gewisser Weise Resignation. Und es gibt wohl auch keinen größeren Schmerz als den Abschied vom eigenen Kind!

Aber wer ist sie – diese Maria – erstarrt in Trauer und Hoffnungslosigkeit?

Ist sie vielleicht in erster Linie ein hochmütiges Mädchen, das angesichts des Todes zerbricht? Ist sie der Versuch Michelangelos, die hochgestimmten Worte des heutigen Evangeliums zurückzuweisen? Ehrlich gesagt besteht da keine Übereinstimmung zwischen dem Mädchen und ihrem Wort, dass die die Dienerin des Herrn ist. Vielleicht aber ist gerade die Kluft zwischen den Worten und ihrem Schicksal das eigentliche Anliegen und damit das Evangelium für uns heute.

Da ist eine eigene Sicherheit – ja geradezu Überlegenheit in ihrer unzweideutigen Antwort. Eine Antwort, der dann ihr schöner Lobgesang folgt. Und dann geschah das denkbar Schlimmste für eine Mutter: Sie verliert ihren Sohn.

Marias Schicksal wird mit anderen Worten die Trauer und vielleicht die Hoffnungslosigkeit, so wie Michelangelos das gerade dargestellt hat.

Da besteht eine Disharmonie zwischen dem, was sie auf die Botschaft des Engels antwortet – und dem, was ihr dann widerfuhr. Ihre sicheren Worte zum Engel Gabriel stehen in einem scharfen Kontrast zu dem Leben, das sie später in Schmerz und Unsicherheit leben wird.

Es ist, als kämen die Dinge aus dem Gleichgewicht.

So war es auch mit der Peterskirche in Rom.

Sie wirkt kleiner als sie ist. Das täuscht. Man kann nicht glauben, dass der Baldachin des Hochalters höher ist als der Runde Turm von Kopenhagen – und das der Turm des Rathauses von Kopenhagen leicht unter der Kuppel stehen könnte. Es ist nicht zu glauben – und doch wahr!

Der Sinn für Proportionen geht einem in der Kirche verloren – und das ist es, was ich zu sagen versucht habe, das macht die heutige Botschaft auch mit uns.

Eben diese Störung unseres Sinns für Proportionen ist die Botschaft an uns. Wir treffen in unserem Leben auf die merkwürdigsten Ereignisse und Episoden, die unser Dasein gründlich verändern. So auch wenn wir das Evangelium hören. Immer wenn es gehört wird, verändert sich alles, denn hier begegnet man dem Absurden, dem Paradox: Gottes Sohn wird von einem Menschen geboren, und später wird dieses Kind als junger Mann in der grausamsten Weise am Kreuz sterben. Und dann wurde es dennoch Ostermorgen – eine Auferstehung.

Es ist, als seien die Dinge aus dem Gleichgewicht geraten – unsere Auffassung von der Wirklichkeit wird erschüttert. Unsere eigene Auffassung vom Leben wird infrage gestellt!

So ist es, weil wir Gott nicht erfassen können – wir können ihn nicht kontrollieren. Er ist größer als das Größte und kleiner als das Kleinste.

Gott ist der, den man nicht erwarten kann, und dennoch kam er. Er ist der, dem niemand jemals begegnet ist, und der uns dennoch als ein Mensch begegnet ist. Mit seiner Geburt, seinem Tod und seiner Auferstehung wurde und wird er Möglichkeit für uns, dort wo uns alle Möglichkeiten abhandengekommen sind. Deshalb kann man sich darüber wundern, dass Leute ohne Gott leben können. Denn ich kann nicht begreifen, dass Leute ohne Vergebung leben können. Rein sprachlich braucht man nur das Unverzeihliche zu vergeben. Das Verzeihliche kann man ja leicht vergeben. Wenn es um das Unverzeihliche geht, ist es gleich schwerer. Da sind dann nur noch der Tod, der Zorn, die Kälte … oder die Vergebung. Die Vergebung ist die einzige Möglichkeit, das Leben zu erneuern – und vielleicht kann man das, wenn man mit einem Leben bereichert wird, vielleicht kann man das, wenn man herausfindet, dass einem das Leben entgleitet. Das geschah mit Maria, und deshalb sagt sie: „Siehe ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast“.

Hiermit hat Maria das einzige gesagt, was wir von Gott sagen können, der sich unserer Vorstellungswelt entzieht. Das Leben ist nicht das Schlimmste, was wir haben – ja, es ist in der Tat ganz wunderbar. Das zu wissen bedeutet, dass man damit auch weiß, dass es das Furchtbarste von allem enthält. Wir werden geboren, wir leben, wir sterben – aber nie ohne Gnade!

Wenn es ernst wird im Leben, wenn es nicht mehr in unserer Macht steht, wenn wir ihm nicht mehr entfliehen können, wenn wir uns nicht mehr selbst betrügen können, dann sind wir, ja da wissen wir, dass wir Gott ausgeliefert sind. Da hat man es mit Gott zu tun!

Wenn es ernst wird im leben – wenn uns das Schönste begegnet, dann wissen wir, dass das Furchtbarste dahinter lauert. Wenn das Leben aus dem Gleichgewicht gerät, unüberschaubar, unbeherrschbar, dann bist du dennoch nicht allein.

Das heutige Evangelium handelt von dem Wunderbaren. In einer Woche beginnt das Furchtbare. Da reitet unser Herr in den Tod. Das ist es, was Michelangelo in Stein gemeißelt hat, so dass man es merkt.

Es ist nicht angenehm, einem anderen Menschen ausgeliefert zu sein, denn man gerät so in ein Abhängigkeitsverhältnis zu diesem Menschen.

Heute wird uns mit der Geschichte Marias gesagt, dass wir uns unbesorgt Gott anheimgeben können. Entweder Gott oder gar nichts. Das wissen wir, wenn es ernst wird im Leben. Lauheit oder Gleichgültigkeit existieren nicht.

Für Gott bist du da, lebendig, kannst ein- und ausatmen. Das ist doch einen Dank wert. Und wenn wir einmal den letzten Atemzug machen - wenn uns das Furchtbare unter die Haut geht, dann ist er auch da.

Und das macht Mut, den Bogen des Lebens zu spannen und das Leben zu leben mit einem Glauben daran, dass wir im Leben und im Tode in Gottes Hand sind. Amen.



Propst Kræn Christensen
Esbjerg, Dänemark
E-Mail: pkch(at)km.dk

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