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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 07.04.2019

Ohne Glauben kein Heil?
Predigt zu Johannes 18:28-19,5, verfasst von Ulrich Knellwolf

Liebe Gemeinde, 
In einer Woche ist Palmsonntag, erster Tag der Karwoche. Jesus zieht in Jerusalem ein, und zwar so triumphal, dass die Priesterschaft des Tempels Angst bekommt und beschliesst, diesen Störefried auszuschalten. Das umso einhelliger, als er sich gleichentags im Tempel ungebührlich aufführt. Der Triumph ist allerdings kurz. Bereits am Abend des Donnerstags – er heisst Gründonnerstag – wird Jesus von der Tempelpolizei verhaftet. In der Nacht folgt eine Verhandlung vor einem priesterlichen Gericht, das zum Schluss kommt, der Mann verdiene den Tod. Da aber solch ein Urteil nur der römische Statthalter vollziehen darf, wird Jesus am Freitagmorgen an Pontius Pilatus überstellt. Der will sich nicht in innerjüdisches Religionsgezänk verwickeln lassen. Doch die Priester setzen ihn unter Druck. Sie halten ihm vor, wenn er dem Unruhestifter nicht Einhalt gebiete, sei er kein Freund des Kaisers. Gleichzeitig schüren sie die Unruhe in der Stadt nach Kräften, und der Pöbel, der am Sonntag noch Lobeshymnen gesungen hatte, schreit jetzt prompt: «Kreuzige ihn!» Pilatus sieht sich zum Handeln gezwungen und lässt den Angeklagten kreuzigen.

Aus der Art, wie Johannes das erzählt, ist deutlich zu spüren, dass er den römischen Statthalter Pontius Pilatus schonen will. Der erscheint trotz seiner Machtfülle als Marionette. Drahtzieher in der ganzen Geschichte ist nach der Erzählung des Evangelisten die Tempelpriesterschaft. Sie aber ist die Repräsentantin der Juden. Schuld am Tod Jesu sind also, so folgert Johannes, die Juden; der Römer Pilatus ist nur ein Werkzeug in ihren Händen.

Wir kommen leider nicht um die Feststellung herum, dass es im Johannesevangelium einen starken judenfeindlichen Zug gibt. Da heisst es zwar: «Das Heil kommt von den Juden.» (4,22) Aber was freundlich tönt, entpuppt sich als Anlass zur Feindschaft. Denn weil – immer nach dem Evangelisten Johannes – die Juden Jesus nicht als den Bringer des Heils anerkennen, sind sie seine Feinde und darum von Gott verworfen. 

Demgegenüber ist der Römer Pilatus einigermassen harmlos. Religiöse Diskussionen unter den Juden sind ihm gleichgültig, solange dadurch die öffentliche Ordnung nicht gestört wird. Als Jesus von sich sagt, er sei gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen, bemerkt Pilatus bloss schulterzuckend: «Was ist Wahrheit?» Er kennt nur eine Wahrheit, die Macht des römischen Reiches.

Für Pilatus mag das tatsächlich zugetroffen haben – aber gerade darum ist die Erzählung des Johannes unglaubwürdig. Die Juden waren für die Römer äusserst schwierige Untertanen. Einmal wegen ihrer notorischen Freiheitsliebe und noch mehr wegen ihrer Religion. Da liessen sie sich nicht dreinreden; die römischen Götter zu akzeptieren, kam nicht in Frage. Den Römern blieb nichts anderes übrig, als die Juden von staatlichen religiösen Verpflichtungen zu entbinden. Rom war froh, wenn es dem Statthalter in Jerusalem gelang, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Also wird Pilatus schon längere Zeit mit Misstrauen die Bewegung beobachtet haben, die dieser Jesus von Nazareth auslöste. Und wenn es beim Einzug in Jerusalem auch nur den Ansatz eines Massenauflaufs gab und der Besuch Jesu im Tempel ein Durcheinander provozierte, wurde Pilatus zweifellos hellhörig. Ihm muss der Verdacht gekommen sein, Jesus sei wieder so ein Anwärter auf den Thron Davids, und mit solchen machten die Römer kurzen Prozess. 

Das beweist der Evangelist Johannes selbst, wenn er erzählt, die Priester hätten schon Tage vorher den Tod Jesu beschlossen, als sie feststellten: «Alle Welt läuft ihm bereits nach» (12,19) und befürchteten: «Lassen wir ihn gewähren, so werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und uns Land und Leute wegnehmen» (11,48). Pilatus wartete sicher nicht mit Eingreifen, bis ihn die Priester dazu drängten. In Tat und Wahrheit war die Verurteilung Jesu ein Teamwork der jüdischen und römischen Autoritäten, denn sie kam beiden zupass. Den Priestern, weil sie dadurch den Anführer einer unberechenbaren religiösen Bewegung loswurden, dem Statthalter, weil die Ruhe wiederhergestellt war. Beide Seiten, einander sonst spinnefeind, arbeiteten diesmal Hand in Hand. Die Tempelpolizei nahm Jeus gefangen, der Hohe Rat verurteilte ihn nach jüdischem Recht, und der Statthalter liess sich den Mann ausliefern und richtete ihn auf römische Weise.

In den Augen des Evangelisten ist das Urteil über Jesus vor allem ein Urteil über die, die es fällen. Priester, Volk und Statthalter werden schuldig, weil sie am Machtspiel mehr interessiert sind als an der Wahrheit, die Jesus ist. Trotzdem wiegt für Johannes die Schuld des Römers leichter als die der Juden. 

Im ersten Kapitel seines Buches erklärt er zum Voraus, warum. Dort heisst es von Jesus: «Er war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet. Aber die Welt hat ihn nicht erkannt.»(1,9-10). Die Welt, das sind die Römer und ihr Weltreich. Darauf folgt eine Steigerung: «Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht auf» (11). Das sind die Juden. Sie kennen die Propheten und deren Ankündigung des Messias. Sie haben also alle Voraussetzungen, zu merken, dass Jesus das verheissene Licht für die Welt ist. Und es wäre ihre von Gott gegebene Aufgabe, Zeugen dieses Lichts in der Welt zu sein. Aber sie verweigern sich. 

Ein Heide wie Pilatus kommt später vielleicht doch noch zur Einsicht. Aus der Verstockung der Juden aber folgert Johannes, dass Gott sich von seinem Volk abwendet und andere zu seinen Zeugen wählt, Menschen aus allen Völkern, die erkennen, wer Jesus ist. Der Evangelist sagt es so: «Die ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben.» (1,12). 

Frage: Warum ist es überhaupt so wichtig, dass ich die Wahrheit erkenne, also an Jesus als das Licht der Welt glaube? Antwort des Johannesevangeliums: Weil davon abhängt, ob ich das ewige Leben habe oder nicht. Denn, wie Johannes Jesus sagen lässt: «Niemand kommt zum Vater, ausser durch mich.» (14,6) Wer an Jesus glaubt, ist gerettet. Wer nicht glaubt, ist gerichtet – und das heisst: verloren.

Diese Kopplung von Glauben und Heil ist verheerend. Und sie ist auch die Wurzel christlicher Feindschaft gegen die Juden.

Wir finden die Kopplung von Glauben und Heil in der Bibel besonders bei Paulus. Im 1. Brief an die Christen von Korinth kann er schreiben: «Das Wort vom Kreuz (nämlich, dass der gekreuzigte Jesus der Bringer des Heils sei) ist Torheit für die, die verloren gehen; für die aber, die gerettet werden, für uns, ist es Gottes Kraft.» (1,18) Jedoch lässt Paulus immerhin ein Türchen offen. Vielleicht erbarmt sich Gott ja seines Volkes doch noch, obwohl es seinen Heilsbringer abgelehnt hat. Beim Evangelisten Johannes ist auch dieses Türchen geschlossen. Wer Jesus nicht als das Licht der Welt erkennt, bekommt das ewige Leben nicht.  

Aus der Verkopplung von Glauben und Heil kommt der Eifer der Christen, die Juden zum Christentum zu bekehren, und die Feindschaft gegen die Juden, wenn sie sich weigern. Aus dieser Verkopplung kommt die christliche Mission mit dem Ziel, möglichst die ganze Welt zu Christen zu machen und so alle zu retten. Dazu reiste Paulus unermüdlich in der Welt herum. 

Heute wissen wir, dass nicht hauptsächlich durch die Propagandareisen des Paulus und anderer Profimissionare der Christenglaube in die Welt hinausgetragen wurde. Es waren einfache Christen, die auf ihren Handelsreisen oder als Soldaten durch alltägliche Begegnungen gleichsam nebenher den Glauben ausbreiteten. So tat es auch der Grossteil der Jünger Jesu. Die fuhren nicht in die Welt hinaus. Die kehrten nach Ostern heim und gingen ihrer Arbeit nach – und wurden gerade so für ihre Umgebung zu Boten des Glaubens. Darum weiss ja auch die Apostelgeschichte von den meisten Jüngern Jesu nach Ostern nichts mehr zu berichten. Der Christenglaube breitet sich eben nicht durch professionelle Propagandaaktionen aus, sondern durch Wort und Tat der einzelnen Christenmenschen in den alltäglichen Begegnungen mit ihren Mitmenschen. 

Diese unspektakuläre, unorganisierte, namenlose Mission hat nichts Aufgeregtes und nichts Fanatisches. Sie nötigt die Leute nicht, sie setzt niemand unter Gewissensdruck. Sie überlässt es getrost Gottes Geist, ob er den Mitmenschen von meinem Glauben überzeugt oder nicht. Und die glauben, betrachten die, die nicht glauben, weder als Feinde noch als Verworfene noch als moralisch oder geistig Minderwertige. Sie schliessen sich von ihnen nicht ab; sie brechen nicht den Stab über sie. 

Denn der Glaube von uns Hobbymissionaren, die wir durch unsern Glauben alle sind, gründet ja in der Ankündigung Jesu: «Das Reich Gottes ist im Kommen.» Das heisst: Gott führt seine Schöpfung ins Heil. Ohne Wenn und Aber; bedingungslos. Es kommt, ob wir’s glauben oder nicht. Und es kommt ohne unser Verdienst, also für alle. Auch für die, die’s nicht glauben. Die es nicht glauben, werden darüber staunen. Und die davon ausgehen, alle Ungläubigen würden am Jüngsten Tag in die Hölle spediert, werden sich ärgern, wenn sie in der vollkommenen Schöpfung ihrem atheistischen oder heidnischen oder jüdischen Nachbarn begegnen. Wir nämlich, die wir jetzt schon diese Hoffnung haben, haben sie nicht aus eigener Einsicht. Wir haben sie, weil der seine Schöpfung ins Heil führende Gott uns, wir seien Juden oder Heiden, zu seinen Zeugen, zu Boten des Heils für die Menschheit berufen hat. Nicht anstelle der Juden, sondern mit den Juden. Und nicht, weil wir klüger oder besser wären als andere. Sondern einfach, weil es ihm so gefällt.

Ja, das gibt uns Christenmenschen ein Sendungsbewusstsein. Denn wenn nicht durch uns, durch wen sonst soll die Welt vernehmen, dass ihr Schöpfer sie nicht aufgibt, sondern dahin führt, wo Milch und Honig fliessen? Das heisst aber nicht, dass wir die Welt retten. Retten kann uns und die Welt nur der, der sie geschaffen hat. Er ist am Werk. Diese Nachricht sollen wir unter die Leute bringen. Heilsentscheidend ist sie nicht. Heilsentscheidend ist allein, dass Gott die Welt ins Heil führt. Aber ein wenig heller und freundlicher macht diese Kunde die jetzige Welt schon. Darum sollen wir sie nicht für uns behalten.

Übrigens: Auch unsere straff organisierten Landes- und Volkskirchen sind das Ergebnis der hochproblematischen Kopplung von Glauben und Heil. Wer nicht in der Kirche war, galt als verloren. Wer nicht getauft war, galt bis weit in die Neuzeit als von Gott verworfen. Darum musste genau verzeichnet werden, wer getauft war und wer nicht. So begann die kirchliche Bürokratie. Ich denke manchmal daran, wenn ich den bürokratischen Aufwand der Kirchen sehe. Und vor allem, wenn ich die kirchliche Presse lese. Das ist über weite Strecken pure Propaganda und Schönfärberei. Unbewusst steckt dahinter die Vorstellung, eigentlich müssten alle zur Kirche gehören, denn wer nicht glaube, verfehle das Heil.  

Jedesmal, wenn ich mich selbst bei diesem Gedanken ertappe, sage ich mir den Anfang der zehn Gebote vor. «Ich bin der Herr, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, dem Sklavenhaus. Du sollst keine andern Götter haben neben mir.» An erster Stelle steht, was Gott tut, erst an zweiter Stelle, wie wir uns verhalten sollen. Israel mag noch so oft zu anderen Göttern abgefallen sein – es ist aus der Sklaverei in die Freiheit geführt worden. Genau gleich redet Jesus: «Das Reich Gottes ist im Kommen. Richtet euch darauf ein und vertraut darauf.» Und wenn ihr nicht darauf vertraut, so kommt es trotzdem.
Amen

 

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Die Predigt wird am 7. April 2019 in der Kirche des Diakoniewerks Neumünster, Zollikerberg, gehalten.

 

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Ulrich Knellwolf, geboren 1942, war Pfarrer an der Predigerkirche in Zürich und am Diakoniewerk Neumünster, Zollikerberg, wo er weiterhin einmal im Monat predigt. Dazu ist er Gastprediger im Fraumünster in Zürich und im Berner Münster. Er hat mancherlei Erzählendes und Theologisches veröffentlicht. Im September 2019 erscheint im Theologischen Verlag Zürich «Mach dir keinen Reim. Gedichte von Gott, vom Tod und von der Auferweckung».



Pfr. Dr. Ulrich Knellwolf
Zollikerberg, Zürich, Schweiz
E-Mail: ueknellwolf@bluewin.ch

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