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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 07.04.2019

Die Macht der Wahrheit
Predigt zu Johannes 18:28-19,5, verfasst von Eberhard Busch

Die Zeit der Könige in unserer Welt ist eigentlich vorbei, ich meine solche Könige, die echt und recht ein Volk regieren. Wahrscheinlich werden die Überbleibsel von ihnen einmal ganz abtreten, auch wenn sie vorderhand noch Beifall finden. Unser Bibelwort redet ebenfalls von einem König. Und hört, die Zeit diesesKönigs ist allerdings auf unbegrenzte Dauer angelegt! Es droht ihr kein Abbruch. Sie bricht wieder und wieder auf, um ihre Gültigkeit zu beweisen. Bist du der Juden König?, fragt der römische Herr Pilatus ihn, der vor ihm steht. Und der antwortet: Du sagst es! Jedoch „mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Das heißt nicht, dass er kein richtiger König ist. Das heißt, dass er erst recht König ist. Täuschen wir uns nicht! Der, der dem Machthaber Pilatus armselig gegenübersteht, der ist es, von dem wir singen – in dem Choral von Julius Hermann: „Ach großer König, groß zu allenZeiten“!

Der heutige Sonntag trägt seit alters die lateinische Bezeichnung „Judica". Die leitet sich ab von Vers 1 im Psalm 43, wo die Bitte steht: „Schaffe mir Recht, o Gott, und führe meine Sache gegen ein unheiliges Volk."  Die Meinung dabei ist, dass diese Bitte jetzt in der Passionszeit im Munde Jesu zu hören ist: Gott soll entscheiden, was von dem umstrittenen Jesus zu halten ist. Und Gott hat die Bitte Jesu erhört und hat sein Urteil gefällt, gerade in dem Moment, als Pilatus sein Urteil über Jesus fällen wollte. Und das ist sein Urteil: dass Gott ganz auf seiner Seite steht. Und das so streng, dass er unabsetzbar Gottes einer Stellvertreter auf Erden ist. Er istes und er bleibtes, entgegen all denen, die sich gegen ihn erheben, die ihn weg haben wollen. Jawohl, ich binein König, sagt er zu Pilatus, gültig, ohne dass dieser Befehlshaber oder sonstwer das erst bestätigen muss, gleich, ob die Leute Beifall geben oder nicht. Genug, dass er von seinem himmlischen Vater eingesetzt ist als ihr Regent.

    Aber er ist ein Regent der besonderen Art. Sein Schmuck, sein Reich, seine Domäne, seine Macht ist mit einem Wort: Wahrheit! Durch ihn wird alles, was unter uns sonst als Wahrheit gilt, auf die Goldwage gelegt und geprüft: Ist es wahr, dass die Gewalt in unserer Welt das letzte Wort hat? Ist es wahr, dass hinter unserem begrenzten Horizont nicht noch ein anderes, neues Land liegt, ein Friedensreich? Ist es wahr, dass das, was jetzt oben und jetzt unten ist, immer so bleiben muss? Ist es wahr, dass man immer stärkere Waffen als die Gegner haben muss? Ist es wahr, dass die Lüge langeBeine hat?

Jesus bestreitet es, dass dieses alles wahr ist. Er sagt, dass das lauter Verdrehungen der Wahrheit sind. Dergleichen mag uns als wahr erscheinen – aber nur, solange wir absehen von Gott und seinem Christus. Dabei ist die Rechnung ohne ihn gemacht. Die Rechnung kann nicht aufgehen, wenn wir von ihm absehen. Ja, mögen wir noch so von seiner Wahrheit absehen, mag sie von uns noch so bestritten und verleugnet sein, das sind erstlich und letztlich ohnmächtige Machenschaften. Sie verlaufen am Ende im Sand. Das erklärt der am Karfreitag Gekreuzigte. Die Sonne bringt es an den Tag, nämlich am Ostertag, dass er die Wahrheit sagt, ja, dass er die Wahrheit ist. Er, der von sich sagt und von sich sagen darf „Ich bin die Wahrheit“ (Joh 14,6).

In der Kraft solcher Wahrheit ist er gerüstet zum Kampf gegen die Lüge oder, sagen wir, zum Kampf gegen die vielen Lügenin unserer Welt und in unserem Leben. Denn die Lüge ist eine Schlange mit vielen Köpfen. Er aber vermag diesem Ungeheuer zu widerstehen. Das Motto der so oft bedrängten Hussiten in der Tschechei lautet: Veritas Dei vincit, das heißt: Die Wahrheit Gottes siegt über alles. Und zwar beweist er seine Macht der Wahrheit schnurstracks schlicht damit, dass er unumwunden die Wahrheit sagt. Hören wir es in Jesu Mund: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll“ (18,37)! Er trägt sie auch dem Vertreter der römischen Macht vor, dem Pilatus. Er sagt ihm gewissermaßen: Dafür stehe ich gerade: Auch „mit deiner Macht ists nicht getan“ angesichts der Wahrheit, dass Gott im Regimente sitzt „und führet alles wohl".

Pilatus – was ist er für ein Mensch? Das kommt heraus, indem das Licht dieses Wahrheitszeugen auf ihn fällt. Er schwankt wie ein Grashalm im Wind, hin und her. Ist er ein Bösewicht? Nein, das will er keineswegs sein. Einerseits will er es nicht mit der Masse des Volkes verderben. Die will den Tod des Angeklagten, so wie noch heute so manche die Todesstrafe für gewisse Leute wünschen. Daswill Pilatus andererseits jedoch auch nicht geradezu. Ach, er wälzt die Verantwortung für sein Tun auf Andere ab. Was auch passieren mag, er zuckt die Achseln: „Ich bins nicht gewesen!“ Gut, wenn dieser Mensch einmal abtritt – obwohl er sich noch verzweifelt an seine Macht klammert.

Machen es nicht immer auch manche Andere so? die Verantwortung, die man hat, nicht tragen und dann gar bei eigenem Verschulden mit dem Finger auf Andere zeigen, statt auf die eigene Brust! So wie ein deutscher Theologe eine Schrift herausgab mit dem Titel „Die Schuld der Anderen“ unmittelbar nach dem für sein Land verlorenen Zweiten Weltkrieg. So meint es schon Pilatus: "ich bins nicht gewesen“. Aber machen wir uns klar: Wer sich so drückt vor seiner Verantwortung, der handelt verantwortungslos. Auch und gerade damit macht er sich selbst schuldig. Schwachheit kann auch Sünde sein. Pilatus hält Jesus für unschuldig und lässt ihn doch mit einer Geißel schlagen und ihm eine Dornenkrone aufs Haupt quetschen. Er, der seine Hände in Unschuld wäscht, gerade er öffnet die Tür, durch die das Unheil seinen Lauf nimmt. Er macht sich mit seinen faulen Kompromissen schuldig.

Und dabei krönt er sein Unrecht gegenüber dem König der Wahrheit mit einer Lüge. Er lügt! Obwohl ihm dieser Wahrheitszeuge unmittelbar gegenübersteht, obwohl die Wahrheit ihm dadurch jetzt auf den Leib gerückt ist, zuckt er die Achseln: „Was ist Wahrheit?“ Lügen verdrehen einem den Kopf. So dass man denkt: Was auch immer Wahrheit sein mag, ich kann sie mir zurechtbiegen, bis sie mir passt, und so sagt Pilatus zu Jesus: Ich kann dich freigeben oder dich dem Mob ausliefern. So oder so, ich kann mit dir machen, was ichwill. Dein Schicksal ist in meiner Hand. Der Theologe Karl Barth schrieb: "Die saftige Lüge duftet nach Wahrheit." Es sieht ja tatsächlich danach aus, dass dieser Jesus dem menschlichen Belieben ausgeliefert ist, dass man ihn übersehen oder einen guten Mann sein lassen oder ihn auch auf die Seite schaffen kann. Wer denkt etwa nicht so? Jedenfalls Pilatus denkt so.

Aber er irrt sich. Nicht umsonst sagt das Sprichwort: „Lügen haben kurzeBeine.“ Es gelingt der Lüge nicht, die Wahrheit aus der Welt zu schaffen. Der Beweis dafür lässt nicht lange auf sich warten. Pilatus sagt zu Jesus: „Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich zu kreuzigen, und Macht, dich loszugeben?“ Aber Jesus antwortet: "Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von obenherab gegeben wäre.“ (19,10f.) Das heißt im Klartext: Du hast garkeine Macht über mich. Denn du bist stocktaub, wenn du nicht auf Gott im Himmel hörst. Gott aber istdie Macht der Wahrheit. Und Gott beweist das in dem, der in Jesus in die Welt gekommen ist, um für die Wahrheit seinen Kopf hinzuhalten. Diese Wahrheit, die Wahrheit seiner Gerechtigkeit und seiner Liebe, ist der Lüge überlegen. Sie ist matt gesetzt durch den, der dazu in die Welt gekommen ist, dass er für die Wahrheit einsteht.

    Ein Beleg dafür ist, dass es Menschen gibt, in denen das aufblitzt, was Jesus sagt: „Wer aus der Wahrheit ist, der hörtmeine Stimme“. Das sind Menschen, die vor allem Anderen Ohren haben. Ohren, mit denen sie hören auf das, was ihnen in der Nachfolge Jesu gesagt wird, und hören auf das, was unter den Menschen jeweils nottut. Und haben sie solche Ohren, dann öffnet sich auch ihr Mund und setzt ihre Hände und Füße in Bewegung. Darin zeigt sich, dass sie “aus der Wahrheit“ sind. Und wenn sie noch so schwach sind und noch so bedrängt und noch so einsam, aber solche Wahrheits-Menschen sind Menschen der Zukunft, Menschen, die bleiben werden, Menschen, die stehen und Stand halten.Gewiss, „die Wahrheit kann sehr bitter sein. Manchmal ist es schwerer, sie  auszusprechen, als um sich zu schlagen. Wer aber um die Wahrheit weiß, die Wahrheit, die allein helfen kann, dem ist es auferlegt, sie auszusprechen, gleich, ob ihm das Volk zuhört oder nicht", so hat es Rupert Neudeck gesagt, der Retter tausender Flüchtlinge.

Lasst mich reden von einem weiteren Menschen, der das verstanden hat! Sein Name Paul Schneider. Er war in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts Pfarrer in dem kleinen Dorf Dickenschied im Hunsrück. Er ist 1939 im Konzentrationslager Buchenwald hingerichtet worden. Warum? Wir können kurz sagen: darum, weil er in einer bedrohlichen Zeit mit dem Wort Jesu ganzen Ernst gemacht hat: "Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“ Der hört nicht zuerst auf Stimme des Volkes, auch nicht auf die ihres Führers, auch nicht auf die der Kirchenfürsten, sondern der hört auf den einen guten Hirten! Was Schneider von ihm gehört hat, hat er in einer Klarheit wie kaum ein Anderer in dieser Zeit in seinen Predigten weitergegeben – so, dass es bis ins Berliner Herrschaftszentrum vernommen wurde. Es hieß in seinen Auslegungen: "Frage immer zuerst in allen Dingen Gott um Rat, ehe du Menschen fragst. Auch die besten Freunde werden uns oft nicht das Richtige raten.“ Oder: „Wir können nicht dem Kaiser geben, was Gottes ist." Oder: "Es ist immer gefährlich, und es geht immer aufs Ganze, wenn man mit dem Reden Gottes ernst macht." Aus seiner Zelle hat er dann in Buchenwald seinen Mitgefangenen Bibelworte zugerufen, bis seine Wärter ihn zusammenschlugen.

Besinnen wir uns, was das für uns in unserer Zeit und Welt heißt: Hören auf die Stimme Jesu! Der sagt uns: "Wer meine Rede hört und tut sie, den vergleiche ich einem klugen Mann, der sein Haus auf den Fels baute" (Mt 7,24).



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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