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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmsonntag, 14.04.2019

Predigt zu Matthäus 21:1-9 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Rasmus Nøjgaard

Phil. 2,5-11 und Matth. 21,1-9 (dänische Perikopenordnung)

 

Heute reitet Jesus nach Jerusalem auf dem Rücken eines dauernd schreienden Füllens einer Eselin. Die Knie sind hochgehoben, so dass die Füße nicht über den Boden schleifen. Von fern kann es schwer sein zu sehen, ob es sich um einen Menschen mit Eselsbeinen handelt oder um einen Esel mit einem Menschenkörper. Im Mittelalter, als man das Groteske liebte, feierte man am heutigen Tag Esels-Messe, und der Höhepunkt der Messe war nicht die Predigt oder das Abendmahl, sondern das Schreien des Esels. Der Esel, der auf dem Palatin in Rom, wo die Gladiatoren wohnten, Gegenstand des ältesten christlichen Graffitis aus dem ersten Jahrhundert nach Christus ist. Ein junger Mann, zweifellos ein Gladiator, liegt auf den Knien vor einem gekreuzigten Esel, und darüber steht mit griechischen großen Buchstaben: Alexamenos betet zu seinem Gott!

Es kann auch heute merkwürdig erscheinen, einem Esel eine so zentrale Rolle zuzuweisen, dass er Jesus nach Jerusalem trägt, wo Jesus als ein König gefeiert wird, der erwartete Messias, der Wunder vollbrachte und voller Weisheit redete. Ich kenne keine Statuen mit Königen und Fürsten auf einem Esel. Selbst Don Quichote reitet auf einem stolzen Ross, wie alle andere Fürsten, Könige und Kaiser, man denke nur an die prächtige und feurige Reiterstatue von Maximilian I von Thorvaldsen. Jesus unterscheidet sich sowohl von seiner als auch unserer Zeit durch seine Demut und Dienergestalt. Er wählt nicht das Pferd oder das Kamel als prächtiges uns siegreiches Reittier, sondern einen schreienden Esel.

Aber ich glaube dennoch, dass wir von dem Bild zunächst absehen und nicht gleich hier beim Einzug an die Demütigungen der Karwoche denken sollen. Es ist nämlich nicht nur ein festlicher Einzug, sondern hier wird auf eine Tradition angespielt, wo ein Esel den König zur Huldigung trägt: Salomon reitet nach dem ersten Kapitel des ersten Königsbuches auf einem Esel zu seiner Salbung als König. So heißt es in der ersten Lesung dieses Sonntags Palmarum aus dem Propheten Sacharia (9,9):

Du, Tochter Zion, freue dich sehr,

und du, Tochter Jerusalem, jauchze!

Siehe, dein König kommt zu du dir,

ein Gerechter und ein Helfer,

arm und reitet auf einem Esel,

auf einem Füllen der Eselin.

Es ist der siegreiche König, der die Waffen seiner Feinde zerbrochen hat und der deshalb den Frieden in aller Welt ausrufen Kann. Jesu Einzug in Jerusalem war kein demütiger und friedlicher Einzug, sondern eines siegreichen Königs würdig: Das Füllen der Eselstute, das Gewand über dem Eselrücken, die Palmenzweige und die Kleider des Volkes, die vor Jesus beim Einzug in die Königsstadt Jerusalem selbst in den Staub gelegt werden.

Das Volk ehrt Jesus als einen König, und die Erwartungen waren zweifellos groß. Seine wunderbaren Taten, Wunder und Weisheitsworte sind ihm vorausgeeilt zusammen mit seiner mächtigen Rede, dass die Zeit gekommen ist, der Tag nahe ist. Ich meine, es ist wichtig, dass man versteht, dass er Einzug Jesu heute wahrlich als die Huldigung eines Königs erlebt wurde, und die Erwartungen des Volkes waren – berechtigterweise – himmelhoch. In unserer Abendmahlsliturgie haben wir bis heute diese Hochstimmung erhalten, wenn wir unser Abendmahl in derselben Weise damit beginnen, dass Christus wirklich kommt: Heilig ist der Herr, Gott der Allmächtige! Gesegnet sei der, der da kommt, im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! /(Sanctus, Benedictus, Hosianna). Diese Worte haben ihren Ursprung in diesem Ereignis, wo Jesus als der neue König kommt, als der Messias, der in seiner Allmacht das Volk wieder groß und stark machen wird, und in der prophetischen Vorgeschichte dieses Ereignisses im Alten Testament.

Auf diesem Hintergrund vollzieht sie die Geschichte von Ostern. Der Verrat der Jünger, die Verurteilung und die Kreuzigung sind nicht denkbar, wenn man nicht versteht, dass Jesus in jeder Hinsicht die Erwartung des Volkes enttäuscht, der König zu sein, der Recht und Ordnung wieder herstellt, Macht und Glorie vergangener Zeiten – und nicht zuletzt die Römer vertreibt! Alles, was in der nächsten Woche geschieht, ist in diesem Sinne unvermeidlich. Wenn du erst den Königstitel angenommen hast, wenn du dich erst als starker Befreier des Volkes hast feiern lassen – und dann nur Schwachheit, fehlende Tatkraft zeigst und dich den Römern unterwirfst, dann muss das Urteil fallen. Wenn du sagt, die Zeit ist reif, wo sich das Volk erheben wird, ohne dass etwas geschieht, dann ist es nicht nur folgerichtig, sondern ein Naturgesetz, dass die Stimmung umschlägt mit entsprechender Gewalt, von Freude und Fest zu Verachtung und Rache. Da ist nichts besonders Böses oder Abstoßendes am jüdischen Volk. Es ist die Erkenntnis, dass die Zeitgenossen Jesu so sind wie wir, wir, die wir noch immer an unser eigenes Recht glauben, auch wir sind bereit, andere Völker  als nicht willkommene und unberechtigte Schmarotzer abzulehnen.

Die Texte für diesen Sonntag sind mit anderen Worten die Ankündigung einer neuen Zeit, einer neuen Herrlichkeit, wo wir über den Frieden herrschen. Zugleich wissen wir sehr wohl, dass die Geschichte anders ausgeht. Deshalb ist der Brief des Paulus an die Philipper so wichtig, ja so bedeutend für unser Verständnis von Christus, dass er sowohl die Adventszeit als auch die Osterwoche einleitet und sogar in der Weihnachtsliturgie des dänischen Komponisten Hartmann verwandt wird: Gott nahm Knechtsgestalt an und wurde Mensch. Aber er hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. Das ist einer der wichtigsten Texte in unserer Tradition, nicht zuletzt deshalb, weil wir hier einen Schlüssel finden, um die Verwandlung zu Ostern von Fest zu Trauer und dann zur Freude zu verstehen. Im Menschen Jesus will Gott selbst Mensch werden und den Tod erleiden, ja – da steht schlicht und einfach, dass Jesus tut, was sein Vater befohlen hat. Er ist gehorsam bis in den Tod am Kreuz. Erst hier hat der Mensch Jesus seine Sendung von Gott in der Welt erfüllt. Deshalb wird Jesus wieder aus dem Grabe auferweckt, erhöht und in den Gott verwandelt, den wir in Christus kennen: Er, der in den Tod ging, damit wir von nun an in alle Ewigkeit Vergebung und Segen empfangen.

Hier geschieht eine Verwandlung aus der Sprache der Macht in die Sprache der Vergebung. Plötzlich verstehen wir, was Jesus uns lehrte und warum sein Leben die Verwandlung durchlaufen sollte, die unmittelbar unmöglich zu verstehen ist: Er gab sich selbst hin für uns! Er nahm unsere Huldigung entgegen heute an Palmarum, er nahm unseren Verrat und unseren Hohn am Gründonnerstag und am Karfreitag an, und er nahm alle unsere Erwartung auf sich und verwandelte sie in eine neue Liebe, die nicht mehr den wenigen vorbehalten war, sondern allen galt. Die Auferstehung Jesu ist nicht mehr nur seine eigene Verwandlung, sondern die Verwandlung eines jeden, der glaubt.

Seitdem ist diese Tat dazu missbraucht worden, neue Hierarchien zu schaffen, auch wenn dies freilich geschah, um Barrieren einzureißen und Raum zu schaffen für eine neue Sprache von Vergebung und Versöhnung. In der zweitausendjährigen erschreckenden Geschichte hat die Kirche selbst eine Lehre darüber entwickelt, dass wir Gott noch immer befriedigende Opfer durch Gebet und Gottesdienst bringen sollen, eine Lehre der Satisfaktion. Sie kennen das Wort aus dem Englischen: Satisfaction. So beschreiben die Rolling Stones treffend den modernen Menschen: I can’t get no satisfaction. but I try, but I try! Die römische Lehre, dass wir Gott mit unseren Taten zufriedenstellen sollen, um selbst befriedigt zu werden. Ich begegne häufig unter den Leuten, mit denen ich rede, die Vorstellung, dass man ein frommer und guter Christ ist, indem man in die Kirche geht. Und wenn man zum Abendmahl geht, ist man besonders fromm. Ich glaube, dass viele nicht zum Abendmahl gehen, weil, die meisten einfach glauben, dass dies einen besonderen Opferwillen, einen besonderen Glauben erfordert, eine Frömmigkeit. Aber nichts ist mehr verkehrt: Zum Abendmahl gehen heißt allein die Gabe empfangen, die uns Christus ein für alle Mal geschenkt hat: Anerkennung und Genugtuung! Du kommst nicht mit deiner Demut oder Deinen Sünden, wie so viele glauben. So tief sind wir in dieser römischen Lehre von der Satisfaktion gefangen, dass sie fast die eigentliche Befreiung der Botschaft verdeckt: Gott hat schon in seinem Sohn uns dazu befreit, das wieder aufzurichten, was zerbrochen ist. Wir brauchen ihm nicht die Opfer der Sünde zu bringen, das können wir gar nicht. Es ist vollkommen richtig, wenn die Rolling Stones schreien: I can’t get no satisfaction. but I try, but I try! Nicht wir sollen Gott zufriedenstellen. So wie wir auch nicht glauben sollen, dass wir uns selbst zufriedenstellen können, denn das können wir nicht. Vorläufig vielleicht, aber die Leere und die Ohnmacht werden sich schnell einfinden. Christus hat es schon vollbracht, er hat uns schon befreit von diesem Jagen nach Frömmigkeit und Genuss. Wenn wir zusammen essen, ist dies eine gemeinsame Mahlzeit, wo wir feiern, dass wir schon frei sind zu leben und uns nicht von dem der Welt innewohnenden Streben nach mehr von allem versklaven zu lassen, von der Sprache der Macht und den Taten der Ungerechtigkeit. Wir sind vielmehr frei gestellt, die Taten der Liebe zu tun.

In der Taufe sind wir in Christus eingepflanzt, und im Abendmahl danken wir dafür, dass er sich selbst für uns gegeben hat, so dass wir im Gedächtnis an ihn mit ihm verwandelt werden und schon jetzt uns versöhnen mit uns, wie wir sind, und mit denen, mit denen wir zusammen leben.

Palmarum ist ein Festtag. Weil wir nun gelernt haben, was da für ein König auf dem Füllen einer Eselin einreitet, Christus – der leidende Knecht, der den Tod besiegen wird und uns dazu befreien wird, unter seinem Segen zu leben. Denn das können wir nicht selbst. Wir müssen akzeptieren, dass wir selbst sind wie das Volk. Gerade hoch gestimmt in der Huldigung, dann voll kalter Ablehnung, einmal bestimmt von Liebe, dann von Hass, einmal bestimmt von Fürsorge, dann von Egoismus. Deshalb kommen wir in die Kirche, um an den Kampf zu denken, der der unsere ist, und vor allem daran, dass uns die Liebe Gottes schon begegnet ist -  er, der uns liebt und sich für uns hingab. Auch wenn er wusste, dass unsere feierliche Huldigung heute bald umschlagen wird in Abfall und Ablehnung.

Die Gewissheit, dass wir geliebt sind und dass Gott sich schon mit unserer Schwachheit versöhnt hat, liegt schon hier an diesem mit Palmen bedeckten Tag. Deshalb ist er getragen von Freude und unserer tiefen Dankbarkeit, in der Hoffnung darauf, dass der Friede und die Versöhnung, die dieser Tag damals verkündete, auch heute Wirklichkeit werden möge. Amen.



Pastor Rasmus Nøjgaard
Kopenhagen, Dänemark
E-Mail: rn(at)km.dk

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