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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostermontag, 22.04.2019

Predigt zu Lukas 24:13-35 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Eva Tøjner Götke

Ps. 22,22b-32; ApG 10,34-41; Luk. 24,13-35 (dänische Perikopenordnung)

 

 

Hier zu Ostern habe ich ein grausames Buch gelesen. Als wären Ostern und die Welt nicht grausam genug.

Das Buch heißt: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht.

Ein russischer Journalist hat die vielen russischen Frauen interviewt, die freiwillig während des Zweiten Weltkriegs an der Front kämpften.

Und wir reden von der vordersten Front. Nicht von den Fleischtöpfen oder der Arbeit an den Feldlazaretten – nein, sie waren da draußen, wo die Hölle los war, wo die größten Unmenschlichkeiten geschahen, wo der Hass die Soldaten zu Unmenschen machte, in den Schützengräben, wo sie hungerten und froren und wo die Verwundeten neben ihnen starben.

Das ist ein langes Karfreitagsbuch, und da ist nicht viel Hoffnung.

Und dennoch – eine der Frauen erzählt, was für ein Segen es war, wenn man plötzlich am Morgen die Vögel singen hörte, ehe die Kämpfe losgingen.

Und was für eine Erinnerung an das Dorf und das Leben dort es war, die Frühlingsblumen aus der Erde wachsen zu sehen, die ausgemergelt war und voll von Blut.

Sie erzählen eine andere Kriegsgeschichte als die, die wir von den Schlachten gewohnt sind, von den Frontlinien, wo sie verliefen, den Städten, die fielen, und den vielen, die umkamen.

Die Frauen, die interviewt wurden und die Zeugen der brutalsten Grausamkeiten gewesen waren, erzählen von den kleinen Taten der Barmherzigkeit, die mitten in dem Ganzen stattfinden konnten. Ein Brot, das geteilt oder dem Feind gerecht wurde, die kleinen Zeichen dafür, dass da ein Rest von Menschlichkeit mitten in dieser Hölle existierte.

Und diese Frauen hatten einen Blick für diese Augenblicke. Sie lebten und überlebten durch sie.

Und jetzt denke ich daran, dass es ja auch Frauen waren, die am Ostermorgen zum Grabe kamen.

Und ich denke: Wir Menschen suchen Zeichen.

Wir suchen Zeichen, um den schlimmsten Albtraum überleben zu können.

Auferstehungszeichen.

Und die gibt es.

Zeichen, die uns weg führen von dem schwarzen Loch, in dem Glaube und Hoffnung begraben sind, und die uns Leben schenken und uns zu Menschen machen, die noch immer das Schöne fühlen und sehen können, sich anrühren und bewegen lassen.

Selbst im schlimmsten Albtraum.

Ich denke, dass die beiden Jünger an dem Morgen das Singen der Vögel bemerkten.

Mitten in all ihrer Verzweiflung und Ratlosigkeit und Trauer darüber, dass alles aus war, da bin ich sicher, haben sie dennoch den Gesang der Vögel bemerkt.

Ich bin sicher, dass sie offen waren für jedes Zeichen, dass es nicht so war, wie sie wussten, dass alles aus war.

Und ein Mensch schließt sich ihnen an.

Und ich bin sicher, dass sie meinten, dass das ein Trost war, dass jemand sie begleiten und ihnen zuhören wollte.

Denn dann waren sie trotz allem nicht so allein.

Ein Zeichen der Mitmenschlichkeit.

Das meinten auch die russischen Frauen im Krieg, als dann ein Journalist vierzig Jahre später sich für ihre Geschichte interessierte, die von den richtigen Kriegshelden vergessen und verdrängt war, den Männern.

Und wir kennen das alle. Wie gut das tut, das uns jemand zuhören will, wenn wir verzweifelt sind und den Glauben und die Hoffnung verloren haben.

Aber wir wissen auch, dass die Worte von uns abprallen, wenn uns die Leute den Zusammenhang erklären wollen und einen Sinn in dem sehen, wo wir keinen Sinn finden können, wie viel sie auch reden.

Und so geschieht es auch mit den beiden.

Und wenn es auch der Auferstandene ist, der neben ihnen geht und den Theologen spielt und die Schrift auslegt, so dass klar wird, dass das, was in Jerusalem geschah, geschehen musste, so wie es geschah – auch das was die Frauen von dem leeren Grab erzählt hatten und dem Engel, der sich ihnen gezeigt hatte und gesagt hatte, dass Jesus lebt-

Diese Erklärung verleiht ihnen keine Klarheit. Sie lässt sie nichts verstehen.

Sie lässt sie keine Bedeutung in dem finden, was geschehen ist.

Eine Bedeutung für sie.

Das geschieht in einer ganz anderen Weise. Nicht intellektuell, sondern durch ein Zeichen, das sie wiedererkennen und das etwas in ihnen bewirkt.

Sie gehen und gehen.

Und es wird Abend. Der Tag neigt sich.

Und sie bitten den Fremden, bei ihnen zu bleiben-

Und sie essen zusammen.

Und die Mahlzeit wird plötzlich zu einem Abendmahl.

Er bricht das Brot.

Und sie sehen ihn vor sich – den Auferstandenen.

In einem Augenblick.

Und sogleich erhält alles Bedeutung.

Für sie.

Der Auferstandene ist nicht nur etwas, worüber die anderen reden, er ist es für sie.

Und das entfacht die Glut in ihnen – und die Freude.

Es war er, der mit ihnen in ihrer Verzweiflung ging. Nun spüren sie es.

Mit rückwirkender Kraft kommt Licht in alles.

All das, was war und war gewesen war.

All das, was ihnen verdeckt und verborgen war.

Und nun erhalten sie die Zukunft zurück, die sie verloren glaubten.

Und sie eilen sofort nach Jerusalem, zu den anderen – der Gemeinschaft, die in Auflösung begriffen war.

Das ist Ostern vor dem Herrn.

Das ist Auferstehung von den Toten.

Die heutige Botschaft an uns ist, dass es ein Emmaus für uns alle gibt.

Einen Wendepunkt, wo die Auferstehung Bedeutung erhalten kann. Für dich und mich.

Nicht nur als etwas, worüber wir reden und worüber wir uns wundern, von dem wir singen und für das wir danken, sondern als etwas, das einen Unterschied macht in unserem Leben. Zu einem entscheidenden Zeitpunkt.

Da wartet ein Emmaus auf uns alle.

Ein Augenblick der Auferstehung, der alles neu macht für uns.

Ein kostbarer Augenblick – wo alles gut wird, auch all das, was intellektuell keinen Sinn macht.

Ein Augenblick, der Licht bringt in das Menschliche und das Unmenschliche.

Ein Augenblick, der ein Schlüssel ist für das Verständnis des Lebens.

Und der uns Augen gibt, die sehen.

Damit wir weiter Zeichen suchen.

Und sie sehen.

Oder – genauso wichtig, der und die Gewissheit gibt, dass die Zeichen da sind, auch wenn wir sie nicht sehen können.

Und der bewirkt, dass wir immer weiter gehen und gehen können.

In die Kirche.

Zum Abendmahl.

Nach Emmaus.

Frohe Ostern!



Pastorin Eva Tøjner Götke
Odense, Dänemark
E-Mail: etg(at)km.dk

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