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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 21.03.2008

Predigt zu Jesaja 52:13-53,12, verfasst von Reinhard Brandt

Was ist der beste Schluss für eine Karfreitagspredigt? - „Also dann, fröhliche Ostern!"

Wenn Sie nun schmunzeln über diesen alten Pfarrerwitz, liebe Schwestern und Brüder, dann nehmen Sie etwas vom Osterlachen vorweg.

Oder vielleicht ist Ihnen das Lächeln auch eingefroren, das Lachen im Halse stecken geblieben.

* Nein, an Karfreitag macht man keine Witze, das wäre wie zusätzlich Hohn für den Gekreuzigten.

* Und nochmals nein, am Karfreitag ist das Leiden auszuhalten, ernst zu nehmen ist der Tod - und nicht von Ostern zu sprechen.

Beide haben Sie recht, liebe Schwestern und Brüder, die mit dem vorzeitigen Osterlachen und die mit dem Ernst des Tages! - Denn in dieser Spannung bewegt sich der Predigttext für heute: zwischen dem, der völlig verachtet ist, voller Schmerzen und Qual - und dem, der erhöht und sehr hoch erhaben sein wird.

Der Tag der Kreuzigung! Die Geschichte haben wir gerade gehört und man muss sie immer wieder hören. Kein Wunder, sondern viele Wunden und viele Grausamkeiten. So sind die Menschen. Menschen stehen auf Blut, immer wieder quälen und töten sie, ein Grund findet sich immer.

Man muss sich dazu die Jünger vorstellen, wie sie das Sterben Jesu erlebt haben! Von ferne haben sie zugesehen. Was für eine Katastrophe! Ihr Meister, der Lehrer und Freund wird hingerichtet. Folter mit tödlichem Ausgang. Gequält, schmerzverzerrt, am Ende steif und tot hängt er, gehängte Hoffnung, der Himmel düster, Verzweiflung statt Verheißung.

Und dazu die Zweifel! Zwar ohne jeden Zweifel war Jesus ein Gerechter, unschuldig verurteilt aus genauem politischen Kalkül. Aber jetzt hängt er da: der Gerechte gescheitert! Stimmt dann nicht doch, was die Richter geurteilt, die Folterknechte gehöhnt hatten? „Verflucht ist, der am Holze hängt." Stimmt es nicht? Der Gescheiterte schreit, der Verfluchte wird flugs begraben.

Kein Wunder, wie die Jünger reagieren, verstört, mit Fluchttendenzen, Flucht vor ähnlicher Gefahr durch die gleichen Folterer; Flucht zugleich zurück in die Pflichten des Alltags.

Ungläubig daher die Reaktion der Jünger auf die erste Botschaft der Frauen, drei Tage später: Das Grab sei leer, und Er, Er lebe! Furcht und Zittern ist die erste Reaktion, nur zu verständlich! Dann die Begegnungen mit dem Auferstandenen selbst, auf dem Weg [Lk. 24,15 ff.], die verschlossene Gemeinschaft öffnend [Lk. 24,36 ff. u.a.], beim Rückweg in den Alltag der Fischer [Joh. 21,1 ff.]. Nicht wie früher begegnet ihnen Jesus: anders, zwar derselbe, doch erhöht jetzt, der Erde entzogen, schon in Gottes Welt [Apg. 1,9 ff.].

Ein Umsturz! Der Herr ist auferstanden! Die Todesmächte der Welt, der Tod selbst ist besiegt! Doch warum vorher Jesu Tod am Kreuz? War das doch kein Scheitern? Kein Wunder deshalb, wie die Jünger und später die erste Gemeinde, die ersten Theologen versuchten, zu begreifen, was geschehen ist. Tastend die Versuche, natürlich, es war ja unbegreiflich, doch ein Nachdenken in verschiedene Richtungen.

Sicher zuerst in einem Gegensatz und im Vorwurf an die Richter und Rufer und Henker, aber auch an die, die gerufen und gegafft haben: „Ihr habt den Fürsten des Lebens getötet; den hat Gott auferweckt von den Toten". [Apg. 3,14]

So kann man sich gut gegenüber den Anklägern rechtfertigen und sie umgekehrt anklagen! Doch für sich selbst hat man damit noch gar nichts begriffen: Was Jesu Kreuzigung, was sein Sterben am Karfreitag für uns bedeutet, das fragten sich die ersten Christen. Und so lasen sie - als gute Juden, die sie waren - in ihrer heiligen Schrift und lasen und entdeckten einen biblischen Text, in dem sie viele von ihren eigenen Erfahrungen wiedererkannten.

Ein Lied über den Gottesknecht lasen die ersten Christen mit Eifer, aus dem Buch des Propheten Jesaja: Sie lasen: „Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus" - und sie dachten: „Ja, genau, entsetzlich war, wie Jesu Gestalt am Kreuze hing, nicht mehr wie ein Mensch. Als wäre es damals schon über Jesus geschrieben", dachten die Christen, als sie lasen: „ein Mann voller Schmerzen ... Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, so war er verachtet

„Wen hat der Prophet wohl ursprünglich gemeint?" mag einer gefragt haben: „Sicher, er schrieb von einem Knecht Gottes, aber wer ist das ursprünglich gewesen?" Doch darauf wusste keiner eine Antwort. „Ist auch egal" entgegnete ein anderer, „wichtig ist doch, dass wir im Geschick jenes Gottesknechtes heute Jesu Geschick verstehen."

Denn sie lasen weiter, die Christen in jener frühen Gemeinde: „Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt" „Eben so haben wir es ja hören müssen, wurde es uns entgegen gehalten: Verflucht sei, wer am Holz hängt, verflucht, von Gott verlassen." Und sie lasen mit glühenden Gesichtern: „Doch er wurde durchbohrt - durchbohrt, Hände und Füße natürlich, dazu der Stich in die Seite - durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt."

Eine heftige Diskussion folgt auf den Vortrag des Vorlesers. „Die Verbrechen der römischen Besatzer und Soldaten, des römischen Statthalters, des Hohen Rates und aller Folterknechte! Doch unsere Verbrechen? Unsere Sünde?" „Ja, auch unsere Sünde", entgegnet einer der Jünger, einer von den Dreien, die im Garten Gethsemane dabei waren: „Ja, auch unsere Sünde, denn wir haben nicht verstanden, wir haben geschlafen, als er uns gebraucht hätte, und danach sind wir alle weggelaufen, feige wie wir waren; und Petrus hat abgestritten, mit ihm was zu tun zu haben."

Und ein anderer liest weiter und wirft ein: „Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt. Das ist so etwas wie Stellvertretung! Hat nicht Jesus selbst so etwas ähnliches angedeutet, als er uns beim letzten Abendmahl das Brot reichte? Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Für euch, da ist das Muster wieder, von Jesus selbst."

Einer in der Gruppe, die da diskutiert, war Priester am Jerusalemer Tempel gewesen. So eine Art Stellvertretung passiert ja auch beim Opfer, erklärt er den anderen und deutet auf eine andere Stelle in der Schriftrolle: „der zerschlagene (Knecht) ..., der sein Leben als Sühnopfer hingab."

„Es passt genau" erklärt er eifrig. „Erinnert ihr euch, wie Jesus geschwiegen hat, als sie ihm den Prozess machten, vor dem Hohen Rat und vor Pilatus. Genau so steht es hier: Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf. Als hätte es der Prophet damals vorhergewusst."

„Vielleicht stimmt ja nicht alles im Detail" mischt sich der erste Vorleser wieder ein. „Das mit dem Grab bei den Ruchlosen stimmt zum Beispiel nicht. Da hat der Prophet eine andere Person vor Augen gehabt, Jesus wurde in ein ehrenhaftes Grab gelegt, bei Josef von Arimathia, einem Ratsherrn. Aber grundsätzlich! Grundsätzlich stimmt der Umschwung! Genau, wie wir ihn erlebt haben: das Kreuz und unser Entsetzen, und dann die Auferstehung, dass alle nur staunen. Hört doch, wie der Prophet schreibt!"

Und alle beugen sich vor und der Vorleser liest, von Anfang an: „Seht, mein Knecht hat Erfolg, er wird groß sein und hoch erhaben. Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch ... Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen."

„Ja, so wird es sein" murmelt einer der Umsitzenden dazu: „viele Völker werden staunen, und selbst Könige werden verstummen."

 

Ich mache hier einen Schnitt, liebe Schwestern und Brüder heute. So oder so ähnlich wurde in der frühen Christenheit das Gottesknechtlied aus dem Buch des Propheten Jesaja gelesen und auf das Geschick Jesu gedeutet: Was das Geschehen des Karfreitags, was Kreuz und Tod Jesu für „uns" bedeuten angesichts seiner Auferstehung.

Ich lese aus Jes. 52 und 53. Und vielleicht mögen Sie dabei zwei Bilder vor Augen halten, zwei Bilder aus der christlichen Kunst:

· einen gequälten, schmerzverzerrten Christus;

· und zugleich einen erhöhten Christus, schon am Kreuz mit der Krone.

Beide Bilder gehören zu dem Raum, in dem das Gottesknechtlied laut wird:

 

52,13 Seht, mein Knecht hat Erfolg, / er wird groß sein und hoch erhaben.

14 Viele haben sich über ihn entsetzt, / so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, / seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen.

15 Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, / Könige müssen vor ihm verstummen. Denn was man ihnen noch nie erzählt hat, / das sehen sie nun; was sie niemals hörten, / das erfahren sie jetzt.

53,1 Wer hat unserer Kunde geglaubt? / Der Arm des Herrn - wem wurde er offenbar?

2 Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Spross, / wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt, / sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, / dass wir Gefallen fanden an ihm.

3 Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, / ein Mann voller Schmerzen, / mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, / war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.

4 Aber er hat unsere Krankheit getragen / und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, / von ihm getroffen und gebeugt.

5 Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, / wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, / durch seine Wunden sind wir geheilt.

6 Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, / jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn / die Schuld von uns allen.

7 Er wurde misshandelt und niedergedrückt, / aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, / und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, / so tat auch er seinen Mund nicht auf.

8 Durch Haft und Gericht wurde er dahingerafft, / doch wen kümmerte sein Geschick? Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten / und wegen der Verbrechen seines Volkes zu Tode getroffen.

9 Bei den Ruchlosen gab man ihm sein Grab, / bei den Verbrechern seine Ruhestätte, obwohl er kein Unrecht getan hat / und kein trügerisches Wort in seinem Mund war.

10 Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), / er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. / Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen.

11 Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. / Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; / er lädt ihre Schuld auf sich.

12 Deshalb gebe ich ihm seinen Anteil unter den Großen / und mit den Mächtigen teilt er die Beute, weil er sein Leben dem Tod preisgab / und sich unter die Verbrecher rechnen ließ. Denn er trug die Sünden von vielen / und trat für die Schuldigen ein.

 

Was ist der beste Schluss für eine Karfreitagspredigt? - Wenn wir jenem Gottesknechtlied folgen, liebe Schwestern und Brüder, dann ist es der Anfang der Karfreitagspredigt, die Eröffnung, das Vorzeichen vor allen Versuchen, zu verstehen, was am Kreuz Jesu wirklich geschehen ist: Am Anfang der Deutung steht schon die Erhöhung, die Wende und Umwertung Gottes: „Seht, mein Knecht hat Erfolg!"

Und am Ende? Am Ende nach dem Tod noch einmal die Umwertung Gottes: „weil er sein Leben dem Tod preisgab / und sich unter die Verbrecher rechnen ließ, darum fand der Herr Gefallen an seinem zerschlagenen Knecht und rettete ihn und gab ihm seinen Anteil unter den Großen."

Das Leid des Gekreuzigten wird gerade ernst genommen und verstanden, wenn am Ende der Karfreitagspredigt ein gewisser und getroster Wunsch steht. Deshalb doch: Frohe Ostern!

Der Friede Gottes, der Niedrigkeit und Hoheit umfasst, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 


 

Nachbemerkungen:

1) Um dem Gottesknechtlied in seiner Gesamtheit gerecht zu werden, war auch Jes. 52,13-15 hinzuzunehmen. Damit erhöhte sich zwar die Komplexität der Deutungsebenen, aber vor genau dieser Komplexität standen auch die ersten Christen bei ihrem Bemühen, den Tod Jesu zu deuten.

2) Der Vorschlag einer Predigtmeditation (Chr. Demke in GPM. 56. 2002, S. 181), die Einheitsübersetzung zu verwenden, hat sich für mich - bei großer Liebe zur Lutherübersetzung in den meisten anderen Fällen - in diesem Fall bewährt.

3) Als Bild für den leidenden Christus ist der spätgotische Isenheimer Altar bekannt und etwa als Ausdruck zu verwenden: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Mathis_Gothart_Gr%C3%BCnewald_023.jpg

4) Als Bild für den erhöhten, gekrönten Christus verweise ich z.B. auf ein romanisches Vortragekreuz in der Evang. Stadtkirche in Weißenburg: http://www.st-andreaskirche.de/kreuz/Vortragekreuz.htm



Dekan Dr. Reinhard Brandt
Weißenburg
E-Mail: reinhard.brandt@elkb.de

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