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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostermontag, 22.04.2019

Das alles und noch viel mehr!
Predigt zu Jesaja 25:6-9, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

„das alles, und noch viel mehr, würd‘ ich machen, wenn ich König von Deutschland wär!“ Vermutlich haben Sie den Refrain dieses Pop-Songs schon mal gehört. (1) Früher lehnten wir übertriebene Forderungen ab mit dem Satz: Ja, bin ich denn der Kaiser von China? Doch selbst Könige und Kaiser werden heute, am Ostermontag, getoppt. Denn Jesus sagt nicht mehr: „Ich würde es machen, wenn ich‘s wär‘!“ sondern er sagt: „Es ist vollbracht, ich bin die Auferstehung!“ Was Gott bestätigt: „Ja, deine Auferstehung ist vollbracht – durch mich und für alle!“ Jesus hat dafür den Tod überwunden, den er zuvor erlitten hat. Das ist der Link zwischen Karfreitag und Ostern, nur so konnte der Tod entmachtet werden. Nun ist Jesus Christus der Erstling der Auferstandenen und der Architekt des Heils. Er ist global und persönlich Lebensretter und Sinnstifter. Das ist der Quellcode unseres Glaubens.

 

Liebe Gemeinde,

„Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ – So erwidern wir gerne die Botschaft des Ostersonntags. Heute, am Ostermontag, sind wir einen Schritt weiter, denn Jesus hat seine Rundreise begonnen. Das Emmaus-Dorf und Jerusalem sind seine ersten Stationen. Dann auch das Seeufer im Norden und, was die Evangelisten schon vorab erzählten, der „Berg der Verklärung“. Bei dieser „Verklärung“ wird Jesus umrahmt von den großen Gestalten des jüdischen Glaubens, Elia und Mose. Elia steht symbolisch für die alttestamentliche Prophetie und Mose für die 10 Gebote. So wird veranschaulicht, dass Jesus beides erfüllt hat: Die Sehnsucht der Prophetie und die Strenge der Gesetzlichkeit. So fließt in eins, was zusammengehört. Christi Himmelfahrt können wir dann leichter nachvollziehen als bisher, weil wir ja beides haben: Die Sinngebung vorab durch die Prophetie und die Machtfülle des Auferstandenen seitdem.

Dazu habe ich ein Mosaik vor Augen, das ich auf einem französischen Friedhof sah. Jesus Christus breitet als Pantokrator seine Hände über die ganze Welt aus, wobei aus seinen Händen Lichtstrahlen ausströmen und sich verteilen. (2) So gesehen macht der Auferstandene einen guten Job, darin ist er Gott gleich. Das alles, und noch viel mehr, macht er, seitdem er inthronisiert wurde, sitzend zur Rechten Gottes, des Allmächtigen Vaters.

 

Um auf diesen Weltenthron zu kommen, hat Gott ihn aus dem Tod zurückgeholt. Die Inthronisierung seines Christus Jesus war eine Wiederholung seiner eigenen Thronbesteigung. Gott hatte die Welt erschaffen, dann ruhte er. Aber als er dann auch zum König aller Könige aufstieg, zum „Jahwe Zebaoth“, hat er das vermutlich „galaktisch“ gefeiert. Das Programm haben die Propheten im Format von Visionen unters Volk gebracht, durchaus auch als großes Schlussbild der Heilsgeschichte (3). Heute, am Ostermontag, stellt uns der Prophet Jesaja seine Vision vor Augen. Sie lautet: „Gott, der JAHWEZebaoth, wird auf diesem Berge allen Völkern ein Gelage herrichten, … von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. Er wirdden Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERRwird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERRhat's gesagt. Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.«

 

Liebe Gemeinde,

die aktuellen Adelsfamilien und Dynastien feiern ihren Dienstantritt und ihre Hochzeiten doch sehr anders. Als die niederländische Beatrix ihre Königskrone an ihren Sohn Willem weitergab, fand ich das Ritual in der Kirche spannend. Da wurden alle Provinz- und Parteifürsten auf Gehorsam abgefragt und selbst die Verächter antworteten brav. Danach entlud sich alles in großem Jubel und einem bierseligen Nationalfeiertag, wobei die Calvinisten darauf pochten, dass der nicht wieder auf einen Sonntag gelegt wird. (4)

 

Doch manchmal sind auch „Royals“ neben der Spur. Die spanische Infantin heiratete ausgerechnet einen baskischen Handballer. Der Fürst von Monaco erweiterte vorübergehend seine Habenseite um ein Model für Bademoden. Nur Prinz Charles hadert mit seiner Mutter, dass er wohl nie ein geschlachtetes Kalb, keinen Siegelring und kein rauschendes Volksfest bekommen wird. (5)

Solche Feiern müssen tadellos und makellos sein, sonst steht das Image des jungen Amtsträgers auf dem Spiel. Wer als neue Parteivorsitzende im Karneval etwas ungeschickt sagt, bekommt eine Narrenkappe. Ein kleiner Fehler am ersten Arbeitstag, und Du hast ein Langzeitproblem.

 

Doch Gott feiert anders. Nach außen hin ist er riesig spendabel, dabei nach innen gezielt diakonisch. Nach außen hin fließt bester Wein in Strömen und trieft das Fett von den Drehspießen. Doch insgeheim ist der soeben in Allmacht Inthronisierte unterwegs und macht Sachen, die für sein Image schädlich sind. Er zerreißt eine Decke, er verschlingt den Todfeind, und er wischt alle Tränen ab. Darf der das, sogar am Tag seiner Thronbesteigung? Wird er das öfters spontan tun, oder wird er es nur ankündigen und dann auf ewig vertagen?

Für den Propheten Jesaja spielt die Zeit keine Rolle. In seiner Vision ist das Untypische an Gott nicht in der Vergangenheit abgeschlossen, nicht auf die Gegenwart beschränkt und auch nicht auf die Endzeit verschoben. In einem modernen Bild gesprochen ist Gott so etwas wie ein Hybrid, der beides an Bord hat. Er wohnt in der Höhe und zugleich bei den Gedemütigten. Er thront als Erhabener im Himmel und beugt sich herab zu den Zerschlagenen. (6) Zur Zeit und zur Unzeit. Und Jesus Christus ist von gleichem Zuschnitt. Er ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Er bleibt unverfügbar und souverän und lebt das aus im Trösten und Heilen. Anders aber gegenüber lebensfeindlichen Mächten: Die würgt er ab, die verschlingt er. Dazu einige Beobachtungen meinerseits.

 

Liebe Gemeinde,

am Tag, an dem Gott seine Gesamtprokura antritt, reißt er eine Decke weg. Es ist ein Gesichtsschleier, ähnlich einem elastischen Schlauchschal, den wir beim Outdoor-Sport benutzen. Augen, Ohren, Nase, Mund sind dadurch vermummt. Im übertragenen Sinn sind sich darin Heiden und Christen gleich, die Garnichts-Glaubenden und die Mose-Gläubigen auch. Aber was für ein Ergebnis sieht davon der Prophet? Jedenfalls keine Christianisierung! Die Decke ist auch keine Gottesverhüllung, kein Hungertuch vor einer Ikonostase, die ja den heiligen Gott in die Mitte stellt. Nein, die Dunkel-Folie, die Gott zerreißt, ist religionsneutral, dafür aber zutiefst menschlich.

Der Gott des Himmels und der Erde schenkt als erstes seinen Untertanen ein freies Gesicht. Gott teilt mit uns seine Sinne, das ist stracks gegen die Machtansprüche eines Königs. Damit sind wir auch keine Untertanen mehr, sondern Erben der Verheißung und ausführende Organe seiner 360°-Fürsorge. Und da, mitten drin, der zentrale Vorgang: „Gottwirdden Tod verschlingen auf ewig!“ (7) Davor hieß es: „Er wird die Decke zerreißen!“ und danach steht: „Er wird die Tränen abwischen und die Schmach aufheben!“ Ich versuche mal, das zu kombinieren.

 

Liebe Gemeinde,

bisher sah ich nur, dass das Zerreißen der falschen Schutzfolie unsern menschlichen Horizont aufreißt. Durch den Riss hindurch erkennt Gott nun aber, dass wir weinen. In dem Augenblick, als Gott alle anderen Götter übertrumpfte und an dem Tag, als Jesus Christus seinen Hochsitz (8) erklomm, zerrissen sie die Masken ihrer Geschöpfe und sahen deren Tränen und deren Schmach. (9)

Nun, wenn Jesus eine Schmach erkannte, löste er sie auf. Ähnlich macht es Gott. Vom ersten bis zum letzten Tag wischt Gott die Tränen seiner Geschöpfe ab, weil der Tod ein Nichts wurde und werden wird und Leid und Geschrei verstummen werden. Zwischen dem Entfernen der Vermummung und dem Abwischen der Tränen also der zentrale Vorgang der Entmachtung des Todes. Die Decke hat Gott spontan verschlungen, den Tod dagegen auf ewig. Das ist unser Gott, auf den wir hoffen.

„Verschlingen“ ist eine Form des Essens, bei der Gier und Genuss ineinander übergehen. Nicht lange drauf rumkauen – nein jetzt und sofort! Nicht lange aussortieren – nein alles und noch viel mehr! Darf ich das etwas unzivilisiert so sagen: Beim Thema Tod kaut Gott nicht lange herum und seziert auch nicht kleinteilig. Er verschlingt den Tod restlos. Das sieht unzivilisiert aus, ist aber österlich. Viel zu lange meinten wir, an Ostern wurde nur ein Schlussstrich unter unsere Altlasten gezogen, aber uns wird immer wichtiger, dass Ostern uns auf ein neues Leben vorbereitet. Das alles, und noch viel mehr, erleben wir, weil auch unser eigenes Ableben bereits verschlungen ist im Sieg Gottes.

 

Liebe Gemeinde,

gehen wir einen Schritt weiter. Das zentrale Oster-Ereignis wird eine Kraftquelle für uns, auf dass wir uns in die Ereignisse der umgebenden Verse hineinbewegen. In das Zerreißen falscher Verdunkelungen und in das Tränenabwischen bei Geschändeten. Ich möchte das an einem eher technischen Bild veranschaulichen. Vor 2 Wochen meldeten die Nachrichten, dass im Weltraum erstmalig ein schwarzes Loch fotografiert wurde. Also ein Himmelskörper, der alles um sich herum verschlingt. Aber nicht das Loch selbst konnte fotografiert werden, sondern sein sogenannter „Ereignishorizont“. (10) Das finde ich ein treffendes Wort an einem Ostermontag.

Jesaja starrte bei seiner Vision ja auch nicht in ein schwarzes Loch, sondern war mitgerissen vom Ereignishorizont der endzeitlichen Thronbesteigung Gottes. Und auch die Frauen ließen sich nicht verschlingen von der Schwärze der Grabeshöhle, sondern wurden zur treibenden Kraft, das Osterereignis über den Horizont auszubreiten. So machen wir das auch. In all dem, und in weitaus mehr, verändert und ermutigt uns das Osterfest. Amen

 

Grabgestaltung auf dem Friedhof der Abtei Sainte-Marie de Lagrasse im Département Aude

 

1) Rio Reiser in „Rio 1.“, 1986 2) Abtei Sainte-Marie de Lagrasse; 12.6.2018, Foto d. Verf. 3) H. Wildberger: Jesaja „zieht in großartiger Unbefangenheit die Konsequenz des…verkündeten Antritts der endzeitlichen Königsherrschaft durch Jahwe“ BKAT S. 968 4) Huldigungserklärung am 28.1.2013 in der AmsterdamerNieuwe Kerk; 2014 musste der Koningsdag am 26. April gefeiert werden, weil der 27. April ein Sonntag war5) Falls er noch zu Lebzeiten König wird, sollten wir ihm eine Feier irgendwo in Europa spendieren 6) Psalm 113,6 bzw DtJes 57,15 7) M. Buber übersetzt pointiert: „Er verschlingt den Tod in die Dauer“ 8) H. Grönemeyer: „Ein Stuhl im Orbit“ in „Stück vom Himmel“ auf „12“, 2007 9) H. Wildberger: „Wenn schon in der Endzeit aller Kummer, jede Lebensbeeinträchtigung durch Todesmächte von den Völkern genommen und die Tränen abgewischt werden, dann muß auch das brennendste Problem der Judenschaft, die Schmach, die in ihrer Besonderheit gründet, welche nicht zuletzt ihrer Treue zum Glauben der Väter entsprungen ist, von ihr genommen werden.“ BKAT S.968 10) vgl NZZ vom 10.4.2018: Das schwarze Loch in der 55 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie Messier 87 verschlingt (!) die umgebende Materie so, dass deren Hitzestrahlung fotografierbar wird

 

 

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Manfred Mielke, geb 1953, Pfarrer in der EKiR. Verheiratet, 2 Söhne; sozialisiert in Freikirchen und im Ruhrgebiet; ökumenisch engagiert in Ungarn, Ruanda und Türkei; musikalisch aktiv im Church-Pop; pädagogisch unterwegs für Inszenierungen mit Konfirmanden



Pfarrer Manfred Mielke
Reichshof, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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