Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 19.05.2019

Predigt zu Johannes 16:5-15 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Poul Joachim Stender

Es gibt so etwas, was Pyrolyseofen heißt. Das sind Öfen, die sich selbst reinigen können. Das geschieht dadurch, dass der Ofen bis auf 400 bis 500 Grad erhitzt wird. Bei den Temperaturen wird der Schmutz zu Asche, die sich dann leicht abwaschen lässt. Die hohen Temperaturen bewirken, dass die Ofentür brennend heiß wird. Man muss also aufpassen, dass man sich nicht verbrennt. Aber man muss auch aufpassen, dass man sich nicht verbrennt, wenn man sich einbildet, dass man als Mensch eine Pyrolysefunktion besitzt. Wenn man einem anderen Menschen wehtut und sich das sofort selbst vergibt, das ist das nicht in Ordnung. Man muss seine Taten selbst verantworten. Vergebung erfordert, dass der, an dem man sich vergangen hat, einem vergibt. Selbstreinigung funktioniert bei Menschen nicht so wie in Pyrolyseöfen. Aber manchmal ist man dennoch genötigt, sich seine Dummheiten selbst zu vergeben, wenn man von dem, dem man etwas angetan hat, keine Vergebung erlangen kann. Ich habe keinen Respekt vor Leuten, die sagen: „Das wichtigste ist, dass man sich selbst vergeben kann“. Aber ich habe Respekt vor Leuten, die sagen: Weil Gott uns vergibt, wollen wir auch versuchen, uns selbst zu vergeben. Alle verdienen Vergebung. Das gilt auch für einen selbst. In der Regel ist der Blick, den man auf sich selbst richtet, härter als der der anderen. Aber es gibt einen guten Rat. Nehme dir etwas vom dem Blick des anderen. Von dem Blick unserer Kinder. Von dem Blick des Geliebten. Aber vor allem von dem Blick Gottes auf uns. Das ist ein Blick, der uns mit milderen Augen sieht als wir uns selbst sehen.

In dem heutigen Evangelium hält Jesus eine Abschiedsrede für seine Jünger. Abschiedsreden und Abschiedsbriefe gibt es heute nicht mehr so oft. Es ist äußerst selten, dass wir, wenn sich der Tod nähert oder wenn wir uns auf eine längere Reise begeben, unseren nächsten Angehörigen einige Abschiedsworte sagen. Es ist nicht so wichtig, dass wir eine Aufzeichnung hinterlassen, was bei unserer Beerdigung in der Kirche gesungen werden soll oder ob es nach der Beerdigung Erbsensuppe geben soll. Wichtiger ist es, dass wir ein geistiges Testament schreiben, wo wir erzählen, was in unserem Leben für uns wichtig war, für was wir um Vergebung bitten und was wir uns erlaubt haben, uns selbst zu vergeben usw. Heute schreiben wir einander nicht sehr viel. Briefe und Postkarten gibt es nicht mehr. Nachrichten auf Face Time werden gelöscht. Emails und SMS auch. Die Angehörigen haben kein schriftliches Zeugnis von den Träumen, den Zielen, den Niederlagen, dem Hunger oder der Vergebung des Toten, ein Zeugnis, das vielleicht eine große Hilfe für ihr eigenes Leben sein könnte. Vielleicht auch eine Aufforderung von dem Toten, ihm Fehler zu vergeben. Wir sind keine Pyrolyseöfen und müssen darauf hoffen, dass unsere Angehörigen nach unserem Tod unsere Reue über furchtbare Worte und Taten verstehen werden.

Bald werden wir in den Sommerferien auf Reisen gehen. Legt zu euren persönlichen Papieren einen Brief darüber, was das Leben für euch bedeutet hat und in welchem Geist Ihr möchtet, dass eure Lieben weiter leben sollen. Jesus hielt eine Abschiedsrede. Lasst uns das auch tun. Hans Christian Andersen sagt, das Reisen Leben ist. Aber Reisen kann auch Tod bedeuten. Wir verlassen Leute, die wir lieben, und wer weiß, ob wir wiederkommen. In den Abschiedsreden verspricht Jesus uns, dass er den Heiligen Geist schickt. Gibt es ein schöneres Versprechen? Denn was ist Geist? Geist ist ein altes Wort dafür, dass das Leben uns etwas angeht. Und beachte, dass ich nicht sage, dass Geist ein altes Wort dafür ist, dass wir das Leben verstehen oder beherrschen. Wer kann das schon? Geist bedeutet, dass das Leben uns etwas angeht, dass es wichtig wird für uns, dass das Leben, ohne dass wir wissen wie oder warum, mit Inhalt und Bedeutung gefüllt ist. Und wenn ich uns Menschen mit einer Windmühle von Vestas vergleiche, dann werden wir nicht in Bewegung gesetzt wie die Flügel der Windmühle durch den Wind, weil wir mehr verdienen oder mehr besitzen oder mehr Macht haben. Es sind unsichtbare, geistige, gute Kräfte wie der Glaube, die Hoffnung und die Liebe, die wir bekommen haben und noch bekommen von Jesus Christus, der uns in Bewegung bringt. Aber ich bilde mir ein, dass dies eines erfordert, ehe wir entdecken, dass Jesus uns den heiligen Geist gesandt hat. Wir müssen darum beten, dass der Geist auch weiter für uns weht, so dass das Leben Fülle, Bedeutung und Inhalt bekommt und wir stets in Bewegung sind zu mehr Leben.

Gebet bedeutet viele verschiedene Dinge. Aber es ist auch eine Erkenntnis dessen, dass wir den Kräften Gottes ausgesetzt sind. Ehe wir das Abendmahl im Gottesdienst empfangen, sollten wir darum bitten, dass der Heilige Geist zu uns kommt. Der Heilige Geist soll uns davon überzeugen, dass das Brot von der örtlichen Bäckerei, das wir essen, der Leib Jesu Christi ist. Der Heilige Geist soll unsere Augen dafür öffnen, dass der Pinochet de Charantes aus dem Champagnerdistrikt in Frankreich, den wir beim Abendmahl trinken, das Blut Christi ist.

Unser Leben ist geprägt durch nüchternes und vernünftiges Tun. Wir tun, was zweckmäßig ist für uns selbst, unsere wirtschaftliche Lage und unsere Lebensziele. Aber wir brauchen die göttliche Kraft, die wir den Heilige Geist nennen oder den Tröster. In einem Land wie Dänemark gibt es viele schöne Bauwerke. Feine Pflegeheime, flotte Villen usw. Es fehlt an nichts. Aber das ist leer und hohl, wenn an diesen Orten kein guter Geist ist. Was sollen wir mit großen und hellen Räumen in Pflegeheimen, wenn wir so hart arbeiten müssen, um das alles zu bezahlen, dass wir dann keine Zeit haben für Nähe und Liebe in den eigenen vier Wänden? Was sollen wir mit Wohlstand ohne Geist? Was sollen wir mit Kirche ohne Glauben? Wir müssen wie die Christen in anderen Teilen der Welt ein Gebetsleben entwickeln, wo wir immer wieder darum beten, dass der Heilige Geist, den Jesus gesandt hat, unser Leben mit dem erfüllt, was er gesagt und getan hat. Gott befohlen. Amen.



Pastor Poul Joachim Stender
Kirke Såby, Dänemark
E-Mail: pjs(at)km.dk

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