Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 26.05.2019

Überwunden und aufgehoben
Predigt zu Johannes 16:23b-33, verfasst von Udo Schmitt

  1. Fraglos glücklich

Es gibt Tage, an denen ist man fraglos glücklich. Da hat man keine Fragen, alles geht leicht von der Hand, alles erscheint einfach. Es ist wie jetzt im Wonnemonat Mai, alles grünt und blüht, die Luft ist mild und lädt zum Verweilen und Flanieren ein. Die Sorgen von Gestern, die düsteren Gedanken,– sie hängen im Schrank wie ein alter Wintermantel: Weg damit, den brauch’ ich so bald nicht mehr, vielleicht noch etwas Mottenpapier, man weiß ja nie, aber dann wirklich weg damit, das alte schwere Ding will ich so bald nicht wiedersehn!

Es gibt Tage, an denen ist man fraglos glücklich, da ist alles leicht und einfach. Und vielleicht erkenne ich sie auch gerade deshalb nicht, diese Tage, an denen es einem einfach nur gut geht. Diese Tage, an denen ich einfach glücklich bin. Ja, hinterher,... hinterher da ist man immer klüger. Da sagt man: Sie war nicht schlecht die Zeit, damals und da. Und vielleicht sage ich sogar: Es war die beste Zeit meines Lebens.

Nun, ja: Es ist wie mit einem Körperteil, das nicht schmerzt, ein Knie vielleicht oder ein Schulterblatt – man benutzt es, aber bemerkt es nicht, kennt es nicht, und das geht tagein tagaus, bis es dann auf einmal doch schmerzt. Dann auf einmal merke ich, dass es da ist. Und das gefällt mir nicht. Und ich wünsche mir die Zeit zurück, als ich dieses Gefühl und diesen Abschnitt meines Körpers noch nicht kannte. Und ich denke so bei mir: Ach, wie schön war’s doch vordem – und wie bequem – einfach so vor sich hin zu leben. Einfach so und ohne Schmerz und Leid, ohne Angst und ohne Streit, was war das für eine schöne Zeit!

Es gibt Tage, an denen ist man fraglos glücklich, – vielleicht ist man es gerade deshalb, weil man’s gar nicht merkt und auch nicht ahnt, wie gut man es doch hat.

  1. Warum beten?

So ging es auch den Jüngern, als Jesus noch bei ihnen war. Alles war leicht, alles erschien einfach – null problemo! –, das war die Zeit, wo ihnen nichts passieren konnte, – das war die Zeit, von der sie später sagen werden: Diese Tage waren die besten Tage unseres Lebens. Einer weiß, dass diese Zeit ein Ende hat und dass dieses Ende naht: Es ist – na, klar! – Jesus selbst. Wer sonst? Und er sagt zu ihnen: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.

Die Jünger runzeln die Stirn, was will er denn damit sagen?, ein Jugendlicher von heute würde es wohl so formulieren: „Ey, wie ist der denn drauf?“ Und die besonders Eifrigen unter ihnen, die Streber sozusagen, springen gleich auf und rufen: „Aber nein, Meister, das ist doch gar nicht nötig: Wir wissen ja, dass DU der Sohn Gottes bist. Und wenn wir etwas wollen, brauchen wir nur dich zu fragen. Ach was, nicht einmal das! Du weißt ja alles und kennst uns schon so lang, wir brauchen nicht einmal zu bitten – und wozu noch zum Vater beten? – du weißt ja längst, wessen wir bedürfen und gibst es uns, noch ehe es uns eingefallen ist, danach zu fragen. Warum also noch beten? – Wir haben ja dich und wir haben dich hier.”

  1. Jeder in das Seine

Und Jesus erwidert knapp: “So? JETZT glaubt ihr also? Ja, jetzt seid ihr fraglos glücklich – fraglos gläubig – kein Zweifel trübt eure Hoffnung, keine Frage euren Glauben. Ja, jetzt habt ihr leicht reden, und ihr folgt mir einfach nach, – alles ist einfach, jetzt, da ihr mich seht. Aber was, wenn ihr mich nicht mehr seht? Wenn man euch verfolgt um meinetwillen, werdet ihr mir dann noch folgen? Oder wird es nicht doch so sein: Ihr werdet mich verlassen – und ihr selbst werdet verstreut – ein jeder in das Seine.”

Ein jeder in das Seine – es besteht keine Gemeinschaft mehr untereinander Ein jeder in das Seine – gibt es noch Beziehungen – eine Beziehung zu Gott? Oder ist auch die fraglich geworden: Wohin sollen wir gehen? Wohin sollen wir uns wenden und an wen, jetzt, da wir ihn nun nicht mehr sehen?

Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.

  1. Warum wir beten

Warum sollen wir noch beten? Haben Sie sich das vielleicht auch schon mal gefragt? Wozu noch beten? Und was bringt das überhaupt?

Ich will Sie einmal provozieren: Gott weiß doch alles. Heißt es nicht, dass er allmächtig ist und allwissend sowieso. Dann weiß er ja schon, was ich brauche. Was hilft es da, dass ich die Hände falte? Wozu noch das fromme Getue, die hohle Geste, wenn er Gedanken lesen kann? Entweder er hilft mir oder nicht. Was kann ich da noch bewegen und bewirken durch mein Beten?

Ja, es stimmt: Gott weiß, was ihr brauchen, – und gerade darum beten wir zu ihm. Oder würden Sie sich an einen Arzt oder Lehrer wenden, von dem sie wüssten oder annehmen müssten, dass er nichts weiß und auch nicht helfen kann? Wohl kaum. Und ja, es stimmt: Gott braucht meine Gebete nicht, – aber ich, ich brauche sie, und ich brauche sie dringend. Denn es geht hier nicht um Beliebiges, – irgendwas, dass ich genauso tun und genauso lassen kann. Es ist geht nicht um Äußerliches, es geht nicht um fromme Formen und Phrasen, sondern um fundamentale Fragen: Wie bekommt Gott Raum in meinem Leben? Und wie beziehe ich mein Leben auf Gott?

  1. Bezogenheit erleben

Beten ist nicht nur etwas Äußeres. Und es besteht nicht nur im Äußern von Wünschen. Es ist nicht eine Liste, adressiert an eine Art von Weihnachtsmann, nein, beim Beten geht es um mehr: Es geht darum, ob ich eine lebendige Beziehung habe und wie ich aus dieser Beziehung heraus mein Leben begreifen und gestalten will. Und diese Beziehung ist eine persönliche Beziehung – eine Beziehung, in der die eine Person der andern wichtig ist, in der man sich anerkennt und sich austauscht. Davon lebt eine Beziehung, und das gilt für alle Arten von Beziehungen: Wo man nicht mehr miteinander spricht und wo man einander nicht mehr zuhört, da ist die Beziehung tot.

Und also geschieht im Gebet etwas sehr Bedeutendes: Ich trete ein in ein Gespräch und eine Gemeinschaft mit Gott, ich realisiere, dass er für mich wichtig ist und dass ich ihm wichtig bin. Und so suche ich im Gebet nicht nur das, was Gott für mich tun kann. Denn dann suchte ich nur das Meine und ein jeder blieb bei sich, zurückgeworfen auf sich – ein jeder in das Seine. Nein, ich suche Gott selbst und nicht nur seine Gaben. Ich frage nach dem, was ich für ihn bin und was er für mich ist und nicht nur danach, was er für mich tun kann. Beten heißt in einer lebendigen Beziehung stehen. Und Beten hilft mir im Leben zu bestehen.

Oh, nein. Nicht alle meine Wünsche gehen in Erfüllung, nicht alles, was ich gern hätte, geschieht. Und wie säh‘ die Welt wohl aus, wenn jeder seinen Willen bekäme? Aber Gott weiß, was wir brauchen und er hört auf das Gebet. Er hört auf das Gebet, nicht auf unsere Wünsche. Und er hilft uns durch das Gebet: er gibt uns die Kraft auch da zu bestehen, wo es einmal nicht so läuft. Wenn Tage kommen, an denen es nicht einfach ist und nicht so leicht wie sonst, wenn wir keine Liebe spüren und keine Hoffnung sehen – auch an diesen Tagen können wir bestehen, wenn Gott uns die Kraft gibt, die Lasten zu tragen.

Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.

  1. Fülle und Vielfalt des Gebets

Und wenn wir beten, dann können wir viel mehr tun, als nur bitten. Im Gebet können wir alles, was wir erlebt haben, alles, was wir getan oder gelassen haben, vor ihn bringen.

(Danken/ Loben) – Wir können Gott bewusst danken für das, was gut gelaufen ist. Auch an Tagen, wo wir nachdenken und feststellen: Heute war ein Nichts-Tag. Nichts Besonderes. Nichts tut weh. Gerade dann können wir dafür danken. Anders als die Jünger, die gar nicht merkten, wie gut sie es doch hatten. Wir können Gott auch loben und unsere Freude zum Ausdruck bringen: “Das hast du super gemacht. Herr, ich danke dir, es macht Spaß zu leben. Gerad’ jetzt läuft alles prima. Und ich will nicht vergessen, dich dafür zu loben und zu preisen.”

(Bitten/ Klagen) – Ein Zweites ist, dass wir Gott bewusst bitten können. Klar, auch das ist erlaubt – warum nicht? –, ich kann Gott bitten, dass er dies oder das bewirken oder ändern möge. Ich kann ihn aber auch genauso bitten, dass er dabei mit mir anfängt: dass ich mich verändern möge, dass er mir mehr Kraft gibt oder mehr Geduld oder eine positivere und freundlichere Art zu denken und zu handeln: “Herr, ändere die Welt und fang mit mir an”. Ich kann ihn auch um Entschuldigung bitten, wo ich merke, dass etwas nicht richtig war. Und wenn ich Kummer habe, dann kann ich meine Klage vor Gott bringen: “Herr, du siehst ja wie es läuft. Das Wasser steht mir bis zum Hals. Im Moment stürzt alles über mir zusammen und ich weiß nicht ein noch aus. Sei du bei mir.” Auch Zweifel, Ängste und Sorgen können wir vor Gott bringen, sie sind gut bei ihm aufgehoben.

(Fürbitte) – Und ich kann ihn drittens auch für andere beten – Fürbitten –, ich denke nicht immer nur an mich, sondern sehe auch die Menschen an meiner Seite, ich nehme sie bewusst wahr. Nicht immer braucht dieser Mensch Hilfe, manchmal gibt es keine, manchmal will er keine und erst recht nicht von mir. Aber Beten heißt nicht nur Wünsche formulieren. Ich kann Gott auch für einen andern Menschen danken, und ich kann Gott auch einen anderen Menschen “anbefehlen”, d.h. ihm die ans Herz legen, die mir selbst am Herz liegen.

Beten umfasst so viele Möglichkeiten, so viele Formen und Ebenen gibt es – Lob und Klage, Bitte und Dank und Fürbitte.

Es gibt nichts was es nicht gibt: vom klagenden Schrei bis zum anbetenden Schweigen. So sind wir Menschen eben: in dem einem Moment fliegen die Fetzen, im nächsten Moment liegen wir uns schon wieder in den Armen, und ein bisschen so ist auch unsere Beziehung mit Gott, weil wir so sind wie wir sind. Es gibt Hochs und Tiefs, aber es ist nie langweilig, wenn es eine lebendige Beziehung ist. Es gibt Tage, an denen ist man fraglos glücklich – es gibt Tage, an denen ist man unendlich traurig.

Alle Tage, die guten wie die schlechten, bewusst mit Gott zu erleben, das ist wahre Frömmigkeit und echte Spiritualität. Und im Gebet haben wir reiche Möglichkeit dazu. Es ist die Möglichkeit das Leben in seiner Tiefe und Fülle vor Gott zu bringen, auszutauschen und so noch tiefer und noch bewusster zu erleben.

  1. Überwunden und aufgehoben

Und selbst an Tagen, an denen wir nichts spüren und die Kraft zum Beten uns entschwindet, wenn wir fürchten unsern Glauben zu verlieren, weil wir verstreut sind – ein jeder in das Seine – und wir nichts sehen können und nichts fühlen von Gottes Liebe und seiner Macht, so ist doch die Finsternis bei ihm nicht finster, und die Nacht ist bei ihm nicht Nacht, denn sein Wort bleibt bestehen. Es gibt uns Halt und hält uns auch da, wo wir zu fallen drohen.

Als Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedet, macht er ihnen Mut und sagt: “Kopf hoch! Eure Welt ist voller Sorgen, aber ihr braucht keine Angst haben, – ich habe die Welt überwunden!”, oder mit Luthers Worten gesagt: In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Und das ist ein Trost: Selbst, wenn es in uns schweigt und wir nicht die Kraft haben zu beten, dürfen wir auf Gott vertrauen. Er kennt uns und unsere Ängste und Sorgen. Er sagt nicht: Alles ist leicht!, und: das Leben ist nur Spaß! Nein, er sagt: “In der Welt habt ihr Angst” Er weiß, wie wir an dieser Welt leiden. Denn in Jesus Christus ist er hindurchgegangen durch die Angst und Not, durch das Leiden, das Schreien und Schweigen. Doch er hat die Welt überwunden. Und so dürfen wir hoffen, dass auch wir überwinden, was uns jetzt noch lähmt und bedrückt. Und so dürfen wir auch hoffen, dass unsere Ängste und Sorgen gut aufgehoben sind, auch wenn wir nicht immer die rechten Worte dafür finden. Unser Tun und unser Lassen, unser Beten und Schweigen ist gut aufgehoben bei ihm.

 

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Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.



Pfarrer Udo Schmitt
Wülfrath (Düssel), Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: udo.schmitt@ekir.de

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