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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 26.05.2019

Abschied mit Bangen und Hoffen
Predigt zu Johannes 16:23b-33, verfasst von Reiner Kalmbach

Die Gnade Gottes, unseres Vaters, die Liebe Jesu, unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

 

Rogate, so heisst der heutige Sonntag.  In unserem Sprachraum muss man dieses Wort nicht erst übersetzen. Hier in Argentinien sagt man „rogar“ und meint damit „bitten“, ja sogar „flehen“.

Im Grunde beschreibt das Wort genau das, was für uns das Gebet bedeutet. Denn wenn wir ehrlich sind müssen wir zugeben, dass unsere Gebete meistens aus Bitten bestehen. Und wer hätte noch nicht in sein Gebet ein „heiliges“ Versprechen eingeflochten…, sogar Martin Luther hat darauf zurückgegriffen. „Lieber Gott, wenn du das oder jenes für mich tust, dann werde ich…“. Hoch und heilig versprochen.

Ist das beten?

Der Abschnitt aus dem Johannesevangelium, den wir gleich hören wollen, nimmt uns mit hinein in eine ganz neue Dimension des Gebets. Er steht im 16. Kapitel, die Verse 23b bis 33

 

Textlesung

 

Johannes lässt uns teilhaben an den Abschiedsreden Jesu, an seinem Versuch die Jünger auf das vorzubereiten, was unausweichlich kommen wird. Dabei wird deutlich, dass sie ihn nicht verstehen können. Und doch tun sie so, als ob…

Ich höre zu, der andere will mir etwas erklären, etwas, das ausserhalb meiner Wirklichkeit steht. Und ich tu so, als ob ich ihm folgen kann und sage immer wieder „ja, ja“, und „ach so!“ Dabei verstehe ich nur Bahnhof. Jesus weiss es, er „versteht“ seine Jünger und er macht ihnen daraus auch keinen Vorwurf, fast ironisch fragt er „was, ihr versteht mich!?“

Irgendwann habe ich erkannt, dass man Jesus, seine Worte, seine Botschaft, ja selbst sein Handeln nur von der gläubigen Existenz her verstehen kann. Viele haben versucht Jesus für sich zu gewinnen, ihn für ihre Zwecke einzuspannen. Jesus der Revolutionär, Jesus der Wunderheiler, Jesus die Lösung all deiner Probleme…

In dieser Abschiedsrede wird deutlich, dass es der Glaube ist, der uns die Worte Jesu öffnet, sie übersetzt.

Denken wir in diesem Sinne weiter, ist es nur logisch unseren Gottglauben an Jesus auszurichten. Mit anderen Worten: wer an Gott, den Schöpfer allen Seins glaubt, kommt an Jesus nicht vorbei. Die Verbundenheit Jesu mit Gott Vater ist hier „unglaublich“ verdichtet.

Bevor wir nun direkt auf das Gespräch Jesu mit seinen Jüngern eingehen, sollten wir uns daran erinnern, dass wir von Ostern her kommen. Der Ausgangspunkt ist also die Botschaft der Auferstehung Jesu von den Toten, überbracht von einer Frau…

Gleichzeitig sollen wir uns in die Situation vor Jesu Tod am Kreuz hineindenken, sozusagen in die Haut eines seiner Jünger schlüpfen. Er wird die Seinen verlassen, das wird ihnen mittlerweile klar sein. Die Jünger wissen, dass ihr Lehrer schon längst auf der schwarzen Liste steht, die die Obrigkeiten zusammengestellt haben. Sie haben Zweifel und Angst, weil sie all die anderen Ankündigungen, die von einer anderen Wirklichkeit reden, nicht verstehen können und deshalb nur ihre eigene Zukunft sehen: ohne ihn.

Aber Jesus lässt nicht locker, er redet weiter, er baut ihnen eine Brücke von ihrer jetzigen, sehr begrenzten Wirklichkeit, zu einer ganz anderen Realität. Das ist Johannes: erst der Auferstandene kann in seinen Jüngern wirksam sein. Die Abschiedsreden beschreiben vorausblickend die Bedingungen, unter denen sich das Leben der glaubenden Gemeinde verwirklichen wird.

Noch einmal: nur im Glauben können wir sein Wort verstehen. Nur der, der den Geist in sich weiss, kann verstehen. Den Zutritt zu jener Welt, in die Jesus mit seiner Auferstehung eingegangen ist, hat nur der Glaubende. Darum entscheidet sich, was künftig sein wird, heute, in diesem Moment. Glaube ist also, ein Vorgriff auf das Kommende. Das Morgen im Heute, aber nur im Glauben. In anderen Worten: unbedingtes Vertrauen in die Zukunft! Und diese beginnt mit dem Gebet.

 

Beten ohne Angst

Unser Gebet ist ja doch oft genug von der Angst angetrieben. Wir möchten so schnell wie möglich aus einer schwierigen Situation befreit werden. Gott möge doch eingreifen, und zwar jetzt gleich!

So jedenfalls, funktioniert das in den Gottesdiensten der zahllosen Pfingstkirchen, die bei uns wie die Pilze aus dem Boden spriessen. Da ist alles ganz einfach: die Welt ist schlecht, du verlierst deine Arbeit, wirst Opfer der Unsicherheit, leidest an einer schlimmen Krankheit, bist in finanziellen Schwierigkeiten, deine Ehe geht in die Brüche, der Sohn im Drogensumpf… All das kannst du hinter dir lassen. „Hör auf zu leiden!“, ist das Motto. Komm zu uns, jeden Mittwoch, um 20 Uhr: hier geschehen Wunder durch Gebet. Gott wird geradezu genötigt sofort zu handeln. Und wenn´s nicht klappt?, dann glaubst du nicht richtig, dann steht etwas zwischen dir und Gott: deine Sünde.

Und nun Jesús: er stellt das Gebet auf ein neues Fundament: in Seinem Namen!, nicht in meinem, in Seinem. Das ist nur möglich seit Jesus. Wäre er nicht gekommen, unser Glaubensleben sähe ganz anders aus. Wie sollen wir vor Gott treten, - wir, die wir unser Sündenregister mit uns herumschleppen?, in wessen Namen vorsprechen?, in meinem Namen?, wie würde Gott mich „empfangen“?, würde er mich hören?, und, was würde er zu hören bekommen?, doch nur wieder sinnloses Geplapper und der Versuch die Dinge zu beschönigen. Selbst vor Gottes Angesicht würden wir nicht davor zurückschrecken uns selbst und auch Gott hinters Licht zu führen.

Unser Beten ist seit und durch Jesus unter ein ganz neues Vorzeichen gestellt. Als Christen beten wir so, dass wir uns auf Christus berufen. Er ist unser Fürsprecher, er wird bei Gott für uns vorstellig. Wir beten nicht auf eigene Faust, sozusagen auf eigenes Risiko. Kommen wir zu Gott, dann im Namen Jesu. Für uns spricht der -um es mit den Worten meines Grossvaters zu sagen-, der als Gottes Lamm die Sünden der Welt getragen hat. Also auch meine Sünde. Da ist unter den Teppich kehren gar nicht mehr nötig, auch kein Schönreden, keinerlei Rechtfertigung. Jesus sitzt am Richtertisch, jetzt, seit seinem Kreuzestod sitzt er für mich am Richtertisch („…zur Rechten des Vaters…“).

 

Jesus betet mit mir

So kommen wir als seine Kinder vor Gott, weil wir ihn Vater nennen dürfen. Im Namen Jesu beten heisst viel mehr, als auf den Namen bezogen. Im Namen Jesu heisst in der Liebe Gottes des Vaters und seines Sohnes zu stehen. Deshalb sind wir „in ihm“, wie Er „in uns“ ist. Jesus erscheint vor dem Vater und hat uns alle im Schlepptau. So reden wir mit dem Vater und tun das „in Christus“. Unser Beten und Sein Beten sind eins. Das ist unser wirkliches und neues Gebet! Und diesem Beten ist Erhörung zugesagt!

Zurück zum Gespräch Jesu mit seinen Jüngern. Ich versuche mitzuhören, versuche mich irgendwie in die Situation hineinzubegeben: Jesus redet von seiner Zeit mit ihnen, den Freunden, Jesus der Lehrer, der Meister. Ich musste mit euch in Bildern reden, irdische Bilder und Worte benutzen und meinte doch himmlisches. Deshalb konntet ihr mich nicht verstehen. Ihr wisst doch: der Mensch kennt und weiss, was im Menschen ist, Gott allein kennt das Göttliche. Ihr habt bald nicht nur den Geist der Welt,- den alle Menschen haben, sondern ich lasse euch auch den Geist Gottes. So werdet ihr erkennen, was euch von Gott geschenkt ist. Und deshalb versteht ihr mich plötzlich. Der Geist schliesst uns an Gott an, wir sind Teil des göttlichen Stromkreises. Man hat euch gelehrt, dass dem Sünder der Zugang zu Gott verwehrt ist. Das ist wahr. Aber durch mich ist diese Sperre beseitigt. Die Tür zu Gott steht euch offen. Mehr noch:  das Herz des Vaters steht euch offen. „Abba“ dürft ihr sagen, ganz kindlich. Ihr wendet euch also mit eurem Gebet nicht an mich, dass ich es ihm weitersage, ihr dürft es ihm selber sagen.

Die Gottesunmittelbarkeit haben wir tatsächlich nur in „seinem“ Namen, keineswegs an ihm vorbei. „Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“

Um es mit Luther zu sagen: wir sind aufgerufen zum fröhlichen Beten. Denn nichts mehr steht zwischen uns und dem Vater. Wir kommen zu ihm nicht als Fremde, sondern als ersehnte, erwartete und geliebte Kinder.

 

Im Gebet geborgen

Das Gebet in Jesu Namen ist ein Beten in seiner Geborgenheit. Dieses Wort hat mindestens zwei Bedeutungen. Geborgenheit beschreibt einen Raum, in dem ich mich beschützt fühle, ohne Angst. Gleichzeitig kann das Bedrohliche nicht herein kommen. Wir wissen aber, dass der Glaube keine Garantie ist. Er kann Risse bekommen, schwanken wie ein hohes Gebäude bei einem Erdbeben, der Glaube kann sogar einstürzen. Schliesslich leben wir -noch- in dieser Welt, die ja Jesus nicht erkannt hat. Des Welt Geist erkennt eben nur sich selbst.

Und dann steht da in unserem Abschnitt ein letzter Vers, den ich als Kind wie eine schwere Last empfand. „In der Welt habt ihr Angst…, aber seit getrost, ich habe diese Welt überwunden..“ Mein Vater starb an Krebs kurz nach meinem fünften Geburtstag. Schon alt genug, um zu spüren, zu sehen, zu leiden, diesen abgrundtiefen Schmerz. Aber noch zu jung, um zu „verstehen“. Die Erwachsenen haben mich allein gelassen, mit dieser übermächtigen Frage: „warum hast du mich verlassen?“ Mein Vater war aktives Gemeindeglied. Er wollte, dass auf seinem Grabstein dieses Wort Jesu steht. Noch Jahre später, als ich das Grab meines Vaters besuchte, spürte ich die Wut in mir aufsteigen. In einem Aufsatz für den Religionsunterricht schrieb ich: „Ja, du hast es gut Jesus. Du hast uns einfach im Stich gelassen und in dieser traurigen Welt zurückgelassen, wie kannst du nur von Trost reden…?“

Gott sei Dank!, jetzt verstehe ich, jetzt bin ich tatsächlich getröstet. Und so höre ich, einer unter ihnen, einfach weiter zu: „was, ihr glaubt?!“, es klingt überrascht und verwundert. Die „Stunde“ kommt ja erst noch! Aber die Jünger beharren darauf: jetzt verstehen wir dich. Irgendwie muss es so sein: im Glauben ist das „Dann“ ins heute projiziert. Und er lässt es einfach so stehen, aber er klärt den Irrtum sogleich auf: die Stunde deren Seligkeit die Jünger glaubend vorausnehmen, birgt auch die Anfechtung. Sie werden auseinandergesprengt werden, „ihr werdet weinen und heulen und ihr werdet Angst haben.“ Ja, da ist sie wieder, meine Angst, meine Wut, mein „warum hast du mich verlassen?“

Aber ich hab ja das Gebet, ich darf beten, ich darf es ihm ins Gesicht sagen, es steht ja nichts zwischen ihm und mir! Ich schaue auf das Kreuz und weiss: mein Gebet ist schon erhört, bevor ich es in Worte verpackt habe.

Mein Leben als Christ ist das Leben im Glauben: beides ist da: Angst und Freude, die Angst, angesichts dessen, was in dieser Welt geschieht, aber auch die Freude zu wissen, dass all dies nicht das letzte Wort hat.

Einst wird die Angst verschwinden, die Freude aber bleiben.

 

Amen.

 

____________

Reiner Kalmbach, geb. 1956 in Süddeutschland, seit 1990 Pfarrer der Evang. Kirche am Río de la Plata (EKalP) und der Vereinigten Lutherischen Kirche in Argentinien (IELU), sowie Dozent für Umweltethik an der Universidad Nacional del Comahue (UNCo), wohnhaft in San Martin de los Andes, Patagonien, Argentinien.



Pfarrer Reiner Kalmbach
San Martin de los Andes, Patagonien, Argentinien
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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