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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Himmelfahrt, 30.05.2019

Predigt zu Markus 16:14-20 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Marianne Frank Larsen

 

Ich mag dieses Bild von Chagall. Ich mag auch seinen Titel. Er heißt: „Himmelfahrt während eines Spazierganges“. Das Bild ist 1918 entstanden, drei Jahre nachdem Chagall seine geliebte Bella geheiratet hatte und nach Hause nach Vitebsk in Weißrussland gezogen war, wo er aufgewachsen war. Ob es Bella und Chagall sind, die auf den Hügeln bei Vitebsk spazierengehen, wissen wir nicht, und die Pointe ist natürlich auch, dass das jeder sein kann. Ich mag die saftige grüne Farbe des Grases. Sie ist so kräftig und überwältigend, dass sie gleichsam auf alle Zäune und Dächer abfärbt. Das muss im Mai sein! Ich mag auch die roten Rododendren, die in der linken Ecke aufgeblüht sind – so wie die Gärten nun. Aber natürlich gefällt mir vor allem das Mädchen, das auf Himmelfahrt ist. Ihr Kleid ist genauso hellrot wie eine hellrote Wolke, und das ist wohl kaum ein Zufall. Der lächelnde Geliebte muss sie festhalten, damit sie nicht die Verbindung zur Erde verliert und im hellen Himmel verschwindet. Das Unwiderstehliche ist ja die Sorglosigkeit, die die schwebende Frau in sich trägt – oder die sie trägt. Hier ist die Stimmung buchstäblich gehoben. Vielleicht kennen wir das von uns selbst – dass man so strahlend glücklich sein kann, dass man fast schwebt. Dass die Freude geradezu die Schwerkraft aufhebt, jedenfalls im übertragenen Sinn. Das ist die glückliche Erfahrung, die Chagall in eine sichtbare Wirklichkeit in seinem Bild umgesetzt hat.

So kann eine Himmelfahrt auch aussehen. Aber das ist nicht etwas, wofür man sich selbst entscheiden kann. Wir sagen über die Stimmung auf dem Bild, dass sie gehoben ist. Wir sagen nicht, dass er die Stimmung gehoben hat oder dass sie sie gehoben hat. Das ist nicht etwas, was die beiden geplant haben, auch nicht etwas, was sie sich selbst verdanken. Das ist eine Erfahrung, die man glücklicherweise macht. Ein Glück, dass einen in einem Augenblick überkommt, wenn man zum Beispiel so privilegiert ist, glücklich verliebt sein zu dürfen wie Bella und Chagall in Vitebsk im Jahre 1918. Nicht sie sind es, die die Stimmung gehoben haben. Das ist etwas anderes und etwas Größeres. Das ist die Verliebtheit, das ist die Zusammengehörigkeit, oder das ist die Freude, die das Mädchen schweben lässt. Hier in der Kirche sagen wir, dass das Gott ist. Dass er zuweilen in unser Leben eingreift und uns erleichtert und emporhebt, so dass wir lächeln müssen. So wie der dänische Dichter Benny Andersen das in seinem Lied an Rosalina beschreibt, wo er sich ansonsten über das Alter und den Herbst und all das, was einen plagt, beschwert hat – bis Rosalina erklärt, dass sie diese Jahreszeit liebt. „Ich bin ganz leicht in meinen Beinen“, sagt er dann, „es ist fast so als würden sie aus den Schuhen fliegen“. Man könnte glauben, er hat das Bild von Chagall gesehen.

Im Evangelium dieses Tages ist es Jesus, die in den Himmel fährt. Oder besser: Er wird in den Himmel aufgenommen. So wenig wie das Mädchen auf dem Bild kann er si.ch selbst emporheben. Nicht Jesus selbst hat die Kraft in sich, sich von der Erdoberfläche emporzuheben. Lukas erzählt sorgsam, dass Jesus in den Himmel emporgetragen wird, und es versteht sich von selbst, von wem er nach der Meinung des Lukas emporgehoben wird: Von dem einzigen, der das Gesetz der Schwerkraft und alle anderen grenzen aufheben kann, dem Schöpfer selbst. Als er am Tag der Himmelfahrt Christi Jesus in den Himmel emporhebt, setzt er die Bewegung fort, die er am Ostermorgen begann, als er ihn aus dem Grabe herausholte. Oder er vollendet diese Bewegung. Denn Jesus wurde nicht auferweckt, um sein irdisches Leben auf der Erde weiterzuleben und dann schließlich wieder zu sterben. Sein Vater erweckte ihn am Ostermorgen zum ewigen Leben. Ein Leben, wo nichts mehr das Leben vom Schöpfer trennt und nichts mehr das Leben darin hindert, ungebrochen von ihm auszuströmen. Sorglos, erleichtert, erhoben. Ein himmlisches Leben, das der Tod nicht unterbrechen kann.

Die frohe Botschaft der Himmelfahrt ist, dass da ein Mensch ist, der in den Himmel erhoben wird. Es ist der Sohn Gottes, aber zugleich ein Mensch wie wir mit einem Körper, der so verletzlich und schwer ist wie der unsrige, ein Dasein so beschwert wie das unsere. Er war himmlisch glücklich, wie wir das sein können, aber er hat auch gelitten, wie wir leiden, er war tot, so wie wir sterben werden, er lag in einem Grab wie dem, in dem wir liegen werden. Er hat nicht all das übersprungen oder vermieden, was zum Menschsein aus Fleisch und Blut gehört. Kurz gesagt: Er war einer von uns. Also ist es einer von uns, der heute in den Himmel emporgehoben wird. Das verleiht unserem Leben einen neuen Horizont. Und deshalb ist der heutige Tag nicht geprägt durch Trauer über den Abschied, sondern durch Freude. Voller Freude kehren die Jünger zurück nach Jerusalem. Weil ihnen langsam der Blick aufgeht für den neuen Horizont, den seine Himmelfahrt bedeutet. Wenn er einen Platz im Himmel bekommt, dann ist da auch Platz für uns, die ihm gleichen. D er dänische Liederdichter Åstrup sagt es so schon in seinem Lied: „Geh ich aus der Welt, ist er für mich bei Gott, bereitet einen Platz für mich“[1]. Das ist ab heute der neue Horizont für uns und die Jünger: Er ist für mich bei Gott. Wenn Gott Jesus emporhebt und ihm das ewige Leben schenkt, glauben wir, dass er auch uns emporhebt und dasselbe schenkt.

Nicht nur den Jüngern. Auch uns. Denn es gibt keinen anderen Grund der Freude im heutigen Evangelium. Dass die Himmelfahrt Christi nicht bedeutet, dass Jesus nun fort ist, sondern vielmehr dass er überall ist. Darum ist er nicht mehr gebunden an das Palästina aus dem Jahre 30, nicht mehr bestimmten Menschen vorbehalten, die damals gelebt haben. Wenn er im Himmel ist, ist er überall, zu allen Zeiten, zugänglich für all die anderen, die den Blick erheben, um Hilfe zu finden. Er öffnet den Himmel für alle. Das ist die Botschaft, die die Jünger und wir anderen weitergeben sollen, und deshalb ist der Tag der Himmelfahrt Christi nicht nur eine Vollendung von Ostern. Es ist auch ein Vorgriff auf Pfingsten, wo er seine Jünger und uns andere aussendet zu allen Völkern mit seiner Botschaft und uns verspricht, dass er uns die Kraft gibt, die wir brauchen. Die Kraft, die bewirkt, dass sich die Worte zwischen uns erheben – und uns erheben. Das brauchen wir nicht selbst aus der Erde zu stampfen. So wie wir uns sich selbst emporheben können, und so wie Jesus sich nicht selbst emporheben kann, so können wir selbst nicht die Worte emporheben, ganz gleich wie hoch wir fliegen und wie schön wir reden. Wir müssen wie die Jünger glauben und darauf warten, dass Jesus und sein Vater uns die Kraft schickt, die ganz gewöhnliche Menschen dazu bringt, sich emporzuheben. Der gute Heilige Geist.

Warum steht ist da und schaut in den Himmel, fragen die Engel, als sie die sprachlosen Jünger bei Betania finden. Dazu, das ist der Sinn, besteht kein Grund. Nicht das sollt ihr mit eurem Leben tun. Ihr sollt darauf vertrauen, dass euer Meister den Himmel für Euch geöffnet hat und dass er euch die Kraft schickt, die ihr braucht. Und dann braucht ihr nicht mehr hinauf in dem Himmel zu schauen. Ihr sollt stattdessen einander sehen, Augen und Ohren öffnen für die Menschen, denen ihr begegnet – und dazu auch eure Hände. Die Worte der Engel halten die Jünger und uns fest an der Erde. Sie sind wie die Hand, die das Mädchen auf dem Bilde von Chagall auf den saftig grünen Wiesen – und an der Seite des Geliebten – festhalten. Und so kann man sagen, besteht im Christentum eine Wechselwirkung zwischen dem Blick in den Himmel und dem Blick auf einander. Seht auf den Himmel und seht, was Gott gibt. Und seht auf einander um zu sehen, was die anderen geben – und was sie brauchen, dass wir es geben. Eigentlich ist es diese Wechselwirkung, die zwischen dem Alltag und den Feiertagen besteht. An allen Werktagen sollen wir auf der Erde leben mit offenen Augen für das, was wir sollen. Die Feiertage sind dazu da, dass wir in den Himmel schauen und hören, was uns geschenkt wird. Die Worte lassen uns umkehren und lassen uns sehen, wer für uns bei Gott ist und was der Horizont ist für unser Leben. Trotz allem, was uns beschwert, können wir mit leichten Schritten unter offenem Himmel unseren Weg gehen. Amen.

 

[1] Dänisches Gesangbuch Nr. 587, V. 5: Går jeg af verden ud, er han for mig hos Gud … Han plads for mig bereder”



Pastorin Marianne Frank Larsen
Aarhus, Dänemark
E-Mail: mfl(at)km.dk

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