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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 26.05.2019

Predigt zu Johannes 16:23b–28(29–32)33, verfasst von Jochen Arnold

Liebe Gemeinde!

Sie sitzen an einem Tisch. Zu dritt. Draußen. Hinter ihnen ein Baum, etwas weiter entfernt sogar ein größeres Haus. Sie tragen schöne Kleider mit intensiven Farben. Leuchtendes Blau, vor allem bei der Person in der Mitte. Es wirkt im Kontrast zum dunklen Karminrot. Links neben ihr mit geneigtem Kopf die zweite, auch mit blau, aber auch mit viel mehr grün, so grün wie eine Wiese, wie die Blätter der Bäume, wie die Welt, in der wir leben. Ihr gegenüber – die Füße berühren sich fast zärtlich im Vordergrund des Bildes – sitzt die dritte Person. Blau und Rot im Gewand vermischen sich. Auf dem Tisch steht eine geheimnisvolle Schale. Rot der Inhalt. Wer sie sind? Nun, sie könnten Geschwister sein. Engelgleich. Von zeitloser Schönheit ihre Gesichter. Heiter und gelassen. Sie scheinen einander in Liebe zugewandt. Gerne würde ich ihren Worten lauschen. Ihre Gewänder berühren.

Was bewegt die drei Personen? Sprechen sie über die Welt, über die Natur, über die Menschen? Ach, dann wären sie sicher bekümmert.

Die Dreifaltigkeitsikone aus dem Jahr 1425, entstanden in einem Kloster unweit von Moskau; zeigt die drei, die Abraham nach 1. Mose 18 besucht haben. Gott selbst, erzählt die Bibel, sei vorbeigekommen. Mal ebenso in der Mittagszeit. Abraham ist nirgendwo zu sehen. Auch Sara nicht. Für uns Menschen scheint kein Platz.

Die Ikone atmet die Theologie des Johannesevangeliums, sagen die Ausleger, die hohe Theologie, die im Himmel beginnt: Am Anfang war das Wort….und das Wort war bei Gott. Die Person mit dem geneigten Kopf könnte wohl am ehesten dieses Wort, also Jesus, sein. Tief herabgekommen in die Welt. Damit wäre angedeutet: Gott blieb nicht unter sich. Die heitere Dreisamkeit wurde mal eben unterbrochen durch eine irdische Mission: Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns…. In dieser Zeit sprach er nicht mehr nur mit dem Vater und dem Geist, sondern auch mit seinen Jüngern, mit uns heute: Hört Worte aus dem Johannes-Ev im 16. Kapitel.

 

TEXT

22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.

24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.

25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.

26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde;

27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.

28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.

32 Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.

33 Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

 

Was sind das für Worte? In welchem Zusammenhang sind sie gesprochen? Und was sagen sie uns heute? Zunächst einmal sind es Abschiedsworte. Letzte Worte des irdischen Jesus von Nazareth. Er redet seine Jünger damit an. Zuvor sprach er in Bildern vom Weinstock und den Reben, versprach ihnen, dass ein anderer kommen würde, der sie tröstet, ihnen beisteht. Letzte Worte des irdischen Jesus, bevor er gefangen genommen und verurteilt und hingerichtet wird. Ein Drama, das – so Johannes – der Welt den Frieden und uns das ewige Leben bringt.

Wir hören diese Worte heute zwischen Ostern und Pfingsten. Im Kirchenjahr. Oder noch anders: zwischen dem Original vor fast 2000 Jahren und einem noch ausstehenden ganz anderen Ereignis, an dem die Welt verwandelt werden wird. Und nichts mehr so sein wird, wie es ist. Dann , sagt Jesus, werden wir nichts mehr fragen.

Umso drängender sind die Fragen heute. Hier und jetzt. An einem Sonntag, an dem in Europa gewählt wird. In einem Europa, in dem die Angst umgeht. Macht die Grenzen dicht, sagen die Einen, setzt auf Sicherheit , die Anderen. Machen wir doch unser eigenes Ding, sagen die Briten. Zumindest die Hälfte von ihnen. Und wieder Andere: Denkt an die Zukunft, denkt an das Klima. Und mahnen uns zur Verantwortung. Ich gebe zu. Die weltpolitischen Szenarien machen auch mir Angst. Erderwärmung, Aussterben der Arten. Säbelrasseln in den USA und im Iran. Quo vadis, Europa?  …:

Dazu heute also eine Zeitansage, eine Zwischenzeitansage, von Ihm selbst. Aufgeschrieben ist sie vor 1900 Jahren vom Evangelisten Johannes an eine Gemeinde, die auch „hart angefochten“ war.

Sie musste sich vor den Römern bekennen. Die eigene Existenz, das nackte Leben stand täglich auf dem Spiel. Wer ist Herr? Wer ist der Kyrios? Wer hat Macht in dieser Welt?  Der römische Kaiser oder dieser Jesus? Lohnt es auf den zu setzen? So haben sich die Christen gefragt, an die Johannes schrieb, damals in Syrien oder der Türkei. IN diesen Ländern stellen sich Christen auch heute wieder diese Frage in dramatischen Situationen. Müssen bekennen, zusammenhalten, einander trösten.

Doch Johannes macht Mut. Was Jesus seinen ängstlichen Jüngern gesagt hat, gilt auch euch, nämlich: Bittet den Vater in meinem Namen, dann wird er es euch geben.

Schaut doch mal einen Moment weg von euch selbst.  Richtet euren Blick auf Gott. Er wird euch hören. Dafür stehe ich als sein erster, eingeborener Sohn. Unser Vater hat sich nicht aus dem Weltgeschäft abgemeldet. Sondern interessiert sich für euch. Und ihr seine Kinder! Als seine Kinder könnt ihr etwas ausrichten. Mit euren Bitten, mit eurem Seufzen. Wenn ihr den Vater bitten in meinem Namen, wird er es euch geben. Wann auch immer das sein wird. Vielleicht nicht gleich. Denn Gott ist kein Automat und wir sind nicht seine Auftraggeber mit einer ToDo-Liste.

Für mich ist damit klar: Das innergöttliche Gespräch unserer Ikone ist keine geschlossene Veranstaltung. Sie ist durch Jesu Kommen in die Welt geöffnet, geschieht nicht hinter dem Vorhang des Allerheiligsten. Ja, Gott lässt sich unterbrechen. Schaut her zu uns. Hört uns zu. Und wir ahnen: Das Gespräch der drei göttlichen Personen hat dann wieder ein neues Thema: und das sind wir. Das ist diese Welt mit ihrer Not, mit ihrer Bedrängnis. Das ist Europa, das bist du mit deinen ganz persönlichen Sorgen. Aber auch mit deinem Glück und deiner Freude, deinem Dank!

Betet, sagt Jesus. Ihr habt immer Audienz, müsst nicht erst einen langwierigen Antrag stellen wie bei einem Spezialisten im Krankenhaus oder einer deutschen Behörde. Dafür stehe ich, sagt Jesus. Stellen Sie sich vor, Sie dürften regelmäßig mit einem der weisesten Menschen dieser Welt reden. Einfach mal so anrufen. Nein sogar persönlich vorsprechen. Bei Michelle Obama oder – wenn ich an Verstorbene denke – bei Albert Schweitzer oder Franz von Assisi. Beten heißt: ohne Termin, direkt Audienz haben beim Allerhöchsten.

„Stell dir vor dein nächstes Date ist eine Kaffeetasse mit Gott“, so heißt es in der Passions-App (EXRC) der Landeskirche. Ich stelle mir das vor: Mit Gott Auge in Auge. Mit Gott am Tisch sitzen, mit ihm reden. Ihm  das Unrecht und den Terror, all die Gewalt  hinhalten. Klagen, mit ihm ringen. Immer wieder anklopfen. Knocking on heaven’s door.

Aber auch einfach mal still sein. Ausatmen und einatmen. Und spüren: er ist bei mir und in mir, wie die Luft, wie der Wind, wie die Sonne. So entsteht Vertrauen. Und innere Freiheit, denn Beten geht nicht aus Zwang. So teile ich mit Gott, was mich umtreibt. Dass ich immer wieder scheitere. Dass ich andere enttäuscht oder verletzt habe. Dass ich nicht ehrlich bin. Dass ich ihm – Gott viel zu wenig zutraue. Und dann bitte ich um neue Wege für heute und morgen. Für mich und für andere, für unsere Kirche, für diese Welt.

Und dann, sagt Jesus, habt ihr ja auch noch mich. Ich als euer Bruder verstärke und vertrete euer Anliegen. Und ich schicke euch sogar noch einen, der euch hilft beim Abba, beim Vatersagen, beim  Stammeln und beim Loben,  den Tröster. Er gibt euch Worte… Da kann ich loslassen. Das lässt mich dankbar werden. Ich spüre, ich bin nicht allein….

Ich darf Gott anreden, wie einen Freund oder eine Freundin, wie die liebevolle Mutter oder den geduldigen Vater. Beten ist gelebte Beziehung. Wo Vertrauen ist, kann man auch mit enttäuschten Erwartungen umgehen. Ich möchte Gott zutrauen, dass er unsere Wünsche und Ideen prüft, nicht 1:1 erhört. Dass er das Beste für uns vorhat. Beten ist kein Wunschkonzert. Es ist die gelebte Antwort auf Gottes Liebe. Manchmal erkennen wir erst im Nachhinein, dass es gut ist, wie es kam, obwohl wir es uns anders gewünscht hatten. Und manches werden wir wohl erst im Licht der Ewigkeit verstehen.

In der Welt habt ihr Angst, Bedrängnis müsste man besser übersetzen. Schauen wir nach Europa: Da ist die große Arbeitslosigkeit vor allem unter der Jugend in Südeuropa, das Brexit-Chaos in England, das ein ganzes Volk zerreißt. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus besonders im Osten Europas. Und die Regierungskrise in Österreich. Sie deckt auf, wie marode unsere politische Kultur durch den Rechtspopulismus vielerorts geworden ist. Und wir Deutschen? Hoffen auf unsere Wirtschaftskraft? Schotten uns clever ab, sind froh, wenn die Anderen die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer aufnehmen…Wir brauchen Europa als Völkergemeinschaft und hier entschieden christliche Werte im ethischen und im politischen Diskurs. Woher kommen sie? Nicht als Pflicht-Erfüllung eines gesetzlichen Regelwerks.

Jesus sagt: In der Welt habt ihr Bedrängnis, aber ich habe die Welt überwunden… Ich höre:

Es gibt nichts, was uns wirklich schrecken kann, wenn wir uns in Christus beim Vater geborgen wissen. Diese Botschaft macht mich frei: Von der Meinung ich oder wir müssten diese Welt retten. Das können wir nicht. Und müssen es nicht. Denn sie ist schon gerettet.

Aber! Gerade weil ich das weiß, will und kann ich mich einmischen und engagieren. Gerade deshalb sind mir die Menschen vor unserer Haustür und in den Krisengebieten der Weltnicht egal. Ihre materielle und seelische Not. Wo die Angst weicht, ist Platz für Hoffnung und für die Liebe.

DA werden die Augen und Herzen offen und die Hände frei zum Helfen.

Und da werden mir unsere Gottesdienste und unsere Seelsorge neu wichtig: Hier erklingt das Wort des lebendigen Christus. Auch heute Mut macht es Mut und weitet den Horizont, für Europa und diese Welt:

In der Welt habt ihr Angst, Bedrängnis, Not, aber seid getrost, seid guten Muts: Bei mir ist Friede. Ich bin stärker als der Tod. Ich habe das Dunkel dieser Welt überwunden.

 

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Liedervorschläge:

Für die Europawahl: Mehrsprachiges Christusbekenntnis mit Halleluja (Jesus Christ, You are my life, Alleluja, freiTöne 79)

als Lied nach der Predigt: EG 351 Ist Gott für mich so trete



Prof. Dr. Jochen Arnold
Hildesheim, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: Jochen.Arnold@evlka.de

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