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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 10.06.2019

Predigt zu Matthäus 16:13-19, verfasst von Uwe Tatjes

13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi undfr agte seine Jünger und sprach: W er sagen die L eute, dass der Menschensohn sei? 14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder an-dere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. 15 Er sprach zu ihnen: W er sagt denn ihr, dass ich sei? 16 Da ant-wortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn! 17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im H immel. 18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwäl-tigen. 19 Ich will dir die Schlüssel des H immelreichs ge-ben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im H immel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im H immel gelöst sein.

Liebe Gemeinde,

ich besuche einen Freund in Amsterdam. Heute will er mir mal seine Gemeinde zeigen. Wir treffen uns am Abend mit dem Gemeindeleiter vor einer stattlichen Holzkirche mitten im Grachtengürtel. Der Gemeindeleiter sperrt auf und wir treten ein. Der Innenraum der Kirche ist leer. An den Seiten stehen einige Stühle. In einer Ecke ein Piano. Eine Galerie führt um diesen Raum herum und man sieht, dass dort überall Büros liegen. Doch interes-santer sind die vielen Augenpaare der Nackten, die sich auf uns richten. Denn eine grosse Ausstellung mit Aktgemälden ist auf der Galerie und im Innen-raum angebracht. Wir nutzen die Kirche nur noch am Sonntag, erklärt der Gemeindeleiter, dann wer-den die Stühle aufgebaut, das Piano hereingescho-ben. Wir sind hier nur Mieter. Eigentlich ist die Kirche jetzt ein Büro. Und die Nackten, die blei-ben auch während der Predigt?, frage ich. Na klar, sagt der Gemeindeleiter, warum denn auch nicht? Er zeigt uns noch den Raum, den die Gemeinde ausserhalb der Gottesdienste nutzen kann. Es ist der Fahrradschuppen. Für unsere kleine Gemeinde reicht das vollkommen, sagt der Gemeindeleiter. Kirche in der Ecke, Kirche to go. Du bist Petrus? Der Fels, auf dem ich meine Gemeinde bauen will? Hier, wo viele Menschen sich zu keiner Konfession mehr bekennen und kaum wissen, wer Jesus ist?

Szenenwechsel: Nicht jeder hat einen eigenen Bal-kon zum Segenspenden. Der Heilige Vater schon. An hohen Festen oder wenn er gerade zum Papst gekürt wurde, tritt er hier vor das Meer der Gläubi-gen, um den Segen und Ablass aller Sünden zu spenden. Vor ihm ist der Platz des Petersplatzes dann geflutet mit Menschen und Fernsehteams tra-gen seinen Segen in allen möglichen Sprachen in alle Welt hinaus. Urbi et orbi. Der Stadt und dem ganzen Erdkreis. „Bitten wir den allmächtigen Gott, dasserdenPapstlangealsFührerderKircheerhalteund der Kirche Einheit und Frieden gebe.“ So heisst es in dem Segen, den der Bischof von Rom und der Papst der katholischen Kirche dann spricht. Und hinter ihm erhebt sich der steingewordene Glanz und Machtanspruch dieser Kirche in Form der mo-numentalen Peterskirche. Mit all diesen Menschen und mit diesen beeindruckenden Gebäuden zu ste-hen und den Papst zu erleben, das ist schon erhe-bend, erzählt mir eine Frau mit leuchtenden Augen. Anscheinend sogar für nüchterne Reformierte, denke ich. Du bist Petrus! Auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen!

Momentaufnahmen von Kirche zwischen Glanz und Gloria und neuer Bescheidenheit, zwischen Grössenwahn und Selbstbescheidung, zwischen Führungsanspruch und Position am Rande, zwi-schen prächtiger Ausstaffierung und Nacktheit.

Freilich, so erhebend die Massenansammlungen von Christen auf dem Petersplatz oder demnächst auf dem Kirchentag in Dortmund auch sein mö-gen, für viele von uns ist es ja längst nicht mehr das Gefühl „Wir sind viele“ oder wenigstens noch „Wir sind mehr“. Die Massen suchen wir in den aller-meisten Gottesdiensten vergeblich und auch wenn die Kirchen gerne darauf verweisen, dass in Deutschland immer noch mehr Menschen in den Sonntagsgottesdienst als in die Fussballstadien am Samstag gehen, kann nichts darüber hinwegtäu-schen, dass immer mehr Menschen wegbleiben und die Kirchen massiv Mitglieder verlieren.

Und überhaupt: in Fels gehauen scheint in unseren bewegten Zeiten ja nichts mehr. Volksparteien stür-zen ab, die einen wollen am liebsten nationale Mau-ern wieder aufrichten, andere ahnen, dass sich das veränderte Klima davon nicht beeindrucken lassen wird. Alte Gewissheiten bröckeln und in unserer neuen digitalen Welt sprudeln die Fake News und Informationen munter durcheinander. Wer soll da

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noch durchblicken? Und wem kann man noch trau-en?

Wie steht es in diesen stürmischen Zeiten mit die-ser Zusage Jesu: Dass er die Kirche auf einen Felsen bauen will und sie einfach nicht kleinzukriegen sei? Und was hat es mit Petrus auf sich? Soll er der Fels sein, auf dem alles aufbaut?

Doch bevor wir Fragen stellen, lassen wir Jesus zu Wort kommen. Denn er hat da auch noch eine Fra-ge: Was sagen denn die Leute, wer ich sei? Eine sol-che Umfrage wäre auch unter uns sicher ganz auf-schlussreich. Ganz verschiedene Bilder von Jesus und Gott kämen da wohl zusammen. Und auch ganz verschiedene Erfahrungen, was denn „die Leu-te“ über ihn sagen. Von milder Gleichgültigkeit über „Prophet“, „guter Mensch“, „Aussteiger“ bis hin zu entschiedener Ablehnung wäre da wohl vie-les zu haben und zu hören. Aber interessant wird es ja, wenn wir uns nicht hinter der Meinung anderer verstecken, sondern selbst Farbe bekennen, wer Je-sus für uns sei.

Die Jünger werden da an ihre Erfahrungen gedacht haben könne. Mit Jesus unterwegs, von hier nach da. Kirche im Wandel, im Wandeln. Nie wissen, wem man begegnet, wo man die nächste Nacht schläft, welche Nöte und Sorgen, welche Heraus-forderungen und Anfragen auf einen warten. Und eben auch: Jesus ganz nahe bei den Menschen, als einer, der erkennt, anspricht, herausfordert und heilt, der Menschen in den Bann und in die Nach-folge zieht. All das hätten sie sagen können, aber am Ende ist es einer, der den Mund aufmacht.

Kein Wunder, dass es Petrus ist, der da als erster Worte findet. Er, der als Erster von Jesus in die Nachfolge gerufen wurde, er, der Mutige, Tatkräfti-ge, manchmal Voreilige.

Die Antwort des Petrus ist leidenschaftlich und klar: Jesus, der nach dem Menschensohn gefragt hat, ist mehr als das Kind menschlicher Eltern, er ist auch der Sohn Gottes, der Christs, der Gesalbte Gottes, der Hoffnung und Heil bringt. Das geht ei-gentlich über das Verstehen eines Einzelnen hinaus, das ist geschenkte Einsicht und Erfahrung. Inso-fern spricht hier Petrus auch als einer für viele. Denn was bei Petrus so überzeugend klingt, ist aus seiner Sicht nachvollziehbar, aber noch längst nicht von allen erkannt und begriffen. Denn bei aller Grösse ist Jesus doch für die damalige jüdische Öf-

fentlichkeit auch nur einer von vielen Wanderpre-digern und im grossen römischen Reich nicht mal eine Randnotiz.

Was Petrus bekennt, ist offensichtlich und doch seltsam verhüllt, denn wer Jesus wirklich ist, das wird sich auch für die Jünger erst nach seinem Lei-den, seinem Tod und seiner Auferstehung offenba-ren. Petrus steht hier als einer, der etwas vorweg-nimmt, was ihm und andern erst später aufgeht. Aber auch, wenn man es noch nicht ganz begreift, ist es doch ein Vertrauen, das trägt.

Das geht über den einen hinaus, weswegen Jesus auch darauf hinweist, dass Petrus das nicht selbst aufgegangen ist, sondern ihm diese Einsicht von Gott geschenkt ist. Der Glaube bleibt Geschenk. Aber wer etwas über Gott sagt, bekommt auch et-was über sich selbst gesagt.

Du bist P etrus, und auf diesen F elsen will ich meine Ge-meinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. 19 Ich will dir die Schlüssel des H immel-reichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im H immel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im H immel gelöst sein.

Es ist eine ganz Menge, was Petrus da zu hören be-kommt und bei aller Wertschätzung auch vielleicht ein bisschen viel für einen Menschen allein. Für die römisch-katholische Kirche ist es bis heute die Be-gründung für den Primat des Bischofs von Rom, der als Papst nun das Petrusamt weiterführt und mit den anderen Bischöfen per Handauflegung wei-tergibt. Ein Führungsposition nicht nur innerhalb der Weltkirche katholischen Bekenntnisses, son-dern nicht weniger als der Stellvertreter Christi auf Erden. Natürlich ist Petrus eine besondere Gestalt, der Erstberufene, der Vorprescher, der Überzeugte und der Loyale, eine echte Type in der Schar der Jünger. Einer, auf den man bauen kann. Was ja auch das Wortspiel Petrus Petra, das griechische Wort für „Fels“ deutlich macht. Aber ist es das was Jesus meint? Geht es darum bei der Schlüsselgewalt? Auf welchem Felsen soll die Kirche stehen?

Wir wandern im Wadi Arugot bei En Gedi am To-ten Meer, in unserem Rücken breitet sich die le-bensfeindliche Wasserfläche des Toten Meeres aus, vor uns fällt die judäische Wüste in steilen, unwirt-lichen Berghängen zum Toten Meer ab. In diese karge Landschaft haben sich zwei Bäche, die das ganze Jahr Wasser führen, tief eingeschnitten. Sie

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ziehen ein grünes Band des Lebens in das schroffe Wüsten- und Bergocker. Wenn man nicht genau hinschaut, hat man manchmal das Gefühl, dass die Felsen grünen und blühen. Wenn man näher kommt, sieht man, dass es nur feuchtes Moos ist, das sich an die Felsen klammert oder Steinbrech oder andere Pflanzen, die zwischen den Rissen und Brüchen in den Felsen Raum zum Leben gefunden haben.

Was soll der Fels sein, auf dem die Kirche gebaut wird?

Die Versuchung ist gross, die Verheissung an Petrus als Begründung einer Hierarchie, als Verfestigung von Macht- und Herrschaftsstrukturen zu lesen. Natürlich ist die Versuchung immer gross, dem, was einem persönlich wichtig ist, möglichst viel Gehör und Gewicht zu verschaffen und den eigenen Ein-fluss zu sichern. Oder die Grundsätze, die man selbst für wichtig und massgeblich hält, in Stein zu meisseln. Mit gotischer Raumhöhe oder monumen-talen Christusstatuen eine Duftmarke zu setzen. Und mit allerhand Regeln und Dienstgraden dafür zu sorgen, dass das gemeine Volk doch eine Art Ver-mittlung braucht, wenn es mit Gott in Kontakt tritt. Aber ist das gemeint?

Wenn ich die Geschichte noch einmal lese, dann komme ich zurück zu dem Bekenntnis. Kirche ge-schieht da, wo Jesus als der Christus bekannt wird.κυριακόν, das Wort, aus dem unser Wort „Kirche“ stammt, bedeutet ursprünglich: „dem Herrn gehö-rig“. Und dem Herrn gehörig ist das Vertrauen, das in ein Bekenntnis münden kann. Es muss nicht so vollmundig und dogmatisch korrekt sein wie das von Petrus. Wichtig ist das Vertrauen. Nicht um-sonst wird auf dem kommenden Deutschen Evan-gelischen Kirchentag das Motto heissen: „Was für ein Vertrauen“.

Und wenn Petrus nun so herausgestellt wird als Vorbild und wichtige Person, dann nicht um seiner selbst willen, sondern um dessen willen, was sich in ihm zeigt: dieses tiefe Vertrauen, das in das Be-kenntnis zu Christus mündet. Natürlich ist und bleibt Petrus eine Type, aber ein Typos, ein Vorbild, wird er gerade darin, wie er vertrauen kann. Und das, obwohl sich ja noch gar nicht erwiesen hat, wie die Sache mit Jesus ausgehen wird. Das, obwohl sie als Jünger momentan nur Kirche to go sind, Kirche im Wandeln, unterwegs, auf der Suche, mit einer guten Botschaft, aber oft auch mit knurrendem

Magen. Das, obwohl Petrus selbst gar nicht so ein strahlender Held ist, oft eher ein Grossmaul. Einer, der wie Jesus im Sturm über das Wasser gehen will und wegen seines fehlenden Vertrauens zu sinken beginnt, einer, der oft nicht überlegt und der am Ende seinen Herrn und Meister dreimal verleugnen wird. Er ist ein Mensch mit Rissen und Brüchen. Aber so wird er Vorbild. Mit nichts als seinem Ver-trauen. Und das ist der Fels auf dem die Kirche ge-baut sein soll. Auf dem Vertrauen zu Christus, in dem das Heil gekommen ist und doch noch verbor-gen. In dem Staunen darüber, dass er uns brauchen kann trotz unserer Risse und Brüche. Petrus ist, wie alle sind und sein werden. Es braucht nicht nur Simon Petrus, es braucht auch Dich und mich. Und seine Schlüsselgewalt über Leben und Tod kann man auf diesem Hintergrund wohl lesen als das Ver-trauen, dass Jesus die Oberhand behält, dass uns der Tod nicht verschlingen wird und wir unser dem Leben mit all seinen Höhen aus diesem Vertrauen leben. Es geht nicht um Macht, sondern einfach um Vertrauen.

Es geht also nicht um steingewordene Gottesfurcht und Herrlichkeit in Domen und Kathedralen, Basi-liken und Münstern, es geht nicht um heilige Hier-archien und pastorale Machtspiele. Das, worauf ge-baut wird ist das Vertrauen. Und es geht nicht um Stillstand, sondern um Bewegung. Nicht um Erstar-rung, sondern um Verwandlung.

Paul Celan schreibt einmal in einem Gedicht: Es ist Z eit , daß der S tein sich zu blühen bequemt ,

daß der Unrast ein H erz schlägt.

EsistZeit,daßesZeitwird.

Wo dieses Vertrauen und Bekenntnis da ist, da ist Kirche, da kann der Stein zu blühen beginnen. So wie im Wadi Arugot mitten in der Wüste. Da kommt etwas in Bewegung.

Und so wie unsere ganze Geschichte ja ein Ge-spräch, Kommunikation ist, Frage, Antwort, Zusa-ge, so ist Kirche auch auf der Kommunikation ge-baut, auf dem Wort, das Verbindung schafft und verändert. Das kann klein anfangen, wie ein Ge-spräch unter zweien anfängt. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20) Wo Menschen ins Ge-spräch kommen über Jesus, wo eine Verbindung ge-

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schaffen wird und sein Wort ausgebreitet wird, da geschieht Kirche. (vgl. Mt 28, 19.f).

Und wir merken schon, dafür braucht es keine Dome und Messehallen. Das kann auch im Wohn-zimmer passieren oder am Busbahnhof. Das kann im Fahrradschuppen sein oder auf der Strasse. Viel-leicht haben wir die Kirche viel zu sehr von dem ei-nen Felsen her gesehen, der fest steht, wie ja in den meisten unserer Dörfer und Städte noch eine Kir-che steht. Und zu wenig begriffen, dass Kirche im-mer etwas Lebendiges, Kommunikatives ist, das da-von lebt, dass sich Dinge wandeln und wandeln können, dass sich Überraschendes und Tröstliches ereignet und wir uns offen halten für das, was uns von Gottes Seite an Hoffnung entgegenkommt. Und dann braucht es nicht mehr als ein Vertrauen, nicht mehr als einen Simon Petrus, der trotz all sei-nes Scheiterns noch vertrauen kann, dass Jesus, dass Gott ihn nicht fallen lassen, ja, dass zwischen den Rissen und Brüchen seines eigenen Lebens das Leben und die Hoffnung zu blühen beginnen.

Vielleicht müssten wir wieder mehr wie die Jünger lernen, dass Kirche im Wandeln, im Umherziehen, im Unsicheren und Unbehausten begonnen hat. Kirche on the road, Kirche to go. Dass wir all unse-re Mitgliedsstatistiken und Planungsängste verges-sen und nicht an sich leerenden Kirchen hängen, sondern uns wie die Jünger damals vom Pfingstgeist auf die Strasse treiben lassen, zu den Menschen. Petrus wird auch hier wieder vorangehen mit einer Pfingstpredigt draussen. Und die uns heute sagt: Ob im Fahrradschuppen oder im Petersdom, Kir-che hängt nicht an den Steinen, sondern an dem Vertrauen und dem Bekenntnis zu dem, der uns Fels werden kann und ist: Jesus Christus. Amen



Pfarrer Uwe Tatjes
Zürich, Schweiz
E-Mail: pfarrer@tatjes.ch

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