Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 23.06.2019

Predigt zu Lukas 16:19-31 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Leise Christensen

Es ist immer schön, wenn alles seine Ordnung hat. Dass zweimal zwei noch immer vier ist. Dass es so ungefähr gerecht zugeht. Dass eine gewisse Berechenbarkeit existiert in einer ansonsten chaotischen Welt. Dass man den Lohn bekommt, den man verdient, dass man so liegt wie man sich gebettet hat, erntet, was man gesät hat, oder wie wir es sonst noch ausdrücken. Das ist ja nicht deshalb, weil wir schadenfroh wirken möchten oder uns am Unglück anderer weiden wollen, auch wenn es noch so wohlverdient ist. Aber wie meine Freundin aus der Insel Fünen so schön in ihrem Dialekt sagt: „Schadenfreude ist auch eine Art Freude“. Ob sich Lazarus über das Unglück des reichen Mannes gefreut hat, während er in Abrahams Schoß saß und auf seinen alten Quälgeist herabblicken konnte, den reichen Mann, der an einem ganz heißen Ort schmachtete - das ist schwer zu sagen. Das wäre ja so menschlich, wenn da nur ein kleines triumphierendes Lächeln in seinen Augenwinkeln wäre. Gewiss, unpassend, aber dennoch! Denn man kann sagen, dass es sich hier in hohem Maße um eine Geschichte handelt, in der Gerechtigkeit Genüge geschieht. Der arme lausige Lazarus voller Geschwüre, der alle seine Lebenstage vor dem Tor des Reichen verbringen musste, kommt nach seinem Tod in den Himmel und in den Schoß von des Patriarchen Abraham selbst, während der reiche Mann, der nie an der Seite des Lazarus stand, als sie lebten – er in dem vornehmen Haus, Lazarus als Obdachloser auf der Straße – ewig in der Hölle dursten und leiden muss. Ist das nicht schön! Endlich eine ordentliche Geschichte darüber, wie die Dinge richtig zusammenhängen und wo wir uns freuen können. Oder wie nun? Denn so ganz geheuer kann uns diese Geschichte Jesu nun doch nicht sein. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn oder die Geschichte von der Arbeitern im Weinberg, das kann ja angehen, aber diese Geschichte hier? Tja! Denn es ist ja so, wenn Jesus eine Geschichte erzählt, hat er da immer eine Pointe, und in seinen Erzählungen gibt es immer Menschen, mit denen wir Menschen uns unweigerlich zu identifizieren versuchen.

Wenn wir uns also dennoch nicht richtig darüber freuen, dass der reiche Mann direkt in den Flammen endet und Lazarus bei Abraham ruht, so deshalb, weil es uns schwer fällt – wenn wir ehrlich sind, uns selbst in der Gestalt des Lazarus zu sehen. Ihm gleichen wir ja nicht, sondern natürlich dem Reichen! Wir sind die Reichen, wir sind die Privilegierten. Und dann ist der Gedankengang in der Erzählung plötzlich nicht mehr so attraktiv. Es ist ja schön mit Gerechtigkeit und Strafe – vor allem wenn es andere betrifft und nicht uns selbst. Was uns betrifft, da wollen wir gerne von Vergebung, Gnade und Barmherzigkeit hören – alles Begriffe, die im heutigen Text nicht vorkommen. Und dann wollen wir am liebsten nicht so viel hören von der endgültigen Gerechtigkeit. Denn wir wissen ja sehr gut, dass auch vor unserer Tür viele Lazarus‘se sind. Vielleicht nicht unappetitlich, krank, wund wie der Lazarus bei Lukas, aber dennoch Menschen, für die wir – dass wissen wir wohl – etwas tun müssten. Wir tun es aber nicht, weil wir so viel anderes vorhaben – und vielleicht ist das ja etwas, worum sich der Staat, die Öffentliche Hand, die Sozialfürsorge, das Pflegeheim, die Polizei, die Schule, der Ombudsmann oder irgendwelche Institutionen kümmern. “Ich brauche wohl nichts zu tun, wenn ich meine Steuern bezahlt habe“. So kann man ja vielleicht bei sich denken. Wir wissen wohl: Die Rauschgiftsüchtigen, die Obdachlosen, die Ausländer, die sogenannten Außenseiter, haben auch ein Daseinsrecht, aber nur nicht da, wo ich bin. Nein, die Lazarus‘se liegen vor der Tür, die gehen uns nichts an, darum müssen sich andere kümmern. Allein der Gedanke, dass solche Leute in der Nachbarschaft wohnen, bewirkt, dass wir ein Gesicht machen wie ein Teenager, den man darum gebeten hat, den Müllbeutel zum Mülleinem zu tragen. In der Tat, wir gleichen mehr dem reichen Mann als Lazarus. Und dann ist dies ja plötzlich eine sehr unangenehme Geschichte, die uns Jesus hier auftischt. Denn wo ist die Hoffnung in dieser Geschichte? Enden auch wir da, wo es richtig heiß und unangenehm ist und wo es kein erfrischendes Wasser gibt? Das hat man jedenfalls Jahrhunderte lang befürchtet, wenn man diese Erzählung gehört hat. Das ist eine Geschichte, die unserer irdischen Wirklichkeit sehr ähnelt. Sie ist in der Tat nicht sehr himmlisch erhaben.

Nun könnte man glauben, dass unsere gegenseitigen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten gelöst sein werden, wenn wir tot sind, aber in der Erzählungen setzt sich der Streit ja nach dem Tode fort, jetzt mit Abraham als dem Menschen, der keine Barmherzigkeit und Nächstenliebe erweist. Nun hat sich das Blatt gewendet, und die, die sicher und gut im Himmel sitzen, verhöhnen die, die in den niederen Regionen schmachten und leiden. Die menschliche Gerechtigkeit wird in den Himmel übertragen. Das Witzige an der Geschichte Jesu ist dann auch, dass der reiche Mann, der da im heißen Bereich liegt und schmachtet, seine Gewohnheiten aus dem irdischen Leben beibehalten hat. Er ruft zu Abraham, dass Abraham Lazarus zu ihm schicken soll mit Wasser. Und als das nicht gelingt, sagt er, dass Abraham Lazarus in sein Vaterhaus schicken soll, um dort zu erzählen, was passieren kann, wenn man sich nicht anständig aufführt. Der reiche Mann sieht in Lazarus noch immer nichts anderes als einen Diener, obwohl Lazarus in Abrahams Schoß liegt und er selbst in der Hölle sitzt.

Diese Geschichte hier ist nur allzu menschlich! Da ist etwas unheimlich Bekanntes an der Erzählung von Lazarus und dem reichen Mann und ihrem gegenseitigen Verhältnis auf Erden und im Himmel. Und ich glaube, dass Jesus hier ein Schelm ist. Ich glaube, dass er diese Geschichte nicht deshalb erzählt, um uns, den sich wundernden Massen, mitzuteilen, wie sich das Leben nach dem Tode ausnimmt. Die Bibel ist kein Reiseführer unter der Überschrift: Die Reise geht in den Himmel oder die Hölle. Er erzählt die Geschichte vielmehr, um uns zu zeigen, dass es absolut sinnlos wäre, wenn der Gott, der Liebe ist, wirklich denselben Maßstab für Gerechtigkeit anlegte wie wir Menschen. Wenn er das täte, dann wäre die Erzählung von Lazarus und dem reichen Mann und ihrem Schicksal nach dem Tode vielleicht verständlich, aber es wäre weder Trost noch Hoffnung in ihr. Der Trost und die Hoffnung aber, die man dennoch in dieser Geschichte finden kann, dass Jesus, der diese Geschichte erzählt, keine zufällige Person ist. Es ist der Jesus, der unermüdlich nicht auf die Möglichkeit der Rache verwies, sondern auf die Möglichkeit der Liebe. Es ist der Jesus, der unermüdlich auf die Bedürfnisse des Mitmenschen verwies und zeigte, dass Liebe zu Gott nicht möglich ist ohne die Liebe zum Mitmenschen, denn das ist ein und dasselbe. Es ist der Jesus, der immer von der Möglichkeit der Vergebung sprach und der uns immer vergibt, damit wir dem Mitmenschen vergeben sollen, so dass wir nicht enden wie verbitterte Kampfhähne, sondern die unglückliche Spirale der Rache beenden. Es ist der Jesus, der stets in seinen Erzählungen und Gleichnissen darauf verweist, dass trotz all unserer Wirrnis, unserer Selbstgerechtigkeit und unserer Untaten Platz ist für dich und mich. Denn im Himmel herrscht nicht die menschliche Gerechtigkeit, sondern die Gerechtigkeit Gottes, die zum Glück ganz anders barmherzig und gnadenreich ist als die unsere. Das ist die Hoffnung, und das ist der Glaube. Damit können wir auch heute nachhause gehen. Amen.



Pastorin Leise Christensen
Aarhus, Dänemark
E-Mail: lec(at)km.dk

(zurück zum Seitenanfang)