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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Tag d. Geb. Johannes d. Täufers, 24.06.2019

Gott schenkt Befreiung und Entlastung
Predigt zu Matthäus 3:1-12, verfasst von Rainer Stahl

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

 

Liebe Leserin, lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Im Januar 2003 hatte ich ein ganz besonderes Erlebnis: Im Theater bei uns in Erlangen habe ich das Stück „Salome“ von Oscar Wilde gesehen. In ihm sind großartige Sequenzen enthalten – übrigens von dem berühmten irischen Künstler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ursprünglich in französischer Sprache geschrieben, was bei jener Inszenierung zum Beispiel dadurch aufgenommen wurde, dass immer von „dem Sonner“ („le soleil“) und „der Mondin“ („la lune“) die Rede war –, großartige Sequenzen, von denen ich einige in Erinnerung rufen möchte:

 

Die Stimme des Jochanaan:  Nach mir wird einer kommen, der ist stärker als ich. Ich bin nicht wert, ihm die Riemen an seinen Schuhen zu lösen. Wenn er kommt, werden die verödeten Stätten frohlocken. Sie werden aufblühen wie die Rosen. Die Augen der Blinden werden den Tag sehen, und die Ohren der Tauben werden geöffnet. Das Kind wird an der Höhle des Drachen spielen, es wird die Löwen an ihren Mähnen führen.

Zweiter Soldat:  Heiß ihn schweigen! Er sagt immer lächerliche Dinge.

Erster Soldat:  Nein, nein, er ist ein heiliger Mann. Und er ist sehr sanft. Jeden Tag, wenn ich ihm zu essen gebe, dankt er mir.

Ein Kappadozier:  Wer ist es?

Erster Soldat:  Ein Prophet.

Der Kappadozier:  Wie ist sein Name?

Erster Soldat:  Jochanaan.

Der Kappadozier:  Woher kommt er?

Erster Soldat:  Aus der Wüste, wo er sich von Heuschrecken und wildem Honig nährte. Er trug ein Kleid von Kamelhaaren und um die Lenden einen ledernen Gürtel. Er war sehr schrecklich anzusehn. Eine große Schar war immer um ihn. Er hatte auch Jünger, die ihm folgten.

Der Kappadozier:  Wovon redet er?

Erster Soldat: Das kann man nie wissen. Manchmal sagt er Dinge, die einen erschrecken, aber es ist unmöglich zu verstehen, was er sagt. [...]

Die Stimme des Jochanaan:  Siehe! Der Herr ist gekommen. Des Menschen Sohn ist nahe. [...]

Jochanaan [gerichtet an Salome]:  Tochter der Unzucht, es lebt nur Einer, der dich retten kann. Er ist Der, von dem ich sprach. Geh, such ihn. Er ist in einem Nachen auf dem See von Galiläa und redet zu seinen Jüngern. Knie nieder am Ufer des Sees, rufe ihn an und nenne ihn beim Namen. Wenn er zu dir kommt, und er kommt zu allen, die ihn anrufen, dann bücke dich zu seinen Füßen, daß er dir deine Sünde vergebe. [...]

Die Stimme des Jochanaan:  Siehe, der Tag ist nahe, der Tag des Herrn, und ich höre auf den Bergen die Schritte Dessen, der der Erlöser der Welt sein wird.“[i]

 

Der Dichter hat Aussagen des Matthäusevangeliums aufgegriffen und dadurch beeindruckend dichte Szenen geschaffen. Aber ist das alles eigentlich wichtig für uns? Eine erste Frage: Wer von uns lebt im Jahresrhythmus von Weihnachten zum Johannestag, von dem Zeitpunkt her, von dem an die Tage wieder länger werden, zu dem Zeitpunkt hin, von dem an sie wieder kürzer werden? Im Gegenteil: Die so genannte „Sommerzeit“ entfremdet uns den natürlichen Veränderungen noch mehr, indem sie abends länger Helligkeit schenkt, weil es in Wahrheit entgegen dem, was unsere Uhren zeigen, noch gar nicht zum Beispiel 21.00 Uhr sondern erst 20.00 Uhr ist. Eine zweite Frage: Sind damit auch die Glaubensinhalte, auf die diese Veränderungen der Natur im Jahreskreislauf verweisen sollen, gegenstandslos?!

 

Gewiss, rein religionsgeschichtlich gesehen, gibt es durchaus unterschiedliche Arten der Bestimmung des Verhältnisses von Johannes dem Täufer zu Jesus aus Nazareth. Aber brauchen wir im 21. Jahrhundert nach Jesus aus Nazareth und nach Johannes dem Täufer überhaupt irgendeine Verhältnisbestimmung von Johannes zu Jesus? Mir selbst ist trotz allem biblischen, historischen und auf die Kunst bezogenen Wissen die Gestalt des Johannes des Täufers sehr, sehr fern.

 

Zwei Zuordnungen, zwei Beziehungsverhältnisse bringt unser Bibeltext zum Ausdruck, denen ich nachgehen will. Zuerst aber muss ich Sie und mich mit der Fremdheit dieses Wortes konfrontieren. Sie drängt sich unmittelbar durch das Bild für das endzeitliche und endgültige Handeln dessen auf, der als „nach“ Johannes „Kommender“ bezeichnet wird: Er soll tätig werden wie ein Großbauer der damaligen Zeit, der kurz vor der Ernte steht und durch Tagelöhner sein Vorratsgebäude von den restlichen, nun schon ausgetrieben habenden Körnern reinigen lässt, damit dann die ausgedroschene Ernte des neuen Jahres durch erneut angeheuerte Tagelöhner in ihm eingelagert werden kann. Bei dem Druschvorgang fällt viel Spreu an, die verbrannt werden muss. Ist dieses Verbrennen von Spreu noch jemandem ein einleuchtendes Bild für ein Endgericht Gottes, für ein Endgericht Christi (vgl. Vers 3,12)?  Müssen wir nicht begreifen, dass nicht einfach die Verdammten auf der einen Seite und die Geretteten auf der anderen Seite sein werden / sind, sondern „sich wohl oft beides in ein- und demselben Menschen ereignen [wird]: Er erkennt im Gericht erschrocken-selig das Gute, das Gott in ihm und durch ihn getan hat; seine Suche nach der Wahrheit; seine Sehnsucht nach dem Ganz-Anderen, das sein Leben überstieg; seine nie abreißende Hoffnung, das eigene Leben noch zu ändern – und er erkennt zugleich voll Entsetzen seine Versäumnisse: das unterlassene Gute; das schlechte Beispiel, das er anderen gegeben hat; die Illusionen, die er in sich selbst genährt hat; seine Selbstbehauptung, seinen Selbstbetrug und seine Lebenslügen; seine ganze Schuldgeschichte.“[ii]Wer das erkannt hat, wird einen Wechsel in die jenseitige Welt nicht mehr mit jenem Bild des Johannes bezeichnen können, das sogar auch noch zur Kennzeichnung des Wirkens des „nach ihm Kommenden“ verwendet wird.

 

Deshalb bekommen für mich die beiden Zuordnungen, die beiden Beziehungsverhältnisse, die unser Bibelwort eröffnet, eine neue Bedeutung:

 

Das erste Beziehungsverhältnis ist dasjenige, in das uns die Taufe stellt: Johannes habe getauft mit Wasser zur Umkehr (Vers 11aα). Hier steht die Taufe ganz im Dienst der Neuordnung des eigenen Lebens. Sie hat als Voraussetzung die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit und des Willens, das Leben zu ändern. Nachdem man getauft ist, kann man sich immer wieder an dieser Taufe festmachen und von ihr her Kraft zu neuartigem Leben gewinnen. Wenn diese Kraft zu verblassen droht, könnte man vielleicht noch einmal zu Johannes gehen und sich erneut im Jordan taufen lassen.

 

Merken wir, wie viel wir Christen von der Johannestaufe für unsere Taufpraxis übernommen haben? Da brauche ich nur an Martin Luther zu erinnern, der 1529 in seinem Kleinen Katechismus festgehalten hatte: „Sie wirkt Vergebung der Sünden, erlöst vom Tode und Teufel und gibt die ewige Seligkeit allen, die es glauben [...].“ „Es bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden [...] und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe.“[iii]Da ist Taufe auch die Kraftquelle für ständige Umkehr zum von Gott gewollten Leben, dessen Ziel wir während unserer Erdentage gleichwohl nie erreichen werden. Aber eine Wiederholung der Taufe ist für uns ausgeschlossen, wie der Reformator von Kronstadt / Braşov in seinem „Reformationsbüchlein“ – modernste Haltung der Ökumene vorwegnehmend – schon 1543 geschrieben hatte: „Es soll auch keine Taufe, die im Glauben der heiligen Dreifaltigkeit von Häretikern, Schismatikern oder von Übeltätern vollzogen worden ist, erneuert werden. Ebenso ist es überhaupt eine Sünde, einen Häretiker wiederzutaufen, der die Zeichen der heiligen Trinität empfangen hat [...], aber einen Katholiken wiederzutaufen, ist das größte Verbrechen.“[iv]

 

Da liegt doch das, was in unserem Bibelwort über Christus gesagt wird, auf einer ganz anderen Ebene: „[...] der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“ (Vers 11bβ). Diese Vision setzt die Hoffnung frei, dass bei unserem Taufen der Heilige Geist nicht fern sei. Sehr schön wird das deutlich bei den Taufen in unseren orthodoxen Schwesterkirchen, bei denen das Mädchen, der Junge, die Frau, der Mann nach dem Untertauchen im Wasser noch gesalbt wird – in diesem Symbol das Zeichen des Geistes erhaltend, was bei uns bei der Konfirmation die entscheidende Gabe darstellt.

 

Und nun das zweite Beziehungsverhältnis, das sich aus der Kurzzusammenfassung ergibt, mit der Matthäus das Predigen des Johannes auf den Begriff bringt: „Kehrt um, herbeigekommen nämlich ist die Königsherrschaft der Himmel“ (Vers 2b).

 

Wie wir auf Grund der Arbeit der neutestamentlichen Wissenschaft wissen, hat Matthäus das Markusevangelium gekannt. Deshalb vermute ich, dass er bei seiner Kurzzusammenfassung des Predigens des Johannes die Kurzzusammenfassung des Predigens des Jesus aufnimmt, die Markus am Anfang seines Evangeliums gegeben hat: „Voll geworden ist der Zeitpunkt und herbeigekommen die Königsherrschaft Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15).

 

Beide stimmen darin überein, dass die Herrschaft Gottes nahe gekommen ist. Gottes Herrschaft kann erwartet werden für die „Zeit“ und die „Wirklichkeit“ „nach“ und „jenseits“ unserer Welt.  Sie ist aber auch schon unserer Weltwirklichkeit auf den Leib gerückt. Sie bleibt in unserer Welt und in unserem Leben verborgen, ihre Erfahrung natürlich gebrochen auf Grund der Begrenztheit unserer Sinne, auf Grund unserer bleibenden Verflochtenheit in die Welt, deren Teil wir sind. Aber immer wieder haben Menschen bezeugt, dass sie erfahren haben, dass uns Gottes Herrschaft ganz nahe ist, dass sie die Erfüllung der zweiten Vaterunser-Bitte erlebt haben: „Es komme deine Königsherrschaft!“ Außerdem stimmen beide – Matthäus für Johannes den Täufer, Markus für Jesus aus Nazareth – darin überein, dass angesichts dieser Nähe von Gottes Herrschaft nur eine Konsequenz möglich ist: das eigene Leben grundlegend zu verändern, von den bisherigen Wegen, die von Gott wegführen, umzukehren auf die Wege, die Gott zum Ziel haben. Wie eine Wanderin, ein Wanderer, die / der sich im Gebirge verstiegen hat, nur eine Möglichkeit besitzt – wie mir 2009 beim Abstieg vom Festkogel oberhalb von Obergurgl geschehen ist –: Umzudrehen und wieder aufzusteigen, bis die Wegmarkierung wieder in den Blick kommt – und dann auf dem richtigen Weg weiter abzusteigen!

 

Einen Unterschied aber gibt es: Matthäus hat aus der Kurzzusammenfassung des Predigens des Jesus bei Markus einen Halbsatz für Johannes nichtübernommen: „[...] und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15bβ). Johannes hat für unser Leben die andrängende Nähe Gottes erkannt, aber er hat nicht erkannt,  dass Gott uns Befreiung, Entlastung bringen wird. Dass schon heute, schon in unserem Leben die Dimension der Wahrheit uns von uns selbst befreit, uns das wirklich Wichtige, das tatsächlich Schöne, das überwältigend Tiefe nahe bringt. Die meisten erleben dies alles vielleicht in Momenten und Zeiten der Liebe. Gott kann uns dies alles aber auch im Gebet, in der Betrachtung eines Bildes, im Erleben einer Theaterinszenierung, im Hören von Musik eröffnen – immer aber, und das muss ich über den Johannestag hinaus betonen, in einer Verbindung mit Christus, wie sie Novalis, Friedrich von Hardenberg, Ende des 18. Jahrhunderts in Worte gefasst hatte:

                                    „Was wär ich ohne dich gewesen?

                                    Was würd ich ohne dich noch sein?

                                    Zu Furcht und Ängsten auserlesen,

                                    ständ ich in weiter Welt allein [...].

                                    Du kamst, ein Heiland, ein Befreier,

                                    ein Menschensohn voll Lieb und Macht

                                    und hast ein allbelebend Feuer

                                    in unsern Herzen angefacht.

                                    Nun sehn wir erst den Himmel offen

                                    als unser ewges Vaterland [...].“[v]

Amen.

 

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“

 

[i]   Vgl.: Oscar Wilde: Salome. Tragödie in einem Akt, Insel-Verlag, Erste Auflage 1919, Insel-Bücherei Nr. 247, S. 10f.13.25.33.

[ii]   Gerhard Lohfink: Am Ende das Nichts? Über Auferstehung und Ewiges Leben, Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017, S. 174.

[iii]   Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2013, S. 477.478.

[iv]   Vgl.: Johannes Honterus: Reformatio ecclesiae Coronensis ac totius Barcensis provinciae, Corona 1543, Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt, Band VIII, Beiheft 2, hg. von Bernhard Heigl und Thomas Şindilariu, aldus-Verlag, Kronstadt 2017, S. 71.

[v]   Evangelisches Gesangbuch, Rumänien, Nr. 318, Strophen 1 und 2.



Dr. Rainer Stahl
Erlangen, Bayern, Deutschland
E-Mail: rainer.stahl.1@gmx.de

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