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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 30.06.2019

Predigt zu Lukas 14:16-24 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Margrethe Dahlerup Koch

Mittsommer: ”Erst im Juni kommt der Südwind und der Sommer“, heißt es in einem dänischen Kinderlied, aber dann auch schon in der nächsten Zeile heißt es: „Seit Sankt Hans werden die Tage schon wieder kürzer“. Diese Stimmung von Wehmut gehört auch zum Mittsommer, weil das Jahr nun seinen Höhepunkt erreicht hat, und von da kann es nur noch bergab gehen. Diese Wehmut des Hochsommers ist am schönsten in einem schönen Sommerlied des dänischen Dichters Ludvig Holstein geschildert: „Voller Blumen strahlt der Zeig des Apfelbaums“, wo er Strophe für Strophe die Schönheit des Mittsommers im Mai und Juni beschreibt. Und dann schließt das Lied so: „Ach, nun wurde es Sommer / Schmachtend neu / Steigt der Sommertraum empor / Hinauf in die Wolken des Himmels / Schwanenweiß schwimmt er / wie ein schöner Schmuck / in dem tiefen Blau / Die ganze Erde träumt / von einer Tiefe des Glücks /die es nicht erreichen kann“. „Ach, nun wurde es Sommer“. Ach, weil dieser Sommer auch die Tiefe des Glücks offenbart, von der die Erde zwar träumen, die sie aber nicht erlangen kann.

   Ist da nicht etwas, was an die Stimmung in diesem Gleichnis hier erinnert? Da wird, wie es der Mann wünscht, ein großes Fest gefeiert, so sieht es aus. Mit Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen, und kein Stuhl ist leer. Aber da ist auch das Wort des Wirts: „Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken“. 

   Ich habe immer in diesen Worten eine schlecht verborgene und sehr unangenehme Schadenfreude gesehen: Da können sie selbst merken, wie das ist, alle die, die meinen, sie hätten keine Zeit zu kommen. Aber neulich fiel mir ein, dass man diese Bemerkung ja auch als eine traurige Feststellung verstehen kann. Ein „ach, nun war das dies Fest“. Ach, denn da waren welche, die nicht erreicht werden konnten. Einige, die nicht mit dabei waren. Ein Traum, der nicht in Erfüllung ging.

Das steht ja unter allen Umständen da und vibriert – diese Bemerkung. Auch wenn die meisten Predigten, die ich über diesen Text gehört – und gehalten – habe, leicht und elegant diese abschließende Replik übersprungen haben und das Gleichnis als eine Botschaft davon verstanden haben, dass Gott großzügig und gut ist und die Tür für alle und jeden öffnet, jedenfalls für uns. Und das tut Gott möglicherweise. Aber der Mann im Gleichnis tut das also nicht. Oder was?

Die kirchengeschichtliche Erklärung des Gleichnisses hier ist wohl die, dass es sich hier um einen Versuch handelt, eine Antwort zu finden auf die die verzweifelte Frage, die Lukas und seine Zeit bedrängte: Was in aller Welt soll man über die Katastrophe des Jahres 70 denken, als der Tempel in Jerusalem von den Römern dem Erdboden gleichgemacht wurde? Ist das die Strafe Gottes für die große Mehrheit der Juden, die in Jesus nicht den Messias sahen und ihn nicht als Erlöser anerkannten? Hat Gott eine Kluft geschaffen zwischen den Juden einerseits und den Heiden auf der anderen Seite? Haben die Juden, und übrigens auch die Heiden, das Heil verwirkt, das wir anderen empfangen haben? So dass wir also im Bild des Gleichnisses die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen sein müssen, die unbesorgt und ausgiebig drinnen feiern können? Und die, die ausdrücklich die Einladung zum Fest abgelehnt haben, weil sie mit sich selbst und ihren Dingen beschäftigt waren – ja das müssen dann die Juden sein.

   Das ist die leichte und für uns sehr bequeme Auslegung. Abgesehen davon, dass dies ein Bild von Gott als einem rachsüchtigen und bösartigen Mörder schafft. Es war ja nicht nur das Tempelgebäude, das im Jahre 70 zerstört wurde. Auch viele Menschenleben gingen bei derselben Gelegenheit verloren. Und abgesehen davon, dass die Geschichte zeigt, dass es von dieser Deutung nur ein kleiner Schritt ist, wenn man behauptet, dass die späteren Judenverfolgungen in aller Welt auch eine Strafe Gottes an den Ungläubigen sind. Nur ein ganz kleiner Schritt, und wir dürfen nie dessen entsetzlichen Konsequenzen vergessen. Gerade dieses Gleichnis ist benutzt worden, um Zwangsbekehrungen und Zwangstaufen („nötige sie,

hereinzukommen“, sagt der Herr zu seinem Knecht) und noch Schlimmeres zu legitimieren. Aber das war jedenfalls niemals das Anliegen des Juden Lukas. Eines der Besonderheiten eben dieses Evangeliums ist, dass Lukas sehr darum bemüht ist, Jesus als einen guten Juden darzustellen, schon seit er acht Tage alt war und beschnitten wurde bis hin zur Zeit nach der Auferstehung, als er die Apostel eben zurück in den Tempel von Jerusalem schickte, um die neue Zeit der Kirche gerade von da aus zu beginnen.

Also was nun, wenn  wir etwas anderes tun? Was nun, wenn wir wirklich die letzte Replik des Mannes:  „Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken“ nicht als eine trockne Feststellung von Tatsachen hören, sondern als einen Seufzer, ein Ach, eine Trauer? Wird es dann nicht schwerer, das zu überhören? Und wird das dann nicht merkwürdigerweise plötzlich zu einer Aussage, die unseren Blick in eine andere Richtung wendet, so dass wir uns selbst im Gleichnis an einer anderen Stelle wiederfinden? Und vielleicht eine passendere Stelle?

   Denn es ist Ja so, dass sich die wenigsten von uns wirklich ernsthaft mit denen identifizieren können, die am Fest teilnehmen, den Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen. Mit den Leuten in den Hauseingängen, Zigeunern auf den Bürgersteigen und den anderen Obdachlosen in den Großstädten Europas, den Kriminellen in den Gefängnissen, den Kranken und Behinderten, denen man, wie dies nach dänischen Meinungsbefragungen eine Mehrheit findet, aktive Sterbehilfe angeboren werden sollte. 

   Wir gleichen so gehen auch nicht denen im Gleichnis, die nein sagen – jedenfalls nicht jetzt, wo wir tatsächlich die morgendliche Zeitung, die Brötchen und diverse Bildschirme verlassen haben, um zum gemeinsamen Sommerfest mit einander in die Kirche zu kommen. 

   Aber dann sind da nur noch zwei Typen übrig: Der Mann, der alle einlädt, und der Knecht, der unermüdlich losgeht mit der Einladung, auch wenn er Gefahr läuft, mit Absagen zurückzukommen und in peinlichste Situationen zu geraten, wenn er sich in die finstersten Straßenecken wagt.

   Was geschieht, wenn wir versuchen, uns in diesen beiden wiederzuerkennen? Könnte es sein, dass wir dann ihnen gleichen? Könnte es sein, dass wir es wagen würden, einzuladen, zu leben wie der Mann im Gleichnis: Groß und ungehemmt und mit der Gefahr, dass sich irgendwer einfindet, uns Gesellschaft leistet? Will Jesus uns mit diesem Gleichnis sagen, dass wir ein solches Leben durchaus leben und in ihm sein können? Handelt es sich ganz einfach um eine Aufforderung, uns nicht darum zu sorgen, mit wem wir unser Leben, unser Geld und unsere Zeit teilen? Es gibt ja genug Leute, die da mitmachen würden. Wir brauchen uns keine Sorgten zu machen, wir werden nie allein sein mit leeren Sälen, auch nicht wenn wir den Kummer erleben sollten, den der Mann im Gleichnis erlebt, nämlich dass die, mit denen wir am liebsten zusammen sein wollten, ihr Leben nicht darauf verwenden wollen, mit uns zusammen zu sein. 

Oder sollen wir uns eher in den Sandalen des Knechts wiederfinden? Der eine Knecht, der wahrlich zu tun hat. Da sind „viele“, steht da, die eingeladen werden sollen. Aber nur der eine Knecht, der das tun soll. Der eingeborene Knecht, so könnte man ihn nennen. Ist er es eigentlich, auf den wir vor allem achten sollen? Sollen wir uns sein Auftreten zu Herzen nehmen? Sind wir wie er mit eine Einladung ausgesandt – ja gar mit einer Nötigung, aber wohlgemerkt weder mit Zwang oder Gericht? Der Knecht wird nicht zu denen, die abgesagt haben, mit Gericht zurückgeschickt. „Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken“, seufzt der Herr. Und er sagt dies, bevor das Fest beginnt. Er sagt dies, während der Knecht noch immer dabei ist, mit den Einladungen herumzulaufen. Solange noch Zeit ist.

    Könnte man sich diesen Knecht vorstellen, wie er mit diesem Seufzer in den Ohren Lust bekommt, seinen Herrn freudig zu überraschen, und wie er deshalb hofft und noch einmal losgeht? So tat es jedenfalls der, der Gott gleich war, der aber Knechtsgestalt annahm und ganz bis da hinabstieg, wo alle Hoffnung aus war – in das Grab, das Reich der Toten, die einsame Hölle, dort wo jeder sich selbst am nächsten ist. Er begegnete den Menschen stets mit Hoffnung und nie mit Verzweiflung. „Folge mir“, sagte er. 

Es ist noch immer Zeit. Zeit einzuladen und Zeit loszugehen, zu hören, zu begegnen, weiterzugeben.

„Folge mir“, hat er gesagt. Es ist noch Zeit. 

Der Traum kann vielleicht in Erfüllung gehen. In dem Sommer, wo die Nacht nie kommt. Amen.



Pastorin Margrethe Dahlerup Koch
Ringkøbing, Dänemark
E-Mail: mdkoch(at)mail.dk

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