Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 07.07.2019

Predigt zu Lukas 10:1-10(dänische Perikopejnordnung), verfasst von Eva Tøjner Götke

Jedes Jahr mache ich mit meinen Konfirmanden eine Fahrradfahrt in den Wald. Dort laufen Schafe herum zwischen den alten Eichenbäumen.

Dann erzähle ich ihnen diese Geschichte hier über den Mann mit hundert Schafen, wo eines verschwindet – und von der Frau, die eine Münze (einen Euro!) verliert. Und ich frage sie, was sie dann tun würden.

Die Konfirmanden gehören – wie meine eigenen Kinder – zu einer Generation, die ihre Sachen überall liegenlassen und nie wirklich aufräumen. Auch nicht das Geld, das herumliegt.

Wir sind so reich. Jedenfalls in meiner Gemeinde. Und wir leben in einer Wegwerf-Kultur, so dass sich der Abfall anhäuft: Computer, Iphones, Kleider, die aus der Mode gekommen sind – das ist schlimm und wohl auch beschämend für uns.

Viele der Konfirmanden haben selbst Haustiere, ihnen kann das kleine verschwundene Schaf durchaus leidtun, und deshalb finden sie es natürlich selbstverständlich, dass der Mann losgehen und nach ihm suchen muss. 

Aber dass die Frau alle ihre Freundinnen zu einem Fest einlädt, als sie den Euro gefunden hat, darüber können sie sich sehr wohl wundern. Denn dann hat sie ja all ihr Geld ausgegeben.

Jesus verlockt uns etwas mit diesen Geschichten hier, daran zu denken, was sich lohnt.

Lohnte es sich wirklich mit all der Mühe für den Mann, der hinausgeht in das unwegsame Gelände und nach dem Schaf sucht, das sich verirrt hat?

Ja, natürlich, wenn es sich um ein ganz besonderes Schaf handelt.

So heißt es in demselben Gleichnis in der Schrift, die wir das Thomasevangelium nennen und die nicht in die nicht mit in die Schriften des Neuen Testaments aufgenommen wurde.

Dort steht, dass der Mann losging, um nach dem Schaff zu suchen – weil es das größte war!

Nun ja, also deshalb!

Aber was, wenn es sich um ein schwächliches kleines Schaf handelt?

Was wenn es sich um so ein kleines schwächliches Schweinchen handelt, wie sie in unseren Schweineställen stehen und zu tausenden auf den Müll geworfen werden – täglich im heutigen Dänemark, weil es sich nicht lohnt, sie großzuziehen!

Jesus erzählt eben diese Geschichten hier für die Menschen, die ihm vorwerfen, dass er sich mit dem Abschaum der Gesellschaft einlässt – Zöllnern und Sündern, eine Sammelbezeichnung für all die Menschen, die es in jeder Gesellschaft gibt: die Armen, die, denen das Leben missglückt, die, sich selbst nicht mögen, sich selbst hassen, sich nicht der Normalität anschließen können, und die, denen man vorwürft, dass sie das System ausnutzen.

Warum in aller Welt hält er sich an die, er ist vielleicht auch so einer, denken seine Kritiker. Man weiß bei sich sehr wohl, dass er rätselhaft ist, dass man aus ihm nicht schlau wird und ihn nicht durchschauen kann. 

Jesus selbst sagt in einem anderen Zusammenhang, wenn ihm vorgeworfen wird, mit den falschen Leuten zu verkehren: „Die Gesunden brauchen keinen Arzt – sondern die Kranken!“

Und ich meine, dass dieser Satz Licht über das heutige Gleichnis bringen und die Botschaft hier an diesem sommerlichen Sonntag und seiner sommerlichen Stimmung verdeutlichen kann.

In beiden Geschichten stellt die Person das an erste Stelle, was verschwunden ist – auch wenn es noch so unbedeutend ist! Beide Geschichte heben die Freude hervor. Die Freude darüber, das zu finden, was verloren war.

Und man kann gar nicht anders als die Freude darüber zu teilen, das gefunden zu haben, was verloren war, zusammen mit Nachbarn und Freunden. Auch wenn man den Preis bezahlen dafür muss, dass man das opfert, was man gefunden hat.

Aber das sehen sie im Gleichnis offenbar nicht als ein „Opfer“ in dem Sinne, dass sie das wieder verlieren.

Das ist die Freude – sie zu teilen – feiern zu können und sich zusammen zu freuen – das ist das Wesentliche.

Wenn Jesus ein Gleichnis erzählt, will er mit einem Bild von Gott sprechen.

Vielleicht sollen wir uns das Gleichnis zu Herzen nehmen – und das hören, was es sagt.

Nämlich dass Gott das hochschätzt, was verloren ist und hilflos.

Wir anderen kommen selbst zurecht. Wir brauchen keinen Arzt.

Vielleicht brauchen wir Gott gar nicht. Es geht ja alles gut. Wir haben unser Schäfchen im Trockenen.

Gott schätzt aber das hoch, was verloren ist.

Gott kommt uns entgegen, wenn wir unser Leben verwirkt haben, wenn wir krank sind, wenn wir traurig sind, wenn wir uns von allen verlassen fühlen, nicht nur verlassen fühlen, sondern verlassen sind – vielleicht im Stich gelassen, von unseren Freunden, von unseren Eltern, die uns nicht verstehen, von unseren Kindern, die keine Lust haben zu kommen und uns zu besuchen.

Gott ist bei dem Alten im Pflegeheim, bei dem Dementen, wo wir meinen, es lohnt sich nicht, ihn zu besuchen, beim dem psychisch Kranken, wo wir nicht die Geduld haben, mit ihm zusammen zu sein. 

Gott ist für den da, der sich Sorgen macht und Angst hat.

Denn Gott ist der Schöpfer. Und der Erlöser. Und der, der uns alle an der Freude teilhaben lassen will.

Gott ist der, der Leben schafft. Der, der uns die Freude zurückgibt. Der, der die Hoffnung in uns weckt, wenn alles hoffnungslos aussieht. Der, der uns findet – auch wenn wir uns aus Scham über uns selbst verstecken.

Was dann mit uns heute? Ja, wir wissen selbst am besten, mit wem wir uns identifizieren. Ob wir der sind, der sich heute darüber freuen kann zu hören, dass Gott uns nicht vergessen hat, sondern und mit seinem Frieden nahe ist.

Oder ob wir zu den 99 Schafen gehören, die zurückbleiben und sich selbst genug sind und aneinander genug haben.

 

 

Gehören wir zu den letzteren – dann regt uns dieser Sonntag in der Kirche vielleicht dazu an, uns darüber zu freuen, dass wir einander haben. Gott dafür zu danken – Gott für das Leben zu danken, das uns entgegenkommt, jeden Tag, und uns zu dem Sommer ruft, der keine Nacht kennt. Amen.



Pastorin Eva Tøjner Götke
DK-5230 Odense M
E-Mail: etg(at)km.dk

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