Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 14.07.2019

Predigt zu Lukas 6:36-42 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Rasmus Nøjgaard

Wenn es um das Reich Gottes geht, sind wir voll damit beschäftigt, unsere eigenen Irrtümer zu vermeiden. Wir sehnen uns nach Anweisungen für das Leben und nach der Vermeidung von Irrtümern. Das bekommen wir alles hier in der großen Rede Jesu auf dem Felde im Lukasevangelium.

Jesus hat zuvor seine zwölf Jünger berufen, und nun hat er eine große Schar von Menschen auf dem Felde versammelt, um sie zu unterweisen. Das erinnert an die Bergpredigt im Matthäusevangelium, aber hier findet das nicht oben auf dem Berg statt, sondern unten auf der Ebene. Die Erzählung des Lukas ist weit mehr erdverbunden und praktisch angelegt als die des Matthäus. Auch die Botschaft ist viel erdverbundener.

Seid barmherzig, so heißt das übergeordnete Thema, und eurer himmlischer Vater wird barmherzig sein. Richte nicht, vergebe, sei großherzig, und du wirst ein volles Maß zurück empfangen. Das ist positiv gemeint, es ist eine ganz ordinäre Moral, die unter vielen Namen bekannt ist, am besten in der Antike als die „goldene Regel“. So wie du gerne behandelt werden willst, sollst du andere behandeln. Erweise der Welt Barmherzigkeit, und du wirst selbst Barmherzigkeit empfangen. Das macht Sinn, auch wenn es natürlich auch eine naive Lebensregel ist. Denn die Welt gibt ja gerade das nicht zurück, was man investiert. Einigen fällt alles in den Schoß, andere bekommen gar nichts, oder wie Jesus es lakonisch an anderer Stelle ausdrückt: Denen, die haben, wird gegeben, und denen, die nichts haben, wird alles genommen. Es handelt sich mit anderen Worten nicht um eine Morallehre im üblichen Sinne.

Es geht eher darum, das Heil zu erlangen, oder genauer: Es geht darum, wie Gott das Heil bringt! Er ist barmherzig, sein Gericht ist nicht Verurteilung, sondern Vergebung, reichlich von Kopf bis Fuß. So beschreibt Jesus das Heilshandeln seines Vaters. Es ist souverän, es ist gut, und – wie sich zeigen wird – unverdient.

Denn nun tritt in der Erzählung eine Wende ein, die guten Lebensregeln und schönen Ratschläge erweisen sich als gar nicht so einfach. ‚Kann ein Blinder einem Blinden den Weg weisen‘? Warum entfernst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge, ehe du versuchst, den Splitter im Auge deines Bruders zu entfernen? Das sieht nach einer Ermahnung aus, nicht zu glauben, dass wir den Weg kennen und klar sehen können. Denn ein Jünger steht nicht über seinem Meister, sondern muss sich der Hierarchie beugen und wissen, wo er hingehört. Jesus ermahnt zu Demut und Gehorsam. Das ist der Weg, den die Leute gehen sollen. Die Wahrheit findet man, indem man dem Sohn zum Vater folgt.

Jesus ermahnt uns zu einem Leben in Barmherzigkeit. Er ist selbst Barmherzigkeit, und wir sollen dem Beispiel des Lehrmeisters folgen. Wir sollen es versuchen. Denn es ist nicht sicher, dass es gelingt. Unsere Fehler und misslungenen Bemühungen werden vermutlich das sicherste Ergebnis sein. Aber Jesus besteht darauf: Auch wenn wir irren und unser Wille nicht ausreicht, so ist Gott noch immer der barmherzige Gott, der uns nicht verurteilt. Gottes Gericht ist Vergebung.

Keine Verurteilung, sondern Vergebung. Das ist die große Entdeckung des Evangeliums, dass Gott barmherzig ist und uns gebietet, auch barmherzig zu sein. Nicht aus Furcht vor Strafe, sondern aus Liebe zu dem barmherzigen Gott. Wer die Lehre absolviert hat, soll sein wie sein Meister.

Wenn wir glauben, dass wir die Urteile Gottes klar und deutlich Anzeigen können, irren wir uns also. Diese Selbstgerechtigkeit ist naiv und dumm. Oder christlich gesehen sündhaft. Weil wir an die Stelle Gottes

treten und ein Blinder einem Blinden nicht den Weg weisen kann, sondern ein Jünger dem Beispiel seines Lehrmeisters folgen muss. Warum hier von Sünde reden? Weil die Sünde eine entscheidende Voraussetzung ist, die uns alle früher oder später oder vielleicht immer begrenzt.

Jesus ermahnt uns zu einem Leben im Namen der Barmherzigkeit. Das ist der neue Weg. Die alte Religion von Gesetz und Ordnung taugte nicht. Sie wurde zur Heuchelei, Menschen machten sich selbst zu Göttern und benutzten das Gesetz als Deckmantel für die Macht. Selbst die Frommen und Gerechten missverstanden es so, dass das Gesetz göttlich sei und die Menschen sich deshalb um jedem Preis ihm beugen müssten. Das Gesetz war Gott, der Tempel seine Wohnung, die Rituale heilig und notwendig. Aber Gott hatte den Menschen das Gesetz nur um der Menschen willen gegeben.

Es geht in Wirklichkeit um das Heil, dieses merkwürdige Phänomen, das uns heute schwer zugänglich ist. Die Heilsgeschichte beginnt mit der Auferstehung Jesu. Jesus sprengt die Rahmen der Vernunft, und er überschreitet jedes Naturgesetz von Vergänglichkeit und Tod. Das Geschlecht Gottes ist das Geschlecht der Unvergänglichkeit. Deshalb ist das Kreuz ein so kostbare4r Schmuck. , weil es nicht das Emblem des Todes ist, sonders das Glück der Menschheit. Das ist die Botschaft davon, dass die göttliche Liebe gesiegt hat, weil Gott Barmherzigkeit walten lässt und seinen Sohn Jesus Christus sich mit dem Menschen versöhnen lässt. Das alte Gesetz hatte seine Rolle ausgespielt, nun war es ein Schatten seiner selbst, es stand der Wahrheit über das Wesen Gottes im Wege, über den barmherzigen Gott und seinen Sohn, dem Heiland und Versöhner. 

Alles christliche Leben beginnt hier mit der Erzählung darüber, dass sich der Sohn Gottes für den Menschen geopfert hat, und in der Erkenntnis, dass Gott selbst Mensch werden musste. Durch seinen eigenen Sohn lässt Gott sich demütigen, verraten, leiden und sterben, und doch erweist er Barmherzigkeit und vergibt dem Menschen, so dass keiner mehr daran zweifelt, dass dem Menschen kein Verdienst zukommt. Christus ist der Erlöser und Versöhner, nicht der Mensch. Selbst die Vertrauten um Jesus erweisen sich als treulos. Das ist eine entscheidende Pointe in der Erzählung vom Leben Jesu. Keiner ist ohne Schuld, keiner ohne Sünde, und bis hin zum Tode Jesu wir diese menschliche Schwäche hervorgehoben, die wir traditionell Erbsünde nennen.

Die Erbsünde, diese mythologische Figur, erschreckend und dennoch notwendig. Genauso unbegreiflich og erschreckend wie andere mythische Figuren wie Allmacht und Weisheit. Der Mensch ist nicht Gott, allmächtig und allwissend, sondern er ist wegen seiner mangelnden Einsicht zum Versagen verurteilt. Das ist nun einmal die Lage des Menschen. Wir wissen es wohl, auch wenn wir unermüdlich mit dem Gedanken ringen, dass ein Kind doch ohne Sünde geboren sein muss. Die Vorstellung von der Erbsünde ist als eine mythologische Bestimmung des Menschen zu verstehen als im Bilde Gottes geschaffen. Ein freies auf sich selbst beruhendes Wesen aus Leib und Geist, dessen Weg durch das Leben dennoch für den Menschen selbst undurchschaubar ist. Denn er ist nicht Gott gleich und besitzt nicht göttliche Einsicht und Macht. Gewiss ein Bild Gottes, aber ein schwacher Abglanz. Der Mensch hat seine Freiheit und die Kraft des Denkens, er kann fühlen und sich ausdrücken, aber die Begrenzungen sind so stark wir die Qualitäten. Jesus offenbart die wahre Natur Gottes als barmherzig und voller Vergebung, als selbstaufopfernd. Aber selbst das Kind wählt spontan zuerst sich selbst, lügt und weint, wenn es ihm dient. Die Erbsünde ist eine Mythologie, weil es zugleich absurd ist, etwas Gutes und Böses über die Natur des Menschen zu sagen. Darüber wissen wir nichts. Ein Kind ist in erster Linie schön und empfindlich, es appelliert an unsere Fürsorge und unser Mitgefühl. Dennoch müssen wir feststellen, dass der Mensch nicht zum gemeinsamen Wohl barmherzig und gut handelt. Ganz zu schweigen von Klimakrise und Flüchtlingskrise. Die meisten werden diese demütige menschliche Bestimmung akzeptieren, während einzelne dies als Provokation empfinden, weil sie ein mythologisches Universum nicht anerkennen. Auch wenn dennoch nicht viel darauf

hindeutet, dass wir uns aus der Mythologie evolutionieren können. Eher handelt es sich um einen Versuch, uns selbst und die Welt in all ihrer Unbegreiflichkeit zu verstehen anstatt sein Vertrauen in die eigene Kraft des Menschen in einer völlig entmythologisierten und entzauberten Welt zu setzen. 

Für das Christentum ist die Mythologie eine Notwendigkeit. Der Opfertod Gottes lässt sich nur in diesem Licht verstehen, dass Gott dem Menschen entgegenkommt und sich mit der Sündigkeit des Menschen versöhnt. Wenn man so will, so erkennt Gott seine mangelhafte Schöpfung an, und der Vater tritt seinen Kindern mit vorbehaltloser Liebe gegenüber wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Wäre der Mensch nicht gebunden durch die Erbsünde, brauchte Gott sich nicht bis zum Tode an einem Kreuz zu erniedrigen. Aber das tat er. Man kann geradezu behaupten, dass der Tod und die Auferstehung Gottes die Erbsünde ausgleichen, so dass der Mensch nicht mehr zum Geschlecht der Verdammnis gehört, sondern der Verherrlichung. Verstanden in der merkwürdigen Weise, dass wir noch immer nicht vollkommen sind, aber doch für liebenswert befunden, wir irren, aber uns wird vergeben, wir weisen Christus zurück, aber er versöhnt sich mit uns und erlöst uns. Wir können buchstäblich erleichtert aufatmen.

Das Evangelium ist unter allen Umständen durchaus aufmunternd.

Hier ist keine Glorie, mit der man sich glorifiziert, sondern en Glaube daran, dass das tragende Prinzip der Wirklichkeit, Christus, Liebe ist. Sein Heiliger Geist ist der Weg zum Vater, der uns nicht mit der Sprache der Furcht begegnet, sondern und mit Barmherzigkeit erfüllt.

Wir brauchen weiterhin Anweisungen, nach denen wir leben. Aber wenn wir glauben, dass Christus der Erlöser und Versöhner der Menschen ist, ist es dann nicht offenbar, wem wir in unserem Leben gleichen sollen? Man denke nur, welch ein Segen, ohne Verurteilung und Gericht leben zu können und der Welt allein mit Barmherzigkeit entgegenzutreten. 

In dem Glauben zu leben, dass das Gericht Gottes die Vergebung ist. Amen.



Pastor Rasmus Nøjgaard
Kopenhagen, Dänemark
E-Mail: rn(at)km.dk

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