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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 14.07.2019

Selbstkritik
Predigt zu Lukas 6:36-42, verfasst von Sven Keppler

I.Wenn Dummheit weh tun würde… Das war meine erster Gedanke. Aber vielleicht tut sie ja wirklich weh. Und deshalb müssen manche Leute im Internet so laut schreien. Ich hatte gerade auf Facebook wüste Beschimpfungen gelesen. Und konnte es wieder einmal nicht fassen, wie schamlos einige Menschen ihre bornierten Ansichten zur Schau stellen.

Aber lassen Sie mich die Geschichte von vorne beginnen. Angefangen hat sie mit der Kreissynode in Halle, Westfalen. Sie tagte am 1. Juli, zwei Tage nach der Verhaftung der Kapitänin Carola Rackete. Diese hatte zuvor 53 Menschen aus Seenot im Mittelmeer gerettet. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen schreibt vor, dass Gerettete an einen sicheren Ort gebracht werden müssen. Deshalb hatte die Kapitänin die italienische Insel Lampedusa angesteuert. Nach 17 Tagen auf See schätzte sie die Lage an Bord dann als Notstand ein. Aus diesem Grund erzwang sie im Hafen von Lampedusa anzulegen.

Das Haller Kirchenparlament solidarisierte sich mit Carola Rackete. So wie zuvor schon der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Bedford-Strohm, und viele andere. Und es beschloss, Frau Rackete bei einem möglichen Prozess mit einem symbolischen Geldbetrag zu unterstützen.

Davon berichtete dann die lokale Presse. Und löste damit einen kleinen Shitstorm aus. Einer fand es einen guten Grund auszutreten. Eine Frau, die sich‚ Tochter der Höllengöttin‘ nennt, meinte: „Zum Glück habe ich mit diesem Kasperleverein schon seit einigen Jahren nichts mehr zu tun.“

Dadurch fühlte sich dann ein weiterer Nutzer ermutigt, der unter dem Namen eines Dracula-Darstellers seine Ansichten im Netz verbreitet. Er schrieb: „Ja, die Kirche hat sich seinerzeit schon bei den nationalen Sozialisten angekuschelt … jetzt halt bei den internationalen.“

Das war der Punkt, an dem es mir die Sprache verschlug. Man kann die Aktion von Frau Rackete ja mit guten Gründen problematisch finden. Aber sie in einem Atemzug mit dem nationalsozialistischen Terror zu nennen ist schon stark. Unverfroren, borniert und bösartig. Nach dieser Wortmeldung ging das unflätige Geschimpfe jedoch erst richtig los. Ich möchte das hier gar nicht wiederholen.

 

II.Nachdem ich dieses Scharmützel im Netz gelesen hatte, begann ich mit der Vorbereitung dieser Predigt. Ich las den Predigttext. Und war fasziniert. Denn einen besseren Kommentar zu meinem Facebook-Erlebnis konnte es nicht geben. Hören Sie selbst! Ich lese aus der Feldrede im Lukas-Evangelium. Dem Gegenstück zu Jesu Bergpredigt [lesen: Lukas 6,36-42].

Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst! Mit anderen Worten: Sven, falle nicht voreilig über diese Nutzer im Internet her! Kümmere Dich erst einmal um Dich selbst. Und erst dann um die Anderen.

Wie gesagt, der Dracula-Fan hatte geschrieben, dass die Kirche mit den nationalen Sozialisten gekuschelthätte. Das kann man natürlich unverschämt finden. Man kann auf Märtyrer wie Dietrich Bonhoeffer verweisen. Oder auf den großen Kardinal von Galen. Der hatte als Bischof von Münster gegen den Naziterror gepredigt und gegen die Ermordung von Kranken und Behinderten.

Aber man kann es ja leider nicht wegdiskutieren: Große Teile der evangelischen und katholischen Kirchen haben während der Nazizeit versagt. Es gab die anderen. Die so genannte Bekennende Kirche. Aber auch deren Vertreter sahen nach dem Krieg keinen Grund stolz zu sein. Im Gegenteil. Schon 1945 verfassten gerade sie das so genannte Stuttgarter Schuldbekenntnis. Dort heißt es: „wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“

 

III.Selbstkritik muss am Anfang stehen. Ein kritischer Blick auf das eigene Tun. Auf die eigene Person. Und das heißt dann auch: auf die eigenen Fehler. Und das ist nicht nur ein Auftakt. Eine Pflichtübung am Anfang. Nach der man dann guten Gewissens zum Angriff übergehen kann.

Selbstkritik ist eine Haltung. Ich weiß, dass ich nicht frei von Fehlern bin. Dass ich im Gegenteil vielleicht sogar dieselben Fehler begehe, die ich bei anderen kritisiere. Weil ich bei denen das entdecke, was ich an mir selbst nicht mag. Und weil es leichter ist, den anderen dafür zu verachten als mich selbst.

Aber was verbindet mich mit den Hetzern im Internet? Mit denen, die nur kurz angepiekt werden müssen. Und schon ergießen sie einen Schwall von Beschimpfungen. Unbekümmert um ihr Halbwissen. Frei von allen manierlichen Umgangsformen. Weil sie wissen: Verächtliches Maulaufreißen kommt an bei Ihresgleichen.

Aber Moment. Was passiert denn, wenn ich so rede? Ist das nicht ebenso voller Verachtung? Arrogant und selbstgefällig? Finde ich nicht meinerseits, auf diese Facebook-Nutzer herabblicken zu können? Weil ich überzeugt bin, es besser zu wissen? Ich muss es wohl zugeben: Da steckt etwas vom selben Holz in meinen Augen.

Das ist also von Anfang an die falsche Haltung: Den Anderen für dumm erklären. Für so dumm, dass es schon weh tun muss. Und der größte Fehler wäre, sich mit dieser Haltung selbst zu Wort zu melden. Nach dem Motto: Ihr Banausen! Was habt Ihr für abgeschmackte Argumente! Und was für einen menschenverachtenden Ton!

Der erste Schritt muss die Selbstkritik sein. Mich prüfen, wie schnell ich mein Gegenüber abwerte, wenn ich es auf dem falschen Pfad sehe. Stattdessen möchte ich an einer Haltung arbeiten, wie unser Predigttext sie beschreibt: barmherzig, nicht verdammend, nicht richtend.

 

IV.Jesus rät uns zu dieser ganz bestimmten Haltung. Der Schlüssel dazu ist: Wir sollen auf unser Gegenüber achten. Und auf uns selbst. Vor allem geht es um Beziehungen. Um das Verhältnis, das ich zu meinen Mitmenschen habe.

Beispiel eins: Wenn ich einen Menschen kritisiere, dann soll ich zuerst mich selbst kritisch prüfen. Ob ich nicht denselben Fehler begehe, den ich dem anderen vorwerfe. Weil mir dieser Fehler nur allzu vertraut ist.

Beispiel zwei: Wenn ich selber Gutes tue, kommt Gutes zurück. Was nützt es, über den Geiz der anderen zu klagen? Über ihr mangelndes Engagement. Über ihre Selbstbezogenheit. Ich soll den ersten Schritt machen, sagt Jesus. Soll freigebig sein. Dann wird es zu mir zurückkommen.

Beispiel drei: Ich darf mir sagen lassen, dass Gott barmherzig mit mir ist. Ich muss mir Gottes Zuwendung nicht verdienen. Sondern Gott macht den ersten Schritt. Und diese Barmherzigkeit soll ich mir zum Vorbild nehmen. Gott ist barmherzig und mild mit mir. Deshalb darf auch ich barmherzig mit mir sein. Mit meinen Fehlern. Aber ich darf auch barmherzig mit den anderen sein. Ich soll es sogar sein. Gerade bei denen, die es mir schwer machen.

Es geht Jesus um eine ganz bestimmte Haltung: selbstkritisch, barmherzig, freigebig. Es geht um Beziehungen. Und um Respekt. Daran muss ich arbeiten. Eine solche Haltung fällt nicht vom Himmel. Ich muss immer wieder auf meine Fehler achten. Kraft gibt mir, dass ich mir immer wieder sage: Gott vergibt mir meine Fehler. Deshalb kann ich mir auch selbst vergeben. Und auch den anderen. In dieser Haltung bin ich ein Lernender. Ein Jünger. Und der Jünger steht nicht über dem Meister, sagt Jesus.

 

V.Aber was bedeutet das für den Umgang mit den Hetzern im Internet? Soll ich all das Scheußliche einfach nur hinnehmen? Geschehen lassen? Weil ich weiß, dass ich ja auch nicht ohne Fehler bin?

Eben habe ich den Kardinal von Galen erwähnt. Er hat mit großer Autorität beim Namen genannt, was verkehrt war in seinem, in unserem Land. Er hat mit großer Ruhe gesprochen. Frei von Hass und Hetze. Ein Mensch, durch Demut und Buße gereift. Der Kardinal sagte in einer seiner berühmten Predigten: Wir sind Amboss und nicht Hammer. Wir sind nicht diejenigen, die schlagen. Sondern diejenigen, die Schläge bekommen.

In der vergangenen Woche tagte der wohl rechtsradikale Flügel einer im Bundestag vertretenen Partei. Ein prominenter Redner sagte dort: „Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht mehr Hammer oder Amboss. Heute lautet die Frage Schaf oder Wolf? Und ich, nein wir, entscheiden uns in dieser Lage, Wolf zu sein.“ (1)

Jesus hat anders geredet. Er hat die Christen als Schafe gesehen. Er hat sie „wie Schafe unter die Wölfe“ gesandt [Mt 10,16]. Ich soll an das Evangelium von Gottes Barmherzigkeit erinnern. Mitten unter den Wölfen. Aber ich soll nicht wie die Wölfe reden. Sondern wie ein NachfolgerJesu. Dafür ist es wichtig, dass ich vorher an meinen eigenen Schwächen arbeite. Und dass ich mich immer wieder erinnere: Auch ich lebe von Gottes Barmherzigkeit. Amen.

 

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(1) Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/kyffhaeuser-101.html (eingesehen am 07.07.19)

 

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Sven Keppler, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2010 Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Versmold. Autor von Rundfunkandachten im WDR.

 

 



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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