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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 28.07.2019

Predigt zu Matthäus 5:20-26 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Poul Joachim Stender

In unserem Nachbardorf bekommen wir nun einen neuen Discountmarkt. Wir haben bereits zwei Discountläden. Wir Dänen lieben Discount. Und daran ist auch nichts falsch. Aber wir sollen auch an anderes denken als daran, wo der Wein in Pappkartons und die Hähnchen am billigsten sind. Wir sollten z.B. daran denken, dass wir sterben müssen, und auch an unsere Geschichte sollen wir zurückdenken. Wenn wir also im Discountladen eingekauft haben – ja dann sollten wir mal auf unseren Friedhof gehen. In alter Zeit stand da oft auf den Grabsteinen eine Inschrift. Vielleicht hatte ein Mann dies auf seinen Grabstein einhauen lassen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“. Dann konnte man sehen, woran sich der Mann in seinem Leben orientiert hat. Heute sind die Inschriften fort. Wir sind mehr damit beschäftigt, billig zu leben als für etwas zu leben. Die Experten im Fernsehen sind immer Ökonomen und Juristen. Man sollte mehr Historiker heranziehen. Wir können aus der Geschichte lernen, so wie wir etwas lernen können, wenn wir auf den Friedhof gehen und an die Kürze des Lebens erinnert werden. Die Geschichte kann uns u.a. zeigen, dass das Leben für uns Menschen dann am sinnvollsten war, wenn wir für etwas gelebt haben, mit Gott gelebt haben und für einander – und nicht nur damit beschäftigt waren, so billig wie möglich zu überleben. Blickt zurück auf diesen Sommer auf das, was für die Leute einst Sinn machte. Ein gnädiger Gott. Eine lehrreiche Geschichte. Außer den Discountläden gibt es in unserem Nachbardorf auch zwei rote Briefkästen. In jeder Hinsicht ein nationales Kleinod. Zurzeit gibt es eine große Untersuchung, die Darmkrebs vorbeugen soll. Dänen über 50 bekommen ein Reagenzglas zugeschickt. Das sollen sie mit Stuhlgang füllen und an ein bestimmtes Krankenhaus schicken. Etwas merkwürdig daran zu denken, was sich da zurzeit in unseren roten schönen Briefkästen befindet. Früher schickten wir einander Liebesbriefe. Nun schicken wir … Wenn ich mit Eltern von Taufkindern spreche, können die mir nie sagen, wo ihre Eltern, Geschwister und Freunde wohnen. Sie schreiben ihnen nie einen Brief oder eine Postkarte. Alle schriftliche Kommunikation geht über eine E-Mail oder das Telefon. Wie wäre es, wenn man diesen Sommer dazu verwandte, einige Briefe und Postkarten an Verwandte und Freunde zu schicken, damit wir die schönen roten Briefkästen mit lieben Grüßen füllen und nicht mit Stuhlgangs-Proben?

Das Christentum hätte sich nie ausgebreitet, wenn wir nicht so einen phantastischen Briefschreiber wie Paulus gehabt hätten. Er schrieb eine Menge Briefe an die Gemeinden, di er gegründet hatte. Und diese Briefe wurden aufbewahrt, so dass wir sie heute lesen können. Z.B. haben wir eben aus einem Brief gehört, den er an seine Gemeinde in Rom schickte, dass Christus von den Toten auferstand und nicht mehr sterben wird. Was für eine phantastische Mitteilung in einem Brief. Christus ist auferstanden von den Toten und stirbt nicht mehr! Das Beste an Briefen und Postkarten ist dies, dass da eine wunderbare Verzögerung eintritt. Das heutige Evangelium erzählt uns, dass wir unserem Bruder, unserer Schwester, Freunden, Bekannten, Eltern, Verwandten nicht zürnen sollen. Viele Feindschaften entstehen aber zurzeit wegen der schnellen Medien SMS, E-Mail und Messenger. Wir regen uns furchtbar über etwas auf, und gleich schreiben wir einen solchen groben Bescheid. Oder es geschieht etwas in unserer Gesellschaft oder hier in unserer Gemeinde. Und gleich schicken wir einen unverschämten Leserbrief per E-Mail, in dem wir bestimmte Personen als Idioten bezeichnen. So war es aber früher nicht. Da musste man erst ein Stück Papier finden, dann einen Kugelschreiber, dann musste man den Brief schreiben, ihn in einen Briefumschlag stecken und dann mit seinem Brief zum roten Briefkasten gehen. Und was geschah dabei? Man regte sich ab. Man wurde solange aufgehalten, dass die Meinungen und Formulierungen differenzierter wurden. Man konnte wegen dieser Verzögerung vermeiden, den anderen einen Idioten zu nennen.

Lauter Verzögerung. Es ist gar nicht so dumm, sich aufhalten zu lassen. Das verhindert viele Konflikte, wenn man einen Augenblick damit zögert, seine unmittelbare Meinung kundzutun. Aber Verzögerung auch, indem man seine Zeit zu einem Spaziergang auf einen unserer Friedhöfe nutzt. Vielleicht kann man das Glück haben, ein Grab zu finden, wo der Beginn eines Slogans der Discountkette Fakta eingraviert ist: Es dauert nur fünf Minuten. Ja, das Leben dauert nur fünf Minuten. Brauche deshalb die fünf Minuten gut! Das Leben, das uns Christus geschenkt hat, ist nicht Discount. Und einhalten, auch wenn man auf das zurückblickt, was in der Geschichte geschehen ist. Die Geschichte will zeigen, dass es nie zu etwas Gutem geführt hat, wenn man seine Mitmenschen mit furchtbaren Schimpfworten belegt. Dass es vielmehr stilvoller ist, sich mit seinen Feinden zu versöhnen und in unseren Kirchen vor dem Alter von Gottes Sohn zu hören und dem Leben, das er uns vor und nach unserem Tod schenken kann.

Langsam, langsam, langsam, auch bei einer Scheidung. Jahrelang konnte man sich in Dänemark an seinem Computer in weniger als einer Minute scheiden lassen. Man brauchte sich nicht erst sechs Monate zu trennen, das war früher eine Zeit der Besinnung, eine Zeit zum Nachdenken und zur Konfliktschlichtung. Unglaublich, auf unseren Landstraßen begrenzt man die Geschwindigkeit, bei den Scheidungen drückt man aufs Tempo, auch wenn man weiß, dass Scheidungen genauso verletzen können wie Verkehrsunfälle. Wenn Jesus sich gegen Scheidungen wendet, so deshalb, weil er die Frauen schützen will. Die Männer konnten damals bloß einen Scheidungsbrief schreiben, eine Art biblische E-Mail, und dann waren sie geschieden von der Frau, die dann ohne Geld, Position und Haus dastand. Jesu Radikalisierung der Regeln über Scheidung dient demselben Ziel wie seine Radikalisierung des Verbotes zu töten. Es soll der Sache der Liebe dienen. Dasselbe gilt auch, wenn Jesus sagt: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen“. Wer von uns hat nicht mit allergrößter Lust auf hübsche F rauen gesehen? Wir können nicht mit dem Finger auf die zeigen, die untreu waren, während wir uns selbst zurückgehalten haben, und dann sagen: Du warst untreu. Wir waren es selbst infolge der Worte Jesu. Also sind wir alle gleich gut und gleich schlecht, und keiner hat deshalb das Recht, andere zu verurteilen. Das Gericht liegt bei Gott, und indem wir ihn Richter sein lassen, fördern wir die Liebe zu einander. Aber dennoch immer langsam mit der Untreue. Gott befohlen. Amen.



Pastor Poul Joachim Stender
Kirke Såby, Dänemark
E-Mail: pjs(at)km.dk

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