Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 11.08.2019

Predigt zu Matthäus 7:15-21 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Marianne Frank Larsen

Da sitzt ein graubleicher Junge in einem Boot weit draußen im Eismeer und bietet seine letzten Kräfte auf, um Eis und Schnee aus dem Boot und dem Segel zu entfernen gemeinsam mit den erwachsenen Männern, während der arktische Wind durch das Schneewetter fährt und ihnen den Schnee ins Gesicht bläst. Aber da sitzt ein Freund an seiner Seite, und plötzlich rückt der Freund so eng an ihn heran, dass sich ihrer Stirne unter den Südwestern berühren. Er versucht etwas zu sagen, und die Worte kommen, zwar ganz verzerrt, denn die Lippen sind steif vor Kälte, aber verständlich für den, der weiß, wo sie herkommen, und das tut der Junge: „Voller Süße ist der Atem des Morgens, süß steigt sein Freund empor mit dem Zwitschern der ersten Vögel“. Das stammt aus Miltons: „Das verlorene Paradies“, das der Freund gerade liest. Und die Worte lassen den Jungen lächeln trotz Seekrankheit und Kälte und Furcht, er atmet erleichtert auf. „Voller Süße ist der Atem des Morgens“, und einen Augenblick kann er alles vergessen außer den Anstrengungen, Frost und Schnee aus den Segeln zu entfernen. In der Nacht darauf sitzt da ein versteinerter Junge auf einem Bett. Völlig gefühllos. Aber da sitzt eine Frau an seiner Seite. Und ohne daran zu denken legt sie ihre Hand auf seiner Schulter. „Da ist eine Bewegung, die von innen kommt“, steht da, „Mitgefühl und Trauer vereint in ein und derselben Hand“, und kurz darauf weint der Junge mit dem Kopf in ihrem Schoß, den Tränen, die lindern, wenn die Worte nicht ausreichen.

Zwei kurze Sätze aus einem Gedicht. Eine Hand und eine Schulter. Nichts Großartiges oder Bemerkenswertes, nur zwei kleine Bewegungen zwischen Menschen in dem wunderbaren isländischen Buch von Jon Kalman Stefansson, das den Titel trägt: „Himmel und Hölle“. Zwei Andeutungen von Milde, zwei Augenblicke, wo einer dem anderen die Hand reicht. Das ist schnell überstanden, das sieht nicht nach viel aus, aber das sind nichtsdestoweniger die Früchte der Liebe. Der Mann mit den Worten, die Frau mit der Hand – keiner von beiden hat geplant, was sie tun würden, keiner handelt so, wie sie es tun, um etwas zu erreichen, keiner von ihnen denkt dran, ob sie nun auch den Willen ihres himmlischen Vaters tun. Sie tun einfach das, was nahe liegt, sagen die Worte und reichen die Hand, weil der Mensch neben ihnen eben das gerade braucht. In ihrer Aufmerksamkeit sind sie in diesem Augenblick ganz bei dem Anderen, und da ergibt es sich von selbst, was zu tun ist. Da ist einer, der gute Worte braucht zum Vertrauen, einer der die Wärme aus der Hand eines anderen Menschen braucht, um Luft zu kriegen.

Die falschen Propheten sind die Stimmen in und um uns, die unsere Aufmerksamkeit stattdessen auf uns selbst richten. Das sind die Stimmen, die erzählen, worauf wir selbst Anspruch haben. Denke daran, dich selbst zu verwöhnen. Sei gut zu dir selbst. Pass auf dich selbst auf. Höre auf dich selbst. Du sollst dich selbst lieben. Wie geht es dir mit dem, was du tust? Denn wenn es dir nicht gut geht damit, bist du nicht verpflichtet. Dann brauchst du den Mund nicht aufzumachen oder die Hand auszustrecken. Und die falschen Propheten sind die Stimmen in und um uns, die uns erzählen, dass unser Leben uns gehört. Du bist der Architekt deines eigenen Lebens. Dein eigener Erzähler. Du bist der Schöpfer deines eigenen Lebens. Das ist deine Wahl. Willst du geben oder nehmen? Die Hand ausstrecken oder wegschauen? Das eine kann so gut sein wie das andere, denn es ist dein Leben. Und wenn es nicht glücklich ist, liegt es an dir, die notwendigen positiven und negativen Entscheidungen zu treffen. Du brauchst dich nicht mit der Verletzlichkeit abzufinden. Weder deiner oder der anderen. Die falschen Propheten sind nämlich auch die Stimmen in und um uns, die nicht anerkennen wollen, dass die Verletzlichkeit etwas ist, was wir gemein haben. Und dass wir deshalb einander ausgeliefert sind und tief davon abhängig, dass uns jemand gute Worte gibt und Wärme, und eine Hand reicht. Das leugnen die falschen Propheten in unseren Ohren und unserem Herzen. Aber die Früchte entlarven sie. Denn die Stimmen, die uns dazu verlocken, auf uns selbst zu hören, führen nur zu Einsamkeit und Distanz zwischen Menschen.

Quer durch den Lärm der vielfältigen Stemmen der falschen Propheten erklingt eine klare und deutliche und andere Stimme, die unsere Aufmerksamkeit beansprucht. Es ist die Stimme unseres Herrn, die uns jeden Sonntag, Jahr für Jahr daran festhält, dass unser Leben nicht uns gehört und dass wir deshalb auch nicht in unserem guten Recht sind, eben gerade das zu tun, was uns gefällt. Im Gegenteil. Er besteht darauf, dass wir den Willen unseres himmlischen Vaters tun. Darauf kommt es in unserem Leben an, und danach beurteilt uns der himmlische Vater. Darin ist er in seinem guten Recht, weil er es ist, der uns alles geschenkt hat. Unser Leben und die Hände, die man auf die Schultern eines anderen legen kann, und die Worte, die man voller Süße sagen kann, und die Menschen, die neben uns sind. Er ist es deshalb auch, der definiert, welchen Sinn das hat. Den formuliert sein Sohn immer wieder, Sonntag für Sonntag, Jahr für Jahr. Du sollst glauben, und du sollst lieben. Das ist der Sinn! Der Wille des himmlischen Vaters. Mit seinen klaren Worten ist unser Herr sein Wahrer Prophet – und sein letzter Prophet.

Aber er ist mehr als das, und deshalb sind seine Worte nicht nur noch eine Forderung, sondern eine frohe Botschaft. Denn er ist auch unser Bruder, geboren als einer von uns, um uns zu seinen Brüdern und Schwestern und zu Kindern des himmlischen Vaters zu machen. Und er starb als einer von uns, um uns zu Miterben der Herrlichkeit zu machen, um es mit den schönen Worten der heutigen Epistel zu sagen (Röm 8,14-17). Das waren wir, seit wir getauft wurden, und wenn der Wille des himmlischen Vaters der ist, dass wir glauben und lieben sollen, so sollen wir daran glauben, und deshalb sollen wir lieben. Weil wir die geliebten Kinder des himmlischen Vaters sind, Erben seines Reiches. Das ist nicht etwas, was wir erkämpfen müssen. Nicht deshalb sollen wir uns bemühen, seinen Willen zu tun. Nein, dies ist der Ausgangspunkt, die Grundlage für den Gehorsam, den er von uns erwartet: Eine Liebe, in der wir ruhen können – und wirken. Als Kinder, die wissen, dass sie mit den Augen der Erwartung der Liebe gesehen werden. Wenn es uns klar wird, dass wir überhaupt nicht den Willen des himmlischen Vaters tun, dass wir nicht die Worte gesagt und die Hand gereicht haben, die  der andere brauchte, da vergibt uns diese Liebe und wendet unsere Aufmerksamkeit erneut dem anderen zu und bittet uns wieder, einander zu lieben.

Als Menschen, die schon Kinder Gottes sind, dürfen wir nie damit aufhören, uns selbst zu fragen, ob wir den Willen unseres himmlischen Vaters tun. Das macht das heutige Evangelium erneut trotz aller anderer Stimmen deutlich. Glaubst du und liebst du als jemand, der Gott zum Vater hat? Trägst du die guten Früchte des Glaubens und der Liebe? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir wohl antworten, dass wir leider auch viele andere Früchte tragen. Denn das Merkwürdige ist, dass wir erst seinen Willen in den Augenblicken oder Stunden tun, wo wir ganz vergessen, was wir tun. Wir der Mann, der von der Süße des Atems am Morgen redete und dem Zauber der ersten Vögel. Wie die Frau, die ihre Hand auf eine Schulter legte und die Tränen entgegennahm, die lindern. Ohne an sich selbst zu denken. Weil das notwendig war. Und dies ist es auch, was wir sollen. Das tun, was notwendig ist, für einander. Darauf vertrauen, auch wenn wir in Bezug auf seinen Willen zu kurz kommen, sind wir noch immer die geliebten Kinder des himmlischen Vaters. Noch einmal müssen wir ihn bitten, uns einen Blick für einander zu geben und Saft und Kraft, die guten Früchte der Liebe zu tragen. Amen.



Pastorin Marianne Frank Larsen
Aarhus, Dänemark
E-Mail: mfl(at)km.dk

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