Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 18.08.2019

Predigt zu Lukas 16:1-9 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Poul Joachim Stender

Das hier ist eine Bibel. Das heilige Buch des Christentums. Ihr könnt es warm empfehlen. Zuweilen ist es zwar todlangweilig, wenn die Geschlechtsregister aufgezählt werden … Sems Söhne waren Elam, Assur, Arpachschad, Lud, Aram usw. usw. Wie langweilig! Aber dann wird es plötzlich sehr erotisch. Küss mich, Geliebte, küss mich, deine Gestalt ist rank wie eine Palme, deine Brüste sind wie Trauben. Ich will in die Palme klettern. Phantastisch. Da können selbst erotische Blätter von heute nicht mithalten. Und an anderen Stellen ist das Buch sehr klug, z.B. wenn da steht: Sorge nicht für den morgigen Tag, der morgige Tag hat seinen eigenen Sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat. Und plötzlich ist das Buch trostreich und aufmunternd, weil es erzählt, dass Jesus von den Toten auferstanden ist und dass er bei uns ist im Leben und im Tode. Das Merkwürdige an der Bibel ist nur: Sie ist zwar die Grundlage unserer ganzen Kultur, aber es ist suspekt, öffentlich in ihr zu lesen. Wenn ich im Zuge mit einem Kriminalroman oder einer Zeitung in der Hand sitze, finden die Leute mich normal. Aber wenn ich da sitze und in der Bibel lese, und alle sehen können, dass ich in der Bibel lese, dann denken die Leute – auch wenn sie Christen und Mitglieder der Kirche: Das ist sicher ein Fundamentalist. Wohl ein Zeuge Jehovas. Der ist wohl psychisch krank. Oder aber sie denken: Da sitzt ein Mann, der kein Essen, keinen Alkohol und keinen Sex mag. 

Heute haben wir hier aus der Bibel, die ich eben stark empfohlen habe, von einem unehrlichen Gutsverwalter gehört. Er hatte sich gut bedient. Er hatte mit Werten um sich geworfen, die ihm nicht gehörten. Er hatte Geld unterschlagen. Und dann wird das entdeckt. Und was tut er? Er tut das, was er kann. Er betrügt weiter. Man hätte ansonsten erwarten können, dass dieser unehrliche Gutsverwalter von Jesus ordentlich in die Schranken gewiesen worden wäre. Aber nein! Jesus lobt ihn. 

So eine Geschichte gefällt mir. Denn ich denke: Vielleicht habe ich doch eine Chance. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, wie peinlich ich mich in meinem Leben verhalten habe, wie dumm ich oft gewesen bin, wie kleinlich ich gehandelt habe. Und dann ist da ein Mann in der Bibel, der noch schlimmer ist als ich, und der wird gelobt. Das sieht vielleicht gar nicht so schlecht aus, wenn man am Tage des Gerichts von Angesicht zu Angesicht vor dem Sohn Gottes stehen wird. Das Phantastische an der Bibel ist auch, dass sie nicht von den ordentlichen und richtigen Leuten handelt. Nicht von Moralisten, Leuten mit Ordnung in ihrem Leben, den Geldsachen und den Beziehungen ist hier die Rede. Es geht um die, für die es schief läuft und deren sich Jesus dennoch annimmt, weil sie es wagen, ihr Leben in seine Hände zu legen.

Ich habe neulich entdeckt, dass mein ältester Sohn jeden Morgen eine Pille mit Fischöl einnimmt. Das ist gesund, sagt er. Ich sagte, es soll lieber jeden Tag ein kleines Stück aus der Bibel lesen, da wäre Öl für seine Seele. Warum geht es in unserer Zeit mehr darum, ein langes Leben zu haben als ein Leben mit Gott? Meine diesjährigen Sommerferien waren gestört durch all diese stöhnenden Jogger, die sich anhören als säßen sie in ihrer Stube und sähen einen Pornofilm. Sie überholen mich mit ihrem spritzenden Schweiß, wo immer ich mich bewegt habe. Sie sollten lieber das Hohe Lied der Liebe oder die Briefe des Paulus lesen und spüren, dass Bibelworte einem die Puste wegnehmen können, dass Bibelworte auch das Blut in

Wallung bringen und den Puls erhöhen können. Was haben wir von einer guten Kondition, wenn es uns nicht gelingt, ein Leben zur Freude für andere als uns selbst zu leben?

Nun schließen sich Motion und Fischöl einerseits und Bibellesen ja natürlich nicht aus. Aber ich würde jederzeit behaupten, dass man über das Leben mehr lernen kann, wenn man in der Bibel vom unehrlichen Gutsverwalter liest als wenn  man Hanteln im Fitnesscenter stemmt. Was man z.B. lernen kann, ist dies, dass es darum geht, Gelegenheiten wahrzunehmen. Der unehrliche Gutsverwalter war in einer hoffnungslosen Lage. Er hatte unheimlich viel Geld unterschlagen. Er würde für den Rest seines Lebens im Gefängnis landen. Aber statt sich in die Vergangenheit zu flüchten wie die Frau von Lot, als sie sich nach dem brennenden Sodom umwandte (lies darüber in der Bibel), reagierte der unehrliche Gutsverwalter und erließ den Menschen die Schulden, die seinem Arbeitgeber auch eine Menge Geld schuldeten. Er ging ein Wagnis ein mit seinem Leben. Er war entschlossen und konnte hier und jetzt einen Entschluss treffen. Er folgte den Worten Jesu auf dem Ölberg, als Jesus über Jerusalem weinte. Erkenne deine Zeit! Wir können auch unsere Zeit erkennen, wenn wir beim Bibellesen erkennen, dass Gott mit uns ist. Das gibt Frechheit, Mut und Tatkraft. Selbst wenn wir bis zum Hals im Dreck stecken, sollen wir uns nicht in die Vergangenheit flüchten wie die Frau von Lot. Das einzige, was sie davon hatte, war dass sie zu einer Salzsäule erstarrte, so wie alle Menschen, wenn sie stecken bleiben und nur an dem hängen, was einmal war. Wir sollen wie der unehrliche Gutsverwalter mit dem Augenblick handeln, dem Jetzt, der Sekunde, die uns von Gott gegeben ist. Wir sollen damit ein Wagnis eingehen. Unsere Phantasie einsetzen. Damit experimentieren, spielen. Dafür wurde der unehrliche Gutsverwalter gelobt. Nicht für seine Unehrlichkeit. Aber lies nun dieses Buch. Die Bibel! Ich gebe ihm fünf Sterne – meine wärmste Empfehlung. Gott befohlen. Amen.



Pastor Poul Joachim Stender
Kirke Såby, Dänemark
E-Mail: pjs(at)km.dk

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