Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 25.08.2019

Predigt zu Lukas 19:41-48 (dänische Perikopenordnung) , verfasst von Lasse Rødsgaard Lauesen

In Legoland gab es einmal ein Puppenhaus, vielleicht das abenteuerlichste Puppenhaus der Welt, Titanias Palast, geschaffen von dem englischen Maler und Offizier Nevile Wilkinson. Jedes Kind drückte sich die Nase platt, um alle Einzelheiten mitzubekommen. Es war Nevilles Tochter Guendolen, die ihren Vater darum gebeten hatte, das Puppenhaus für einige kleine Elfen zu bauen, die sie im Garten gesehen hatte. Die Elfen wirkten obdachlos, meinte Guendolen, sie übernachteten wohl in unterirdischen Höhlen und sollten ein Haus bekommen, in dem sie wohnen konnten.

Sir Nevile machte sich an die Arbeit und brauchte die nächsten fünfzehn Jahre, um das Puppenhaus zu schaffen. Erst 1922 konnte er es öffentlich zeigen. Da enthielt der Palast nicht weniger als dreitausend Teile, von denen viele kleine Kunstwerke sind, die er aus der ganzen Welt gesammelt hatte. Und als Kind, welch eine große Lust hat man, mit dem Schloss zu spielen. Die Verglasung schützt glücklicherweise den Palast, denn wir gehören nicht in diese Welt, und unsere Stärke würde nur die zarten und empfindlichen Möbel beschädigen. 

Als ich als Kind dastand und das Schloss betrachtete, interessierte mich vor allem die große Schale eines Fingerhuts. Es wird nämlich erzählt, dass die Elfen dort die Tränen aller Kinder sammeln. Diese Geschichte gab mir Kraft und Hoffnung, das zu ertragen, worüber man nur weinen kann – zusammen mit der Zeile aus einem Lied des dänischen Dichters Ingemann: Gott haucht auf die Augen, wenn sie weinen.1 

Die Tränen waren also an einem Ort und waren nicht in Vergessenheit geraten. Jemand hat sie gesehen und aufgefangen. Das Weinen kommt, wenn wir ohnmächtig sind und das nicht ändern können, was geschehen ist. Die meisten weinen im Stillen, denn wer will schon seine Ohnmacht offenbaren. Jeder Mann weiß, dass es nicht hilft zu heulen, aber irgendwie hilft es, daran zu denken, dass Gott vielleicht auch unsere Tränen auffängt. Die Tränen sind vielleicht an einem Ort, auch wenn sie im Stillen von unseren Wangen fallen. 

Wenn ich eine Reliquie bei mir haben sollte, dann die Tränen Jesu. Ich weiß, dass Jesu Blut oder ein Splitter von seinem Kreuz für viele eine größere Reliquie sind als eine Träne, aber nicht für mich. Man denke nur, Jesus und damit Gott kann über uns weinen.

Jesus weint über Jerusalem, nicht das Jerusalem, das er sehen kann, sondern weil er die Zukunft sehen kann, die noch keiner sehen kann. Jesus weint wie du und ich, aber nicht nur für sich in aller Stille. Er weint, so dass alle sehen können, dass Gott ohnmächtig sein kann. Dass er auch über uns berührt sein und Mitgefühl zeigen kann. Er kann nicht seine Macht gebrauchen, sondern muss seine Ohnmacht verwenden, wenn er durch das Glas hindurch durch unsere Welt geht. Er ist vielleicht zu groß und stark in unserer verletzlichen Welt, aber irgendwie findet er Kraft in der Ohnmacht.

Man denke nur, wenn sich die Reliquie mit den Tränen Jesu füllen würde, wenn er heute über diese Welt weinen würde. All das, was wahrlich zum Heulen ist. Wenn uns das Leben wehtut oder wenn wir anderen wehtun. Hin und wieder reißen wir uns natürlich zusammen und machen die Räuberhöhle wieder zu einem Bethaus. Dazu gehört aber mehr, und vielleicht sind deshalb Blut und Splitter vom Kreuz beliebter als eine Träne. Gottes Sohn muss sterben und wieder auferstehen, damit wir, ich und ihr, in dem Glauben leben können, dass auch meine Räuberhöhle gereinigt werden kann. 

Die Tränen sind auch nicht im heutigen Evangelium das Letzte. Jesus schreitet zur Tat und vertreibt die Händler und begibt sich selbst in den Tempel um zu lehren. Er tut das, was ihn selbst letztlich zum Verhängnis wird, und dennoch weint er nicht über den Verlust seines eigenen Lebens, sondern darüber, dass er es nicht vermochte, Jerusalem zu bekehren. Es gelang ihnen, Jesus zu beseitigen, aber seit dem Ostermorgen stand er im Wege, damit die Ohnmacht und der Tod nicht das letzte Wort behalten. 

Wenn ich heute nach Hause gehe, werde ich daran denken, dass es gut ist, dass ich einen Gott habe, der weinen und sich ohnmächtig fühlen kann, der aber auch seine Ohnmacht dazu verwenden kann, den Tod zu besiegen, über den wir nur weinen können. Meine Tränen sind nun nicht ohnmächtig, denn ich lebe im Glauben daran, dass einmal kein Grund sein wird zu weinen. Amen.



Pastor Lasse Rødsgaard Lauesen
DK-5000 Odense
E-Mail: lrl(at)km.dk

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