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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 20.03.2008

Predigt zu Hebräer 2:10-18, verfasst von Ralf Hoburg

Der Weg, der unser Leben verändert hat

 

Wer denkt nicht an das eigene Leben, wenn der Musiker Xavier Naidoo in einem Popsong in einer fast unerträglichen Leichtigkeit des Seins singt: „Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer..." Der eigene Lebensweg zwischen Vergangenheit und Zukunft kommt da in den Blick. Was habe ich vor mir? Welcher Weg liegt bereits hinter mir? Freude über das Geschaffte, über Erfolge und Leistungen, sinnerfüllte Momente von Glück und Liebe ziehen dabei vor dem geistigen Auge genauso vorbei wie die nächtlichen Schatten von Ängsten, Misserfolgen und kleinen und großen Lebensunglücken... „Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer"... Darin drückt sich die Summe von Lebenserfahrungen aus. Es ist eine Vorwegnahme von Zukunft und gleichzeitig die Er-innerung an Vergangenes. Die Zeiten sind in dieser Liedzeile gegenwärtig und manchmal wissen wir was vor uns liegt. Das Leben ist ein Weg und die Erfahrung weiß, dass es Kurven, Höhen und Tiefen und Widerständiges gibt. Wir wünschen uns ein leichtes Leben, so wie es Reinhard May einstmals heiter besang: „Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein... alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, bleiben darunter verborgen und dann..." Wege in den Urlaub wollen diese Leichtigkeit des Lebens ohne Schwere. Aber die Realität ist, dass das Leben steinig und schwer ist. Unnachahmlich schön und weise besingt und reflektiert dieses Lebensschicksal der 90. Psalm, der bei Beerdigungen liturgisch häufig verwendet wird:

„Unser Leben währet siebzig Jahre,/ und wenn's hoch kommt,
so sind's achtzig Jahre,
und was daran köstlich scheint,/ ist doch nur vergebliche Mühe."

„Dieser Weg wird kein leichter sind, unser Weg wird steinig und schwer". Es gibt Wege, die man kennt. Unendlich oft erzählt, besungen, verfilmt, zu Höhepunkten der Weltgeschichte geronnen. Es sind vor allem Wege, die in die Katastrophe geführt haben, die historisch in Erinnerung bleiben. Der Weg von Millionen Juden auf Zuggleisen in Vernichtungslager. Der Weg von Flüchtlingen vor Krieg und Zerstörung. Wege von Entbehrung, Hunger und Not. Mit ihnen sind Schicksale von Menschenleben verbunden, die im Tod endeten. Ein solchen Weg beschreitet auch Jesus von Nazareth. Geboren in Bethlehem, Vater: von Beruf Zimmermann - Mutter: von Beruf „Gottesgebährerin". Unterwegs geboren im Stall, unterwegs von einer Stadt in die andere entlang des Sees Genezareth, lehrend, predigend, heilend und Wunder wirkend. Und dann der Weg in die Stadt nach Jerusalem, der steinig und schwer wurde, weil am Ende dieses Weges mit dem Tod am Kreuz das Endes des irdischen Lebens steht. Aber dieser Weg ging dann überraschend weiter und die Sackgasse hatte ein Türchen, das nicht sichtbar war, aber dennoch existierte. Das Ende wurde zum Anfang, der Tod führte zur Auferstehung, ja mehr noch: zur Himmelfahrt und zur Gottessohnschaft.

I.

Der Weg und sein Sinn

Die Passionszeit ist die bewusste Erinnerung der christlichen Gemeinde an diesen Weg Jesu Christi. Die Fastenzeit symbolisiert die 40 Tage, die Jesus von Nazareth in der Wüste gelebt hat und die Passionszeit endet mit der gottesdienstlichen Erinnerung an das letzte Abendmahl (Gründonnerstag), der Todesstunde Jesu und dem Auferstehungsfest zu Ostern. Wir durchschreiten jedes Jahr neu diesen einen steinigen und schweren Weg, den Jesus v. Nazareth gegangen ist als er in Jerusalem zum jüdischen Passahfest einzog. Die Passionszeit durchschreitet die einzelnen Stationen des Leidens Christi. Indem viele Christen die Tradition des Fastens wieder entdeckt haben, sind wir bereit in der Erinnerung an Jesus Christus eigenes Leiden auf uns zu nehmen und zu entbehren. Die Tage und Gottesdienste von Gründonnerstag bis zum Ostersonntag sind Anlass theologisch über den Weg Jesu Christi nachzudenken und vor allem im Glauben den Sinn des Weges jeweils neu zu vergewissern. Diese Absicht verfolgt der Verfasser des Hebräerbriefes, der seiner Gemeinde und uns heute eine Deutung des Geschehens vermitteln will. Für ihn steht als Erkenntnis fest: Das Leben Jesu Christi war ein Weg, den Gott beschlossen hatte und er hatte einen Sinn, auch wenn er steinig und schwer war. Aus einer historisch rückblickenden Perspektive erzählt der Brief den Weg Jesu Christi als des wahren Hohenpriesters. Dabei verfolgt der Brief ein theologisches Konzept, mit dem er uns, der Gemeinde, klar machen will, was da mit Jesus Christus geschehen ist. Der Anfang des Weges von Jesus Christus liegt für den Hebräerbrief in der erwählenden Tat und Entscheidung Gottes selbst.

Vielleicht ist der Hebräerbrief von der Erkenntnis durchdrungen, dass man das, was man beginnt auch vollenden sollte. Deshalb bedeutet für Hebr. 2, 10 das Leiden Jesu Christi im eigentlichen Sinn die Vollendung des Lebens. Der Tod Jesu Christi vollendet die Herrlichkeit Gottes, weil er dem göttlichen Willen der Erlösung entspricht. Mit dieser scheinbar widersprüchlichen, vielleicht für manche Menschen heute gar blutrünstigen Opfersymbolik begibt sich der Hebräerbrief in eine Perspektive jüdischer Heilslehre, die dem Opfer und der Funktion des Hohenpriesters eine wichtige Funktion zuschreibt. Christus ist der Anfänger des Heils. Für jüdische Ohren klingt dieser knappe Satz wie eine kleine Provokation, denn das Heil fängt nach jüdischem Verständnis mit der Erwählung des Volkes Israel an. Durchaus riskant, aber ganz auf der Linie einer christlichen Lehre des Heils argumentiert der Autor des Hebräerbriefes damit, dass in Jesus Christus der wahre Messias erwählt wurde, der von Gott als Wegbereiter des Heils in die Welt gesandt wurde. Er vereint die Rollen des Urvaters Moses und des Königs David in sich.

Das Leben und der Weg zum Tod Jesu Christi werden also ganz im Licht der Erwählung gesehen und von dieser Erwählung aus gesehen kann das Leiden Christi eigentlich nicht als eine menschliche Tragik verstanden werden. Mit dem Tod Jesu Christi schließt sich der Kreis, der mit der Inkarnation begonnen hat. Kann man in der Logik des Textes in V. 10 vielleicht sogar soweit gehen, dass der Hebräerbrief in diese Heilsgeschichte das jüdische Volk mit eingeschlossen sieht? Ein biblischer Textausleger spricht von einer wechselseitigen Bedingtheit des Geschickes des Sohnes und des Geschickes der Söhne. Christus wäre dann auch der „Anfänger ihres Heils", wobei sich dies sicherlich zunächst nur auf den Tod am Kreuz bezieht und sich mit dem Bekenntnis zur Auferstehung die Wege der Deutung zwischen Christen und Juden trennen. Während frühere Zeiten im Sinne des Textes aus dem Hebräerbrief hier vielleicht die christliche Möglichkeit einer heilsgeschichtlich legitimierten Mission am jüdischen Volk zu begründen suchten, hat uns der christlich-jüdische Dialog der letzten Jahrzehnte andere Mittel und Wege zur Deutung ermöglicht. Wenn man so will, ist es gerade am Ende der Passionszeit wichtig theologisch zu vermitteln, dass die Gültigkeit der Erwählungsaussagen des sog. Alten Bundes bestehen bleiben: Gott hat das Volk Israel erwählt. Er ist der „Eine", der heiligt und in seinem Namen soll auch geheiligt werden. Aus dieser Perspektive ist es gerechtfertigt, dass sich Christen und Juden und auch Moslems „Brüder" nennen lassen. Der heute so wichtige interreligiöse Dialog lässt sich von diesem streng kausalen Erwählungsgedanken ableiten.

Im gleichen Atemzug allerdings wechselt dann der Hebräerbrief in eine Deutungsperspektive, die wiederum nicht von allen „Brüdern" geteilt werden kann, indem er seine Argumentation in V. 17 in die Aussage münden lässt: „Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes." In der Bedeutung, die Jesus Christus für den Glauben hat, trennen sich die Wege zwischen den Brüdern. In der deutenden Perspektive des sühnenden Opfertodes erkennt auch der moderne jüdisch-christliche Dialog die Differenz von Judentum und Christentum. Der Weg, der bei Gott begann, hat eine Gabelung und die Beurteilung des Weges wird mit unterschiedlichen Blickwinkeln vorgenommen.

 

II.

Meine Wege sind deine Wege

Der Weg Jesu Christi, den wir symbolisch zwischen Gründonnerstag und Ostern vergewissern, bleibt nicht ohne Wirkung auf meinen eigenen Lebensweg. V 17. hebt es wie eine plakative Werbeüberschrift auf einen Banner: „zu sühnen die Sünden des Volkes". Und wieder erinnert mich dies an die Liedzeile: „Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer...". Der Weg des Lebens führt zum Tod. Wer einmal in der Seelsorge Menschen zum Tod begleitet hat, hat konkrete Bilder davon im Kopf, dass der letzte Weg kein einfacher und leichter Weg ist, sondern zuweilen steinig und schwer. In der Literatur und in der Kunst, in Philosophie und Theologie wird je auf ihre Weise und immer wieder neu dieses „Dasein zum Tode", wie es der dänische Philosoph Sören Kierkegaard benannt hat, zu reflektiert. Der Weg des Lebens zwischen Geburt und Tod ist zum Symbol geworden. In dem Gott Mensch wurde, ist er ebenfalls diesen Weg gegangen. Hier liegt die innere theologische Verbindung zwischen der Weihnachts- und der Passionsbotschaft, deren Höhepunkt die Erinnerung an das Kreuz Christi ist. Der Reformator Martin Luther hat diese christologische Verbindung in seinen Liedern, die sich bis heute im Zentrum evangelischer Gesangbuch-frömmigkeit finden, verdichtet und vertont. So etwa erzählt Luther in dem Lied „Gelobet seist Du, Jesu Christ" (EG 23) die Erwählung als Menschwerdung und Erniedrigung zu des Menschen Versöhnung und dichtet:

Das ewig Licht geht da herein, /
Gibt der Welt ein' neuen Schein,/
Es leucht' wohl mitten in der Nacht/
Und uns des Lichtes Kinder macht./
Kyrieleis

Die Konsequenz der Erwählung ist die Erniedrigung. „Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden..." Das Leben Jesu Christi geht wie alles Leben dem Ende entgegen, aber es war nicht sein Ende. Jesus Christus wird mit uns Menschen gleich. Aber trotz der Solidiarität Gottes mit den Menschen geht er wiederum getrennte Wege. Jesus Christus und die Menschen unterscheiden sich. Wir sind und bleiben die Sünder, während er der „Hohepriester" wird. Das macht die Eigenart des Hohenpriesters aus und zeigt sich die Differenz zwischen dem „Sohn" und den „Söhnen", in dem V. 18 betont, dass er gelitten hat, aber durch sein Leiden denen geholfen hat, die versucht werden. Jesus von Nazareth steht nicht jenseits der Versuchung, sondern er durchleidet sie stellvertretend für die Menschen. Das macht seinen Weg zu einem außergewöhnlichen, ja in christlichem Glaubensverständnis einmaligen Weg. Es ist nicht der Weg, den Heilige zur inneren Erleuchtung durchschreiten. Es ist nicht der Weg zur inneren Vollkommenheit eines Dalai Lama, sondern der Weg des stellvertretenden Leidens. Dieser Unterschied wird durch den Hebräerbrief der Gemeinde gepredigt. Jesus Christus ist der Hohepriester, der stellvertretend für den Menschen den einen Weg geht, der zu gehen ist: den Weg des Todes. Dadurch berührt der Predigttext den Kern dessen, wofür der christliche Glaube in seinem innersten Zentrum steht. Ein Ausleger dieses Textes nannte die Perikope gerade wegen ihrer zentralen theologischen Aussagen ein „vorweggenommenes Ostern". In der Erinnerung an den Weg Jesu Christi denken die Menschen in der Feier des Abendmahles, die am Gründonnerstag im Zentrum protestantischer Frömmigkeit steht, an den stellvertretenden Tod. In der Erinnerung des Todes keimt die Hoffnung auf und ist im Leidensweg Christi die fröhliche Osterbotschaft bereits präsent. Wir können diesen Weg Jesu Christi nicht gehen, aber indem er den Weg für uns frei gemacht hat über Karfreitag hinaus zu Ostersonntag, wird sein Weg unser Weg, an dessen Horizont das Licht der Hoffnung auf Auferstehung erkennbar ist. Aus dieser Gewissheit heraus glaubt die Christenheit auch heute an Jesus Christus und aus dieser Gewissheit heraus speist sich auch alle Verkündigung, wie der Hebräerbrief im Rückgriff auf Ps. 22,23 lehrt: „Ich will Deinen Namen verkündigen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde Dir lobsingen".

Amen



Prof. Dr. Ralf Hoburg
Hannover
E-Mail: Ralf.Hoburg@fh-hannover.de

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