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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 22.09.2019

Predigt zu Lukas 17:11-19 (dänische Perikopenordnung) , verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Zum Erntedankfest

 

Ein effektives Gesundheitswesen! Die Rufe der Kranken um Hilfe werden gehört, und die Heilung geschieht auf Abstand, ohne Krankenhausaufenthalt oder Behandlung, während die Kranken auf dem Wege zur Kontrolle sind, um als gesund erklärt zu werden. Es ist wohl nicht verwunderlich, wenn viele damals meinten, dass Jesus ein guter König oder Führer sein würde.

Wer ist er, der die Kranken heilen kann?

Jesus fragt uns umgekehrt: Wer ist der, der zurückkommt, um Gott die Ehre zu geben für die Heilung? Und wer sind die neun anderen, die das nicht tun?

Sind das undankbare Schlingel? Oder sind es autoritätsgläubige Bürger der Gesellschaft? Jesu hat sie selbst losgeschickt, um kontrolliert zu werden – und war die Heilung nicht eine Gabe? Vielleicht! 

Die meisten von uns haben als Kinder gelernt, dass wir danke sagen sollen. Für ein Kind ist das wohl schwer zu verstehen, worum es beim Dank geht, und es kann eine große und schwere Aufgabe sein, danke zu sagen, wenn einem das befohlen wird. Vielleicht weil wir als Kinder mehr von der Natur der Gabe verstehen als wenn wir erwachsen sind. Vielleicht verstehen Kinder auch mehr von der Natur der Dankbarkeit, als die Erwachsenen glauben.

Eine Gabe oder eine Tat, die man auf Befehl mit Dank beantworten soll, ist so gesehen nicht mehr ein richtiges Geschenk. Richtige Geschenke sind nämlich ohne Bedingungen und umsonst. In dem Augenblick, wo man ein Geschenk macht, verzichtet man auf jedes Recht als Geber. Das Geschenk gehört dem Empfänger, der den Geber nicht „bezahlen“ oder „belohnen“ soll.

In der richtigen Weise danke zu sagen ist sozial eingeübt, Dankbarkeit aber ist etwas ganz anderes. Wenn unsere Grundstimmung Freude ist, dann liegt es nahe, mit einem Lächeln danke zu sagen. Wir sagen immerzu danke in alle Richtungen. Danke für jetzt, und vielen Dank für die Hilfe. Danke für das Essen, danke für heute, danke für neulich, danke für die Überraschung, und danke dafür, dass du mich liebst! Der Alltag ist voll voller dankbarer Aussagen für alles Mögliche. Der nun gesunde Mann, der zurückkehrt und sine Dankbarkeit bekundet, weil er gar nicht anders kann – er ist überwältigt. Lasst uns also näher betrachten, was Dankbarkeit eigentlich ist.

Könnt Ihr euch erinnern an das Gefühl eines Lächelns, eines Lachens, einer Freude, die aus dem Innersten kommen? Es beginnt im Körper, macht ihn leicht, lässt die Augen funkeln, ehe der Gedanke kommt: „Ich bin froh“, lange bevor wir das zum Ausdruck bringen. 

Selbst mitten im Schmerz kann die Freude da sein:

Denke an eine Geburt, wenn das Kind zur Welt kommt.

Denke an ein Stück Arbeit, wenn es gelingt und wohl vollbracht ist. Oder denke an ein Fest, das viel Vorbereitung erfordert hat, und an das Gefühl mitten im Fest und die Freude nach dem Fest.

Es ist Freitag, Nachmittag und Abend. Nach getaner Arbeit genieße ich das gute Wetter, laufe ein wenig, die Beine sind gut, das Licht schön, der Wald ist schön. Dann ist Zeit für Gartenarbeit und einen nachdenklichen Spaziergang, ein Spiel mit der Katze, Wäsche aufhängen und etwas Hausarbeit und eine Tasse Tee in der Sonne. Eine überwältigende Dankbarkeit für das Geschenk von Zeit und Möglichkeit erfüllt mich, so sehr,

als stünde die Zeit still. Ich weiß, die Kirchenglocken verkünden, es ist sechs Uhr, und die Sonne geht etwa um halb acht unter. Aber es fühlt sich an, als seien die Stunden unendlich in einer guten Weise, wie geschenkte Zeit – gratis. Danke, danke, danke – denke ich und spüre die Dankbarkeit im ganzen Körper.

Wenn jemand Dank einfordert, dann sind alle guten Gaben nach ihrem Börsenwert und der Inflation bemessen, denn dann müssen sie bezahlt werden. Während das spontane Gefühl der Dankbarkeit, das uns erfüllt und mit aller Art Dank – auch dem ungesagten - überströmt, heilig ist und ganz gratis. Gratis, das bedeutet voller Gnade, aus Gnade. Ein Wort, das wir kaum noch verwenden. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass alles seinen Preis hat, etwas kostet, einen Wert hat, Zinsen und Zinseszinsen … und dass wir uns um fast alles verdient machen müssen mit unserer Perfektion. Das ist entsetzlich!

Aber wir kennen die Gnade. Das hängt eng mit der spontanen Dankbarkeit zusammen. Das ist unsere Erfahrung, wenn uns Gutes in unserem Leben widerfährt. Wenn ein Kind zur Welt kommt und wir von Freude, Liebe und Dankbarkeit zugleich überwältigt werden. Wenn wir bei anderen Menschen bedingungslose Güte finden, ohne Forderungen, ohne Erwartungen passender Dankbarkeit. Wenn jemand oder etwas uns guttut so ganz ohne weiteres, dann erfahren wir in der Praxis, was Gnade ist. Wenn uns das Leben gelingt und leicht fällt, wissen wir, dass die Gnade gratis ist, wie die Liebe, die Freude und das Vertrauen gratis sind. Gratis und nicht umsetzbar – da darf niemals ein Kurswert oder ein System von Zensuren eine Rolle spielen – das würde es kaputtmachen. 

Dankbarkeit ist verbunden mit Lebensfreude. Dank bestärkt uns darin, dass wir mit einander verbunden sind und nicht alles selbst zuwege bringen sollen. Alles Leben ist Geschenk, Gnade, die und zufließt – von außen.

Selbst dort, wo das Leben am schwersten ist, besteht ein Grund, an der Dankbarkeit festzuhalten, sie zu üben, zu sammeln und das nicht zu vergessen, was guttut, wie gering es auch sein mag. Das hilft uns, die Dankbarkeit tut uns gut. Deshalb sollen wir sie pflegen – nicht um Gott einen Gefallen zu tun, nicht weil andere es erwarten, sondern weil das zur Gabe des Lebens gehört, einer Gabe, die ein freies Geschenk ist. Die Dankbarkeit ist die Resonanz, der Nachklang, der die Musik vollendet.

Gott zeigt sich in Jesus als ein heilender Gott. Jesus heilt die zehn, ohne sie zu sortieren nach Herkunft oder Religion, auch nicht nach ihrer Erwartung oder ihrem Verdienst. Ohne jemandem von ihnen einem Examen zu unterwerfen oder einem Verhör, ohne nach ihrer Herkunft, ihrem Glauben oder ihrer Lebensführung zu fragen, schickt Jesus sie alle zu den Priestern. Die Priester sollen feststellen, dass die zehn geheilt sind, so dass sie in die Gemeinschaft als Gesunde zurückkehren können.

Der eine, der zu Jesus zurückkehrt, sobald er sieht und merkt, dass er geheilt ist, öffnet unsere Augen für die Heilung als Gabe, das Leben als Gabe, die Gesundheit als Gabe. Der Zusammenhang wird ihm und uns deutlich, dass ihm Gott begegnet ist. Der Gott, der heilt und Menschen in Freiheit setzt. Er macht sich keine Mühe darum herauszufinden, warum und wie das geschah oder warum es nicht vorher geschah. Er ist erfüllt von seinem neuen Leben, das sich in Dankbarkeit äußert. Er ist frei vom dem Alten und dem was früher war. 

Es wird uns deutlich, dass Gott in einem Wort stattfinden und erfahren werden kann – einem kleinen Wort, einem großen Gefühl: Danke! Wir verstehen mit unseren ganzen Wesen, dies ist gratis – ein Geschenk der Gnade, bedingungslos und befreiend.

Und gleichzeitig verstehen wir, dass es sich lohnt, sich in Dankbarkeit zu üben als einer Einstellung zum Leben. Dass es sich lohnt, aufmerksam zu sein auf Dankbarkeit als Gefühl. Dass es guttut, die Dankbarkeit zu wählen als bewusste und gewollte Wahl auch mitten in Schmerz und Chaos. Die Dankbarkeit ist eine

Erwartung, ein offenes Gebet und ein Vertrauen darauf, dass Gott für uns einsteht an allen Tagen, auch den letzten, finsteren Tagen – selbst an dem Tag, wo wir nicht gesund werden, sondern sterben und in den Armen des Gottes erwachen, der heilt. Amen.



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
Ringsted, Dänemark
E-Mail: amnm(a)km.dk

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