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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 29.09.2019

Predigt zu Matthäus 6:24-34; 1 Mose 8,20-32; 9,12-16; Galater 5,15-6,8 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Christiane Gammeltoft-Hansen

Matthäus 6,24-34; 1 Mose 8,20-32; 9,12-16; Galater 5,15-6,8 (dänische Perikopenordnung)

 

Sorget nicht, tut etwas!

Man kann in Karatschi einem Taxi dem Tode nahe sein. Das weiß ich aus Erfahrung.

Der Verkehr ist gefährlich. In einem Taxi in dem dichten Verkehr von Karatschi kann es lebensgefährlich sein, besonders wenn der Taxichauffeur alle Verkehrsregeln ignoriert und das Licht, das einem entgegenleuchtet, nicht das Licht vom Ende des Tunnels ist. Zunächst jedenfalls. Es ist ein entgegenkommendes Auto.

Für den Taxichauffeur war dies offenbar nur ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag. Er gestikulierte mit den Händen, besser wäre es ja, er hätte sie am Steuer gehalten, rief zu den anderen Verkehrsteilnehmern, fuhr mit rasender Geschwindigkeit, bei Rot über eine Kreuzung. Zwischendurch hatte er auch Zeit, seiner Passagierin zuzulächeln: Don’t worry.

Aber das tat sie – machte sich sorgen. Die Angst wächst proportional mit der Nähe eines drohenden Unfalls. Wild und zornig rief sie deshalb, dass sie sie die Tour gerne lebend überstehen würde. Das focht den Chauffeur aber offensichtlich nicht an, er ließ sich davon nicht beeinflussen. Aber wie er auch sagte und seine Schultern zuckte, gleichsam um anzudeuten, dass das doch keinen Unterschied macht: Der Tod, das ist nicht unsere Sache. Wann und wie wir aus dieser Welt kommen, das liegt an Gott.

So könnte man ansonsten dasitzen wie eine Lilie in naiver Unmittelbarkeit und den Verkehr und den Gang der Welt in die Hand eines Gottes legen, der sich infolge der Aussagen des Chauffeurs an einem Über-Punkt befindet, an dem das Leben entschieden wird. Eine Lilie, die sich nicht sorgt, sondern nur da ist – schön, sanft, in stoischer Ruhe.

Aber die Passagierin war keine Lilie, sondern nur dieser Alptraum einer Fahrt mit dem Taxi durch Karatschi. Das war nicht in Gottes Hand, sondern in der Macht des Chauffeurs, der satt allgemeiner Rücksicht im Verkehr mit einem radikalen Schicksalsglauben unterwegs war. 

Es ist ja einfach, schön im Gleichgewicht zu sein, wenn man eine Lilie auf dem Felde ist, die nichts anderes kann und weiß, als da zu stehen. Es ist ja ein Leichtes, unmittelbar zu leben, wenn man eine reine Natur ist und keine Reflexion, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Eine Blume, die von Minute zu Minute lebt, von Sekunde zu Sekunde, und der es erspart bleibt, das Licht eines entgegenkommenden Autos zusehen, das dem eigenen todgeweihten Taxi entgegenkommt. 

Oder: Es ist ja ein Leichtes, frei zu sein wie der Vogel, wenn man nicht daran zu denken braucht, was aus einem wird – und noch besorgniserregender, was aus den anderen wird. Diejenigen, die für einen unentbehrlich sind. 

Jahrelang haben wir versucht, uns selbst und anderen einzubilden, dass wir solche frei schwebende Vögel sind. Aber das stimmt nicht. Wir sind ja eben die, die sich Sorgen machen und die säen, ernten und in die Scheuen sammeln, weil wir die Ohnmacht des Todes in uns haben und wissen, dass das Leben gefährdet ist. Deshalb versuchen wir natürlich, etwas zu sammeln, mit dem wir überleben können. 

Es wäre schön, wenn wir etwas von der Sorglosigkeit der Lilie und der Unmittelbarkeit und dem Freimut des Vogels hätten. Aber wir sind nun einmal Menschen, die nicht nach der Devise in den Tag hinein leben können: carpe diem. Es gibt keine Versöhnung, wenn wir uns nicht zu unserer Vergangenheit verhalten. Und es gibt keine Hoffnung, wenn die Zukunft nicht einbezogen wird. Wir sind die, die im Ablauf der Zeit leben, wo etwas geschehen ist, wo etwas ist und wo uns etwas erwartet. Und wo wir – weil alles nicht nur ein verklärtes „Jetzt“ ist – von Sorgen übermannt werden können.

In einem Taxi in Karatschi kann das zu Ohnmacht führen. Gefangen in einem Schicksalsauto, wo Gott abwesend ist und doch bestimmend. Hier wurde die Sorge nur von dem Einzelnen selbst gehört. Niemand vernahm den Zorn der Rufenden. Das machte den Zorn und die Klage größer – und das war wohlgemerkt nicht eine Klage von der Art, die tief und schön ist und die man in der Dichtung findet.

Wenn aber das Taxi auf den Berg gefahren wäre, von dem Jesus heute spricht, wäre etwas geschehen mit der Schwere des Schicksals. Wenn das Taxi einen Augenblick dort angehalten hätte, wäre etwas mit dem Gottesbild geschehen. Auf diesem Berg wird nämlich nicht von einem Gott erzählt, der aus der Distanz über das Leben entscheidet. Da begegnet man vielmehr einem Gott, der gegenwärtig ist und handelt – und der die Menschen aufruft, dies auch zu tun. 

Wir sind nicht Herren über Leben und Tod, aber auch nicht ohne Verantwortung. Wir haben das Leben nicht geschaffen, es ist uns geschenkt. Aber wir haben Arme und Beine, können selbst denken und damit auch über den Gang der Welt mitdenken. 

Seht auf die Natur, fordert Jesus von uns in der Bergpredigt. Und so wie es der Fall ist, machen wir dies weniger in einem Versuch, mit der Natur zu harmonieren, vielmehr dagegen in einer Erkenntnis, dass wir eben eine Verantwortung haben. Dass wir uns weder erlauben können, Träumer zu sein, die passiv drauf waten, dass alles grünt, noch resigniert die Arme ausbreiten und sagen können, dass wir ja „doch nichts tun können“.

Gott ließ es einmal auf der Erde regnen, und die Meere stiegen. Es war vielleicht dieser alttestamentliche Gott, von dem in dem Taxi in Karatschi die Rede war. Heute steigt der Meeresspiegel durch unsere Hilfe. Und es mehr nötig, das zu bekämpfen, als von Lilien und Vögeln zu lernen. 

Sorget nicht – das sollte der unverantwortliche Taxichauffeur besser nicht sagen. Aber gesagt von Jesus, der mit der Zukunft kommt, macht es Sinn, weil es Erlösung mit sich bringt. Sorget nicht – im Munde Jesu klingt das fast wie eine Vergebung der Sünden, eine Befreiung von der Sorge, die um sich selbst kreist, sich selbst erfüllt und sich selbst genügt. Oder es klingt wie eine Befreiung zum Handeln, anstatt resignierend mit den Schultern zu zucken.

Auf dem Berg hören wir, dass es etwas gibt, was stärker ist als die Sorge, was wichtiger ist als sie. Mitten in den Sorgen ist da eine positive Kraft, die die Zukunft nicht den Gegnern überlassen will und die als ein Signal für den Aufbruch sagt: Sucht zuerst das Reich Gottes. Mitten in den Sorgen befindet sich ein wirksames Kraftfeld. Ein Kraftfeld, in dem gehandelt werden kann. Die Zukunft gehört Gott, und das hat schon einen Einfluss auf das Heute. 

Es gibt etwas, was wir werde verhindern oder bewirken können. Aber „du gabst uns, o Herre, ein Stück deiner Erd“1. Und dieser Acker soll bestellt werden, da soll es wachsen. Dazu braucht es Menschen, die ihr Bestes tun. Sorget nicht – das ist ein Ruf, sich nach außen zu wenden und das Leben anzunehmen. Das

ganze wird nicht von einem strengen Gott von einem Ort bestimmt, der weit weg im Abseits liegt. Gott ist in die Welt gekommen. Sorget nicht, tut etwas! Amen.



Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen
Frederiksberg, Dänemark
E-Mail: cgh(at)km.dk

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